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Stärkerer Fokus oder vielleicht gar Versorgungsziele?

04.06.2018 14:00
„Der Innovationsfonds ist von einem zarten Pflänzchen zu einem Impulsgeber in der Versorgung geworden“, erklärte durchaus stolz Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA und Vorsitzender des Innovationsausschusses. Er zog vor über 600 Besuchern des G-BA-Kongresses „Zwei Jahre Innovationsfonds – Impulsgeber für eine bessere Versorgung“ eine „gute und solide Zwischenbilanz“. Doch nicht nur Vergangenheit und Gegenwart kamen ausführlichst zur Sprache, sondern auch die künftige Zuteilung und Vergabe der Innovationsfonds-Mittel ab 2019.

>> „Die Aufteilung bleibt prozentuell erhalten“, erklärte Staatssekretär Lutz Stroppe in der Podiumsdiskussion. Seinen Worten zufolge wird der Innovationsfonds – „unter Vorbehalt des Parlaments“ – ab 2019 für die Dauer von weiteren vier Jahren mit 200 statt wie bisher mit 300 Millionen Euro ausgestattet werden: 50 Millionen Euro davon gehen an die Versorgungsforschung. Aber auch die in der letzten Legislatur negativ beschiedene Übertragbarkeit der Mittel, die bereits von
Hecken in seinem Einführungsvortrag angemahnt worden war, werde neu diskutiert, versprach der Staatssekretär.
Dennoch soll nach Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht alles so bleiben, wie es ist. Ihm sei  wichtig, nicht das zu verlängern, was wir haben, nur mit ein bisschen weniger Geld – „es soll definitiv weitergehen mit einem Innovationsfonds über 2019 hinaus mit dann jährlich 200 Millionen  Euro –, sondern tatsächlich aus den Erfahrungen zu lernen“, erklärte Spahn. Er meinte damit sowohl die sich aus dem, sehr gut besuchten Kongress ergebenden Erfahrungen, sowie jenen, die in positiv beschiedenen und bereits angelaufenen Projekten gemacht würden sowie aus den Vorbereitungen zur Evaluation des Innovationsfonds stammen. Mit Blick auf das, was im Koalitionsvertrag stünde, sowie mit Blick auf den ersten Zwischenbericht, der den Bundestag in knapp einem Jahr erreichen solle, starte jetzt nach zwei Jahren Innovationsfonds die Debatte, „wie es weitergeht“.
Dazu gehört für ihn auch die Frage, welche Details künftig anzupassen sind, und vor allem was regelhafter angelegt werden kann, damit Gutes auch in die Regelversorgung kommt. „Das ist am Ende die entscheidende Frage“, gab Spahn die Marschrichtung vor, denn seine Frage sei auch bei der BMG internen Ressortforschung immer: „Was folgt daraus, wenn es so toll ist?“
Hecken hingehen legte die Sprunghöhe etwas niedriger, pragmatischer. „Meine Messzahl ist nicht, dass 100 Prozent in die Regelversorgung übernommen werden, das wäre absurd“, meinte der unparteiische Vorsitzender des G-BA, denn  Forschung bestünde auch darin zu erkennen, dass manche Dinge nicht funktionieren. Doch müssten seiner Meinung nach 15 bis 30 Prozent der geförderten Projekte so erfolgreich sein, dass sie am Ende in die Versorgung kommen – ob in Form von Integrierten Verträgen, innerhalb von DMP oder in der Regelversorgung sei dahingestellt. Die Grundlage dafür sei aber die Evaluation jedes einzelnen Projekts. Darum könne er es nicht verstehen, dass einige sagen würden, der Innovationsfonds und der Projektträger sei „die Fortsetzung der Inquisition mit den Mitteln der Bürokratie“. Zwar gebe es sicher  noch Optimierungsbedarfe und an denen gearbeitet würde, doch sei es notwendig, dass der Projektträger darauf achtet, dass
• ein Projekt so durchgeführt wird, wie es genehmigt wurde,
• die Stellenpläne einigermaßen im Rahmen dessen bleiben, was wirtschaftlich und sparsam ist.
Und wenn man so ganz zufällig erfahre, dass der ein oder andere Projektträger die Untersuchungskohorte um die Hälfte reduziert, aber die Honorare der Beteiligten verdoppelt hat, um für die Leistungserbringer mehr Anreiz zu erzeugen, sich an so einem Projekt zu beteiligen, dann fände er das zwar hübsch, frage sich aber, ob ein solches Projekt noch die kritische Masse habe, um daraus evaluationsmäßig evidente Folgerungen ableiten zu können.
„Nachfragen und Kontrolle ist notwendig“, erklärte dazu Hecken ganz kategorisch. Das große Fiasko wäre, wenn wir „in drei Jahren blauäugig in der Gegend stehen und 1,2 Milliarden in die Luft geschossen haben“. Wenn das das Ergebnis wäre, würde er sich schämen, denn – so Hecken – „das kann nicht unser Ziel sein“.
Die Zukunft und die Verstetigung des Innovationsausschusses hänge nun einmal vor allem von den positiv beschiedenen Projekten ab. Doch die wiederum werden auch durch die Themenvorgaben des Innovationsausschusses determiniert. „Wir werden uns anschauen müssen, wie effektiv und sinnvoll die Förderthemen gewählt werden und zu wählen sind“, gab hier Spahn eine neue Marschrichtung vor. Natürlich hätte jeder Beteiligte und jeder Bereich seine präferierten Themen, die er einbringen möchte, was nachvollziehbar sei, doch stellte Spahn die Frage, ob wir nicht einen stärkeren Fokus (Anm.: vielleicht sogar Versorgungsziele?) auf bestimmte Themen bräuchten, die nicht zu weit ausfasern sollten. Dabei sei er „noch nicht festgelegt“, ja hin und hergerissen in der Frage: „Was ist besser, viel kleinere Projekte oder eine Bündelung in bestimmten Schwerpunkten auf größere Projekte?“. Man müsse darüber reden, ob es Sinn mache, Schwerpunkte zu bilden, selbst auf die Gefahr hin, dass dann der ein oder andere Antragsteller mit kleineren Projekten leer ausgeht.
Doch auf jeden Fall müsse auch mit anderen Sozialversicherungsträgern geredet werden, die dann auch eigene finanzielle Mittel einbringen sollten. Das erklärte Ziel: zu schauen, wie mit der Pflege, der Unfall- und Rentenversicherung eine übergreifende Zusammenarbeit möglich gemacht werden kann.
Punkto leer ausgehen. Das ist bisher für die Mehrzahl der Antragsteller an der Tagesordnung. In den ersten beiden Jahren sind laut den von Hecken vorgelegten Zahlen bei den Neuen Versorgungsformen (NVL) 389 Anträge mit einem Fördervolumen von über 2 Milliarden Euro eingegangen, wobei 81 mit einem Fördervolumen von 423,4 Millionen Euro bewilligt wurden. Ähnlich sieht es bei der Versorgungsforschung aus: von den 529 Anträgen mit einem Fördervolumen von 717,5 Millionen wurden 116 mit 139,8 Millionen bewilligt. „Es gibt in der Fläche wesentlich mehr kreative Ansätze, als wir sie wir am Ende des Tages durch Förderbescheide fördern können“, lässt Hecken diese Frage offen, ob das nun viel oder wenig ist.
Er ist der Ansicht, dass eine 20 bis 25prozentige positive Bewilligungsquote erfolgreich sei. Dies bedeute im Umkehrschluss aber nicht, „dass der Rest Schrott ist“, sondern nur, dass man sehr intensiv nachsuchen müsse, was förderwert sei.
„Hier müssten wir uns überlegen, wie wir das Beratungsverfahren verbessern können, vor allem für diejenigen, die ablehnende Bescheide bekommen“, meinte Hecken durchaus selbstkritisch, weil er sich bisher geweigert habe, in ablehnenden Bescheiden Begründungen hineinzuschreiben. Hier solle ein strukturiertes Verfahren gefunden werden, „weil da viel dabei ist, wo es sich lohnen könnte, ein zweites Mal einzureichen.“ Schon jetzt seien 914 Anträge bearbeitet und 1.498 rechtsverbindliche Bescheide (bei nur 2 Rechtsverfahren) erlassen worden. Ebenso wurden laut Hecken mehr als 10.500 intensive Telefonate mit Antragstellern geführt, um Detailfragen zu diskutieren. Dazu seien 7 Webinare mit über 1.300 Teilnehmenden sowie 2 weitere zu laufenden Projekten mit über 400 Teilnehmern veranstaltet, zudem über 150.000 Formulare und Unterlagen von der Website des Innovationsfonds heruntergeladen worden.
Und trotz dieser Vielzahl von doppelt begutachteten und mit gigantischem Aufwand auf die Strecke gebrachten Projekten lag nach Heckens Worten der Verwaltungskostenanteil 2017 bei lediglich 1,98 Prozent. Was aber auch immerhin 5,9 Millionen Euro sind! „In die 1,98 Prozent ist die heutige Veranstaltung schon rein gerechnet“, erklärte dazu Hecken in seiner unnachahmlichen Kabarettfähigkeit, deshalb sei auch ein etwas entlegeneres Hotel gewählt worden. Doch merke man das auch am Mittagsbuffet, das einzig und alleine der Verwaltungskostenminimierung diene, denn „wir denken immer mindestens bis zur Mittagspause, was aber meistens reicht“.
Als einziger Redner sprach Prof. Dr. Eberhard Wille, stv. Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, die Frage der demokratischen Legitimation des Innovationsfonds an. Während er den budgetären Part für die Versorgungsforschung „für unproblematisch“ und sicher gerechtfertigt hält, weil Deutschland in diesem Bereich gegenüber anderen Ländern hinterherhinken würde, sollte beim größeren Budget für die Neuen Versorgungsformen die Frage gestellt werden, ob man diese über den Innovationsfonds finanzieren müsse, oder ob man das nicht auch anders machen könne. Denn, so der Ökonom, das Geld könnte man ja auch für die Versorgung oder in der Pflege einsetzen, so gesehen sei die „Legitimation hierfür schon beachtlich“.
Das sehen übrigens auch die Teilnehmer einer Online-Befragung (April bis Juni 2018) zum Innovationfonds von „Monitor Versorgungsforschung“ so. Die meisten Kommentare kamen jenseits der Kernfragen (siehe Abbildungen) zum Thema bislang fehlender Versorgungsziele sowie der demokratischen Legitimierung. Die meisten präferierten die künftige Ansiedlung des Innovationsausschusses beim IQTIG. Hauptverantwortlich und damit Entscheidungsträger für die ausführlich begründete Annahme/Ablehnung der Anträge sollte künftig ein nationaler Gesundheitsrat sein, der paritätisch aus den wichtigsten Leistungserbingern zu besetzen sei. Zudem sollte die größte Gruppe des Gesundheitswesens, die Pflege, viel stärker als bisher eingebunden und beteiligt werden. <<

 

Zitationshinweis : Stegmaier, P.: „Stärkerer Fokus oder vielleicht gar Versorgungsziele?“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/18), S. 14-16; doi: 10.24945/MVF.04.18.1866-0533.2087

Ausgabe 04 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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