„Leistungsfähige Forschungsdateninfrastruktur“
>> In seinen Empfehlungen fordert der Sachverständigenrat nahezu dazu auf, die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland „neu und anders zu diskutieren“ als bislang. In der Corona-Krise, so die Argumentation des Rats*, sei erneut deutlich geworden, dass die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur in einem Abwägungsverhältnis mit dem Leben und der Gesundheit anderer, sondern auch mit Erziehung und Bildung sowie mit dem Kultur- und Arbeitsleben als den ideellen und materiellen Grundlagen des menschlichen Miteinanders steht. Daher müsse die Diskussion in Politik und Gesellschaft, in den Wissenschaften und im Gesundheitssystem geführt werden und dabei alle „potenziell betroffenen Normen in den Blick“ nehmen und sie in ein ebenso „wert- wie praxisorientiertes Verhältnis zueinander“ bringen.
Insbesondere der Datenschutz – so eine weitere Empfehlung des SVR – müsse „neu gedacht“ werden. Die alte Maxime der unbedingten Datensparsamkeit sei von der Realität, etwa durch die Entwicklungen im Bereich des „Maschinellen Lernens/künstlicher Intelligenz (KI)“ überholt.
In diesem Kontext, so gibt der „Wissenschaftliche Beirat für Digitale Transformation“** der AOK Nordost zu bedenken, sollte der Mythos ausgeräumt werden, „der Datenschutz“ sei schuld – unter anderem an den Defiziten der Pandemiebekämpfung, wie es das Gutachten „Digitalisierung in Deutschland“ im Kapitel „Lehren aus der Corona-Krise“ nahelege. Richtig sei vielmehr, dass die DSGVO „ausreichende Rechtfertigungsmöglichkeiten zur Verarbeitung personenbezogener Daten“ bietet. Richtig sei aber auch, dass die Praxis mancher Datenschutzaufsichtsbehörden wenig hilfreich sei, zum Beispiel wenn sie den Einsatz digitaler Tools zur Erleichterung der Pandemiefolgen kritisieren und mit Sanktionen drohen, jedoch weder zumutbare Alternativen aufzeigen noch situationsangemessene Interessenabwägungen vornehmen.
Genau zu solchen und obendrein „empfindlichen“ strafrechtlichen Sanktionen rät wiederum der SVR. Und zwar für jene, die die von der Rechts- und Solidargemeinschaft gezogenen Grenzen zu überschreiten versuchen oder gar übertreten. Nur so könne Datensicherheit die „neue Norm“ werden, denn diese wäre „weniger eine rechtliche als eine technische und menschliche Herausforderung“.
Ähnlicher Meinung sind die beiden Räte beim Thema der Datenverfügbarkeit. So regt der AOK-Nordost-Rat ein „parteiübergreifendes Bekenntnis zu einer priorisierenden To-do-Liste“ jener Digitalisierungsprojekte
an, die noch im Jahr 2021 verwirklicht wer-
den müssen, um weitere pandemiebedingte Grundrechtseingriffe zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren. Es bedürfe einer besseren Datenbasis zu allen relevanten Faktoren im Infektionsgeschehen und dessen Auswirkungen in allen wesentlichen Sektoren, der Vernetzung von Erkenntnissen und der wissenschaftlich fundierten Interpretation und Nutzung der Daten für angemessenere, zielgerichtetere Maßnahmen der Pandemiebekämpfung. Auch dem stehe die DSGVO bei „konstruktiver Auslegung und Anwendung“ nicht entgegen, auch da die Datenstrategie der Bundesregierung für eine solche „gemeinwohlorientierte Datennutzung die Weichen gestellt“ habe. Diese gelte es nun zielgerichtet und zügig umzusetzen, zum Beispiel durch ein „planvolles, vorausschauendes und verhältnismäßiges“ Vorgehen mit einem hohen Grad an Innovationsoffenheit und Bereitschaft zu situationsgemäßen Anpassungen von Gesetzen, Prozessen und Methoden.
Der SVR rät hier zu einer „leistungsfähi-
gen Forschungsdateninfrastruktur für Ge-
sundheitsdaten“, das ein dynamisch lernen-
des Gesundheitssys-
tem ermöglicht, das
die individuell beste
Behandlung und eine
effiziente Ressourcenallokation innerhalb des Systems zum Ziel habe. Der SVR schreibt dazu: „Ein verantwortlicher Umgang mit Gesundheitsdaten beinhaltet ein ganzheitliches Verständnis des Datenschutzes: nicht nur als Abwehrrecht, sondern als Teil des Patientenschutzes.“ Dieses Verständnis sollte die „adäquate Verarbeitung“ gesundheitsrelevanter Daten als einen grundsätzlichen Anspruch jedes und jeder Einzelnen im Sinne einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung begreifen. Dies schließe nach Ansicht des SVR ausdrücklich die „Förderung wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns“ zur Verbesserung von Gesundheitsförderung und Patientenversorgung ein.
Ebenso gelte es, im Sinne des Patientenwohls bei der Erschließung neuer Datenbestände die Risiken der Datennutzung zu minimieren, vor allem aber den „potenziellen Nutzen medizinischer Forschung zu maximieren“. Dabei müssen die potenziellen Schäden durch eine Nichtnutzung von Daten angemessen bewertet und in die Abwägung einbezogen werden. Denn: „Datenschutz sollte dem Schutz des Patienten, seines Lebens und seiner Gesundheit dienen.“
Demzufolge sollte die informationelle Selbstbestimmung des Patienten nicht länger „allein als Schutz personenbezogener Daten“ verstanden werden. Datenschutz dürfe dem Anrecht jedes Versicherten auf eine adäquate Verarbeitung seiner Gesundheitsdaten zum Zweck der „bestmöglichen Behandlung und der Verbesserung des Gesundheitssystems sowie zum Zweck einer die Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung verbessernden Forschung“ nicht entgegenstehen. Hier rät der Sachverständigenrat, dass Datenschutz diesen Grundanspruch jedes Menschen berücksichtigen und seine Erfüllung ermöglichen müsse. <<