Zwei Seiten einer Medaille
>> Die Donaustadt Regensburg ist Sitz der Regierung der Oberpfalz, einer von sieben Regierungsbezirken Bayerns. In der Oberpfalz liegt anerkanntermaßen – genauer gesagt in Hildweinsreuth bei Flossenbürg – der amtliche Mittelpunkt des europäischen Kontinents. In der Versorgungsforschung ist die 150.000-Seelen-Stadt Regensburg zwar
noch nicht ganz so weit, doch das Pro-
fessorenduo Loss und Apfelbacher arbeitet fleißig daran.
Dr. Julika Loss begann damit schon am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, an dem sie von 2001 bis 2009 als akademische Oberrätin gearbeitet hatte. Damals ergab es sich, dass sie ein neues Förderprogramm für Präventionsprojekte des Bayerischen Gesundheitsministeriums (Gesund.Leben.Bayern) über mehrere Jahre wissenschaftlich begleiten konnte. Im Zuge dieser Evaluation wurde ihr klar, dass es für präventive Programme noch keine guten Ansätze für Qualitätsmanagement gab, ebenso wenig Konzepte und Goldstandards für die methodische Bewertung derartiger Programme. Als sie dann 2009 den Ruf auf die Professur für Medizinische Soziologie an der Universität Regensburg bekam, konnte sie speziell im Bereich klinische Versorgungsforschung forschen und arbeiten. Das liegt auch mit daran, dass in Regensburg die Medizinische Soziologie in der Medizinischen Fakultät angesiedelt ist und sich Kontakte und Kooperationen mit ärztlichen Partnern aus der Klinik schnell und unkompliziert ergaben.
Schnell wurde jedoch klar, dass die Arbeit alleine gar nicht zu schaffen ist. So kam Dr. Christian Apfelbacher ins Boot: Als im Jahr 2010 die Professur für Medizinische Soziologie durch Julika Loss neu besetzt wurde, suchte diese jemanden zur Profilierung dieses Arbeitsbereiches. Eine Chance und eine sich bietende Perspektive, den Aufbau medizinsoziologischer Forschung am Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Universität Regensburg zu unterstützen, war für Dr. Christian Apfelbacher zum einen reizvoll, zum anderen für den Oberbayer mit Wurzeln in der Oberpfalz vom Lebensgefühl her sehr passend. Loss: „Mit meinem Kollegen Apfelbacher haben wir hier bereits viele interessante Projekte im Bereich Unfall- und Viszeralchirurgie, Rheumatologie, Pneumologie, Dermatologie sowie Augen- und Zahnheilkunde in Zusammenarbeit mit Klinikern planen und umsetzen können.“
In der Präventionsforschung, die sie wei-
terhin betreibt, geht es hingegen derzeit vor allem um komplexe, settingbasierte Maßnah-
men für die Förderung körperlicher Aktivität
und gesunder Ernährung. Im Bereich der kli-
nischen Versorgungsforschung ist Loss vor al-
lem die ärztliche Sicht wichtig. Dazu werden u.a. zu verschiedenen Fragestellungen Daten bei Ärzten erhoben, um zu verstehen, wie sie Entscheidungen bei komplexen klinischen Fragestellungen treffen und damit die Versorgung beeinflussen. Dabei kommen viele Fragen auf: „Wie entscheiden Transplantationschirurgen, ob sie ein angebo-
tenes Spenderorgan annehmen oder ablehnen?“ „Wie beeinflussen die zunehmenden Erkenntnisse zu genetischen Grundlagen von Volkskrankheiten die ärztliche Aufklärung und Betreuung der Patienten?“ Oder: „Wie kön-
nen Krankenhausnetzwerke ärztliche Ent-
scheidungen und Arbeitszufriedenheit verändern?“ Dazu Loss: „Ich bin überzeugt, dass man neue Versorgungskonzepte nur mit und durch Ärzten umsetzen kann.“ Dazu sei es wichtig, Barrieren, Herausforderungen und
fördernde Faktoren in den klinischen Alltagsprozessen wirklich so zu verstehen, wie sie sich den Ärzten darstellen. Dabei hält sie qualitative Verfahren für besonders geeignet, die ärztliche Perspektive angemessen nachvollziehen zu können.
Von einer etwas anderen Seite kommt Apfelbacher. Er begann wissenschaftlich in der angewandten Epidemiologie in der Sozialmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg zu arbeiten, wobei es vor allem um Auftreten und Risikofaktoren berufsbedingter Hauterkrankungen ging. Da Betroffene am Universitätsklinikum Heidelberg auch sekundär- und tertiärpräventiv versorgt werden, kam schnell auch die Evaluation von Präven-
tionsmaßnahmen als Forschungsthema hinzu, was gleichzeitig seinen Einstieg in die Versorgungsforschung bedeutete. „Ich koordinierte dann den Aufbau des weltweit ers-ten Therapieregisters zum chronischen Hand-
ekzem*, das Aufschluss über Versorgung und Langzeitverlauf betroffener Patienten geben sollte“, beschreibt Apfelbacher seinen Einstieg, der in eine intensive Beschäftigung mit Daten aus Registern und Patientenkohorten zu unterschiedlichen Fragestellungen mündete.
Sein persönliches Ziel ist es durchaus, zum aktuell sich in Deutschland sehr dyna-
misch entwickelnden Bereich der Versorgungs-
forschung beizutragen. Zentral ist dabei
für ihn das Arbeiten über verschiedene
Disziplinen hinweg, wie beispielsweise mit Psychologen, Public-Health-Forschern sowie Medizinern. Apfelbacher: „Die Kommunikation
zwischen den Disziplinen gestaltet sich dabei durchaus als Herausforderung, der ich mich stellen möchte.“ Eine weitere Mission
Apfelbachers liegt in der stärkeren Ausgestaltung dessen, was man im angloamerikanischen Sprachgebrauch „Patient and Pub-
lic Involvement“ nennt, d.h. der Einbezug sowohl von Patienten als auch der Öffentlichkeit in die Forschung. Seine These: „Auch in der Versorgungsforschung muss dem sich verbreitenden Wissenschaftsskeptizismus be-
gegnet werden, indem z.B. Patienten von vorneherein in die Formulierung und Priorisierung von Forschungsfragen eingebunden werden.“ Und das alles nicht nur national im lokalen Kontext, sondern möglichst auch international vernetzt. Dies spiegelt sich u.a.
darin wieder, dass er sowohl Visiting Research Fellow an der Brighton and Sussex Medical School in Großbritannien als auch Visiting Professor an der Lee Kong Chian School of Medicine in Singapur ist.
Einer der größten Erfolge von Loss und Apfelbacher bestand in der Einwerbung von Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Durchführung der sogenann-
ten DACAPO–Studie**. Dabei handelt sich um eine deutschlandweit durchgeführte, multizentrische Studie zur Erfassung der Rolle von Versorgungsqualitätsindikatoren auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Überlebenden eines akuten Lungenversagens. Diese Studie wird in Kooperation mit der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Regensburg (Prof. Dr. Thomas Bein) durchgeführt. Ergebnisse von DACAPO fließen wiederum in ein aus Mitteln des Innovationsfonds finanziertes Projekt zur Entwicklung und Pilotierung einer Intensiv-Nachsorgeambulanz (PINA) ein, das im vergangenen Herbst begonnen hat.
Als Erfolg kann man weiterhin verzeichnen, dass das Regensburger Institut im Rahmen der BMBF-Forschungsverbünde zum Thema Prävention an einem Verbund („Capital4Health“, Koordination: Prof. Rütten, Universität Erlangen) mit zwei Teilprojekten beteiligt ist. Hierbei geht es – nun schon in der zweiten Förderphase – um die Förderung eines gesunden und aktiven Lebensstils bei älteren Männern und ganz besonders auch die Frage, wie man Akteure aus der Gemeinde – auch die Heilberufe – in entsprechende Programme einbinden kann. Außerdem wird, gemeinsam mit Institutsleiter Leitzmann, methodische Arbeit zur Evaluation des Gesamtverbundes geleistet. Ebenfalls ein Erfolg war der 2015 an der Universität Regensburg ausgerichtete Kongress: „Daten gewinnen und nutzen für die Praxis von Prävention und Versorgung“, den Julika Loss als Kongresspräsidentin leitete. Diese gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie und des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat über 1.000 Teilnehmer angezogen, zudem wurden drei Tage lang Themen rund um Public Health, Sozialmedizin, Versorgungsforschung und auch die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes diskutiert. <<