Zentrum für arbeitsmedizinische Versorgungsforschung
>> Weshalb im Institutsnamen auf einmal der Begriff Versorgungsforschung auftaucht, liegt nicht zuletzt in der Art der Förderung begründet. Basis für den Fortbestand des gesamten Instituts war im Jahr 2003 eine institutionelle Förderung durch Südwestmetall e.V., dem Arbeitgeberverband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E). Im entsprechenden Kooperationsvertrag zwischen der Eberhard Karls Universität Tübingen, dem Tübinger Universitätsklinikum, der Medizinischen Fakultät und Südwestmetall stand bereits damals der Begriff „Health Management“ als interessierendes Forschungsfeld.
Inhaltlich passte Monika Riegers Forschungskonzept sehr gut zu dem, was in Tübingen im Rahmen des Berufungsverfahrens gesucht wurde. Nach ihrer arbeitsmedizinischen Weiterbildung und Habilitation hatte sie im Jahr 2003 die Leitung des Bereichs Forschung am damaligen Kompetenzzentrum für Allgemeinmedizin und Ambulante Versorgung an der Fakultät für Medizin der Privaten Universität Witten/Herdecke übernommen. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass sie im Rahmen dieser Aufgabe die Versorgungsforschung für sich entdeckte. Vor dem Hintergrund ihrer arbeitsmedizinischen Ausbildung entwickelte sie dann sehr schnell Projektideen im Bereich der arbeitsmedizinischen Versorgungsforschung, für die sie auch erste Drittmittel einwerben konnte. Beispielhaft dafür sei das Kooperationsprojekt mit dem Wittener Institut für Pflegewissenschaft „Arbeitsbedingungen im Krankenhaus“ zu nennen, das durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gefördert wurde.
Der Fokus der Arbeit am Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versor-gungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen bezieht sich seit dem Jahr 2008 ganz besonders auf die Gesundheitsversorgung für Menschen im Erwerbsalter. Das kann durchaus als charakteristisch für die hier geleistete Forschungsarbeit im Bereich der Versorgungsforschung angesehen werden, da sowohl das betriebliche Setting und die Zusammenarbeit mit Betriebs-
ärzten als Akteuren der Gesundheitsversorgung in den Blick genommen werden, als auch die Bedeutung der Arbeitsbedingungen für den Erhalt der Gesundheit, einschließlich all jener Maßnahmen, die im deutschen Sozialsystem zum Erhalt der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit möglich sind. Schließlich widmet sich das Team um Monika Rieger mit einer arbeitsmedizinischen Perspektive den Beschäftigten im Gesundheitsdienst.
„Mir ist es ein großes Anliegen, die Bedeutung der arbeitsmedizinischen Versor-
gungsforschung zu stärken“, sagt dazu Monika Rieger. Sie hat hier einerseits die Forschung zu Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen einschließlich der Auswirkungen auf die Patientenversorgung, andererseits aber eben auch das große Feld der Gesundheitsversorgung für Menschen im Erwerbs-alter im Blick. Für das Institut wesentlich ist die inzwischen große internationale Sichtbarkeit, die sich zum Beispiel in der Mitarbeit in den entsprechenden Scientific Committees der International Commission on Occupational Health (ICOH) spiegelt.
Dabei gibt es am Institut eigentlich zwei starke Forschungsschwerpunkte: Neben der arbeitsmedizinischen Versorgungsforschung befasst sich der zweite Schwerpunkt vorwiegend mit der arbeitsphysiologischen Erforschung arbeitsbedingter Belastungen und der Arbeitsgestaltung. Doch wenn es zum Beispiel um die Implementierung neuer
Arbeitsverfahren im Gesundheitsdienst geht, arbeiten die Teams beider Forschungsschwerpunkte des Instituts eng zusammen. „Meines Erachtens sollte die Erwerbsteilhabe beziehungsweise Arbeitsfähigkeit deutlich stärker als bisher eine Zielgröße bei der Gestaltung und Bewertung der Gesundheitsversorgung sein“, erklärt Monika Rieger durchaus mit einem guten Stück Sendungsbewusstsein. Von daher bedeutet ihr auch ganz persönlich die Auszeichnung mit der Joseph-Rutenfranz-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin im Jahr 2019 sehr viel.
Das Bild des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen wäre aber nur halb gezeichnet, wenn man nicht das bereits im Jahr 2008 mit baden-württem-
bergischen Landesmitteln geförderte Kompetenzzentrum für arbeits- und sozialmedizinische Prävention, Rehabilitation und Frauengesundheit hinzufügen würde. Dieses Kompetenzentrum wurde als Kooperationsprojekt des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung mit dem Institut für Frauengesundheitsforschung eingerichtet. Letzteres ist beispielsweise Partner im Projekt Mind:Pregnancy, das mit 3,4 Millionen Euro durch den Innovationsfonds gefördert wird.
Im Jahr 2011 übernahm Monika Rieger zudem die Leitung der neuen Koordinierungsstelle Versorgungsforschung der Medizinischen Fakultät Tübingen, die bis 2017 im Rahmen der Landesförderung zum Auf- und Ausbau der Versorgungsforschung in Baden-Württemberg finanziert wurde. Diese Koordinierungsstelle leitete sie ab 2015 zusammen mit Prof. Dr. med. Stefanie Joos, die damals als Professorin und Ärztliche Direktorin die Leitung des Instituts für Allgemeinmedizin und interprofessionelle Versorgung übernommen hatte.
Zeitlich parallel gab es in Tübingen Über-
legungen, die Universitätsmedizin stärker mit der Versorgungsforschung und dem öf-
fentlichen Gesundheitswesen (ÖGW) zu verzahnen und Versorgungsforschungsprojekte im ÖGW zu initiieren. Die Anschubförderung durch das Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät Tübingen sowie durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg ermöglichte im Oktober 2019 (s. MVF 05/19) die Gründung des Zentrums für Öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung Tübingen (ZÖGV), in dem die Koordinierungsstelle aufging. Im ZÖGV führen das Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät ihre langjährigen Aktivitäten im Bereich der Versorgungsforschung weiter und erweitern diese um Forschungsprojekte zu Fragen aus dem Bereich des Öffentlichen Gesundheitswesens. Damit sollen das Öffentliche Gesundheitswesen und die Versorgungsforschung methodisch gestärkt
und evidenzbasierte Informationen als Entscheidungsgrundlage für Politik und Versorgungsplanung generiert werden, um eine bedarfs- und bürgerorientierte medizinische Versorgung sicherzustellen. „Mit dem Zentrum wollen wir die vielfältigen Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes mit der Wissenschaft gleichberechtigt und praxisnah enger miteinander verzahnen“, erklärte anlässlich der Gründung des ZÖGV Manne Lucha, Minister für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg. Weiter führte er aus, dass er damit die Hoffnung verbinde, Studierende für das „interessante und vielseitige Aufgabengebiet des öffentlichen Gesundheitswesens zu gewinnen und es dadurch auch zukunftsfähig zu machen“. Baden-Württemberg nehme laut Lucha mit der Eröffnung dieses Zentrums nicht nur bundesweit eine Vorreiterrolle ein, sondern: „Public Health bekommt mit diesem Zentrum ein Gesicht!“ <<
Prof. Dr. med. Monika A. Rieger
ist seit 2009 Universitätsprofessorin für Arbeits- und Sozialmedizin sowie Ärztliche Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen
Stationen:
seit 4/2008: (zunächst kommissarische) Leitung des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen.
2007 – 2010: Leitung Schwerpunkt Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Universität Witten/Herdecke
2003 – 2007: Leitung Bereich Forschung, Kompetenzzentrum für Allgemeinmedizin und Ambulante Versorgung, Universität Witten/Herdecke
2002: Habilitation und Lehrbefugnis „Arbeitsphysiologie und Arbeitsmedizin“, Bergische Universität Wuppertal
1995 – 2003: Arbeitsmedizinische Weiterbildung: verschiedene klinische Abschnitte und wissenschaftliche Tätigkeiten in Freiburg und Wuppertal
1987 – 1995: Studium der Humanmedizin in Freiburg und Innsbruck
Preise:
2002: E.W. Baader-Preis für Arbeitsmedizin
2019: Joseph-Rutenfranz-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin