Verstehen und Vertrauen gleichermaßen fördern
http://doi.org/10.24945/MVF.06.22.1866-0533.2455
>> Mit dabei waren neben Thomas Kleine (Country Lead Pfizer Digital Deutschland), Friedrich-Wilhelm Leverkus (Director Health Technology Assessment & Outcomes Research, Pfizer Pharma), Dr. Alexander Schachinger (Gründer und Geschäftsführer, EPatient Analytics), Prof. Dr. rer. nat. Michael Krawczak (Direktor am Institut für Medizinische Informatik und Statistik der Christian–Albrechts-Universität zu Kiel), Paul Burggraf (Mitgründer und Geschäftsführer von Thryve) und Simone Pareigis (Leiterin der Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Halle und Initiatorin der ePatienenakte WEGA).
„Im Fokus der Debatte stehen die Aspekte der Datensicherheit und des Datenschutzes, was sich gerade wieder am Beispiel des eRezepts verdeutlicht hat“, wies Kleine auf aktuelle Geschehnisse hin, die dazu führten, dass die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), den eRezept-Rollout vorerst ausgesetzt hat. Dem zuvor gegan-
gen war eine Entscheidung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit, der bei der Übertragung des eRezepts den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) abgelehnt hatte.
„Dabei weist doch die Frage nach dem Umgang zukünftiger Nutzung von Gesundheitsdaten einen Gemeinwohlaspekt auf“, zeigt sich Kleine erstaunt über den Vorgang. Er erklärt das damit, dass es jedem klar sein müsse, dass das große Potenzial der Gesundheitsdaten für Wissenschaft und Forschung nur dann wirklich umfassend gehoben werden könne, wenn möglichst viele Daten von gesunden wie kranken Menschen vernetzt, verglichen und ausgewertet werden. Kleine: „Wenn wir alle unsere Daten unter den Regeln des Datenschutzes zur Verfügung stellten, würden wir alle davon profitieren, denn ohne Daten gibt es keinen medizinischen Fortschritt.“ Darum müsse man sich ganz dringend darüber unterhalten, wie der Gemeinwohlaspekt stärker in die öffentliche Diskussion eingebracht werden kann. Dazu sei es nötig, so Kleine weiter, das „Verstehen und das Vertrauen gleichermaßen“ zu fördern, denn „diese beiden Elemente sind für die Motivation des Einzelnen absolut zentral und unerlässlich“.
„Gesundheitsdaten bringen die Forschung und Innovation nach vorne“, setzte Leverkus hinzu. Entlang der Patientenjourney, beginnend mit Prävention über Wearables, Screening, Diagnostik, Therapie & Nachsorge bis hin zur Abrechnung bei den Krankenkassen würden überall jede Menge Daten anfallen. Wobei, so Leverkus, die Versorgungsforschung die Hoffnung habe, dass möglichst alle Daten in der ePA verfügbar seien, womit eine ganz andere Datenqualität und ein ganz neuer Datenkranz entstehe, mit denen ganz neue Aussagen getroffen werden könnten. Dies machte er am Beispiel Vorhofflimmern fest. Mit Hilfe von Kassendaten konnte Pfizer Risikofaktoren des Vorhofflimmerns identifizieren und einen Algorithmus entwickeln, der für jede einzelne Patient:in die Wahrscheinlichkeit errechnen kann, ob bei ihr ein Vorhofflimmern auftreten kann. Obwohl in Abrechnungsdaten keine Untersuchungswerte, Laborparameter und Biomarker enthalten sind, konnte für Vorhofflimmern ein Screeningtool entwickelt werden, um mit einem derartigen Screeningtool ein „datenbasiertes medizinisches Handeln“ zu ermöglichen. Das Tool könne nun in Arztinformationssoftwares implementiert werden, so dass der Arzt am Point of Care im-mer dann aufmerksam gemacht werden könne, wenn bei einem bestimmten Patienten eine weiterführende Dia-
gnose angebracht wäre: Datenteilen könne Leben retten und Gesundheit verbessern“
Nach diesen beiden Impulsvorträgen und einem weiteren von Schachinger, der ausgewählte Ergebnisse des letzten Selftrackingreports (Juni 2022) seines Unternehmens vorstellte, diskutierten Krawczak, Burggraf und Pareigis vor allen Dingen einen, wenn nicht gar den wichtigsten Punkt der Datenverfügbarkeit qua Datenspende: den Consent. Es trafen recht unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Während Pareigis sich auf den Standunkt stellte, dass es „für uns als Patient:innen am allerwichtigsten“ sei, dass „wir Herr unserer eigenen Daten bleiben“, verwies Burggraf darauf, dass man den Consent „sehr fluide“ gestalten könne, sobald man das nötige Vertrauen geschaffen habe, weil seiner Erfahrung nach dann kaum Teilnehmer von der Möglichkeit Gebrauch machen würden. Krawczak hingegen hielt dagegen, dass es in der Praxis nicht umzusetzen wäre, wenn Patient:innen „nach Gusto entscheiden, wer
mit ihren Daten was machen kann und was nicht“. Man werde keine Dateninfrastruktur für die Forschung aufsetzen können, wenn die Verfügungsgewalt über die Daten anderswohin delegiert würden. Sinnvoller sei es, eine Datengovernance zu schaffen, die es erlaube, eine vernünftige Wissenschaft damit betreiben zu können, die aber auch den Interessen der Betroffenen Rechnung trage. Hierzu sollte es Sachwalter der Patienten-Interessen geben, ähnlich wie bei Ethikkommissionen. <<
von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier
Zitationshinweis
Stegmaier, P.: „Verstehen und Vertrauen gleichermaßen fördern“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (06/22), S. 20. http://doi.org/10.24945/MVF.06.22.1866-0533.2455