Biosimilars in der Onkologie: bald Therapiestandard?
http://doi.org/10.24945/MVF.06.20.1866-0533.2256
>> Biopharmazeutika werden bevorzugt bei komplexen Erkrankungen oder nach Vortherapien mit einer bewährten Standardmedikation eingesetzt. Dies gilt ebenso für ihre Nachahmerprodukte, die sogenannten Biosimilars. Splittet man den ambulanten GKV-Markt über Biopharmazeutika nach ATC2-Klassen, werden bei den Antidiabetika (A10) mit mehr als 220,6 Mio. DDD die meisten Biologika verordnet. An allen in Q3/2020 über Biologika verordneten DDD entspricht das einem Anteil von 67,7%, was auf die hohen Mengen bei den Insulinen zur Diabetes-Therapie zurückzuführen ist. Auf Platz 2 und 3 folgen mit einem mehr als deutlichen Abstand die Antithrombose-Präparate (B01) und Immunsuppressiva (L04) mit einem Anteil von 7% bzw. 6% am gesamten Biopharmazeutika-Markt. Für welche Märkte allerdings bereits Biosimilars als Therapiealternative zur Verfügung stehen, differiert teilweise von dieser Rangfolge. So sind die Immunsuppressiva und hier die Therapie der Autoimmunerkrankungen mit aktuell 12 Biosimilars zu drei der insgesamt fünf TNF-alpha-Inhibitoren als ersten Markt zu nennen. Und wie steht es um die Onkologika? Im Markt der Antineoplastika (L01) stehen derzeit ebenfalls insgesamt 12 Biosimilars zu drei monoklonalen Antikörpern zur Verfügung. Dass sich dieser Markt auf Platz 2 nach Anzahl der Biosimilars (Produkte inkl. Importe) befindet, ist nicht verwunderlich, denn in der Therapie von Tumorerkrankungen werden zunehmend mehr gentechnisch hergestellte und damit zielgerichtete Therapien eingesetzt. Hier hat sich der Verordnungsanteil (nach DDD) eingesetzter Biopharmazeutika von 18,6% in Q1/2017 auf 23,5% in Q3/2020 deutlich gesteigert (Quelle: NVI ZUB, INSIGHT Health).
Patentsituation in der Onkologie
Immer mehr Patente von Biologika in der Onkologie laufen ab. Infolgedessen nimmt auch die Marktdurchdringung mit Biosimilars kontinuierlich zu. Nach anfänglicher Skepsis der Krebstherapeuten scheinen Biosimilars nun auch unter den Verordnern zunehmend akzeptiert. Vor allem die monoklonalen Antikörper, die seit Ende der 1990er Jahre in der Onkologie eingesetzt werden, verlieren nun nach und nach ihren Patentschutz (s. Abb. 1). Die EMA, die für die Zulassung der biotechnologisch hergestellten Nachahmer in der EU verantwortlich ist, hat mit der „Leitlinie der EMA für die Zulassung biosimilarer monoklonaler Antikörper“ schon 2012 einen entsprechenden Rechtsrahmen geschaffen, der die Anforderungen klar definiert (Quelle: EMA).
Rituximab, der erste monoklonale Antikörper, der für die Therapie des Non-Hodgkin-Lymphoms und die chronische lymphatische Leukämie zugelassen wurde, hatte 1998 seine Markteinführung in Deutschland. Im Jahr 2006 erfolgte eine Erweiterung der Zulassung für die rheumatoide Arthritis – hier allerdings in einer Kombination mit niedrig dosiertem Methotrexat. Das Grundpatent von Rituximab lief im März 2013 ab. Der erste Nachahmer und somit das erste Biosimilar, welches in der EU für eine onkologische Indikation eingesetzt werden konnte, erhielt im Februar 2017 die Zulassung. Inzwischen hat die EMA weitere fünf Zulassungen für diese Substanz vergeben (Quelle: Patentdatenbank SHARK, INSIGHT Health).
Als zweiter monoklonaler Antikörper wurde in Deutschland Trastuzumab im Oktober 2000 eingeführt. Das Arzneimittel ist zur Behandlung des Mammakarzinoms (metastasierend und Frühstadium) und bei der Behandlung des metastasierenden Magenkarzinoms indiziert und verlor im Juli 2014 seinen Patentschutz. Das erste Biosimilar bekam jedoch erst im November 2017 die Zulassung durch die EMA. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere vier Zulassungen erteilt und auch in diesem Jahr wurde ein zusätzliches Biosimilar in der EU eingeführt (Quelle: Patentdatenbank SHARK, INSIGHT Health).
Das jüngste Mitglied der Substanzfamilie der monoklonalen Antikörper mit Biosimilarkonkurrenz in der Onkologie ist Bevacizumab. Seit der Markteinführung im Jahr 2006 ist die Substanz in Kombination mit anderen Arzneimitteln für die Behandlung verschiedener Tumorerkrankungen zugelassen. Das Medikament ist ein Angiogenese-Hemmer, der die Neubildung von Blutgefäßen inhibiert, die Tumore für ihr Wachstum benötigen.
Die Zulassung erfolgte für folgende Indikationen:
• metastasiertes Mamma- und Kolorektalkarzinom,
• nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom,
• fortgeschrittenes und/oder metastasiertes Nierenzellkarzinom,
• epitheliales Ovarialkarzinom,
• Eileiterkarzinom,
• primäres Peritonealkarzinom sowie das
• Zervixkarzinom.
Das Ergänzende Schutzzertifikat (SPC) und die sechsmonatige Verlängerung durch pädiatrische Studien von Bevacizumab endeten im Juni dieses Jahres. Hier wurde die erste Zulassung für ein Biosimilar schon vor dem Ablauf im Jahr 2018 erteilt. Weitere folgten 2019 und 2020 (Quelle: Patentdatenbank SHARK, INSIGHT Health). Somit standen unmittelbar nach dem Ende der Marktexklusivität Biosimilars als Therapieoption zur Verfügung. Die Einführungen weiterer Nachahmer in der Onkologie ist noch nicht beendet. Bei der EMA liegen ein Zulassungsantrag für Trastuzumab und fünf Biosimilar-Anträge für Bevacizumab vor. Nach einer Analyse der Patentdatenbank SHARK von INSIGHT Health verliert der nächste in der Onkologie verwendete monoklonale Antikörper im Jahr 2022 seinen Patentschutz.
Regional: Biosimilars im KV-Split
Mit Blick auf die Entwicklung der Biosimilar-Quoten für die drei angeführten Substanzen lässt sich in der chronologischen Reihenfolge der Patentabläufe und somit der Verfügbarkeit von Biosimilars im Markt ein zunehmend dynamischer Uptake feststellen. So erreichte Rituximab nach einem Jahr eine Biosimilar-Quote von etwa 57%, bezogen auf den Anteil verordneter DDD. Bei Trastuzumab lag der Anteil, ebenfalls nach einem Jahr, schon bei 67%. Für Bevacizumab ist bereits für den September, also im dritten Monat nach Patentablauf, ein Biosimilar-Anteil von rund 60% festzuhalten. Differenzierter stellt sich die Lage in den unterschiedlichen KV-Regionen dar. Grundsätzlich ist zu beobachten: Je etablierter die Biosimilars im Markt, also je länger der Patentablauf bereits zurückliegt, desto stärker findet eine Nivellierung zwischen den einzelnen Regionen statt. Dementsprechend bewegen sich die Biosimilar-Anteile bei Rituximab aktuell zwischen 70% in Mecklenburg-Vorpommern und 95% in Hamburg. Gänzlich anders sieht die Situation bei Bevacizumab aus. Zwischen dem Spitzenreiter Bremen mit 83% Biosimilar-Quote und dem Tabellenletzten Saarland mit 17% zeigt sich doch eine erhebliche Kluft. Auch bei Trastuzumab sind die Unterschiede teils noch beachtlich (Bremen mit 97%, Hamburg mit 55%).
Zu allen drei Substanzen finden sich für 2020 auf KV-Ebene Mindestquoten für den biosimilären Anteil der verordneten DDDs in regionalen Arzneimittelvereinbarungen, vereinbart zwischen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung und den gesetzlichen Krankenkassen. Zu Rituximab und Trastuzumab sind Zielquoten für 2020 in folgenden KV-Regionen vereinbart: Bremen, Niedersachsen, Nordrhein, Westfalen-Lippe, Saarland, Hamburg, Sachsen und Bayern. Auch für das erst seit Juli Biosimilar-verfügbare Bevacizumab wurden bereits in Bremen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern Quoten bestimmt. In Thüringen gilt zudem eine Quote über alle monoklonalen Antikörper. Somit ist anzunehmen, dass ein Teil der regional hohen Biosimilar-Quoten auch auf die Steuerungswirkung der KV-Quoten zurückzuführen ist. Beispielsweise gilt in den Top-7-Regionen mit den höchsten Biosimilar-Anteilen bei Rituximab jeweils eine Mindestquote zum Einsatz von Biosimilars (Quelle: KV Monitor, INSIGHT Health/Navi4Healthcare).
Verträge: Biosimilars unter RV
Auch für Onkologika – ob als Fertigarzneimittel oder Rezeptur verordnet – gilt bei Vorliegen eines Rabattvertrags der Kontrahierungszwang. Welche Hersteller Verträge nach § 130a Abs. 8 SGB V abschließen, folgt zumindest bei den onkologischen monoklonalen Antikörpern mit Biosimilarkonkurrenz gewissen Mustern. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, sind die Rabattquoten aller drei Biologika bei den Biosimilars höher als bei den Originalen. Während bei
Trastuzumab der Anteil an rabattierten DDD an allen verordneten DDD zwischen Original und Biosimilar nur wenig differiert, liegt die Rabattquote für Rituximab-Biosimilars bei 41,6%, die des Originals bei 26,5%. Letztere ist allerdings ausschließlich auf rabattierte Re- und Parallel-importe zurückzuführen. Gleiches gilt für das Trastuzumab-Original. Für Bevacizumab hat der Originalhersteller bis Ende des dritten Quartals dieses Jahres noch keine Rabattverträge abgeschlossen. Für die erst seit Kurzem im Markt befindlichen Biosimilars liegt die Rabattquote hingegen bereits bei 23,6%, wobei diese aktuell durch eines der drei verfügbaren Biosimilars zustande kommt.
Ausblick
Der onkologische Markt spielt anteilig an den gesamten ambulanten Arzneimittelausgaben eine zunehmend bedeutende Rolle; Biologika sind hierbei eine beachtenswerte Gruppe. Mit der zunehmenden Akzeptanz bei verordnenden Ärzten und infolgedessen einer kontinuierlich steigenden Marktdurchdringung der zur Verfügung stehenden Biosimilars sind auch diese mittlerweile breitflächig in der Versorgung angekommen. Diese Entwicklung wird sich in der wichtigen Gruppe der monoklonalen Antikörper mit dem bevorstehenden Markteintritt weiterer biosimilarer Wettbewerber insbesondere bei Bevacizumab fortsetzen. Spannend wird hier zu beobachten sein, welche Rabattvertragsstrategien die einzelnen Anbieter zukünftig verfolgen. Mit der zunehmenden Anzahl an Konkurrenten ist auch mit einer signifikant steigenden Quote an rabattierten Verordnungen zu rechnen. <<
Autoren:
Kathrin Pieloth, Esther Zöllner, Christian Luley
Zitationshinweis:
Pieloth, K., Zöllner, E., Luley, C.: „Biosimilars in der Onkologie: bald Therapiestandard?“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (06/20), S. 10-11; doi: 10.24945/MVF.06.20.1866-0533.2256