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„Interessenkonflikte hat jeder, aber jeder andere“

04.06.2018 14:00
Kommentar von Prof. Dr. med. Franz Porzsolt, Vorstandsvorsitzender des Institute of Clinical Economics (ICE)

>> Die Diskussion des Interessenskonflikts (IK) als Teil der Moral hat vor etwa 50 Jahren begonnen und findet sich seitdem in Ethikkommissionen, in den Kodizes von Regierungen, bei gerichtlichen Entscheidungen und in der Unternehmenspolitik (1). Natürlich werden IKs auch im Gesundheitssystem thematisiert und standardisierte Maßnahmen durchgeführt, um IKs gerade hier zu vermeiden. Ein Beispiel sind die umfangreichen und in vielen wissenschaftlichen Zeitschriften standarisierten Erklärungen der Autoren zu ihren IKs. Da anzunehmen ist, dass mit dieser Maßnahme nur ein geringer Teil der tatsächlichen IK im Gesundheitssystem erfasst wird, der IK aber für die Versorgungsforschung ein bedeutendes Thema ist, zumal neben den Autoren auch die Gutachter, Redaktionen und Herausgeber wissenschaftlicher Produkte den Risiken eines IK ausgesetzt sind, wird dieses Thema hier behandelt.  
Welche Akteure haben Interessenkonflikte?
IK haben im Gesundheitsbereich eine herausragende Bedeutung, weil sie häufiger als vermutet auftreten. Sie lassen sich definieren als „ein Zustand mangelnder Übereinstimmung der Ziele von zwei oder mehreren Akteuren eines Systems“ (2). Diese Übereinstimmung  von Zielvorstellungen wird bei keiner Form einer Interaktion identisch sein, sei es eine vertrauliche Mitteilung, die Generierung von Wissen oder dessen Vermittlung oder der Verkauf einer Ware oder Dienstleistung. In allen Fällen ist  davon auszugehen, dass IKs zwischen den Akteuren immer in einer mehr oder weniger ausgeprägten Stärke vorliegen. Es geht nicht nur um die sorgfältig geprüften potenziellen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Autoren und Industrie. Die sektorale Trennung induziert IKs zwischen Akteuren der ambulanten und stationären Versorgung. Leistungserbringer versuchen aus verständlichen Gründen mit wissenschaftlichen Argumenten die eigenen Methoden in den Markt zu bringen. So wird in einer der bedeutendsten medizinischen Fachzeitschriften die „Nichtunterlegenheit eines neuen Antidiabetikums gegenüber Placebo herausgestellt (3). Kliniker haben in der Regel keine Zeit, um Nachrichten dieser Art sorgfältig zu analysieren. Der angestrebte Marketingeffekt wird auch durch diese zutreffende, aber wertlose Aussage erzielt. Daraus folgt, jeder hat IKs: auch die Gutachter, Redakteure und Herausgeber wissenschaftlicher Produkte. Die IKs sind nur unterschiedlich stark ausgeprägt. Als erstes Statement kann deshalb festgehalten werden: IKs können nicht vermieden, sondern nur gegeneinander abgewogen werden (4). Wir benötigen neue Strategien, um mit IKs angemessen umzugehen.
Wie ist mit Interessenkonflikten umzugehen?  
Bestehende IK sind zudem in hohem Maße unethisch, weil sie meist mehrere der fünf bedeutenden ethischen Aspekte gleichzeitig betreffen: den Respekt und die Achtung der Autonomie aller anvertrauten Personen, nicht nur der Patienten, das Gebot Gutes zu tun, die Gerechtigkeit, das Gebot nicht zu schaden und die Redlichkeit (5). Publizierte Beispiele zeigen, dass die unzureichende Beachtung von Konflikten – hier am Beispiel der Gewaltanwendung in Familien – mit erheblichen gesellschaftlichen Risiken verbunden sein können (6). Jeder erinnert mehr oder weniger den Grexit, den FIFA- (7), den bereits vorhersagbaren Banken- (8, 9) und den Diesel-Skandal, und das mit IK kontaminierte Design des PREFERE-Unglücks (10).
Einverstanden, Schnee von gestern; aber doch nicht, ohne die Lehren aus dieser blauäugigen Gutgläubigkeit und deren Folgen zu ziehen. Es gibt Methoden, um politisches Präventions-Geplauder in wissenschaftlich belastbare Projekte zu überführen (7). Das „British Medical Journal“ hat zusammen mit dem Centre for Evidence-based Medicine mit einer Liste von 20 Fehlern die Aktion „Manifesto 2.0“ gegen IKs ins Leben gerufen (11).
Es sind die Briten, die uns zeigen, wie mit IKs umgegangen werden sollte: Es gibt keine Zauberformel, nur Zivilcourage und Transparenz. Diese werden nicht sichtbar, wenn sich die Wissenschaftler nicht zu Wort melden und die Redaktionen und Herausgeber wissenschaftlicher Produkte davor zurückschrecken, kritische Stellungnahmen und „Out Of The Box Comments (OOTBCs) zu publizieren.
Es ist bedauerlich, wenn international führende Zeitschriften zur Wahrung eigener IKs bevorzugt Publikation annehmen, die Main-stream-Konzepten entsprechen, aber Innovationen im Wege stehen. Es sollte uns peinlich berühren, wenn unsere wissenschaftliche Fehler zuerst in öffentlichen Medien diskutiert werden, bevor wir Wissenschaftler uns kritisch mit den Screeening-Programmen bei Brust-, Kolon- und Prostata-Karzinom auseinandersetzen.
Wir könnten 20 Jahre weiter sein und einen erheblichen Teil von Über- und Fehlversorgung vermeiden, wenn wir es wagen würden, unsere eigenen IK zu diskutieren und akzeptieren, dass innovative Lösungen wesentlich leichter umzusetzen sind, wenn sie diskutiert werden, bevor sich IKs in Form eines Wirtschaftszweiges etabliert haben.
Wenn wir annehmen, dass es mehr Gegner als Befürworter von IK gibt, weil die Mehrzahl aller Bürger die Folgen von sich ständig ausbreitenden IKs abschätzen kann, liegt es im Wissenschaftsbereich an den Gutachtern und Herausgebern der Zeitschriften und Bücher, deren Erscheinungsbild entsprechend zu prägen. Qualitativ hochwertige Beiträge, die systemkritisch, fair, zielorientiert und realisierbar sind, werden von den potenziellen Autoren als Signal wahrgenommen. Die Herausgeber und deren Redakteure sind an der Akzeptanz ihrer Zeitschrift in der Leserschaft interessiert. Die Prosperität der Zeitschrift entspricht dem zentralen und natürlichen Interesse der Redaktion und des Herausgebers.
Aus Sicht der Gutachter spielt die Prosperität der Zeitschrift eine eher untergeordnete Rolle, weil Gutachter ihre Leistung in der Regel ehrenamtlich erbringen und eine Vergütung als Interessenskonflikt deshalb ausscheidet. Wenn allerdings die Namen der Gutachter nicht offengelegt werden, bleibt die wissenschaftliche Konkurrenz als potenzieller Interessenskonflikt bestehen, wenn der Autor und der Gutachter Experten desselben Themengebiets sind. Diese IKs sind vermeidbar.
Zusammenfassend ist zunächst als zweites Statement festzuhalten: Alle profitieren, wenn IKs sehr früh, unmittelbar nach deren Entstehung, identifiziert werden. Gutachter, Redaktionsmitglieder und Herausgeber wissenschaftlicher Produkte sollten sich ihrer zweifellos bestehenden IK bewusst sein. Von den IKs der Autoren lassen sich über die erbetenen Erklärungen, die bereits 1998 gefordert wurden (12) und 10 Jahre später nochmals bekräftigt wurden (13) sicher nicht alle identifizieren. Die IKs der Redaktionen und Herausgeber sind am Erscheinungsbild des wissenschaftlichen Produkts zu erkennen.  
Die beiden Entscheidungs-Kriterien  
Gutachter und Herausgeber sollten bei Ablehnung eines Manus-kripts zwischen handwerklichen und inhaltlichen Gründen unterscheiden. Eine Ablehnung aus handwerklichen Gründen lässt sich benennen, wenn die vorgelegte Arbeit den Erwartungen, die durch die Standards der Statistik, der Klinischen Epidemiologie und der Guten Klinischen Praxis (Good Clinical Practice, GCP) vorgegeben sind, nur unzureichend entspricht.  Es sollte möglich sein, eine Liste der häufigsten handwerklichen Fehler zu erstellen und diese den Gutachtern zur Bearbeitung an die Hand zu geben. Da manche wissenschaftlichen Zeitschriften offensichtlich sehr junge Kollegen als Gutachter einsetzen, bekommt man zunehmend Gutachten, die zwar vehement die Korrekturen irrelevanter Kleinigkeiten fordern, aber die Bedeutung ergebnisrelevanter Aussagen offensichtlich nicht erkennen wollen oder können. Für die Autoren und die Zeitschrift sind Gutachten dieser Art mehr ab-, als zuträglich und sollten vermieden werden. Die Bearbeitung von qualifizierten Listen für bestimmte Studientypen durch jüngere Gutachter (14) wird eine weitgehend objektive Beschreibung (assessment) ergeben. Die anschließende Bewertung (appraisal) sollte ohnehin erfahrenen Kollegen vorbehalten bleiben (14).
Eine Ablehnung aus inhaltlichen Gründen wird von den Erwartungen des Gutachters und/oder der Redaktion/des Herausgebers abhängen. Ein Herausgeber, dem ein Artikel zusagt, wird ihn publizieren und vice versa. Die zur Publikation akzeptierten Arbeiten prägen das Gesicht der Zeitschrift.
Hilfreich für die Entscheidungsträger könnte eine semiquantita-tive Einschätzung der IKs sein: Diese lässt sich erreichen, wenn die Aussagen eines Autors mit der Rolle verglichen werden, die dieser Autor in der Gesellschaft einnimmt. Nicht offengelegte gesellschaftliche Verbindungen lassen sich zudem durch intelligente Sys-
teme erkennen: Die semantische Analyse von sozialen Netzwerken ist dabei absolut hilfreich. So konnte gezeigt werden, dass durch die Kombination der Netzwerke „knows“ (Friend of a friend) und „co-author“ (15) Informationen gewonnen werden können, die als Hinweise für potenzielle IK wertvoll sind.
Somit erinnert das dritte Statement an die Bedeutung der Gutachter, Redaktionen und Herausgeber als „Gate Keeper“ der Wissenschaftskommunikation. Es gibt durchaus verschiedene Möglichkeiten die unvermeidbaren IKs, die von den Autoren nicht immer berichtet werden, mit neueren Methoden aufzudecken.
Die drei durch Daten gestützten Statements lassen die Annahme zu, dass das Augenmerk der letzten Stellungnahme des Institute of Medicine zu den IK (16) und deren Aktualisierung (17) nach wie vor auf die direkten finanziellen Interessenskonflikte gerichtet ist. Die Beachtung weitergehender Interessenskonflikte, die inhaltliche Aspekte wissenschaftlicher Publikationen betreffen, gewinnen zunehmend  an Bedeutung. Die Leser werden sich künftig kritischer mit der Frage nach einer ausgewogenen oder tendenziellen Berichterstattung auseinander zu setzen haben.
Zusammenfassung
Es werden drei Statements beschrieben, die darauf hinweisen, dass die IKs der Autoren mit den bestehenden Erklärungen nur teilweise erfasst werden. Ergänzende Methoden zur Erfassung von IKs sind durch den Vergleich der gesellschaftlichen Aufgaben der Autoren mit den Aussagen in Manuskripten, die zur Publikation eingereicht werden sowie durch die Analysen sozialer Netzwerke möglich. Neben den IK der Autoren bestehen IK auch bei den Gutachtern, wenn sie mit den Autoren der eingereichten Manuskripte wissenschaftlich konkurrieren. Diese Konflikte lassen sich durch eine entsprechende Policy in den Redaktionen intern vermeiden. Bei den Redaktionen und Herausgebern bestehen ebenfalls Interessenskonflikte, die aber durch das Erscheinungsbild der publizierten Zeitschriften und Bücher transparent werden. Erfolgreiche wissenschaftliche Publikationen werden dem Leser den Eindruck vermitteln, dass eine wissenschaftlich ausgewogene Darstellung aktueller Themen angestrebt wird. Und: Die internationalen Empfehlungen zur Vermeidung von IK sind zu aktualisieren. <<

Ausgabe 04 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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