Es wird Zeit für die Etablierung des Fallmanagements
>> „Die Politik muss endlich Lösungen anbieten, sonst haben wir bald Probleme, die Versorgung sicherzustellen. Momentan profitiert sie davon, dass es einige wenige gibt, die handeln“, sagte AOK Nordost-Vorstand Frank Michalak auf der ersten IGiB-Konferenz 2013. Unter dem Motto „Praxis mit dem gewissen Extra“ haben die IGiB-Partner den Teilnehmern eine gemeinsame Plattform geboten, sich zu den verschiedenen arztentlastenden Modellen auszutauschen, die es derzeit gibt. Gemeinsam konnten Schnittmengen herausgearbeitet werden, die die Basis für ein bundesweites Modell mit einheitlicher Grundqualifikation und einheitlichem Tätigkeitsprofil bilden können. Denn, da waren sich alle Teilnehmer einig, die bisher mit einer EBM-Ziffer berücksichtigte nichtärztliche Praxisassistentin genügt schon längst nicht mehr den Anforderungen der Praxis. Auch auf der zweiten IGiB-Konferenz, die im März 2017 stattfand, stand das Fallmanagement im Fokus. Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin Berlin/Brandenburg bei der BARMER, fasste das einhellige Votum der Teilnehmer zusammen: „Die komplexen Versorgungsbedarfe, insbesondere älterer und zum Teil mehrfach erkrankter Menschen erfordern eine abgestimmte Zusammenarbeit zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche. Das Fallmanagement ist hierbei nicht mehr wegzudenken. Alle Versicherten, egal welcher Kasse sie zugehören, sollten davon profitieren können.“
Seit der ersten Konferenz sind knapp fünf Jahre vergangen, und eine bundesweit wirksame Umsetzung lässt noch immer auf sich warten. Noch offen ist dabei die Schaffung des notwendigen Rechtsrahmens außerhalb von Selektivverträgen für eine solche neue multiprofessionelle Delegation. Dies betrifft vor allem die Themen Berufs-, Haftungs- sowie Datenschutzrecht und das Vergütungsrecht entlang der Regelungen im EBM, SGB V und Bundesmantelvertrag-Ärzte. Nur so kann ein bundesweit geltendes Modell in der Regelversorgung verankert werden, das den aktuellen Anforderungen genügt. Diese Anforderungen haben die IGiB-Partner auch klar formuliert: ausreichende Kompetenzen im Fallmanagement und die Möglichkeit eines flächendeckenden Einsatzes. Wie das in der Praxis funktioniert, beweist eindrücklich das erfolgreiche IGiB-Projekt agneszwei, das mittlerweile in Brandenburg flächendeckend im Einsatz ist. Vor allem die starren Restriktionen der sogenannten Gemeindeschwester AGnES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention), konnten mit agneszwei aufgebrochen werden. „AGnES ging an den Bedürfnissen der Brandenburger Ärzteschaft vorbei. Deshalb wollte auch keiner wirklich diese AGnES haben“, begründete der damalige KVBB-Vorstandsvorsitzende Dr. Hans-Joachim Helming die notwendige Weiterentwicklung der AGnES zur agneszwei.
agneszwei – von der nichtärztlichen Praxisassistentin zur Fallmanagerin
Während AGnES nur in unterversorgten Regionen und nur an eine Hausarztpraxis angebunden eingesetzt werden konnte, kann agneszwei für mehrere Ärzte, darunter auch Fachärzte, tätig werden und dies durchaus auch im städtischen Raum. Ein wesentlicher Punkt ist zudem die Erweiterung ihres Aufgabenspektrums. Anders als die nichtärztliche Praxisassistentin, der der Arzt delegationsfähige Leistungen überträgt, übernimmt agneszwei unter anderem auch das Fallmanagement für besonders betreuungsintensive Patienten. Für einen vom Arzt festgelegten Zeitraum nimmt ihm agneszwei bestimmte medizinische und organisatorische Aufgaben ab, betreut den Patienten in seinem gewohnten (häuslichen) Umfeld und begleitet ihn entlang der Behandlungskette durch das komplexe System der medizinischen Versorgung. Dabei wurde von Anfang an darauf geachtet, das Konzept der agneszwei nicht starr, sondern flexibel zu gestalten, sodass es sich unterschiedlichen Anforderungsprofilen anpasst. Ob Fach- oder Hausarztpraxis, Medizinisches Versorgungszentrum, Ärztehaus oder Arztnetz –agneszwei kann in unterschiedlichsten Strukturen zum Einsatz kommen.
Im Jahr 2011 wurde das Projekt in verschiedenen Modulen im Land Brandenburg getestet. Parallel zur Testphase wurde gemeinsam mit den Fachkräften der Modellregionen sowie der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) das „Schulungskonzept zur Ausbildung hochqualifizierter agneszwei-Fachkräfte im Land Brandenburg“ entwickelt. Es entstand eine kompakte, 129 Stunden umfassende Schulung, welche auf die verschiedenartigen Zugangsqualifikationen (z.B. MFA, Gesundheits-und KrankenpflegerIN, FachwirtIN) aufsetzt und zudem die wichtigsten Inhalte zum Fallmanagement vermittelt. Im April 2012 startete der erste Schulungsdurchgang zur agneszwei-Fachkraft mit 30 Teilnehmerinnen.
Nach einer erfolgreichen Testphase wurde das Modellprojekt 2012 in die flächendeckende Versorgung in Brandenburg überführt. Mittlerweile gibt es bereits 140 qualifizierte agneszwei-Fachkräfte in 15 von 16 Brandenburger Landkreisen. Spezifische Fortbildungen und Qualitätskollegien sollen dafür sorgen, dass sie sich regelmäßig weiterbilden und themenbezogen untereinander austauschen. Die Qualitätskollegien setzen sich zusammen aus einem Erfahrungsaustausch der Fachkräfte untereinander sowie einem themen- und tätigkeitsbezogenen Fachvortrag. Sie werden von den agneszwei selbstständig organisiert und geleitet. Grundsätzlich sind die Fallmanagerinnen verpflichtet, an mindestens zwei Qualitätskollegien pro Jahr teilzunehmen. Zudem frischen sie alle drei Jahre ihr Wissen in einem „Refresher“-Kurs auf, der durch Referenten der DGCC geleitet wird.
Der Goldstandard
Dieses komplexe Schulungskonzept nebst Fortbildungen und Qualitätskollegien hat eine deutliche Aufwertung der Fallmanagerin agneszwei
gegenüber der nichtärztlichen Praxisassistentin zur Folge. In einer Akzeptanzbefragung unter Ärzten vom Januar 2017 gaben 73 Prozent an, dass dieser Vorsprung eine große bis sehr große Rolle in der täglichen Praxisarbeit spielt. Auch andere Modelle einer arztentlastenden Fachkraft, wie beispielsweise die EVA (Entlastende Versorgungsassistentin) in Westfalen-Lippe oder die MoNi (Modell Niedersachsen), reichen nicht an die Komplexität und Flexibilität der agneszwei
heran. Die Bundesärztekammer (BÄK) hat deshalb existierende Ansätze und Angebote in ihr bundeseinheitliches Curriculum „Case Management in der ambulanten medizinischen Versorgung“ einfließen lassen. Hierzu zählt vor allem die Fortbildung der agneszwei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, welche auf dem Schulungskonzept der IGiB GbR beruht.
Das BÄK-Curriculum umfasst insgesamt 230 Stunden. Es besteht aus dem Einführungsmodul (24h), dem 136 Stunden umfassenden Grundkurs „Fallbegleitung“ (analog agneszwei) sowie einem auf 70 Stunden ausgelegten Aufbaukurs „Versorgungsmanagement“, der sich auch an die Ärzte richtet. Analog zur agneszwei soll der Fokus auch bei dem bundeseinheitlichen Curriculum auf dem Fallmanagement liegen. Dazu zählen die engmaschige Begleitung der Patienten durch die komplexe Versorgungslandschaft, die sektoren- und berufsübergreifende Koordina-tion sowie die Integration diagnostischer, therapeutischer, rehabilitativer, pflegerischer und sozialer Leistungen.
„Die Weichen sind gestellt. Wir bieten der Politik eine Antwort auf die drängende Frage nach dem Erhalt einer qualitativ hochwertigen Versorgung gerade auch im ländlichen Raum. Sie täte nun gut daran, eine bundesweite Etablierung des Fallmanagements durch die Schaffung des notwendigen Rechtsrahmens zu unterstützen“, so der Vorstandsvorsitzende der KVBB, Dr. Peter Noack, für die IGiB GbR. <<
Autor:
Lutz O. Freiberg, Geschäftsführer IGiB GbR