Busse: „Wir brauchen eine Health in All Policies“
>> Der Berliner Gesundheitsökonom Busse, Professor an der Technischen Universität Berlin, hatte die sogenannte „Berliner Erklärung“ auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress vorgestellt, der wie so viele andere Veranstaltungen Corona-bedingt rein online stattgefunden hat. „Mit dieser ,Berliner Erklärung‘ zeigen wir in zehn pointierten Thesen, worauf die Gesundheitsvorsorge in Zukunft gerichtet sein soll“, erklärte Busse. Seine zentrale Botschaft: „Vorsorge muss im Gesundheitssystem einen wichtigeren Anteil einnehmen, etwa bei konsequenter Datennutzung zur Vermeidung von Medikationsfehlern oder einer Quartärprävention unnötiger medizinischer Leistungen.“ Doch gehe „Vorsorge“ nach Meinung des Bündnisses weit über das Gesundheitssystem hinaus und müsse künftig viele Bereiche wie Bildung, Arbeit, Verkehr oder Umwelt einschließen. Denn auch dort werde über Gesundheit und über Gesundheitschancen entschieden. Busse, der das Präventionsgesetz von 2015 mit dem Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung als zu kurz gegriffen erachtet: „Wir brauchen eine Health in All Policies“.
Die Coronavirus-Pandemie habe eindrucksvoll gezeigt, dass ohne Gesundheit andere gesellschaftliche Werte gefährdet seien. „In der Pandemie ist Gesundheit in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen gerückt, auf Basis rapide wachsender Evidenz und der Notwendigkeit, schnell und agil zu handeln“, verdeutlicht Busse. Doch könne dieser Politikansatz nun ein Lehrstück für die Gesundheitsvorsorge der Zukunft sein.
In diesem Sinne hofft er stellvertretend für alle Mitglieder des Bündnisses, dass die Thesen der „Berliner Erklärung“, in drei interdisziplinären Zukunftswerkstätten mit mehr als 40 Experten entwickelt, „in die künftige Gesundheitspolitik“ einfliessen, umso – „zu einer besseren Bevölkerungsgesundheit und Vermeidung von Erkrankungen“ beizutragen.
Zehn Leitprinzi-pien stellt die „Berliner Erklärung“ vor und benennt jeweils konkrete Maßnahmen. Dazu zählt etwa ein Gesundheitskabinett, das darauf achtet, dass Gesundheit in politischen Entscheidungen mitbedacht wird, also etwa auch in der Wirtschafts-, Agrar- oder Verkehrspolitik. Vorgeschlagen wird ebenso die Stärkung gesundheitlicher Themen an Kindergärten und Schulen sowie der Ausbau nicht-ärztlicher Berufe hin zu Präventionsberufen, beispielsweise Pflegepersonal oder Apotheker. Ärzte bräuchten mehr Anreize für Präventionsarbeit, und Hürden zu wichtigen Präventionsmaßnahmen wie Impfungen sollen abgebaut werden. Außerdem gelte es, Präventionsleistungen auf vulnerable Gruppen wie etwa sozial Schwache oder ältere Menschen zuzuschneiden, da sie sonst nur die ohnehin Gesundheitsbewussten erreichen. Versorgungsdaten müssten genutzt werden, um Präventionslücken zu erkennen und bessere Vorsorgemodelle zu entwickeln. Konsequente Datennutzung brauche es auch, um Medikationsfehler zu verhindern und unnötige medizinische Leistungen zu vermeiden. Nicht zuletzt sollten gesundheitsfördernde Produkte und Aktivitäten vom Staat steuerlich begünstigt, schädliche hingegen verteuert werden.
„Prävention ist ein Schlüssel zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem“, sagt Martin Fensch, Mitglied der Geschäftsführung von Pfizer Deutschland. „Die Last der Lebensstil-bedingten Erkrankungen ist in unserem Gesundheitssystem zu hoch. Wir stecken zu viele Mittel in die medizinische Reparatur.“ Mehr als jeder Dritte Krebsfall könne, so Fensch weiter, durch Vorsorgeprogramme verhindert werden; auch ließen sich viele Infektionskrankheiten wie die Grippe durch höhere Impfraten vermeiden. Und nicht zuletzt könnte die intelligente Nutzung von Gesundheitsdaten Krankheitsrisiken erkennen, lange bevor der „Reparaturbetrieb Gesundheitswesen“ angeworfen werden müsse. <<