Gesundheitskompetenz der Bevölkerung im Umgang mit der Coronavirus-Pandemie
>> Allerdings fühlt sich eine Mehrheit der Bevölkerung (56 Prozent der Befragten) in der gegenwärtigen Krise durch die Vielfalt an Informationen zum Thema Covid-19 verunsichert und weiß nicht mehr genau, welchen Informationen sie trauen soll. Je besser der subjektiv empfundene Informationsstand ist, desto geringer ist die Verunsicherung. Unter den sehr gut Informierten sind es 58 Prozent, die kaum oder gar nicht verunsichert sind. Unter Personen, die sich gut informiert fühlen, sind es noch 42 Prozent und unter den 10 Prozent der Bevölkerung, die sich weniger oder gar nicht gut informiert fühlen, sind lediglich 19 Prozent kaum oder gar nicht verunsichert. Die Verunsicherung ist in der jungen Bevölkerung etwas verbreiteter als unter Älteren: Personen unter 45 Jahren empfinden zu 14 Prozent große Verunsicherung, weitere 47 Prozent sind etwas verunsichert. Über 60-Jährige sind dagegen zu sieben Prozent sehr und zu 39 Prozent etwas verunsichert, welchen Informationen sie im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie trauen sollen.
Viele Aspekte des Umgangs mit Informationen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie sind für weite Teile der Bevölkerung wenig problematisch. Einzuschätzen, ob Informationen in den Medien vertrauenswürdig sind, hält aber fast die Hälfte für schwierig. Das stellt insbesondere im Kampf gegen die „Infodemie“, die vielen Desinformationen und Fehlinformationen, ein gravierendes Problem dar.
Die Ergebnisse dieser Studie müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass Informationen zum Coronavirus den Lebens-alltag gegenwärtig sozial und digital vollumfänglich durchdringen und eine hohe Alltagsrelevanz besitzen. Daher fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger mit Informationen gut versorgt und der Zugang zu diesen fällt ihnen eher leicht.
Informationen zu Covid-19 – eine Herausforderung
Das SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) ist ein neuartiges Coronavirus, das erstmalig im Dezember 2019 in Wuhan, China, entdeckt wurde und die Erkrankung Covid-19 (Coronavirus Disease 2019) verursacht (1). Seit dem Ausbruch von Covid-19 sind Informationen zum Virus, zur Erkrankung, zum Infektions- und Selbstschutz, zu handlungsleitenden Anweisungen oder zur Aufrechterhaltung des sozialen Lebens allgegenwärtig. Durch die Coronavirus-Pandemie haben sich Gesundheitsinformationen von einem abstrakten zu einem praktischen Gegenstand des Lebens-alltags gewandelt. Covid-19-Informationen haben den digitalen Informations- und Kommunikationsraum im Internet und den sozialen Medien eingenommen und sind das bestimmende Thema in TV, Zeitungen und Radio geworden. Infektionsschutzmaßnahmen und präventive Verhaltensweisen, wie Hygiene, Desinfektion und Händewaschen, Husten- und Niesetiketten, Abstandhaltung („Physical Distancing“), Isolation und Mundschutzmasken haben sich als zentrale Begriffe öffentlicher Gesundheitsinformationen etabliert. Über das Informieren der Bevölkerung sollen Verhaltensweisen gefördert und gestärkt werden, um die Ansteckungsgefahr für sich und andere zu minimieren.
Gesundheitsinformationen werden in Deutschland durch die unterschiedlichen Organe der Bundesregierung, der Länder und Kommunen sowie nationale Gesundheitsbehörden, wie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2, 3), Robert Koch-Institut (RKI) (4) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (5) zur Verfügung gestellt. International sind es die Europäische Kommission (6), das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) (7), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (8, 9) und zahlreiche weitere Organisationen, die Menschen mit vertrauenswürdigen Informationen versorgen. Auch Virologen, Epidemiologen, Mediziner und Pflegende sind zu zentralen Informationsvermittlern geworden.
Damit alle Menschen Informationen verstehen können, müssen sie auf ein leicht verständliches Niveau heruntergebrochen werden. Informationen dürfen nicht zu komplex sein, unbekannte Fachbegriffe verwenden oder widersprüchlich sein. Sie müssen Bürgerinnen und Bürger klar und sachlich ansprechen, sie abholen, wo sie stehen, dürfen nicht überfordern und Ängste verbreiten und ihnen zudem eine Hilfestellung im täglichen Alltag während dieser Krisensituation geben sowie in Verhaltensweisen und Praktiken überführbar sein. Die Informationen ändern sich jedoch stetig in dem Maße, wie neuer Kenntnisstand zum Coronavirus und Covid-19 durch Forschung und Wissenschaft generiert wird. So werden täglich neue Infektionszahlen kommuniziert und die Verhaltensempfehlungen regelmäßig angepasst. Covid-19 stellt folglich besondere Anforderungen an Gesundheitsinformationen. Die Ergebnisse des Covid-19 Snapshot Monitoring (COSMO) (10), die im wöchentlich wiederholten Querschnitt Wissen, Risikowahrnehmung, Schutzverhalten und Vertrauen während der aktuellen Covid-19-Krise erfasst, zeigt beispielsweise, dass 74 Prozent der Menschen sich mittlerweile sehr häufig bis häufig zum Thema Coronavirus informieren. Das größte Vertrauen haben sie dabei in die Webseiten der Gesundheitsbehörden gefolgt von den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, wobei sie letztere am häufigsten nutzen, am meisten vertrauen und die größte Relevanz beimessen (11).
Von der Pandemie zur Infodemie?
Die digitalen Übertragungswege ermöglichen heute die Verbreitung von Informationen ebenso wie Fehlinformationen in einem vielfach höheren Tempo als jemals zuvor (12). Die WHO hat durch die Einführung des Begriffs der „Infodemie“ diesem Umstand Rechnung getragen und meint die rasante Verbreitung von Des- und Fehlinformationen zum Thema Coronavirus und Covid-19 (13). Die Infodemie viral gehender Informationen erreicht ohne Zeitverlust jeden Winkel auf diesem Planeten, an dem eine Netzanbindung zur Verfügung steht. Die digitale Zugänglichkeit zu Covid-19-Informationen wird dabei begleitet durch die Berichterstattung zu Covid-19 über die traditionellen Medien wie TV, Radio und Printmedien. Insgesamt verlangt der Umgang mit Informationen zu Covid-19 Menschen sehr viel ab: Resilienz, soziale Ressourcen und Gesundheitskompetenz sind unverzichtbare Bestandteile der Krisenbewältigung geworden.
Gesundheitskompetenz als Antwort
Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit zum Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen und Dienstleistungen (14). Im Wesentlichen adressiert Gesundheitskompetenz das Finden, Verstehen und kritische Bewerten von Informationen und deren hand-
lungsleitende Überführung und Anwendung im Rahmen von Verhaltensweisen (15). Gesundheitskompetenz hilft Menschen dabei, tragfähige Entscheidungen zur Prävention, Gesundheitserhaltung, Krankheitsbewältigung und Gesundheitsförderung treffen zu können. Über die persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus kann Gesundheitskompetenz auch auf der System- und Orga- nisationsebene gefördert werden, etwa durch eine gesundheitskompetente Gestaltung des Gesundheitssystems und seiner Einrichtun-gen, die Befähigung von Berufsgruppen und gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern zum sensiblen Handeln gegenüber den Bedürfnissen von Zielgruppen.
Die WHO unterstreicht die Relevanz von Gesundheitskompetenz für Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung bereits seit Jahren mit Nachdruck (16–19). In Europa ist Gesundheitskompetenz in den letzten Jahren vor allem in der Forschung und Politik zu einem zunehmend wichtigen Thema geworden (20, 21). Die Folgen von Covid-19 haben Gesundheitskompetenz jedoch plötzlich und sehr unvermittelt in den Fokus der Praxis rücken lassen. Gesundheitskompetenz ist plötzlich zu einer Kernkompetenz geworden, die Voraussetzung ist, um Informationen und Anweisungen zum Coronavirus und Covid-19 von Gesundheitsbehörden und Gesundheitsfachkräften – aber auch von Familienangehörigen und weiteren vertrauensvollen Bezugspersonen – zu verstehen, bewerten und in die tägliche An- wendung für Infektionsschutz und Prävention, aber auch für die Förderung der eigenen körperlichen und psychischen Gesundheit und die der Familien und Angehörigen überführen zu können. Es reicht jedoch nicht aus, dass vertrauensvolle, einfache und praktische Informationen zum Umgang mit dem Coronavirus und Covid-19 vorliegen. Damit die Gesundheitskompetenz von Bürgerinnen und Bürgern zur Geltung kommen kann, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen und Verhältnisse sichergestellt werden. Daher spielt die Gesundheitskompetenz auf der organisationalen und politischen Ebene eine nicht minder wichtige Rolle für das Krisenmanagement während der Pandemie.
Studie zur Covid-19 bezogenen Gesundheitskompetenz
Die Studie zur Messung der Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in Bezug auf das Coronavirus und Covid-19 ist ein Gemeinschaftsprojekt des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung der Universität Bielefeld und des Department Public Health and Education der Hertie School of Governance in Berlin. In deren Auftrag hat das Institut für Demoskopie Allensbach zwischen dem 31. März und dem 7. April 2020 einen online-repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung von 1.000 Personen ab 16 Jahren online befragt. Schwerpunkt ist die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, wobei es um die Einschätzung geht, wie gut es den Bürgerinnen und Bürgern gelingt, die Informationen zur Coronavirus-Pandemie zu finden, zu verstehen, auf dieser Basis Einschätzungen vorzunehmen und das eigene Verhalten danach auszurichten. Für die Entwicklung des Studienfragebogens wurde der deutsche HLS-EU-Q16 Fragebogen (22) herangezogen. Die Fragen zum Finden, Verstehen, Bewerten und Anwenden von Informationen wurden an die Fragestellung der Studie mit dem Schwerpunkt auf das Coronavirus und Covid-19 angepasst.
Ergebnisse der Studie
Subjektiv guter Informationsstand zur Coronavirus-Pandemie
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung fühlt sich über das Coronavirus bzw. die Coronavirus-Pandemie gut oder sogar sehr gut informiert: 29 Prozent sehen sich sehr gut informiert, weitere 61 Prozent gut. Lediglich 9 Prozent halten sich für weniger gut informiert, nur 1 Prozent der Bevölkerung für gar nicht gut (Abb. 1). Nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern bemerkenswerterweise auch zwischen verschiedenen Altersgruppen und Bildungsschichten finden sich in dieser Frage keine signifikanten Unterschiede. Allerdings sehen sich Personen aus Haushalten mit höherem Einkommen, d. h. ab monatlich 3.000 Euro netto, häufiger sehr gut informiert als Personen aus Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1.750 Euro (31 Prozent gegenüber 25 Prozent).
Verunsicherung durch die Informationsflut
Gleichzeitig fühlt sich eine Mehrheit der Bevölkerung durch die vielen Informationen zum Thema „Corona“ verunsichert: 11 Prozent fühlen sich sehr verunsichert und wissen gar nicht mehr genau, welchen Informationen sie vertrauen sollen, weitere 45 Prozent sind angesichts der vielen Informationen etwas verunsichert (Abb. 2). Auf der anderen Seite sagen 44 Prozent der befragten Personen, dass sie in dieser Frage kaum oder gar nicht verunsichert sind.
Subjektiver Informationsstand und Verunsicherung durch die Informationsflut
Dabei zeigt sich: Je besser der subjektiv empfundene Informationsstand ist, desto geringer die Verunsicherung durch die Informationsflut: So ist unter den Personen, die sich sehr gut informiert fühlen, eine Mehrheit von 58 Prozent kaum bzw. gar nicht verunsichert, unter Personen, die sich gut informiert fühlen, 42 Prozent, und unter den 10 Prozent der Bevölkerung, die sich weniger oder gar nicht gut informiert fühlen, sind lediglich 19 Prozent kaum oder gar nicht verunsichert.
Daneben ist die Verunsicherung in der jungen Bevölkerung etwas verbreiteter als unter älteren Bevölkerungsgruppen: Personen unter 45 Jahren empfinden zu 14 Prozent große Verunsicherung, weitere 47 Prozent sind etwas verunsichert. Über 60-Jährige sind dagegen „nur“ zu 7 Prozent sehr und zu 39 Prozent etwas verunsichert, welchen Informationen sie im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie trauen sollen. Keine signifikanten Unterschiede bestehen dagegen zwischen verschiedenen Bildungs- und Einkommensschichten.
Covid-19 bezogene Informationen als Herausforderung
Viele Aspekte des Umgangs mit Informationen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie sind für weite Teile der Bevölkerung wenig problematisch. Einzuschätzen, ob Informationen in den Medien vertrauenswürdig sind, hält aber fast die Hälfte für schwierig. Wenn es darum geht, im Zusammenhang mit dem Coronavirus und Covid-19 Informationen zu finden, zu verstehen, auf deren Basis Einschätzungen zu treffen und Folgerungen für das eigene Verhalten zu ziehen, sieht sich die deutsche Bevölkerung in vielerlei Hinsicht gut gerüstet.
Für über 90 Prozent der Internetnutzer ist es einfach oder sogar sehr einfach, Informationen über das Coronavirus und Covid-19 im Internet zu finden. Annähernd 90 Prozent beurteilen es als einfach oder sehr einfach, im Internet Informationen über Verhaltensweisen zu finden, die helfen, einer Infektion mit dem Coronavirus vorzubeugen oder die Anweisungen des eigenen Arztes, Apothekers oder von Pflegekräften zu Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus zu verstehen.
Auch in den meisten anderen Handlungsbereichen des Findens, Verstehens, Bewertens und Anwendens von Coronavirus- und Covid-19-Informationen liegen die Anteile von Menschen, die ihre eigene Gesundheitskompetenz als hoch einschätzen bei rund 80 Prozent oder sogar leicht darüber (Abb. 3 und 4). Für diese Bürgerinnen und Bürger ist es aus ihrer subjektiven Sicht einfach oder sehr einfach,
• sich so zu verhalten, dass sie andere Personen nicht anstecken,
• die Anweisungen von Behörden zu Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus zu verstehen,
• Informationen in den Medien zu verstehen, wie sie sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen können,
• Anweisungen ihres Arztes oder Apothekers zum Umgang mit dem Coronavirus zu befolgen,
• einzuschätzen, welche Schutzmaßnahmen sie gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus ergreifen sollten,
• Ratschläge von Familienmitgliedern oder Freunden zu Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus zu verstehen,
• in Zeitungen, Zeitschriften oder dem Fernsehen Informationen über Verhaltensweisen zu finden, die helfen, einer Infektion mit dem Coronavirus vorzubeugen,
• zu verstehen, was sie im Internet über die Risiken des Coronavirus finden,
• einzuschätzen, welche Verhaltensweisen ein besonders großes Risiko für eine Ansteckung mit dem Coronavirus mit sich bringen,
• zu verstehen, was sie in Zeitungen, Zeitschriften oder dem Fernsehen über die Risiken des Coronavirus finden,
• aufgrund von Informationen aus den Medien zu entscheiden, wie sie sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen und
• mit Hilfe der Informationen ihres Arztes oder Apothekers zu entscheiden, wie sie mit einer möglichen Corona-Infektion umgehen.
Rund zwei Drittel der Befragten gaben im Zusammenhang mit Themen wie Risikobewertung, Hilfesuchverhalten und Medieninformationen an, dass sie es als einfach oder sehr einfach empfinden,
• Informationen darüber zu finden, wie gefährdet sie persönlich durch das Coronavirus sind,
• einzuschätzen, wie gefährdet sie persönlich durch das Coronavirus sind,
• herauszufinden, wo sie im Fall einer Corona-Infektion professionelle Hilfe erhalten können,
• Informationen darüber zu finden, wie sie erkennen können, ob sie sich möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert haben sowie
• mit Hilfe der Informationen aus den Medien entscheiden, wie sie mit einer möglichen Corona-Infektion umgehen.
Lediglich zwei der abgefragten 22 möglichen Herausforderungen werden von rund der Hälfte der Bevölkerung als schwierig oder sogar sehr schwierig beurteilt. Einer dieser Punkte ist bemerkenswerterweise die Einschätzung, ob Informationen in den Medien über das Coronavirus bzw. die Coronavirus-Pandemie vertrauenswürdig sind. 37 Prozent halten das für schwierig, weitere 11 Prozent für sehr schwierig.
Daneben beurteilen es 52 Prozent der Bevölkerung als schwierig oder sehr schwierig, einzuschätzen, ob sie sich selbst mit dem Coronavirus angesteckt haben könnten (Abb. 4).
Einschätzung der Ergebnisse
Ende Januar 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch von Covid-19 zu einer Pandemie erklärt (23, 24). Die Welt steht seither vor der kollektiven Herausforderung, auf allen Ebenen der Gesellschaft gegen Covid-19 vorzugehen. Diesen Aufgaben wurde in weiten Teilen der Welt koordiniert nachgegangen, zumal die Auswirkungen von Covid-19 neben der Gesundheit von Menschen auch die Volkswirtschaften, politischen Systeme und das öffentliche und soziale Leben beeinflussen. Während der medizinische und pharmazeutische Sektor an der Entwicklung eines Impfstoffes und medikamentöser Behandlung forscht (25–27) und weltweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen bemüht sind, Evidenz zu Covid-19 zusammenzutragen (28–33), sind gesundheitspolitische Maßnahmen und gesundheitliche Interventionen auf der personalen Verhaltensebene zu zentralen Strategien im Kampf gegen Covid-19 geworden. Sie sollen helfen, die Verbreitung von Covid-19 zu verlangsamen und die Ausbreitung zu kontrollieren, um dem Gesundheitssektor die benötigte Zeit für die Entwicklung eines Wirkstoffs und die Behandlung von Erkrankten zu geben sowie insgesamt die primären und Notfallversorgungsstrukturen zu entlasten. Gesundheitskompetenz, also die Fähigkeit Coronavirus und Covid-19 bezogene Informationen verstehen und bewerten zu können und Bürgerinnen und Bürger in die Lage zu versetzen, die gegenwärtigen Präventions- und Schutzmaßnahmen durch zuträgliche Verhaltensweisen zu unterstützen, nimmt hierbei eine herausragende Rolle ein.
Studien in Deutschland haben in den letzten Jahren aufgezeigt, dass große Teile der Bevölkerung sich vor Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen gestellt sieht (34, 35). Um die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken, ist in Deutschland ein Nationaler Aktionsplan zur Förderung der Gesundheitskompetenz (NAP) erarbeitet worden (36) und wurde die Allianz Gesundheitskompetenz gegründet (37, 38). Diese Maßnahmen sind in Deutschland jedoch noch relativ neu.
Während Gesundheitskompetenz bereits im Zusammenhang mit nichtübertragbaren Krankheiten diskutiert wird (39), sind übertragbare Krankheiten wie Covid-19 und mögliche Auswirkungen von Gesundheitskompetenz bislang unbearbeitet geblieben.
Die Ergebnisse zur Covid-19 bezogenen Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung in Deutschland unterscheiden sich sehr deutlich von den Ergebnissen zur allgemeinen Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, die im Jahr 2016 veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse von 2016 zeigen, dass sich 54,3 Prozent der Bevölkerung vor Schwierigkeiten im Umgang mit generellen Gesundheitsinformationen gestellt sehen und ihnen die Einschätzung und die handlungsleitende Überführung in alltägliche Aktivitäten der Gesundheitsversorgung, Krankenbehandlung, Prävention und Gesundheitsförderung schwerfällt.
Hingegen zeigen die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie zur Covid-19 bezogenen Gesundheitskompetenz, dass die Bevölkerung deutlich weniger Schwierigkeiten im Umgang mit den spezifisch auf das Coronavirus und die Erkrankung Covid-19 bezogenen Informationen hat. Allerdings basiert die Studie auf einer Online-Erhebung. Die Ergebnisse lassen also keine Rückschlüsse auf internetaverse Personen zu. Es ist anzunehmen, dass die Informationsverarbeitung zu Covid-19, Personen, die das Internet gar nicht oder kaum nutzen, schwerer fällt.
In den Kernbereichen des Zugangs zu Informationen zum Coronavirus über das Internet und der Bewertung von online vermittelten Informationen zu Verhaltensweisen zum Infektionsschutz, fühlen sich über 90 Prozent der Bevölkerung kompetent genug, um diese Herausforderungen positiv zu bewältigen. Dies gilt auch für das Verständnis von Informationen zu Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus, die in Form von Anweisungen durch den Arzt, Apotheker oder Pflegekräfte kommuniziert werden.
Über 80 Prozent der Bevölkerung fällt es leicht, Informationen über Verhaltensweisen zum Infektionsschutz in Zeitungen, Zeitschriften oder dem Fernsehen zu finden, Anweisung dazu von Behörden, Medien und Familienmitgliedern oder Freunden zu verstehen und auch Risikoeinschätzungen zum Coronavirus im Internet zu verstehen. Auch wirksame Schutzmaßnahmen und Verhaltensweisen für sich selbst und andere einzuschätzen und Anweisungen von Ärzten und Apothekern nachzukommen, stellt für über 80 Prozent der Bevölkerung kein Problem dar. Natürlich sind es immerhin noch 20 Prozent der Bevölkerung bzw. 10 Prozent, die ihre eigene Gesundheitskompetenz bezogen auf Covid-19 nicht als ausreichend genug einschätzen.
Ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung geben an, dass sie bei dem Suchen und Finden von Informationen zur eigenen Gefährdungssituation, möglichen Symptomen einer Ansteckung und medizinischen Hilfsangeboten keine Schwierigkeiten hat. Die Werte zur Einschätzung der eigenen Entscheidungsfähigkeit im Falle einer möglichen Ansteckung und des Umgangs mit der Krankheit auf Grundlage von Medieninformationen sind relativ ähnlich. Allerdings fallen über 30 Prozent der Befragten diese Aspekte schwer. Insgesamt muss man hier also von einem sehr positiven Ergebnis sprechen.
Einzuschätzen, inwiefern und ob Informationen in den Medien über das Coronavirus und die Coronavirus-Pandemie vertrauenswürdig sind, fällt 48 Prozent der deutschen Bevölkerung schwer bis sehr schwer – ein Ergebnis, das zu denken gibt. Denn insbesondere im Kampf gegen Des- und Fehlinformation kann dies zu gravierenden Problemen führen und somit den Erfolg der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, der Behandlung von Erkrankten, dem Schutz von Ärzten, Pflegenden, Seelsorgern und weiteren Fachkräften in Krankenhäusern und Versorgungseinrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung der Funktionsweise des deutschen Versorgungsystems im Kampf gegen Covid-19 gefährden.
Die Ergebnisse zur Covid-19 bezogenen Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung basieren auf den Selbsteinschätzungen des Umgangs mit Informationen. Es wurde kein Test durchgeführt, um diese Selbsteinschätzung mit der tatsächlichen Performanz abzugleichen. D. h. Menschen könnten sich auf Grund der medialen und sozialen Dauerpräsenz von Coronavirus und Covid-19 bezogenen Informationen so sicher fühlen, dass sie ihre Fähigkeiten zum Umgang mit diesen Informationen höher einschätzen, weil sie derzeit allgegenwärtig sind. Die Ergebnisse der COSMO-Studie zeigen in diesem Zusammenhang auf, dass der Informationszugriff der Menschen seit dem Beginn fast kontinuierlich ansteigt. So schätzen mittlerweile zwei Drittel der befragten Personen ihren Wissensstand zur derzeitigen Corona-Situation als umfangreich ein und als Expertinnen und Experten in ihrem Freundeskreis bezeichnen sich immerhin 27 Prozent (11).
In der Bewertung der sehr positiven Ergebnisse dieser Studie muss neben der weiten Verbreitung und hohen Frequenz von Gesundheitsinformationen im Lebensalltag zum Thema Covid-19 auch die eingangs erwähnte Form der Datenerhebung berücksichtigt werden, die nicht onlineaffine Menschen ausschließt. Zudem sind Informationen und Handlungsempfehlungen laienverständlich und relativ konkret formuliert und besitzen derzeit auch eine hohe Alltagsrelevanz. Daher dürfte auch die intrinsische Motivation, sich mit Covid-19-Informationen auseinanderzusetzen, als sehr hoch einzuschätzen sein, was sicherlich einen positiven Einfluss auf den Umgang mit Informationen ausübt. Hinzu kommt, dass die Informationen in den traditionellen und digitalen Medien durch behördliche Einrichtungen vermittelt werden, denen die Bevölkerung großes Vertrauen beimisst. Daher fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gut versorgt mit Informationen und der Zugang zu diesen fällt eher leicht.
Allerdings wurde die Überführung der Gesundheitskompetenz in Verhaltensweisen und Alltagshandlungen in dieser Studie nicht konkret überprüft. Daher wissen wir nicht, ob die Kompetenz im Umgang mit Covid-19 bezogenen Informationen nicht nur in der Theorie leichtfällt, in der praktischen Umsetzung, wenn gleichzeitig auch weitere Umfeld- und Umweltfaktoren in den Lebenswelten der Menschen auf deren Handlungsmöglichkeit und das Geschehen einwirken, aber scheitert. Auch hier geben die Ergebnisse der COSMO-Studie aufschlussreiche Hinweise und zeigen, dass die wirksamen Präventionsmaßnahmen und offizielle Verfügungen den Menschen bekannt sind, sie jedoch nicht durchgängig ergriffen werden (11). Hierzu ist zwingend weitere Forschung nötig, insbesondere zum Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und Faktoren, die Verhaltensweisen und konkrete Handlungsweisen befördern oder behindern. <<
von:
Dr. Orkan Okan (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung an der Universität Bielefeld)
Dr. Steffen de Sombre (Projektleiter am Institut für Demoskopie Allensbach)
Dr. Klaus Hurrelmann (Professor für Public Health and Education an der Hertie School, The University of Governance in Berlin)
Dr. Eva-Maria Berens (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung)
Dr. Ullrich Bauer (Professor für Sozialisa-
tionsforschung und Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung an der Universität Bielefeld)
Dr. Doris Schaeffer (Senior-Professorin für Versorgungsforschung und Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung an der Universität Bielefeld)
Literatur:
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