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„Eine Wette auf die Zukunft des deutschen Systems“

04.06.2018 14:00
Interview mit Prof. Dr. Uwe May und Prof. Dr. Jürgen Wasem anlässlich des HSK-Satellitensymposiums über Biosimilars

>> In Ihrem Fazit führten Sie, Herr Professor May, aus, dass man sich Gedanken darüber machen sollte, wie der Markt künftig „vernünftig“ reguliert werden könnte. Nun steht der Begriff „Vernunft“ bei den Regulierungspartnern nicht immer unbedingt ganz oben.
May: Genau aus diesem Grund ist es wichtig, zwischen den einzelnen Marktsegmenten, aber auch zwischen den einzelnen Perspektiven der Akteure einen Zusammenhang herzustellen. Nur auf dieser Basis kann man zu einem in sich schlüssigen System kommen, das sowohl die Sicht der Gesellschaft, die der Kassen-, als auch die der Hersteller bedient. Denn, wenn letztere keine vernünftigen Anreize bekommen, in diesen Markt zu investieren, sind die ebenso möglichen wie gewollten Einspar-effekte bei gleichbleibender Qualität nicht realisierbar. Vernunft heißt in diesem Zusammenhang aber auch: auf etwas längere Sicht gedacht und konzipiert.

Die Gesamtsicht, die Sie da fordern ...
May: Ich weiß, dass das schwierig ist, weil man mit derartigen Gesamtsichten schon oft gescheitert ist. Dennoch muss man die Einsicht, endlich ein stimmiges System zu schaffen, wie man den Einsatz von Biosimilars fördern kann, immer wieder einfordern. Ohne diese Einsicht wird man auch nicht die Frage nach den richtigen Instrumenten beantworten können, wie es beispielsweise eine Biosimilar-Quote wäre.

Wasem: Quoten sind doch der ideale Einstieg! Wir haben im Symposium eben von Professor Lüftner gehört, dass in der Ärzteschaft eine gewisse Skepsis bezüglich der Frage vorliegt, ob Biosimilars wirklich hinreichend gut und damit austauschbar sind. Wenn man nun eine Quote einführen würde, würden Ärzte gezwungen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und über Pro und Kontra nachzudenken. Die ersten Erfahrungen zeigen in einigen KVen, dass das durchaus funktioniert. Man beginnt mit einer etwas niedriger formulierten Quote und wenn deren Zielerreichung problemlos funktioniert, wird die Quote heraufgesetzt. Man kann sich freilich ordnungspolitisch trefflich darüber streiten, ob Quoten ein ideales Instrument sind, doch bezüglich der real spürbaren Sorgen und Ängste der behandelnden Ärzten, empfinde ich Quoten durchaus als probaten Einstieg.

May: Dem stimme ich zu 100 Prozent zu. Doch warne ich davor, falls mit einer Quote gleichzeitig der Originator unsachgemäß diskriminiert werden sollte. Um gleich das Gegenbeispiel zur Quote zu nennen: Rabattverträge würden uns in einen ebenso knallharten wie bodenlosen Preiswettbewerb führen. Darum bin ich der Ansicht, dass man ein schlüssiges Gesamtkonzept braucht, das in der Lage ist, das noch zarte Pflänzchen Biosimilars zu schützen und womöglich zum Gedeihen zu bringen.

Wasem: Dem vorgelagert muss man natürlich die Frage diskutieren, ob der Gesetzgeber explizit die Austauschbarkeit durch den Apotheker zulassen sollte. Ein anderes Beispiel sind Festbeträge, Quoten, aber auch Open-House-Verträge: Alle gehen faktisch von Austauschbarkeit aus.
Faktisch wohl, aber nicht unbedingt gesetzeskonform.
Wasem: Eben. Darum muss sich die Politik hier ehrlich positionieren. Denn wenn es Instrumente gibt, die in Realiter eingesetzt werden und die implizit Austauschbarkeit unterstellen, ist es richtig und nötig, dass die Politik biosimilare oder biooriginale Produkte austauschbar gestaltet.

May: Das Problem dabei ist, dass der G-BA diesen Zusammenhang eigentlich gar nicht sehen will. Denn Festbeträge haben aus Sicht des Bundesausschusses zuerst einmal mit Substituierbarkeit noch gar nichts zu tun. Doch wenn man sich vor Augen führt, dass wir hier nicht über Preisunterschiede von einem Cent oder ein paar Euro sprechen, sondern eben über extrem kostenintensive Therapien, dann würde eine mögliche Zuzahlung für Patienten im Bereich von vierstelligen Beträgen liegen. Faktisch ist damit die Auswahl begrenzt, insofern kann ich Ihre Forderung, Herr Wasem, unterstreichen. Im Zweifel hätte man hier ein noch viel stärkeres Argument als im Generikamarkt, weil quasi der Festbetrag die Austauschbarkeit  impliziert.

Würde, wenn die Austauschbarkeit vom Gesetzgeber festgeschrieben werden sollte, nicht automatisch Paragraf 12 SGB V ziehen, nach dessen Wirtschaftlichkeitsgebot ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich verordnet werden muss?
Wasem: Klar. Wenn die Austauschbarkeit gegeben ist, folgt automatisch das „aut simile“-Gebot für Arzt und Apotheke. Letztere müssen dann in der Welt der Listenpreise das Medikament mit dem günstigen Preis über den Tresen reichen.

Gilt das auch für die Krankenhausapotheke?
Wasem: Diesen Bereich muss man etwas detaillierter betrachten. Es kommt darauf an, ob man über die stationäre Abgabe von biosimilaren Produkten redet oder über die Abgabe für die ambulante Krankenhausapotheke. Doch richtig ist so oder so: Wenn die Politik „aut simile“ für biosimilare Produkte einräumt, setzt das beim Apotheker auf Basis von Listenpreisen automatisch die „aut simile“-Verpflichtung in Gang. Und das halte ich auch für ganz sinnvoll.

In der letzten Konsequenz lautet die Frage: Kann man nun ein Biosimilar gegen ein Originalpräparat austauschen oder nicht? Wenn Prof. Lüftner von der Charité rund 90 Prozent ihrer neu einzustellenden Onkologie-Patienten – die mit Sicherheit nicht die ganz einfachen Fälle sein werden – mit Biosimilars therapieren kann, wäre doch anzunehmen, dass das der Offizin-Apotheker schon lange könnte.
Wasem: Aus Kassenkreisen hört man jedoch gelegentlich, dass die Forderung nach „aut simile“ dem professionellen Selbstbewusstsein der Ärzte widerstreben könnte, weshalb die – so zumindest die von mir wahrgenommene Befürchtung – sich als Trotzreaktion der Verordnung von bio-similaren Produkten verweigern könnten.

Das machen sie bei Generika ja auch nicht, wo inzwischen mehr als 90 Prozent ausgetauscht werden.
Wasem: Aber nur unter dem krassen Druck der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wie Sie schon gesagt haben: Da droht § 12 SGB V!

Cave. In speziellen Indikationsbereichen wie beispielsweise bei Antidepressiva oder bei Schilddrüsenmedikamenten sollte auch nicht so schnell ausgetauscht werden. Wir sprechen hier aber vom onkologischen Bereich und von lebensbedrohlichen Krankheiten, wo man noch wesentlich vorsichtiger sein sollte.
Wasem: Die Studienlage, wenn man das bei Gelegenheit einmal sagen darf, ob „aut idem“ tatsächlich patientenrelevante Outcomes hat und Compliance verschlechtert wird, ist nicht sehr gut.

May: Das hätte ich jetzt ein bisschen anders bewertet. Es gibt gute Argumente, dass „aut idem“ durchaus Probleme auslösen kann. Das bekommt man schnell mit, wenn man mit Praktikern – Ärzten oder Apothekern – spricht. Dazu braucht man eigentlich keine groß angelegte Studie.

Wasem: Das Reden mit Praktikern über Patienten ist doch eine ganz andere Art von Evidenz als jene, die in Studien gebildet wird, wenn wirklich patientenrelevante Outcomes abgefragt werden. Doch genau diese Studien fehlen mir, die zeigen würden, dass „aut idem“ tatsächlich zu Compliance-Problemen führt.

Das wird aber nicht das große Thema im Biosimilar-Markt sein. Denn es gibt, wie Professor May in seinem Vortrag gezeigt hat, im Endeffekt pro Indikationsgebiet nur ein oder zwei Produkte im Markt. Alleine schon  darum wird nicht wild umgeswitcht werden, weder zwischen Biosimiliars, noch vom Original zum Biosimilar und vielleicht sogar wieder zurück. Unverträglichkeiten, Nebenwirkungen und Bioverfügbarkeiten einmal ausgenommen.
Wasem: Bei den onkologischen Zubereitungen sieht der Patient sowieso nicht, was da genau in seinem Infusionsbeutel drin ist. Dennoch sollte man die Compliancefrage nicht einfach wegdiskutieren. Nur muss man endlich über das qualitative Resümieren hinauskommen und wirklich gute Studien machen, um evident sagen zu können, ob es nun ein Problem gibt oder eben nicht. Die Substitution kann in einzelnen Indikationen problematisch sein und in anderen hingegen nur ein gefühltes Problem. Nur wissen wir das nicht.

Nun haben wir zwei Instrumente diskutiert: die Quote und „aut simile“/„aut idem“. Ein schlüssiges System ist es noch lange nicht. Was müsste der Gesetzgeber und was müssten die Selbstverwaltungspartner tun, um Biosimilars den Stellenwert zuzuführen, den sie verdienen würden?
Wasem: Wenn man „aut simile“ zulassen würde, hätte man schon einen großen Schritt gemacht. Erlaubt sind bisher ja auch schon Quoten, ebenso Open-House-Verträge als weitere Elemente in einem möglichen, jedoch noch nicht existenten Regulierungssystem. Um zu einem schlüssigen System zu kommen, müsste man vor allem das Thema Krankenhaus analysieren, sowohl in der Schnittstelle zur Verordnung mit Niedergelassenen als auch die unterschiedliche Behandlung von ambulanter und stationärer Abgabe im Krankenhaus. Denn genau hier ist unser bisheriges Regulierungssystem inkonsistent.
Inwiefern?
Wasem: Nun, weil es für einen Krankenhausapotheker in aller Regel sinnvoller ist, das Original zu verschreiben und nicht das biosimilare Produkt. Der Grund dafür ist, dass die Krankenkassen nur auf den Rabatt in Euro schauen, jedoch nicht auf das Preis-Ausgangsniveau. Das heißt nichts anderes, als dass es für das Krankenhaus sinnvoller ist, das Original zu benutzen, während aus gesellschaftlicher Sicht und auch jener der Kassen mit dem Biosimilars gespart würde. An dieser Stelle haben wir wirklich ein regulatives Schlüssigkeitsproblem.

May: Es ist doch offenkundig, dass so etwas nicht länger hingenommen werden sollte. Genauso wenig, wie man länger das System der intransparenten Honorierung und Bepreisung von parenteralen Zubereitungen, insbesondere in der Onkologie, verteidigen kann. Mir erschließt sich nicht, weshalb Stoffe, die in parenteralen Zubereitungen verwendet werden, nicht genau wie übliche Fertigarzneimittel über die AMPreisV geregelt werden. Die Vergütung der zubereitenden Apotheker sollte wiederum über eine angemessene Pauschale erfolgen.

Wasem: Die Ausgangssituation dafür ist doch klar: Der Gesetzgeber hat sich einfach nicht getraut, die Arbeitsleistung des Apothekers zu bewerten. Darum hat er es sich einmal mehr einfach gemacht und die Selbstverwaltung regeln lassen, was wohl vernünftig sein wird. Nun kommt jedoch hinzu, dass der Gesetzgeber aber auch Rabatte auslösen wollte, die irgendwie auch bei der Kasse ankommen sollen. Nur ist das in der Gesamtschau der Instrumente vermutlich nicht ganz so gelungen. Ich persönlich würde darum dafür plädieren, dass der Gesetzgeber entweder klar die Arbeitsleistung des Apothekers in der Apothekenpreisverordnung regelt, oder aber dass in der Apothekenpreisverordnung gezielt der Auftrag hinterlegt wird, dass die Selbstverwaltung die Gesamt-Arbeitsleistung des Apothekers entscheiden soll.

Ist das eine Regulierungsaufgabe der Politik?
May: Ja.

Wasem: Absolut.

In Ihrem Vortrag, Herr Professor May, sprachen Sie über die internationale Verantwortung Deutschlands als größtem europäischen Pharmamarkt. Kann man es wirklich dem Solidarsystem der GKV zumuten, mit den Beträgen der Versicherten das Pflänzchen Biosimilar zu hegen, um dieses hierzulande, aber auch in Europa mitzufinanzieren?
May: Spontan würde ich sagen: Die Selbstverwaltung ist dafür der falsche Ansprechpartner. Hier muss eine gesellschaftliche und damit auch eine politische Entscheidung her.

Wasem: Die Kassen würden sich auch mit Recht wehren, mehr Geld für Arzneimittel zahlen zu sollen als unbedingt nötig. Funktion für Europa hin oder her.

Was sie ja auch gar nicht dürfen.
Wasem: Aber nur, weil es im SGB V nicht drin steht.

May: Man könnte jedoch die nötigen Rahmenbedingungen an anderer Stelle schaffen.
Dafür bräuchte es eine Wette auf die Zukunft, dass mit der Biosimilar-Förderung in fünf, zehn oder auch fünfzehn Jahren wirklich gespart würde.
Wasem: Genau das ist der Punkt: Das wäre nämlich in erster Linie gar keine Wette auf die Zukunft der europäischen, sondern vor allem des deutschen Gesundheitssystems. Doch weil Deutschland in seiner dynamischen Perspektive der wichtigste Kernmarkt in Europa für Biosimilars ist, muss sich die deutsche Gesellschaft und die Politik darüber klar werden, dass wir nun einmal eine ganz besondere Rolle auf unserem Kontinent spielen. Das ist schon ein Stück weit Egoismus, nur sozusagen eine Dimension weitergedacht.

Europa als quasi positiver Mitnahmeeffekt.
Wasem: So kann man es formulieren.
May: Wie auch immer, zu förderst muss man die Selbstverwaltung und die Kassenseite zu langfristigerem Denken zwingen.

Was letztere – diesmal laut Bundesversicherungsamt (BVA) – auch gar nicht darf.
Wasem: Es gibt doch in vielen Bereichen Dinge, die weit über den normalen Jahres-Zeithorizont hinausgehen. Die Rahmenbedingungen, über die wir reden, muss man an höherer Stelle ändern. Wenn dies geschehen ist, hat auch der BVA einen klaren Handlungsrahmen.  

Die Herren Professoren, danke für das Gespräch. <<

Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

 

Zitationshinweis : Wasem, J., May, U., Stegmaier, P.: „Eine Wette auf die Zukunft des deutschen Systems“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/18), S. 27-29; doi: 10.24945/MVF.04.18.1866-0533.2089

Ausgabe 04 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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