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Vom „Kraut“ zum vielversprechenden Wachstumsmarkt

08.10.2020 09:00
Der Medizinal-Cannabis-Markt in Deutschland ist mit seinen gut dreieinhalb Jahren noch recht jung – gemessen an anderen Disziplinen im pharmazeutischen Sektor. Nichtsdestotrotz sorgen neue Gesetzesanpassungen, eine steigende Zahl an Marktteilnehmern, die sich um die geringe Importware bemühen, Hiobsbotschaften über Lieferengpässe, der immerwährende Kampf um Akzeptanz für Cannabis als Heilpflanze und nicht zuletzt die weltweite Corona-Pandemie für ein turbulentes Auf und Ab in der Branche: Dieser Beitrag zeigt INSIGHTS aus den aktuellen Entwicklungen im Markt für Medizinal-Cannabis.

http://doi.org/10.24945/MVF.05.20.1866-0533.2245

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>> Noch immer assoziieren viele Menschen bei Konversationen über das Thema Cannabis die, seit einigen Jahrtausenden weltweit kultivierte, Nutzpflanze mit DER Einstiegsdroge schlechthin. Dabei ist seit nunmehr dreieinhalb Jahren der medizinische Nutzen der Pflanze von Bund und Ländern anerkannt. Am 10. März 2017 wurde mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften („Cannabis-als-Medizin-Gesetz“) der Grundstein gelegt, den Einsatz von Cannabisarzneimitteln als Therapiealternative bei Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen zu ermöglichen. Bis zu jenem Datum war die Verwendung von Cannabis als Heilpflanze nur mit gesondertem Rezept und auch nicht gänzlich ohne Schwierigkeiten möglich. Durch die Reform haben nun Ärzte aller Fachrichtungen die Möglichkeit, neben den Fertigarzneimitteln „Canemes“ (Wirkstoff: Nabilon), „Sativex“ (Cannabis Sativa L.) und „Dronabinol“ (Rezeptur- oder auch Fertigarzneimittel) auch Extrakte aus der Cannabis-Pflanze sowie deren Blüten mit einem BtM-Rezept zu verschreiben. Die Kosten der Behandlung werden von den Krankenkassen getragen, was aber einer vor-ausgehenden Beantragung durch den verschreibenden Arzt bedarf. Der Gesetzgeber hat zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes auf eine Indikationseinschränkung bei der Verordnung verzichtet. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Cannabis für jede Indikation verordnet werden kann, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leis-tung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“. Da in der Zeitspanne von 2007 bis 2016 Cannabis in mehr als 50 verschiedenen Indikationen per Ausnahmeerlaubnis des BfArM verordnet wurde, geht man davon aus, dass Cannabis als Medizin ein sehr breites Therapiespektrum abdecken kann. Hauptsächlich wird Cannabis zur Behandlung von Patienten mit chronischem Schmerz, Epilepsie, Spastizität bei Multipler Sklerose und Paraplegie, Übelkeit und Erbrechen nach chemotherapeutischer Behandlung sowie Appetitsteigerung bei HIV/AIDS eingesetzt. Cannabisblüten als Markttreiber Durch die Änderung des Gesetzes kam es zur Gründung vieler Start-ups, darunter einige deutsche Unternehmen, aber ebenso häufig zu Ausgründungen aus Mutterkonzernen anderer Länder, die auch für den Import von Cannabisblüten aus anderen Märkten weltweit sorgen. Zum aktuellen Zeitpunkt (September 2020) gibt es mehr als 40 Firmen auf dem deutschen Markt für Medizinal-Cannabis, die entweder bereits Cannabisprodukte verkaufen oder zeitnah in Verkehr bringen – Tendenz steigend. Mittlerweile sind Blüten aus Kanada, den Niederlanden, Israel und Portugal auf dem deutschen Markt (gelistete PZN) erhältlich. Zahlreiche Länder stehen kurz vor dem Erhalt der vom BfArM nötigen Lizenz zum Import von Cannabisblüten. Grundsätzlich ist der Import aus allen Ländern der Erde gestattet. Allerdings ist die Grundvoraussetzung, dass das abgebende Land neben Erfüllung der Good Manufacturing Practice-Standards eine zur Cannabisagentur analog arbeitende staatliche Behörde etabliert, die den Anbau von Cannabis überwacht und reguliert. Darüber hinaus wurde im Jahr 2019 durch das BfArM und die daran angegliederte Cannabisagentur die Möglichkeit des Anbaus von insgesamt 10,4 Tonnen (auf vier Jahre à 2,6 Tonnen) Medizinal-Cannabis auf deutschem Boden per Losvergabe geschaffen. Alle Lose entfielen seinerzeit auf drei verschiedene Bewerber: zwei Tochterfirmen bzw. Beteiligungen der kanadischen Cannabisindustrie sowie ein deutsches Unternehmen. Die ursprünglich für das vierte Quartal geplante Ernte aus deutschem Anbau verschiebt sich Corona-bedingt voraussichtlich auf Anfang 2021. Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit dem Konstrukt aus Import und innerdeutschem Anbau die Nachfrage an Medizinal-Cannabis gedeckt ist. Einige Kritiker fordern dagegen eine deutliche Erhöhung der Import- und Anbaumenge, da diese den erwarteten Bedarf in der Patientenversorgung nicht decken könnten. Tatsächlich charakterisiert sich der Markt durch steigende Absatzzahlen: Anhand der Daten aus Abbildung 1 wird deutlich, dass Blüten der aktuell größte Absatzmarkt für Cannabisprodukte sind und auch im Vergleich zum Vorjahr (siehe Vergleich Monate Januar – August 2019 vs. 2020) eine deutliche Steigerung (+31%) zeigen konnten. Ein starker Anstieg von über 60% ist auch bei den Cannabisextrakten zu erkennen. „Sativex“ und „Dronabinol“ zeigen mit 13% bzw. 22% Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ebenfalls ein konstantes Wachstum. Ein Vergleich für Epidyolex ist nicht möglich, da das Arzneimittel erst Ende vergangenen Jahres gelauncht wurde. Bei „Canemes“ hingegen zeigen die Einkaufsdaten in Standardeinheiten einen Abwärtstrend. Einfluss der Corona-Pandemie Bis zum zweiten Quartal 2020 wurden laut den offiziellen Zahlen des BfArM insgesamt 4.126 Tonnen Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken importiert. Zum gleichen Zeitpunkt in 2019 waren es fast nur halb so viel. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Dronabinol ab. Das ist bemerkenswert, bedenkt man die Auswirkungen der Corona-Pandemie 2020 auf viele Branchen abseits der Pharma-Welt. Bei einer Betrachtung der Umsatzzahlen aus den Monaten März bis Juni 2020 auf Basis der GKV-Abrechnungsdaten fällt auf, dass die Cannabis-Branche einen überaus starken März erlebt hat, der einen deutlichen Umsatzrückgang in den darauffolgenden Monaten mit sich brachte. Nach einem Blick auf die Verordnungszahlen aus dem gleichen Zeitraum (Vergl. Abb. 2 und 3) ist jedoch festzustellen, dass der Umsatzrückgang in erster Linie nur geringfügig mit der Corona-Pandemie in Verbindung gebracht werden kann: Die Verordnungszahlen überschritten bereits im April – der Monat mit den größten Einschränkungen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben – das „Vor-Corona-Niveau“. Vielmehr zeigt sich, dass ein großer Anteil des Umsatzrückgangs mit der Änderung des Abrechnungsverfahrens von cannabishaltigen Produkten seitens der Apotheker (Ergänzung der Hilfstaxe im April 2020) erklärbar ist. Ausblick Aus Sicht der Marktforschung ist die Branche für Medizinal-Cannabis als absolut spannend zu bewerten, stellt diese doch einen eigenständigen „Mikrokosmos“ im Universum der Pharmaindustrie dar. Insbesondere durch das junge Alter des Marktes lassen sich Effekte wie regulatorische Änderungen auf Bundesebene, Ein- und Austritte bzw. Übernahmen von Marktteilnehmern sowie eine immer stärker steigende Anzahl an ausländischen Investoren in einer kompakten Zeitspanne beobachten. 2021 wird wegweisend sein, denn neben der bereits angesprochenen Etablierung des eigenen Anbaugeschäfts in Deutschland stehen sowohl neue Cannabisblüten, als auch ‑extrakte von Lieferanten aus dem Ausland kurz vor Markteintritt. Insgesamt wird es somit eine große Menge an unterschiedlichen Blüten-Arten und dadurch auch Stärken geben. Die Vorteile hierbei liegen klar auf der Patientenseite: Zum einen ermöglicht die Vielfalt eine therapiegerechtere Anwendungsform, zum anderen besteht für die Patienten die Möglichkeit auf Alternativen zurückgreifen zu können. Der deutsche Markt für Medizinal-Cannabis steckt noch in den Kinderschuhen; mit einem Blick auf die USA oder Kanada wird aber schnell deutlich, dass sich Medizinal-Cannabis schon längst zu einem Milliardenbusiness geformt hat. << Autor: Dr. Tobias Haber* Zitationshinweis Haber, T.: „Vom ,Kraut‘ zum vielversprechenden Wachstumsmarkt“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (05/20), S. 10-11.; doi: http://doi.org/10.24945/MVF.05.20.1866-0533.2245

Ausgabe 05 / 2020

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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