Covid-19 sorgt für Turbulenzen im Gesundheitsmarkt
http://doi.org/10.24945/MVF.03.20.1866-0533.2218
>> Um die aktuellen Bewegungen im deutschen Pharmamarkt zu betrachten, wurden in Abbildung 1 Wochendaten aus dem pharmazeutischen Großhandel herangezogen. Sowohl die Top 5-Marktsegmente nach ATC2, definiert nach Umsatz, als auch der Mittelwert der übrigen Teilmärkte weisen seit Jahresbeginn sehr starke Absatzschwankungen auf. Ein erster Peak ist in Datenwoche (DW) 2 zu erkennen, in der das Coronavirus zwar zunehmend in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte, aber noch nicht als unmittelbare Einflussgröße auf die deutsche Wirtschaft ausgemacht werden konnte. In den folgenden Wochen hält sich das Wachstum auf gleichbleibend erhöhtem Niveau und schwächt tendenziell mit Ausnahme des M01- und J01-Markts sogar wieder ab. In DW 9, also Ende Februar, kann von einem deutlichen Corona-Effekt gesprochen werden, denn hier beginnt der enorme Anstieg aller Marktsegmente, der in einem Höchstwert von fast 250 Indexpunkten bei den Antiphlogistika/Antirheumatika Anfang März (DW 11) gipfelt. In diesen Wochen wurden medienwirksam erste Quarantäne-Maßnahmen in Italien ergriffen, um die Belastung auf das Gesundheitssystem zu reduzieren. In Deutschland kann dieser erhebliche Anstieg mit einem erhöhten Patientenaufkommen in der Akutversorgung, aber vor allem mit vorgezogenen Arztbesuchen chronisch kranker Patienten und der damit verbundenen Bevorratung zur Versorgung mit notwendigen Arzneimitteln in Zusammenhang gebracht werden.
In Folge steigender Infektionszahlen ergriffen Bund und Länder im März eine Reihe von Maßnahmen: Schulen und Kitas müssen schließen, Grenzen ebenfalls und ein umfassendes Kontaktverbot tritt in Kraft. Diese Regelungen spiegeln sich auch im Arzneimittelmarkt wieder, der ab Mitte März eine rasante Talfahrt verzeichnet. Mit Beginn der Osterferien (DW 15) fallen dann sämtliche Marktsegmente endgültig unter die 100 Punkte-Marke. Bei den systemischen Antibiotika (J01) wird sogar weniger als die Hälfte des zu Jahresbeginn registrierten Abverkaufs nach Packungen erzielt. Mit dem Fortschreiten der Corona-Pandemie normalisiert sich das Marktgeschehen jedoch wieder, sodass sich mit Ausnahme der Antibiotika, die maßgeblich von Exportstopps betroffen waren, die anderen Segmente nun auf einem Index von ca. 130 Punkten bewegen.
Mediale Berichterstattung steigert Paracetamol-Nachfrage enorm
Wie eingangs erwähnt, hat die Berichterstattung der Medien einen maßgeblichen Einfluss auf das aktuelle Geschehen im Pharmamarkt. So wurde die öffentliche Aufmerksamkeit mehrfach auf Arzneimittel gelenkt, die als Therapieoption in Frage kommen bzw. potenziell positiv oder negativ den Verlauf einer Infektion mit Sars-CoV-2 beeinflussen. Wie sensibel die Bevölkerung auf derartige Berichte reagiert, zeigt das Beispiel von Paracetamol und Ibuprofen eindrücklich: Mitte März wurde ohne wissenschaftliche Grundlage postuliert, dass sich die Einnahme von Paracetamol positiv und die von Ibuprofen ungünstig auf den Erkrankungsverlauf auswirke. Beide Substanzen, die bis dato eine nahezu identische Markt-entwicklung bei den nicht-rezeptpflichtigen Formen aufzeigten, entwickelten sich in Folge höchst unterschiedlich.
Wie Abbildung 2 zeigt, fiel der Absatz von Ibuprofen in öffentlichen Apotheken von knapp 230 Indexpunkten in DW 11 auf einen Wert nahe 100, während Paracetamol im Vergleich zum Absatz in der ersten Woche des Jahres 2020 auf über 480 Indexpunkte nach oben schoss. Diese stark erhöhte Paracetamol-Nachfrage resultierte zwischenzeitlich in einer Mengenbeschränkung bei der Abgabe des Wirkstoffs, um Versorgungsengpässe zu vermeiden (vgl. BMG, 2020). Erst durch Aufklärungsarbeit verschiedener Organisationen und Institutio-nen beruhigte sich die Lage zum Monatsende hin und der Abverkauf nach Packungen beider Substanzen pendelte sich bei Werten zwischen 50 und 70 ein. Neben dem Ende der Erkältungssaison, mit dem klassischerweise ein geringerer Bedarf an schmerz- und fiebersenkenden Mitteln einhergeht, könnte auch die Vermeidung unnötiger Kontakte bei Einkäufen zu dieser Entwicklung beigetragen haben.
Absatz im Markt der Medizinprodukte steigt um das 3,5-fache
Analog zum Arzneimittelmarkt zeigt auch der Markt der Medizinprodukte zum Schutz vor Covid-19 einen kontinuierlichen Trend nach oben. Wie in Abbildung 3 dargestellt, ist der Absatz insgesamt von November 2019 bis März 2020 um das 3,5-fache von 1,3 Mio. auf 4,5 Mio. Packungen gestiegen, wobei dies maßgeblich auf die Desinfizientia und Seifen zurückzuführen ist. Doch auch das Marktsegment der Bekleidung und Wäsche, in dem Masken und Mundschutz inkludiert sind, hat von November 2019 bis März 2020 um das 6-fache zugelegt. Interessanterweise ist hier im März ein geringerer Absatz als im Vormonat zu verzeichnen, was auf eine mangelnde Verfügbarkeit der Ware zurückgeführt werden könnte. Zwar wurde die Maskenpflicht erst Ende April deutschlandweit eingeführt, doch die starke Nachfrage begann unter Umständen deutlich früher – zumal in Nachbarländern wie Österreich eine Maskenpflicht schon länger zur Diskussion stand. Es bleibt also spannend und abzuwarten, wie sich die Märkte für Arzneimittel- und Medizinprodukte in diesen bewegenden Zeiten unter dem Einfluss von Covid-19 weiter entwickeln. <<
Autorinnen:
Gina Milbratz, Kathrin Pieloth
Zitationshinweis:
Milbratz, G., Pieloth, K.: „Covid-19 sorgt für Turbulenzen im Gesundheitsmarkt“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (03/20), S. 14-15; doi: 10.24945/MVF.03.20.1866-0533.2218