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Ein kritischer Blick auf altersgerechte Assistenzsysteme aus Stakeholdersicht

01.02.2021 00:00
Seit 2008 hat allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) deutlich mehr als 100 Millionen Euro in Forschungs- und Entwicklungsprojekte für altersgerechte Assis- tenztechnik investiert1. Dazu gehören beispielweise Computerspiele zur Erhaltung der geistigen Fitness und Leistungsfähigkeit insbesondere älterer und hochbetagter Menschen oder Telemonitoring- und Telecare-Systeme zur Unterstützung der ärztlichen Versorgung vor allem in ländlichen Gebieten. Ebenso werden Pflegeroboter wie die Robbe Paro und Haushalts- bzw. Serviceroboter genannt, die Menschen mit physischen und psychischen Handicaps ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen sollen (Weber 2017). Auch andere Ministerien förder(te)n auf Bundes- und Landesebene in großem Maßstab entsprechende Vorhaben, darüber hinaus die Europäische Union. Begründet wird diese Förderung mit zwei gesellschaftlichen Entwicklungen, die beide anhaltend öffentlich diskutiert werden.

doi: http://doi.org/10.24945/MVF.01.21.1866-0533.2281

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Abstract

er demografische Wandel bringt erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen mit sich, die insbesondere das bundesdeutsche Pflege- und Gesundheitsversorgungssystem betreffen. Hier ist vor allem der Pflegenotstand, also die fehlenden Arbeitskräfte und die Finanzierung der Pflege, zu nennen. Um diesen Entwicklungen gerecht zu werden, wird seit einigen Jahren für den Einsatz von Technik zur Unterstützung der Pflege plädiert. Hier setzt das Projekt DAAS-KIN mit dem Ziel an, den Gründen für den bislang zurückhaltenden Einsatz digitaler Technik in der Pflege nachzugehen. Anhand einer Befragung von Führungskräften in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen wird der Einsatz altersgerechter Assistenzsysteme bewertet und Nutzungshemmnisse eruiert.

Technology in care as general solution? A critical look at age-appropriate assistance systems from a stakeholder perspective

Demographic change brings with it considerable social challenges, which affect the German health care system in particular. The care crisis, i.e. lack of labor and insufficient financial resources, is the main reason for these challenges. In order to meet these developments, for some years now there have been calls for the deployment of technology to support care. This is where the DAAS-KIN project comes in, which aims to identify the reasons for the hitherto rather restrained use of digital technology in care. Based on a survey of the management staff in out- and inpatient care facilities, the use of age-appropriate assistance systems will be evaluated and obstacles to their use will be identified.

Keywords
Age-appropriate assistance systems, Ambient Assisted Living, technology, acceptance, use, barriers to use, dissemination

Prof. Dr. phil. habil. Sonja Haug / Dr. phil. Debora Frommeld / Ulrike Scorna MA / Prof. Dr. phil. habil. Karsten Weber

Literatur
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Zitationshinweis: Haug et al.: „Technik in der Pflege als Generallösung? Ein kritischer Blick auf altersgerechte Assistenzsysteme aus Stakeholdersicht“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (01/21), S. 63-68 doi: http://doi.org/10.24945/MVF.01.21.1866-0533.2281

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Plain-Text:

Ein kritischer Blick auf altersgerechte Assistenzsysteme aus Stakeholdersicht

Seit 2008 hat allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) deutlich mehr als 100 Millionen Euro in Forschungs- und Entwicklungsprojekte für altersgerechte Assis-
tenztechnik investiert1. Dazu gehören beispielweise Computerspiele zur Erhaltung der geistigen Fitness und Leistungsfähigkeit insbesondere älterer und hochbetagter Menschen oder Telemonitoring- und Telecare-Systeme zur Unterstützung der ärztlichen Versorgung vor allem in ländlichen Gebieten. Ebenso werden Pflegeroboter wie die Robbe Paro und Haushalts- bzw. Serviceroboter genannt, die Menschen mit physischen und psychischen Handicaps ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen sollen (Weber 2017). Auch andere Ministerien förder(te)n auf Bundes- und Landesebene in großem Maßstab entsprechende Vorhaben, darüber hinaus die Europäische Union. Begründet wird diese Förderung mit zwei gesellschaftlichen Entwicklungen, die beide anhaltend öffentlich diskutiert werden.
>> Als erstes ist auf den demografischen Wandel zu verweisen:
1) Die Lebenserwartung steigt (langsam),
2) der Altenquotient steigt steil und
3) die „potenzielle Belastung der Bevölkerung im Erwerbsalter wird mindestens bis Ende der 2030er Jahre deutlich zunehmen“ (Destatis 2019a: 27).

Dies bringt erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen mit sich, die insbesondere das bundesdeutsche Pflege- und Gesundheitsversorgungssystem betreffen, da die Lasten der Versorgung hochaltriger pflegebedürftiger Menschen steigen werden (Bowles/Greiner 2012; Werding 2014) und auf weniger Versicherte umgelegt werden müssen. 2017 lagen dem Statistischen Bundesamt zufolge die Ausgaben für Pflege und Gesundheit insgesamt bei rund 376 Milliarden Euro; das sind im Durchschnitt 4.544 Euro pro Einwohner*in (Destatis 2019b). Damit wurden 11,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beziehungsweise ungefähr jeder neunte in Deutschland erwirtschaftete Euro für Pflege und Gesundheit ausgegeben. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Dynamik und Konstellation in Zukunft verschärfen und das Versorgungssystem weiter herausfordern werden. Prognosen zufolge kann Zuwanderung den Schrumpfungs- und Veralterungsprozess und den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials nicht aufhalten, sondern allenfalls verlangsamen (Destatis 2019a; Fuchs et al. 2017).
Zum zweiten wird der Arbeitskräftemangel im Pflege- und Gesundheitsbereich zunehmen, denn vielen älteren und hochbetagten Menschen stehen immer weniger junge Menschen gegenüber, die Pflegearbeit übernehmen könnten. Zu erwarten ist eine wachsende Anzahl chronisch kranker Senior*innen (Lichtenthaler 2011) bei gleichzeitiger Verminderung der Personenzahl, die im Erwerbsleben steht (Weber/Haug 2005). Damit sinken gleichzeitig die Beitragszahlungen, was die Finanzierung der Pflege infrage stellt (Weber 2017; Weber/Haug 2005). Bereits jetzt kämpfen Gesundheits- und Pflegedienste mit der Problematik, die eigentlich notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen zu können. Es wird zwar versucht, durch Zuwanderung gegenzusteuern, jedoch wird der Bedarf dadurch nicht gedeckt werden können (Weber 2017). Der Bedarf bis 2030 wird in der stationären Pflege auf bis zu 290.000 Vollzeitkräfte und in der ambulanten Pflege auf über 120.000 geschätzt (Braeseke et al. 2013: 8). Der Arbeitsalltag im Gesundheits- und Pflegedienst beinhaltet fast immer körperlich belastende Tätigkeiten. Bei dem in Zukunft stark erhöhten Pflegebedarf bedeutet dies ein hohes Risiko für die Berufstätigkeit der Pflegekräfte, dass sie ihrer Arbeit aus gesundheitlichen Gründen möglicherweise nicht mehr nachgehen könnten (Weber 2015: 248, 2017: 343). Es wird nun davon ausgegangen, dass dies mit dem Einsatz technischer Unterstützung verhindert werden kann.
Sowohl der demografische Wandel als auch die daraus resultierenden Folgen für den Pflege- und Gesundheitsbereich (Finanzierungsschwierigkeiten und Arbeitskräftemangel) gefährden die adäquate Versorgung älterer und hochbetagter Menschen. Erschwerend kommt hinzu, dass zum einen die zu pflegenden älteren Menschen oft isoliert in zum Teil ländlichen, dünnbesiedelten Gegenden leben, in denen die medizinische Versorgung nicht ausreichend gesichert ist. Zum anderen ist der Anteil alter Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden (bspw. Alzheimer, Diabetes, Morbus Parkinson) gestiegen (Prütz et al. 2014; RKI 2015). 62% der über 65-Jährigen sind sogar multimorbid, da sie drei (und mehr) chronische Krankheiten zeitgleich aufweisen (BMBF 2014).
Auch ist der Begriff der Pflegebedürftigkeit nicht einfach zu fassen und beinhaltet verschiedene Dimensionen, welche die sozialen, medizinischen, kulturellen und ökonomischen Bereiche von Gesellschaft betreffen. Mit dieser Multidimensionalität sind auch unterschiedliche Herausforderungen verbunden, die sich teilweise aufeinander beziehen, teilweise aber auch zuwiderlaufen (Weber 2017: 341). Oft sind es dabei die (begrenzten) ökonomischen Rahmenbedingungen, die den Vorstellungen einer würdevollen Pflege entgegenstehen, wie dem Anspruch nach intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit, körperliche Integrität, Sicherheit, Privatsphäre, Freiheit, Selbstbestimmung, Fürsorge und Teilhabe (ebd.).
Um diesen Herausforderungen begegnen zu können und den multidimensionalen Ansprüchen gerecht werden zu können, wurde in den letzten Jahren verstärkt über den Einsatz von Technik im Bereich der Pflege debattiert. Dieser Diskurs begründete die Entwicklung der altersgerechten Assistenzsysteme beziehungsweise des Ambient Assisted Living (AAL).
Forschungsstand
Auf Bundesebene werden seit 2008 entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprojekte unter der Bezeichnung „altersgerechte Assistenzsysteme“ vorangetrieben (Weber 2017: 2). Bedenkt man jedoch, dass beispielweise das DFG-geförderte Projekt „sentha“ (www.sentha.org), in dem Kriterien seniorengerechter Technik entwickelt werden sollten, bereits 1997 gestartet wurde, wird in Deutschland seit mehr als zwanzig Jahren die Forschung an und die Entwicklung von Technik für hochaltrige Menschen betrieben. Spätestens seitdem der demografische Wandel als wesentliche gesellschaftliche und ökonomische Herausforderung der Zukunft verstanden wird und Technik als entscheidender Lösungsbaustein gilt, sind Alter und Technik auf politischer Ebene eng verknüpft.
Bisher gilt jedoch, dass dabei häufig Technik entwickelt wird, ohne dass ausreichend geprüft wurde, ob es dafür einen tatsächlichen Bedarf gibt oder ob die geplante Gestaltung der Technik den grundsätzlichen Bedürfnissen der Pflegenden und Gepflegten gerecht werden kann. Hinzu kommt die praktische Umsetzung in alltägliche Anwendungsbereiche. So hat es beispielsweise von den initialen 18 Projekten, die von 2008 bis 2011 vom BMBF gefördert wurden, nur eines bis zur Marktreife geschafft (Weber 2017). Obwohl also sehr umfangreiche Ressourcen in die Entwicklung von Pflegetechnik fließen, sind Sinn, Nutzen und Diffusion sowohl in die Pflegeeinrichtungen als auch in die privaten Haushalte hinein im Wesentlichen unklar.
Es liegen zwar Potenzialstudien für den Markt der Pflegetechnik in Deutschland vor (bspw. Fachinger et al. 2012; VDI/VDE-IT 2011), doch verlässliche Zahlen, die Auskunft über tatsächlich eingesetzte Systeme, realisierte Umsätze und Marktvolumen geben könnten, existieren derzeit nicht. Viele Publikationen weisen auf die bisher fehlenden Geschäftsmodelle zur Refinanzierung hin; ob es aber grundsätzliche Hürden gibt, die möglicherweise selbst bei Vorliegen funktionierender Geschäftsmodelle die Einführung und Nutzung altersgerechter Assistenzsysteme verhindern, kann nicht gesagt werden. Fachinger (2018: 64) fasst zusammen, dass zwar hohes ökonomisches Potenzial bei assistiven Technologien gesehen wird, jedoch eine geringe Nachfrage besteht und insofern die wirtschaftliche Relevanz ungeklärt bleibt.
Neben der Lösung einer Vielzahl technischer Herausforderungen ist „auch eine konsequente Berücksichtigung der Nutzerbedarfe, der Nutzerakzeptanz, der Einbettung in medizinische und pflegerische Versorgungsstrukturen, der Wohnumgebung und Netzwerke sowie eine Berücksichtigung ökonomischer, juristischer und ethischer Aspekte, sowie nicht zuletzt eine langfristige Evaluation der Wirkungen“ erforderlich (Künemund/Fachinger 2018: 10). Seit langem wird auf fehlende Belege über Wirkungen hingewiesen. Ein Bericht des Instituts für Europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft GmbH (IEGUS 2013) fordert ausdrücklich Wirksamkeitsstudien. Bisher gibt es aber kein systematisches Health Technology Assessment in Bezug auf altersgerechte Assistenzsysteme. Auch für indirekte Wirkungen, z. B. Kosteneinsparungen bei Versicherungsträgern durch vermiedene Krankenhausaufenthalte oder Arztbesuche sowie das Vermeiden eines Umzugs ins Pflegeheim ist noch kein Nutzennachweis in der Praxis erbracht (Meyer 2016: 18). Meyer listet nach einer umfassenden Evaluationsstudie zwölf technische Lösungen auf, „die geeignet sein dürften, die häusliche Pflege und einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu unterstützen“ (ebd. 2018: 173). Sofern diese Systeme im Leistungskatalog der Sozialen Pflegeversicherung aufgenommen würden, könnte dies ihrer Ansicht nach die Marktentwicklung befördern. Es existieren jedoch keine Evaluations- und/oder Diffusionsstudien und somit kein Datenmaterial, aus dem abgeleitet werden könnte, ob die bisherige öffentliche Förderung in einem ökonomischen (Marktentwicklung, Arbeitsplätze, Umsätze) oder sozialen (Verbesserung der Situation für gepflegte und pflegende Personen) Sinne nachhaltig ist. Systematische Erhebungen zu den Erwartungen von Pflegeeinrichtungen bezüglich altersgerechter Assistenzsysteme oder zu Nutzungshemmnissen liegen ebenfalls nicht vor: „Wenn man sich auf der einen Seite die sehr hohe Zahl an bislang in Deutschland (und Europa) geförderten Gero-Technologie-Forschungsprojekten (samt den Dutzenden Millionen an Fördergeldern) vor Augen führt und sich auf der anderen Seite die Frage stellt, wo zwischenzeitlich vielversprechende Techniklösungen nachhaltig Einzug in den Alltag älterer Menschen gehalten haben, dann fällt die Bilanz noch verbesserungsbedürftig aus. Was ist wirklich bislang dort ‚angekommen‘?“ (Schmidt/Wahl 2019: 546). Bei einem empirischen Überblick für Versorgungsdienstleistungen treten Pflegeassistenzsysteme gar nicht erst auf (Naumann et al. 2014).
Ebenso können derzeit keine allgemeingültigen Aussagen über die Erreichung von Zielen, die insbesondere mit der öffentlichen Förderung von Forschung und Entwicklung verbunden sind, getroffen werden. Es ist also unbekannt, ob altersgerechte Assistenzsys-teme tatsächlich
1) dem Arbeitskräftemangel abhelfen,
2) den Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegedienst bei der Verrichtung von belastenden Tätigkeiten helfen,
3) die Versorgung mit Gesundheits- und Pflegedienstleistungen auch in dünn besiedelten Regionen sicherstellen,
4) insbesondere älteren und hochbetagten Menschen ermöglichen, ein sicheres und selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu führen,
5) neue Märkte öffnen und damit wohlstandsfördernd oder zumindest sichernd wirken – um nur einige Ziele zu nennen, die mit altersgerechten Assistenzsystemen verbunden werden.
Erste Ergebnisse einer Befragung
Die Forschungsfragen des BMBF-geförderten Projekts zur „Diffusion altersgerechter Assistenzsysteme – Kennzahlenerhebung und Identifikation von Nutzungshemmnissen (DAAS-KIN)“ basieren auf den oben geschilderten Desideraten. Grundgedanke ist, dass bei der Entwicklung von Pflegetechnik die sozialen und organisationalen Kontexte, in denen die Technik eingesetzt werden soll, bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Zu diesen Kontexten gehört die komplexe Interessenlage verschiedener Stakeholder. Im Projekt werden daher drei Perspektiven untersucht:
1) die der Pflegekräfte mit ihren Menschen- und Professionsbildern,
2) mögliche normative Überzeugungen von Stakeholdern und
3) die unterschiedlichen betrieblichen Kontexte einer Verbreitung von Pflegetechnik in der Praxis.

Es liegen 93 Fragebögen aus einer Online-Befragung vor, die im Juni 2019 in Einrichtungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen stattfand2. Die Befragung richtete sich an Führungskräfte und Pflegedienstleitungen im ambulanten Pflegedienst (47%) und in stationären Einrichtungen (53%). Gefragt wurde nach der aktuellen und geplanten Nutzung von digitalen altersgerechten Assistenzsystemen, nach Faktoren, die diese beeinflussen sowie die mit dem Einsatz der Systeme verbundenen Hoffnungen und Befürchtungen.

Nutzung und Investitionsplanung
Dokumentations- und Sicherheitssysteme sind in der stationären Pflege bereits relativ verbreitet (85% bzw. 70%), aber auch Systeme für Kommunikation und Entertainment (Tab. 1). All diese Systeme werden in stationären Pflegeeinrichtungen signifikant häufiger eingesetzt als in ambulanten. Informationssysteme sind gleichermaßen selten und Monitoring noch seltener. Serviceroboter werden in keiner Einrichtung in der Stichprobe genutzt, Pflegeroboter nur in sehr wenigen stationären Einrichtungen. Insgesamt geben 54% der Befragten aus ambulanten Einrichtungen an, dass überhaupt keine Form digitaler Assistenzsysteme genutzt wird. Bei stationären Einrichtungen liegt dieser Anteil nur bei 3%; der Unterschied ist hoch signifikant.
Auch bei der Planung zukünftiger Nutzung unterscheiden sich die ambulanten und stationären Einrichtungen signifikant. Betrachtet man den Anteil der Einrichtungen, die eine Investition planen, so zeigt sich, dass dies im stationären Dienst vor allem Dokumentations-, Sicherheits- und Informationssysteme betrifft sowie auch Kommunikation und Entertainment (Tab. 1). Die Systeme werden signifikant seltener bei ambulanten Einrichtungen genannt. Serviceroboter und Pflegeroboter werden in stationären Einrichtungen weitaus seltener geplant, als dies angesichts der bisherigen starken Förderung und der ausführlichen Fachdebatte zu erwarten wäre. In den befragten ambulanten Einrichtungen sind diese Systeme nicht geplant.
Je höher die Zahl der Beschäftigten in einer Einrichtung, umso wahrscheinlicher ist eine Investitionsplanung für jedes Assistenzsystem (Pearsons‘ r, p<= 0,01). Mit Ausnahme des Monitorings korreliert die Planung auch positiv mit der Anzahl der Bewohner. Multivariate Analysen der Investitionswahrscheinlichkeiten zeigen, dass diese Effekte auf den Unterschied zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen zurückzuführen sind. Ist ein System in Planung, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit für jedes andere System.

Diffusionshemmnisse und erwartete Auswirkungen
Als Diffusionshemmnisse werden von den Befragten vor allem hohe Kosten (73%), aber auch mangelnde Akzeptanz bei Pflegekräften (45%) und Pflegebedürftigen (40%) sowie unzureichende technische Lösungen (42%) bzw. mangelnde Kompatibilität (38%) genannt.
Die Auswertung zeigt weiterhin, dass subjektiven Aussagen der Befragten zufolge menschliche Arbeitskraft bei den meisten Assis-tenzsystemen nicht bzw. kaum ersetzt werden wird. Lediglich bei Sicherheitssystemen und Servicerobotern sehen 19% bzw. 16% Einsparpotenzial an Arbeitskräften. Weder aus persönlicher Sicht noch aus Sicht des Personals erwarten oder befürchten oder erhoffen Befragte Auswirkungen der Assistenzsysteme in Bezug auf Arbeitskräfte. 13% meinen, dass neue Technik den Fachkräftemangel lösen kann, 12% meinen, der Fachkräftemangel wird verstärkt. 15% sehen Vorteile im möglichen Personalabbau, 27% befürchten Personalabbau. Es werden keine Möglichkeiten zum vermehrten Einsatz von gering qualifiziertem Personal durch den Technikeinsatz gesehen.
Dahingegen wird der erwartete Aufwand für die Schulung bei der Einführung bei allen sieben abgefragten Formen digitaler Assistenzsysteme im Vergleich zur Installation, Wartung, zur Anpassung der Arbeitsorganisation am höchsten eingeschätzt (Abb. 1). Die Befunde entsprechen der Bewertung von Klein (2019: 89) zum Wachstumsfeld der sozialen Roboter, wonach qualifizierte Kräfte nicht verdrängt und fachliches wie technisches Know-how benötigt werden.
Die Motivation des Personals wird von den Befragten schwieriger als die Überzeugung der Pflegebedürftigen eingeschätzt. Gleichzeitig bestehen aus Sicht der Fachkräfte sehr hohe Erwartungen an Assistenzsysteme. So werden als persönliche Vorteile Arbeitserleichterung und reduzierte körperliche Belastung (jeweils 67%) wie auch aus Personalsicht reduzierte psychische Belastung (57%) gesehen. Diese Erwartungen werden insbesondere auf Pflegeroboter und Sicherheitssysteme gerichtet. Demgegenüber stehen große Befürchtungen von Handhabungsproblemen (69%). Beim Einsatz von Service- und Pflegerobotern wird die potenzielle Benutzungsfreundlichkeit von Pflegefachkräften am schlechtesten bewertet und mit beiden Systemen werden auch stark negative Auswirkungen auf Pflegequalität und Patientenwohl verbunden.
Schlussfolgerungen
Bei Dokumentations-, Informations- und Sicherheitssystemen und auch Monitoring ist das Einsatzpotenzial nach Ansicht von Führungskräften in der Pflege am höchsten bzw. sind Diffusionshemmnisse am geringsten. Die teilweise sehr hohen Erwartungen, die in Potenzialstudien geäußert werden, konnten jedoch bisher nicht realisiert werden und auch die Nutzungsplanungen lassen nicht erwarten, dass der Markt für altersgerechte Assistenzsysteme in absehbarer Zeit merklich an Volumen zunehmen wird. Insbesondere im Sinne von Lösungsansätzen für den demografischen Wandel in Hinblick auf den Grundsatz „ambulant vor stationär“ sind digitale Assistenzsysteme bisher wenig im Einsatz.
Erwartungen bzgl. einer Abschwächung des Arbeitskräftemangels können aus Sicht der befragten Fachkräfte ebenfalls nicht erfüllt werden. Mit der Einführung sind neben direkten Kosten auch indirekte Kosten durch Qualifizierungsmaßnahmen verbunden. Hoffnungen bestehen im Abbau von Arbeitsbelastungen, während gleichzeitig massive Vorbehalte gegenüber der entlastenden Technik bestehen.
Als eine Folge dieser paradoxen Befundlage in ersten Ergebnissen der Befragung können berechtigte Zweifel geäußert werden, ob die bisher verstärkt geförderten technischen Entwicklungen zukünftig auf die Akzeptanz bei ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen stoßen werden, die notwendig wäre, damit eine flächendeckende Diffusion stattfinden kann. Im laufenden Projekt werden diese Analysen noch durch qualitative Interviews mit unterschiedlichen Stakeholdern ergänzt und vertieft. <<
1: Die Schätzung beruht auf Angaben und Veröffentlichungen des BMBF zu geförderten Projekten, z. B. „Assistenzsysteme im Dienste des älteren Menschen“ (Programme Mikrosysteme 2004–2009), Fördermaßnahme „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben – AAL“ (BMBF o. J.). Diese Schätzung markiert jedoch allenfalls das Minimum, da viele Förderprogramme des BMBF Bezüge zu altersgerechten Assistenzsystemen aufweisen, aber nicht darauf adressiert wurden.
2: Unter Mitarbeit von Peter Wegenschimmel

Ausgabe 01 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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