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„Eine Drehscheibe zwischen Hausärzten und Kliniken“

01.02.2021 00:00
Mit diesem Teil der Serie „Versorgungforschung made in“ stellt „Monitor Versor-gungsforschung“ erstmals ein Institut aus einem deutschsprachigen Nachbarland vor. Wenn hierzulande Versorgungsforscher bemängeln, dass die Public-Health-Förderung ab Ende der 80er Jahre nicht nachhaltig genug gewesen wäre und auch die Milliarden Euro aus dem Budgettopf des Innovationsfonds besser, auf alle Fälle anders, verteilt sehen wollen, können die österreichischen Forscher nur staunend den Kopf schütteln: Bei ihnen gab und gibt es weder noch. Umso erstaunlicher, dass es trotzdem eine rege Versorgungsforschungsszene in Österreich gibt. So zum Beispiel das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) der Medizinischen Universität Graz, seit seiner Gründung geleitet von Professorin Dr. med.univ. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch.

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>> Mit aktuell rund 20 Mitarbeitern* ist das  Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) seit seiner Gründung im Jahre 2015 in den Bereichen Lehre der Allgemeinmedizin im Studium Humanmedizin, Versorgungsforschung und evidenzbasierte Medizin tätig, um so die Qualität und Effektivität der medizinischen Versorgung in der Allgemeinmedizin zu verbessern und zu stärken. Während es bei derartigen Neugründungen an deutschen Universitätsstandorten oft Vorläufer – meist aus dem Gebiet der Public Health oder Sozialmedizin gibt – gab es in Graz nichts derartiges. Aber vielleicht ähnliches, zumindest zielführendes. So gründete Andrea Siebenhofer-Kroitzsch nach einigen Jahren der klinischen Tätigkeit bereits 2005 die Research  Unit  des „EBM   Review Centers“ der Medizinischen Universität Graz, deren Gesamtleitung  und die  wissenschaftliche  Leitung  ihr oblag.
Trotzdem nennt die IAMEV-Leiterin den
Zustand ante „Ground Zero“. Das hat seine
Gründe: In Österreich gibt es keinerlei
bundesstaatliche Förderung für Versor-gungsforschung. Zudem ist es in Österreich
ungleich schwieriger als in Deutschland, Drittmittelprojekte zu generieren, da es nur sehr wenige Projekt-Ausschreibungen der öffentlichen Hand gibt, die innovative Versorgungsforschungsvorhaben unterstützen würden.
Dennoch wurde im IAMEV in Graz schon einiges geleistet. So konnten in den vergangenen fünf Jahren bereits 50 wissenschaftliche Projekte, primär über Drittmittel finanziert, abgeschlossen werden. Jeder Forscher, der weiß, wie schwierig es ist, dies ohne jedwede konzertierte Fördertöpfe zu erreichen, kann davor den Hut ziehen. „Wir sind froh, selbst für wichtige Projekte ein paar Tausend Euro an Förderung zu bekommen und die kommen dann oftmals von einer regionalen Krankenkasse“, erzählt Andrea Siebenhofer-Kroitzsch über die nach wie vor
andauernde Schwierigkeit, in Österreich Ver-
sorgungsforschung zu finanzieren. An dieser budgetären Unterversorgung hat auch die Corona-Pandemie wenig geändert, die ihren deutschen Kollegen doch so einige Projekt-aufträge einbrachte. Doch immerhin ist sie seit September 2020 bestelltes Mitglied der österreichischen Corona-Kommission, zudem bereits seit 2009 Vorsitzende der Qualitäts-
sicherungskommission   der   Gesundheitsplatt-
form Steiermark, seit 2010 außerordentli-
ches  Mitglied  der  Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft und seit 2011 Spre-
cherin des Fachbereichs Österreich des Deutschen  Netzwerks Evidenzbasierte Medizin.
Die gebürtige Grazerin ist jedoch fest in der Medizin geerdet. So arbeitete sie nach ihrer Promotion seit 2000 als Fachärztin für Innere Medizin in einer interprofessionellen klinischen Forschergruppe mit dem Schwerpunkt „chronische Krankheiten“, um durch sinnvolle Innovationen in der medizinischen Forschung – auch hinsichtlich einer effektiven Ressourcennutzung – das Gesundheitssystem zu verbessern. 2009 wurde sie dann auf die W2-Universitätsprofessur für „chronische Krankheit und Versorgungsforschung“ am Institut für Allgemeinmedizin an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt berufen. „Auf sechs konstruktive und lehrreiche Jahren“, blickt sie als stellvertretende Institutsdirektorin und Arbeitsbereichsleiterin in einem – wie sie sagt – „hochprofessionellen und sehr kollegialen Team“ unter der Leitung von Professor F. Gerlach zurück.
Im Jahr 2015 erfolgte dann ihre Berufung nach Graz an das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV), wobei die Bewerbung auf diesen Lehrstuhl nur durch die vorangegangenen Jahre in Frankfurt möglich geworden sei. Übrigens setzt sie ihre Professur in Frankfurt aufgrund der erfolgreichen Kooperation zwischen den beiden Institutionen in Teilzeit fort.
Das IAMEV fungiert seit seiner Gründung als Drehscheibe und Schnittstelle zwischen den niedergelassenen Hausärzten und den Kliniken des Universitätsklinikums Graz. Ver-
folgt werde dabei, so Siebenhofer-Kroitzsch, „der translationale Forschungsansatz einer
nachhaltigen Versorgungsforschung“. Das Be-
sondere des Instituts sei es, dass praktisch tätige Hausärzte, Fachärzte sowie Wissenschaftler aus verwandten Disziplinen wie Public Health, Gesundheitsmanagement, Psychologie und Life Sciences/Naturwissenschaften in einem Team zusammenarbeiten würden. Siebenhofer-Kroitzsch: „Mithilfe des multidisziplinären Teams verzahnt das IAMEV die evidenzbasierte Medizin mit der Versorgungsforschung.“ Dadurch wären beispielsweise evidenzbasierte Behandlungspfade für COPD, unspezifischem Rückenschmerz und Adipositas in der Primärversorgung und auch die Initiative „Gemeinsam gut entscheiden“ („Choosing Wisely Austria“) entstanden. Allen gemein sei das übergeordnete Ziel, Über- und Fehlversorgung entgegenzusteuern.
Das Team des Instituts ist in den Bereichen der  Lehre im Studium Humanmedizin, der Versorgungsforschung und der evidenzbasierten Medizin tätig. Ebenso werden in der Lehre zahlreiche Anreize zur Steigerung der Attraktivität des Fachs Allgemeinmedizin gesetzt. Für die Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten zu diversen medikamentösen oder nicht-medikamentösen Therapien, für die Entwicklung von Behandlungspfaden und von Gesundheitsinformationen wird auf systematische Methoden der evidenzbasierten Medizin zurückgegriffen. Und im Bereich der Versorgungsforschung interessieren vor allem relevante Fragestellungen aus dem realen Versorgungsalltag der Patienten und der Berufsgruppen in der primären Gesundheitsversorgung. Zur deren Beantwortung wird auf eine bunte Palette der Möglichkeiten aus den qualitativen und quantitativen Methoden zurückgegriffen.
Das alles hat ein Ziel: „In einem gut abgestimmten und einem wertschätzenden Team sinnvolle Arbeit für unsere Bevölkerung zu leisten“, das hat sich Andrea Siebenhofer-Kroitzsch vorgenommen; und das setzt sie als Leiterin des IAMEV auch um. Sie sagt: „Das mag flapsig klingen, aber ich stelle mir bei all unseren Forschungsfragen stets die Frage, ob deren Beantwortung nützlich ist, und in welchem Ausmaß sie uns in dem Versuch der Optimierung der Versorgung unserer Bevölkerung weiterbringen.“ Persönlich sei sie immer für Vorhaben zu begeistern, die zu „innovativem Denken anregen und das Wissen und die eigene Expertise vergrößern“.
Zu ihren größten Erfolgen zählt, dass einige der vom IAMEV entwickelten Ansätze nicht in Schubladen landen, sondern weiterverfolgt werden. So sei eine Vorlage für ein Versorgungskonzept entwickelt worden, mit dem Hausärzte mit ihren multiprofessionellen Teams arbeiten können. Dabei würden die Teams dabei unterstützt, sich wesentliche Fragen zu stellen, um ein angemessenes Leistungsangebot für die Bevölkerung in der Region zusammenzustellen. Dies war so erfolgreich, dass das Konzept nun österreichweit eingesetzt wird. Aber auch die vom IAMEV entwickelten Fragebögen zur Evaluierung der Primärversorgungsreform, in denen  anhand von PREMs (Patient Reported Experience Measures) die Erfahrungen von Patienten* dargestellt werden können, kommen in ganz Österreich zum Einsatz.
Doch auch die von den Grazern definierten Behandlungspfade für den Primärversorgungsbereich wurden bei verschiedenen Entwicklungen von Versorgungskonzepten in Österreich herangezogen. So fand z. B. der Behandlungspfad „Unspezifischer Rückenschmerz“ in die Weiterentwicklung der Schmerzversorgung im Bundesland Steiermark Eingang, während der Behandlungspfad „Übergewicht/Adipositas“ eine der Grundlagen für die Neuentwicklung eines österreichischen Therapieplans für adipöse Kinder und Jugendliche darstellt. Ein weiterer großer Erfolg ist natürlich die Initiative „Gemeinsam gut entscheiden“, welcher in ganz Österreich große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird und der sich auch immer mehr nationale medizinische Fachgesellschaften anschließen. <<

 

 

Thomas Semlitsch, Senior Scientist

>> Warum studieren/arbeiten Sie am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung?
Nach meinem Studium der Chemie arbeitete ich an einer privaten Gesundheitseinrichtung. Dort wurde durch meine Tätigkeit als Qualitätsmanager und Koordinator von klinischen Studien mein Interesse für evidenzbasierte Medizin geweckt. Als ich einige Jahre später durch Zufall mit der Research Unit des „EBM Review Centers“, jener Forschungsgruppe an der Medizinischen Universität Graz aus der später das IAMEV hervorgegangen ist, in Kontakt kam, nahm ich die Gelegenheit wahr und wechselte im Jahr 2008 zu dieser Forschungsgruppe, um mich schwerpunktmäßig der evidenzbasierten Medizin zu widmen.

Was zeichnet in Ihren Augen das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung aus?
Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist in meinen Augen die große Vielfalt an Fachrichtungen, von Medizin, über Naturwissenschaften bis hin zu Gesundheitsmanagement, die hier zusammenkommen und dadurch viele unterschiedliche Sichtweisen einbringen und 50 Projektthemen umfassend analysiert und qualitativ hochwertig erarbeitet werden können. Weiters schätze ich den kollegialen Umgang und den wissenschaftlichen Diskurs, welcher immer wieder Ansätze für neue Forschungsideen liefert.

Mit welchen Thematiken und Fragestellungen sind Sie derzeit beschäftigt?
Derzeit beschäftige ich mich zum einen im Rahmen der europäischen HTA-Initiative EUnetHTA gemeinsam mit Kollegen aus Österreich, Deutschland, Italien und Spanien mit der Nutzen-Schaden-Bewertung von Lungenkrebsscreening für Risikogruppen. Zum anderen liegt der Fokus unserer Arbeitsgruppe in der Erstellung von Evidenzgrundlagen, welche die Basis für Gesundheitsinformationen zu diversen Themen wie z. B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen oder Bewegungsmangel darstellen. Ein weiterer Schwerpunkt in den nächsten Jahren wird die Entwicklung eines digitalen, interaktiven Gesundheitsinformationssystems im Rahmen einer interuniversitären Forschungsgruppe sein.

Was möchten Sie ganz persönlich mit Versorgungsforschung erreichen?
Eines meiner Anliegen ist es, dass evidenzbasierte Medizin von Stakeholdern eine wesentliche Grundlage für eine gute medizinische Versorgung darstellt und dass Entscheidungen im Gesundheitssystem unter Berücksichtigung der jeweils verfügbaren besten Evidenz getroffen werden, um Patienten jene Maßnahmen zukommen zu lassen, die auch nachweislich ein positives Nutzen/Schaden-Verhältnis aufweisen. Darüber hinaus möchte ich mit der Entwicklung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz in der österreichischen, aber auch deutschen Bevölkerung beitragen. <<

Dr. rer. medic. Muna Abuzahra, BSc, MA, Senior Scientist

>> Warum studieren/arbeiten Sie am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung?
Bereits während meines Masterstudiums Gesundheitsmanagement arbeitete ich für ein Institut, wo ich meine ersten Erfahrungen in den Bereichen Health-Technology-Assessments und Versorgungsforschung machte. Um mein Wissen im Bereich Versorgungsforschung zu verfestigen, schrieb ich meine Dissertation zum Thema „Qualität der Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten in Hausarztpraxen“. Dieses Thema passte sehr gut zu dem 2015 neu gegründeten Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung und so kam es, dass ich mich damals auf eine Stellenausschreibung in Graz – meiner Heimatstadt – bewarb.

Was zeichnet in Ihren Augen das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung aus?
Ich schätze besonders das Engagement und die Expertise meiner Kollegen*, wodurch wir Projekte qualitativ hochwertig abwickeln können. Außerdem gefällt es mir, dass je nach Fragestellung unterschiedliche methodische Ansätze verfolgt werden und die Arbeit dadurch sehr abwechslungsreich ist. Von der systematischen Übersichtsarbeit über qualitative und quantitative Ansätze bis hin zu partizipativen Forschungsansätzen ist an unserem Institut vieles möglich.

Mit welchen Thematiken und Fragestellungen sind Sie derzeit beschäftigt?
Ich beschäftige mich mit innovativen Konzepten in der Primärversorgung sowie mit Gesundheitskompetenz. In einem Projekt evaluieren wir beispielsweise die aktuelle Primärversorgungsreform aus Sicht der Patienten sowie des Primärversorgungsteams, in einem anderen Projekt schaue ich mir näher an, welche Aufgabenverteilung zwischen Hausärzten und Pflegepersonal sinnvoll ist. In einem weiteren Projekt bewerten wir die Qualität von Gesundheitsinformationen und arbeiten an der Entwicklung von Bewertungsinstrumenten.

Was möchten Sie ganz persönlich mit Versorgungsforschung erreichen?
Ich möchte dazu beitragen, dass die österreichische Bevölkerung gut versorgt wird und die Health Professionals einen attraktiven Arbeitsplatz haben. Meine persönliche Vision für die Zukunft der Versorgungsforschung in Österreich ist, dass innerhalb des Landes die Versorgungsforschungs-Community besser vernetzt ist, Lehrstühle für Versorgungsforschung an Österreichs Hochschulen eine Selbstverständlichkeit darstellen und es kompetitive öffentliche Ausschreibungen gibt, in denen sich auch Versorgungsforscher bewerben können. <<

Ausgabe 01 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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