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„Deutlich bessere Sichtbarkeit für die Pflege(wissenschaft)“

30.03.2021 10:00
Als die Universität Bremen im April 2014 eine Professur für Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung am Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften einrichtete und auch eine entsprechende Abteilung am Institut für Public Health und Pflegeforschung gründete, war dies in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Die Universität Bremen ist zwar eine der jüngsten Universitäten in Deutschland, gleichzeitig aber einer der wenigen langjährigen universitären Standorte für Pflegewissenschaft. Eine Schwerpunktsetzung auf pflegewissenschaftliche Versorgungsfor- schung war daher einerseits ein Bekenntnis zur Wissenschaftsdisziplin Pflegewissenschaft und andererseits auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich hieraus auch ein Auftrag zur evidenzbasierten Gestaltung von Versorgung ableitet. Die Professur und die Abteilungsleitung hat Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann inne.

 

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>> Gerade in der Zeit der Pandemie wird eines überdeutlich: Ohne Pflege gibt es keine gesundheitliche Versorgung. Eine „Katastrophe“ sei „nicht das Verfehlen von in den Raum geworfenen R-Wert-Schwellen und 7-Tagesinzidenzen, sondern das einsame Siechen und Sterben unzureichend versorgter Menschen“, schrieben Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann, Prof. Dr. Wilfrid Henneke und Prof. Dr. Winfried Kern in einem Gastbeitrag in „Focus Online“ und schlugen konkrete Lösungen vor. Ziel eines Plans A  müsse es sein, den Eintrag des Virus besonders in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege zu vermeiden. Wenn Plan A misslinge – und dies wird nach Meinung der Autorengruppe immer wieder passieren – müsse ein Plan B in Kraft treten, der pragmatische Hygienemaßnahmen und gute Individualbetreuung, einschließlich regelmäßiger ärztlicher Visiten beinhaltet. Eine solche qualitativ verbesserte Struktur stärke das Pflegeteam, da sie mit professionellen Standards vereinbarte Auswege realistisch werden lasse. Angesichts knapper personeller Besetzung sei zudem eine Eskalation an Versorgungsqualität jedoch nur durch die temporäre, d.h. einrichtungsübergreifende Verfügbarkeit qualifizierten Personals, denkbar.
Genau hier setzt die Arbeit von Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann an, die schon lange wissenschaftlich am Schnittpunkt von Gesundheitsversorgung/Pflege und praxis-orientierter Forschung arbeitet und forscht. Ostermann: „Für mich ist insbesondere die Versorgung von Menschen mit Demenz in innovativen Versorgungssettings im Bereich der ambulanten und stationären Langzeitpflege ein besonderer Schwerpunkt, der mich letztendlich auch mitten in die Versorgungsforschung gebracht hat: Wissen dazu zu sammeln, wie Versorgung im Alltag tatsächlich funktioniert und Versorgungsergebnisse über outcome-orientierte Forschung sichtbar und belegbar zu machen.“
Auch wenn die aktuelle Covid-19-Pandemie viel Zeit und Energie bindet, waren und sind zum Thema Demenz viele ihrer Forschungsprojekte angesiedelt – angefangen vom „Leuchtturmprojekt Demenz“ über die „Zukunftswerkstatt Demenz“ bis hin zu Projekten im Rahmen des Innovationsfonds oder von EU-Förderlinien. Vor ihrem Hintergrund eines Studiums der angewandten Statistik und theoretischen Medizin ist Versorgungsforschung für sie deshalb so spannend, da sie disziplinübergreifend, am Alltag der Versorgung orientiert und zudem methodisch anspruchsvoll ist.
Wesentliche Arbeitsbereiche der Abteilung sind die Forschung zur pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Unterstützungsbedarf und ihren versorgenden Angehörigen in verschiedenen Lebens- und Versorgungssituationen, zur Beurteilung der Versorgungsqualität in verschiedenen Versorgungssettings sowie zu neuen Technologien in der pflegerischen Versorgung.
Aktuell beschäftigen sich die Bremer Wissenschaftler* im Rahmen diverser Forschungsprojekte mit den Themen Pflege und Technik bzw. KI (z.B. „Pflegeinnovationszentrum (PIZ)“), Fragen der sozialen Gesundheit und kognitiven Reserven im Verlauf demenzieller Beeinträchtigungen (SHARED), dem Thema der Reduktion des Risikos für Krankenhauseinweisungen bei Menschen mit Demenz in ambulant betreuten Wohngemeinschaften (DemWG) und sind Partner in einem internationalen Trainee-Netzwerk der EU „Dementia: Intersectorial Strategy for Training and Innovation Network for Current Technology“
(DISTINCT). Dabei hält es Karin Wolf-Ostermann für selbstverständlich, dass Versorgungsforschung nicht im universitären Setting verharren darf. „Versorgungsforschung muss und sollte gesellschaftlich
(und politisch) gestalten, damit aus evidenzbasiertem Wissen gute Versorgung resultiert“, sagt sie. Vor diesem Hintergrund findet sie es wichtig, wenn Versorgungsforschung dazu beiträgt, „alte Versorgungshierarchien aufzubrechen und alle Gesundheitsprofessionen stärker interdisziplinär“ miteinander zu vernetzen, um so Versorgung besser und effizienter zu gestalten. Zweitens sollten ihrer Meinung nach neue technische Möglichkeiten für Versorgende und Versorgte wissensbasiert vorangetrieben und breit zugänglich gemacht werden, um diesen Prozess aktiv mitzugestalten und nicht nur passiv zu erleben. Und drittens möchte sie sich gerade im Bereich methodischer Entwicklungen in der Demenzforschung – wie etwa der Diskussion über neue Outcomes („Soziale Gesundheit“), neue Zielgruppen (Dyaden oder Netzwerke von Versorgten und Versorgern) oder „maßgeschneiderte“ psychosoziale Interventionen – weiter einbringen.
Eine hochwertige pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung kann und sollte ihrer Ansicht nach entscheidend zur Bewältigung derzeit anstehender gesellschaftlicher Herausforderungen im Bereich der Gesundheitsversorgung beitragen. Exemplarisch hierfür seien zwei Studien genannt: Im Rahmen der multizentrischen, interdisziplinären Evaluationsstudie von Demenznetzwerken in Deutschland (DemNet-D) haben Karin Wolf-Ostermann und ihr Team direkte Versorgungs-Outcomes von Menschen mit Demenz in der häuslichen Versorgung evaluiert – Ergebnisse des Projektes fanden bereits kurze Zeit später Niederschlag im dritten Pflegestärkungsgesetz (§ 45c Abs. 9 SGBXI).
Und unabhängig von einer finanziellen Förderung hat die Abteilung durch ein großes Engagement aller Mitglieder im Rahmen der aktuellen Covid-19-Pandemie Studien zur Situation in der ambulanten und stationären Langzeitpflege während der ersten und zweiten Pandemiewelle durchgeführt und so sehr schnell erste belastbare Zahlen zur Situation in Deutschland geliefert, die dazu beigetragen haben, Strategien für den Umgang mit dem Virus weiterzuentwickeln.
Das alles kann sie sehr gut in dem kleinen 2-Städte-Staat Bremen mit seinen fast 600.000 Einwohnern, davon immerhin circa 20.000 Studierenden und über 1.500 Wissenschaftlern. Bremen zeichnet sich seit vielen Jahren durch eine starke Gesundheitsforschung im Bereich Pflege, Public Health und Gesundheit aus, und bietet zum anderen natürlich auch vielfältige Anknüpfungspunkte für hochkarätige Forschungskooperationen inner- und außerhalb der Universität.
Mit dem im April 2014 neu geschaffenen Bereich der pflegewissenschaftlichen Ver-sorgungsforschung wurde ein neuer Schwerpunktbereich in der Versorgungsforschung geschaffen, der für Karin Wolf-Ostermann eine ideale Kombination darstellt – gerade auch vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Forschung im Bereich Demenz.
Ihr Ziel ist es, neben Forschung und Lehre mit der von ihr geleiteten Abteilung der pflegewissenschaftlichen Versor-gungsforschung im Konzert der Akteure in der Versorgungsforschung der Pflege eine „deutlich bessere Sichtbarkeit“ zu geben, da Pflege(wissenschaft) oftmals nicht als eigenständiger Akteur wahrgenommen werde.
Die Abteilung zeichnet sich durch eine starke Interdisziplinarität in den Forschungsprojekten und auch im Team aus, um so eine fachübergeifende Perspektive auf Forschungs- und Versorgungsprozesse einnehmen zu können. Eine internationale Ausrichtung ist ebenfalls ein wesentliches Kennzeichen – neben der Durchführung international ausgerichteter Forschungsprojekte beherbergt die Abteilung auch regelmäßig Gastwissenschaftler* aus aller Welt. Explizit hingewiesen sei auch auf den Masterstudiengang „Community Health Care and Nursing: Versorgungsforschung und Versorgungsplanung“, der von der Abteilung maßgeblich mitverantwortet wird. <<

Ausgabe 02 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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