Wo unzureichende Versorgung stigmatisiert
http://doi.org/0.24945/MVF.06.18.1866-0533.2104
>> Es gibt jedoch laut Mrowietz „leider immer noch Ärzte“, zu denen Patienten mit einem therapiebedürftigen Befund kämen, die aus irgendwelchen Gründen sagten: „Es tut mir leid, ich kann nichts mehr für Sie tun.“ Ein Unding, sagt Mrowietz, Councilor des International Psoriasis Council (IPC) und Mitglied im Exzellenzcluster „Entzündung an Grenzflächen” der Universität Kiel. Seiner Meinung nach darf es solch verweigerndes Verhalten nicht geben, „weil wir heute jede Schuppenflechte so behandeln können, dass chronisch sichtbare Veränderungen so weit in den Hintergrund treten, dass sie nicht mehr unmittelbar sichtbar werden“. Doch eigentlich hätte er wohl besser sagen sollen: „könnten“; vor allem, weil er seine Worte als „Appell an uns alle“ verstand, wobei er hier in erster Linie die niedergelassene Ärzteschaft im Bereich der Dermatologie meint.
Dabei sei in den letzten Jahren eine deutliche Minderung der Krankheitslast zu konstatieren, so Prof. Dr. med. Matthias Augustin, Facharzt für Dermatologie und Venerologie sowie Allergologie und Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wenn Patienten in dermatologischer Betreuung sind. Hier hätte Deutschland die selbstgesetzten Ziele überwiegend erreicht, vor allem weil viel leitliniengerechter versorgt wird – zumindest von einem Teil der Dermatologen. Wenn Augustin überwiegend sagt, ist er schon mit rund der Hälfte zufrieden: Denn nach wie vor ist bei über 50 % der Patienten – das sind immerhin rund 100.000 Patienten pro Jahr – keine leitliniengerechte Therapie festzustellen, vor allen Dingen, weil zu viele Glucocorticoide verordnet würden. Und das, obwohl es zum einen viel bessere Alternativen gebe und zum zweiten der Wirkstoff gar nicht mehr in den Leitlinien aufgeführt ist.
Doch auch diese 50 % sind irreführend. Der Grund: In Deutschland haben 70 % der Patienten das, was per definitionem eine sogenannte leichte Schuppenflechte ist, der Rest eine mittelschwere bis schwere. Dies folgt der BSA-Klassifikation (Body Surface Area), nach der größer/gleich 10 % der Anteil der erkrankten Körperoberfläche sein muss, um von einer leichten in eine mittelschwere bis schwere Schuppenflechte zu wechseln. Wohl gemerkt: Als Einheits-Flächenmaß 1 dient die Handfläche eines Menschen.
Hier verweist Mrowietz zu recht auf den – bei dieser Klassifikation – nicht beachtenden Ort der Erkrankung. Die Kernfrage: Ist eine Psoriasis noch leicht, wenn bei 9 erkrankten Handflächen Äquivalenten vornehmlich sichtbare Areale betroffen sind? Nach Mrowietz Meinung auf keinen Fall, weshalb er vehement auf die Anwendung des bestehenden europäischen Konsensus für Therapieziele eintritt. Dieser besagt, dass, wenn bestimmte Faktoren – wie etwa der Befall sichtbarer Areale, großer Teile der Kopfhaut, des Genitalbereichs oder auch von Handflächen und Fußsohlen – vorhanden sind, eine ansonsten leichte Schuppenflechte in eine mittelschwere bis schwere Form upgegraded werden kann.
Was für den Laien nicht ganz so bedeutend klingen mag, hat ernsthafte Konsequenzen für Patient wie Arzt. Der Grund: Eine leichte Psoriasis wird nach Leitlinie mit der althergebrachten topischen Therapie behandelt, zu der neben recht übel riechendem Teer, Vitamin D3 oder vom Patienten selbst zu zahlender UV-Therapie auch Uraltwirkstoffe wie Dithranol (seit 1916 bekannt) und Korticoide gehören. Erst bei mittelschwerer bis schwerer Schuppenflechte steht dem Arzt eine wahre Fülle an systemischen Medikamenten mit hohem therapeutischen Index zur Verfügung.
Dazu zählen laut Mrowietz die modernen Kordicoide mit hoher antientzündlicher Wirkung, in der Erstlinientherapie der meist verordnete Wirkstoff Dimethylfumarat („Skilarence“), seit Juni 2017 zur systemischen Therapie für Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis zugelassen; gefolgt von Fumarsäureester, bereits vor knapp 20 Jahren unter dem Handelsnamen „Fumaderm“ zur Behandlung der Psoriasis eingeführt. Auf den Verordnungsplätzen 3 bis 5 folgen Methotrexat, Ciclosporin und Acitretin.
Ergänzt wird dieses – im Vergleich zur toxischen Sparte – schon recht stattliche Therapieangebot durch die moderne systemische biologische Erstlinientherapie – mit Wirkstoffen wie Adalimumab, Brodalumab, Certolizumab, Guselkumab, Ixekizumab, Secukinumab sowie Tildrakizumab, für das Hersteller Almirall (Markenname „Ilumetri“) am 15. November dieses Jahres die Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA erhielt. Als wäre das noch nicht alles, steht auch noch eine systemische „biologische” Erstlinientherapie (Adalimumab+Biosimilars ,Risankizumab) sowie eine Zweitlinientherapie zur Verfügung (Apremilast, Etanercept+Biosimilars, Infliximab+Biosimilars sowie Ustekinumab).
Das Problem dabei: All diese zum Teil hocheffektiven Wirkstoffe bekommen rund 70 %
der Patienten nicht, weil eben die Ärzte meist nicht upgraden. Der Grund: Diese Medikamente sind ein bisschen teurer, was alleine nach Mrowietz Worten schon ein Hemmgrund ist, diese Medikamente nicht auf das Rezept zu schreiben; sprich: Sie den Patienten vorzuenthalten, sie damit zu stigmatisieren.
Ob nun stigmatisiert wird oder nicht, hängt zum größten Teil vom Bundesland ab, beziehungsweise von den dort herrschenden KVen. Deren höchst unterschiedliche Arzneimittelvereinbarungen führen zu einer hohen regionalen Disparität in der medikamentösen Versorgung von Psoriasis. So differierten nach Augustin im Jahre 2016 zum Beispiel die Pro-Kopf Ausgaben für Biologika bei Psoriasis durch Dermatologen zwischen den Polen Brandenburg (knapp 6 Euro) und am anderen Ende Baden-Württemberg mit gerade einmal 60 Cent. Augustin: „Da liegen Welten dazwischen.“ Wobei sich die Welten – über die Jahre hinweg betrachtet – nicht ausgleichen; ganz im Gegenteil: Die Schere klafft immer weiter auseinander. Nach den bis jetzt verfügbaren Zahlen des laufenden Jahres liegt die Verordnungszahl in Brandenburg bei knapp 7 Euro, in Baden-Württemberg bei rund 90 Cent.
Was nach Meinung Augustins so „schnöde“ klingt, hat ernsthafte Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten. „Wenn jemand mit schwerer Psoriasis in Baden-Württemberg zum Arzt geht, wird mit größter Wahrscheinlichkeit keine leitliniengerechte Therapie bekommen, weil er mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit auf einen Dermatologen treffen wird, der keine Systemtherapie macht“, verdeutlicht Augustin diese traurige, durch Versorgungsforschung absolut klar darstellbare Wahrheit. Dafür aber werde ein Patient in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern zu 90% auf jemanden treffen, der systemisch und auch mit Biologika therapiert. Augustin: „So unterschiedlich ist die Versorgung in Deutschland.“ Daher seine Forderung: „Wir brauchen Regionen, in denen wir uns nach oben annähern und uns nicht nach unten orientieren.“ An der Stelle zitierte er den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der einmal sagte: „Denied access to health care violates human rights and dignity.“
Auch Augustins Meinung nach habe man es bei einem ungenügenden Zugang zur richtigen und ausreichenden (sowie möglichst frühzeitigen) Versorgung mit einem „Verlust an Würde“ zu tun. Dies widerspreche dem, was die UN als „Global Goals“ formuliert hätte, nach denen jeder Patient das Recht und die Chance zum Zugang zu genau der Versorgung haben soll, die er braucht. Doch davon sei Deutschland bei der Psoriasis noch weit entfernt, weshalb man sich neue Konzepte der Versorgung wie das „Cumulative Life Course Impairment” (kumulierende Schäden vermeiden, frühestmöglich intervenieren) und die „People-centered health care“ – die zukünftig weltweit maßgebliche Versorgungskonzeption – überlegen müsse. <<
Zitationshinweis: Stegmaier, P: „Wo unzureichende Versorgung stigmatisiert“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (06/18), 14-15.; doi: 10.24945/MVF.06.18.1866-0533.2104