„Ein wichtiger Impuls für die deutsche Krankenhausplanung“
http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2372
>> Herr Minister Laumann, im September letzten Jahres sagten Sie beim Gesundheitskongress des Westens, dass der neue Krankenhausplan „wohl nicht die schlechteste Idee gewesen“ sei, was schon das höchste Lob eines Westfalen wäre. Sind Sie jetzt sogar der Ansicht, dass er vielleicht die Idee des Jahrhunderts ist?
Da stapeln wir noch lieber ein bisschen tiefer. Es geht weniger um die Qualität der Idee, als um die schiere Notwendigkeit: Eine neue Krankenhausplanung ist notwendig, weil es de facto bisher keine Krankenhausplanung gab.
Was so nicht ganz stimmt.
Natürlich hat jedes deutsche Bundesland formal eine. Doch die hat kaum Auswirkungen auf das jeweilige Gesundheitssystem eines Landes – da war Nordrhein-Westfalen keine Ausnahme. Es ist nun einmal so, dass jeder, der ein Krankenhaus betreibt und damit im Krankenhausplan beispielsweise für Chirurgie und Innere Medizin aufgenommen ist, fast zwei Drittel aller denkbaren medizinischen Eingriffe durchführen kann, ohne das Land zu fragen. Eben deswegen haben wir einen – aus meiner Sicht – an manchen Stellen ruinösen Wettbewerb, den wir künftig verhindern müssen. Zudem ist es eine vernünftige und für alle in unserem Land lebenden Menschen wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ein jedes Krankenhaus, das eine medizinische Leistung anbietet, dies in einer Struktur tut, die dafür geeignet ist, diese Leistung in der bestmöglichen Qualität anzubieten. Dafür braucht man jedoch nicht nur Strukturen, sondern auch gut ausgebildetes Fachpersonal und die nötigen Fallzahlen.
Wobei es nicht alles überall gibt.
Eben. Wir wissen aufgrund des Gutachtens (1) aus dem Jahre 2019, das dem neuen Krankenhausplan
des Landes NRW (2) zu Grunde liegt, dass wir in vielen Bereichen eine ungünstige Leistungsverteilung haben: Wenige Krankenhäuser erbringen viele Leistungen – also hohe Fallzahlen – und zu viele Krankenhäuser erbringen wenige Leistungen, also geringere Fallzahlen, als das für das Wohl der Patientinnen und Patienten sinnvoll ist. Alleine schon deswegen ist es eine gute Idee, als Grundlage von Planungsverhandlungen Leistungsgruppen und -bereiche zu bilden. Diesen Ansatz hat übrigens auch die derzeitige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aufgenommen, was auch ein klares Signal der Bestätigung für das ist, was wir in Nordrhein-Westfalen erarbeitet haben.
Sind Sie davon überzeugt, dass das richtig ist?
Sicher. Sonst würden wir es nicht tun. Wichtig ist das, was wir damit erreichen wollen: Der neue Krankenhausplan ist ausdrücklich ein Programm zur Krankenhausstärkung, ein Programm, das die Krankenhäuser dazu bringen soll, sich in den Regionen zusammenzusetzen und untereinander abzusprechen, wer was am besten macht. Unser erklärtes Ziel ist es, dass künftig nicht mehr jedes Krankenhaus alles macht, sondern sich auf das konzentriert, was es individuell am besten kann. Das wird den Wettkampf um Ressourcen, der alle sehr viel Geld und Personal gekostet hat, in eine vernünftige Struktur überführen.
Bisher basiert der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern auf schier ökonomischen Zwängen.
Das hat die Vorgängerregierung regelrecht befeuert, indem sie dem ruinösen Wettbewerb tatenlos zugesehen hat. Mit dem Effekt, dass bisher Krankenhausschließungen ohne jeglichen staatlichen Einfluss und ohne jegliche strukturell-strategische Basis geschehen. Das sehen wir etwa auch bei der Schließung von Kreißsälen: Auch hier laufen die Dinge immer wieder an der Krankenhausplanung vorbei.
Im neuen Krankenhausplan gibt es 32 Leistungsbereiche, 64 Leistungsgruppen und vier Planungsebenen, wobei die Planungsebenen nicht identisch sind, sondern je Indikation unterschiedlich gefasst sind. Das heißt: Es wird für jedes einzelne Haus eine sehr große Herausforderung sein, sich mit seinen eigenen Leistungsbereichen und den aller Wettbewerber, die es gar nicht kennt, auseinanderzusetzen, um auf dieser Basis in ein Gespräch zu treten und sich dann auch noch zu einer Lösung durchzuringen.
Diese Auseinandersetzung ist herausfordernd, aber notwendig. Wir geben die Spielregeln vor und die Leistungserbringer haben diese auch akzeptiert. Auf dieser Basis werden die Krankenhäuser in der Region zuerst mit den regionalen Krankenkassen reden. Im zweiten Schritt übernimmt die Planungsbehörde die Verfahrensleitung. Die Planung wird also in einer Art Bottom-Up-Ansatz umgesetzt.
Wie lange haben Sie dafür Zeit?
Für diese erste Phase sind sechs Monate vorgesehen, wobei das gerade durch Corona nicht in Stein gemeißelt ist. Dennoch denke ich, dass wir auch in dieser Zeit erleben werden, dass sich in diesem Prozess relativ schnell klärt, welche sinnvollen und richtigen Lösungen es geben wird. Einiges wird man sicher einvernehmlich zwischen den Krankenhäusern und den Kostenträgern besprechen können, anderes nicht. Dann ist es gut, dass es am Ende eine Behörde gibt, die entscheiden kann und das auch tun wird.
Es wird jedoch sicherlich auch so sein, dass bestimmten Dingen ein Krankenhausgeschäftsführer nicht freiwillig wird zustimmen wollen, selbst wenn er weiß, dass es richtig und vielleicht auf Dauer gar nicht schlecht für sein Krankenhaus ist.
Das ist vermutlich so. Darum wird im Zweifel letztlich die Behörde entscheiden müssen. Doch glaube ich, dass wir im Großen und Ganzen Lösungen finden werden, mit denen viele ganz gut werden leben können – vielleicht sogar besser als bisher, weil dann der ineffektive Konkurrenzkampf nicht mehr in dem Maße wie bisher stattfinden wird.
Politisch betrachtet delegieren Sie die Planung auf die untere Ebene und sagen, einigt euch.
Das ist ja zunächst einmal auch richtig. Es ist gut, dass man den Beteiligten vor Ort zunächst einmal die Chance gibt, selber zu guten Lösungen zu kommen. Am Ende hat aber das Ministerium die Ergebnisse der Planung politisch zu vertreten und deshalb auch zu entscheiden.
Nun haben wir in Nordrhein-Westfalen anders als in vielen anderen Bundesländern eine Krankenhausstruktur, die zu etwa zwei Dritteln von kirchlichen Krankenhäusern geprägt ist.
Von diesen zwei Dritteln sind wiederum ungefähr zwei Drittel katholisch, ein Drittel evangelisch, wobei die kirchlichen Krankenhäuser in der Regel die kleineren und mittleren Krankenhäuser stellen. Große Krankenhäuser sind eher in kommunaler Trägerschaft, die ganz großen sind Universitätskrankenhäuser. Dazu kommen einige private Träger, die bei uns im Land zwar auch eine Rolle spielen, aber keine so große. Ich will über diese Reform in Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass wir einen starken, gemeinnützigen Teil der hier tätigen Krankenhäuser behalten. Ich sehe doch, welche Krankenhäuser in den letzten Jahren vom Netz gegangen sind und wer sie übernommen hat. Auch sind in den letzten Jahren kommunale Krankenhäuser ganz aufgegeben worden, weil die Kommunen nicht mehr in der Lage waren, ihre Krankenhäuser zu finanzieren. Dann waren sie froh, wenn andere Betreiber kamen und eigene Häuser aufgemacht haben. Das ist aber ohne Planung und Strukturierung durch das Land so gelaufen. Ich sage ganz deutlich, dass ich in NRW weiterhin auf die Trägervielfalt setze. Ich will keine Krankenhausstruktur wie im norddeutschen Raum haben, in dem die Privaten in der Mehrzahl sind.
Ist denn da die Versorgung schlechter?
Ich weiß nicht, ob sie besser oder schlechter ist. Ich weiß nur, dass ich hier bei uns gerne die Trägervielfalt erhalten will.
Wird die neue Krankenhausplanung nicht einige überfordern?
In NRW gibt es das solitäre Krankenhaus selbst im kleineren und mittleren Bereich kaum noch. Viele agieren schon jetzt in Verbünden, die schon seit Jahren dabei sind, genau darauf zu schauen, für welches Krankenhaus sie sich stark machen, wo es Zukunftskrankenhäuser gibt und solche, die eine hohe Qualität abliefern, von der ein Haus auskömmlich leben kann. Das bedeutet, dass sich diese Krankenhausverbünde, seitdem wir uns mit dem ersten Gedanken befasst haben, einen neuen Krankhausplan aufzulegen, schon längst mit den Vorüberlegungen befasst haben.
Meinen Sie, dass alle schon so weit sind?
Alle können den Plan lesen, dem zudem ein langer Abstimmungsprozess vorangegangen ist.
Bei den Klinikverbünden werden Sie sicherlich recht haben, dass deren Wissen über ihre 21er-Daten strukturiert wesentlich höher gelagert sein wird als in einzelnen kleinen Krankenhäusern.
Wobei es, wie ich bereits ausführte, das einzelne solitäre Krankenhaus kaum noch gibt. Und für diese ist eine Schar von Beratern unterwegs. Von daher wird kein Krankenhausgeschäftsführer Riesenprobleme haben, um sich zu überlegen, wo seine Stärken und Schwächen sind und wie er sein Krankenhaus für die Zukunft aufstellen muss. Uns geht es darum, die stationäre Versorgung so aufzustellen, dass es künftig eine sinnvolle, effiziente und hochqualitative Aufgabenteilung gibt. Jeder, der künftig in einem Leistungsfeld tätig ist, soll ein starker Leistungspartner sein, der sich aber auch sicher sein kann, dass ihm sein Nachbar keine unvernünftige Konkurrenz macht.
Wie lautet Ihr oberstes politisches Ziel, Herr Minister Laumann?
Ich mache das, um eine höhere Qualität in die breite Versorgung zu bekommen.
Das ist das oberste Ziel?
Ja.
Das heißt doch aber auch, dass wir irgendwann von einer leistungsorientierten zu einer outcome- und werteorientierten Bezahlung kommen sollten, was Sie auf Landesebene gar nicht beeinflussen können.
Auch dazu gibt es bereits durchaus Überlegungen in Berlin. Ebenso sind die DRGs bereits etwas verändert worden, so wie man zum Beispiel die Pflege aus den DRGs herausgenommen hat. So etwas wäre noch vor fünf oder zehn Jahren gar nicht denkbar gewesen.
Sind Sie der Meinung, dass Ärzt:innen und Pflegende den Wanderungsweg von einem Krankenhaus zum nächsten mitmachen werden, wenn bestimmte Leistungen bei dem einen nicht mehr angeboten werden?
Schon heute entwickeln Krankenhäuser permanent ihre Leistungsschwerpunkte fort. Und noch einmal: Es geht uns um eine sinnvolle Weiterentwicklung des Leistungsspektrums. Es geht zum Beispiel um die Frage, welches Leistungsspektrum eine chirurgische Abteilung anbietet. Wenn ein Krankenhaus zum Beispiel bisher nur sporadisch spezielle große Operationen am Darm oder an der Leber gemacht hat, wird es das in Zukunft unter den Rahmenbedingungen des neuen Krankenhausplans bestimmt nicht mehr machen. Das heißt aber doch nicht, dass deswegen Heerscharen von Personal von einem Krankenhaus ins andere ziehen werden. Krankenhäuser werden in NRW künftig da ihre Leistungsschwerpunkte aufbauen, in denen sie bereits heute stark sind und demzufolge auch Personal dazugewinnen können, statt sich einem teilweise ziemlich kontraproduktiven Wettbewerb auszusetzen. Es wird allen helfen, wenn die Strukturen klarer benannt sind und deutlicher wird, wo der Schwerpunkt eines Krankenhauses zu verorten ist – damit kann man gutes Personal gewinnen und halten. Einfach schon deshalb, weil doch jeder am Ende lieber bei einem Arbeitgeber arbeiten möchte, von dem er weiß, dass das, was dort gemacht wird, auch gut und vernünftig funktioniert.
Das alles wird Geld kosten.
Man kann keinen Krankenhausplan ohne Geld machen. Die Krankenhausgesellschaft hat bereits gesagt, dass sie dafür rund 200 Millionen Euro pro Jahr benötigt. Nicht vergessen sollten wir, dass wir den Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen in dieser Wahlperiode schon zwei Milliarden Euro mehr gegeben haben als in der Wahlperiode vorher. Ich habe mich stark dafür eingesetzt, die bisherigen Haushaltsmittel mächtig nach oben zu drücken. Das wird auch in der nächsten Wahlperiode meine Hauptaufgabe sein, falls ich das noch in der Hand haben sollte. Ganz einfach, weil man finanzielle Ressourcen braucht, wenn man so etwas macht. Wobei uns, dass muss man fairerweise auch dazu sagen, der Bundesstrukturfonds hilft, weil über den Fonds zu jedem Euro, den das Land und der Krankenhausträger ausgeben, ein weiterer vom Bund kommt. Das ist ein sehr hilfreicher Ansatz.
Demnach ist die politische Bereitschaft und Erkenntnis vorhanden, dass Qualität auch Geld kostet.
Für die Umsetzung des neuen Krankenhausplans sind zusätzliche Mittel erforderlich. Langfristig wird der neue Plan die Versorgung aber nicht teurer machen. Ich sage es mal so: Das Ziel muss sein, dass durch unsere Planungen der ruinöse Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander beendet wird. Das wird für alle auf längere Sicht viel Geld sparen.
Ist Ihr Ziel kein oder weniger Wettbewerb?
Das ist doch nicht die entscheidende Frage. Es wird keine sozialistische Krankenhausplanung geben. Genauso darf auf der anderen Seite Wettbewerb kein Selbstzweck sein. Es gibt nicht nur schwarz und weiß. Ich will einen geordneten, normalen Wettbewerb, aber eben keinen ruinösen, der an ein paar Stellen auch in Nordrhein-Westfalen durchaus zu sehen ist.
Das Vorhaben ist ambitioniert, auch wenn das, was in Ihrem 400-Seiten starken Plan steht, hochkomplex ist.
Das muss so sein, weil es ein ganz neuer Ansatz von Planung ist. Ein Krankenhausplan, der ernsthaft gestalten will, muss eine gewisse Komplexität aufweisen, weil sonst die Realität der Versorgung nicht fassbar ist. Wir brauchen dazu eine gewisse Spezialisierung und Feingliedrigkeit und mussten genau darauf achten, wo wir diese brauchen und wo nicht, damit das Ganze nicht überkomplex wird. Das war auch ein Lernprozess für uns: Denn das uns vorliegende Gutachten hatte eine Art Hundertprozentansatz, der alles komplett mit Abrechnungs-Codes durchplanen wollte. Nach eingehender Prüfung sind wir dazu übergegangen, das nicht zu machen, sondern differenzierter in die steuerungsrelevanten Bereiche einzugreifen. In anderen Bereichen müssen wir uns nicht mit staatlicher Planung nur um der Planung willen verheben. Von daher glaube ich, dass der neue Plan ein insgesamt beherrschbares System ist, mit dem wir alle werden umgehen können.
Besser als mit dem bisherigen Ansatz?
Die bisherige Planung über die Bettenzahl war doch eine Farce! Da streiten gut verdienende Krankenhaus- und Kassenmanager jahrelang in vielen Konferenzen darum, ob beispielsweise drei Betten in der Chirurgie und fünf Betten in der Neurologie für teuer Steuergeld abgebaut werden, obwohl sie ganz genau wissen, dass das Bett an sich gar keine Rolle spielt. Das wurde wirklich langsam ein bisschen lächerlich. Dass es in Zeiten, in dem wir seit langem diagnosebezogene Fallpauschalen haben, das Bett immer noch als einzige Planungsgrundlage herhalten musste, war schon lange neben der Kappe.
Neben der Kappe ist auch, dass stationäre und ambulante Planung nicht zusammengedacht werden.
Man kann sich natürlich auch übernehmen und wird nie fertig. Darum beginnen wir mit dem ersten Schritt und machen beizeiten den zweiten. Es ist doch schon ein ganz großer Schritt, dass wir die Grundzüge des neuen Krankenhausplans in NRW mit der Krankenhausgesellschaft und mit den Krankenkassen streitfrei gestellt haben. Es ist sehr viel Wert, wenn man sich über die Grundzüge und Grundsätze einig ist. Wenn wir den neuen Rahmenplan in Kraft setzen, wird sich dieser Schritt für Schritt weiterentwickeln. Wobei das ein länger andauernder, sehr dynamischer Schritt-für-Schritt-Prozess sein wird, der meiner Meinung nach selbst in einer Wahlperiode nicht ganz abgeschlossen sein wird.
Dann bleibt zu hoffen, dass die nächste Regierung genauso denkt.
Das ist Demokratie. Der Plan wird jetzt von einer Landesregierung auf den Weg gebracht, die von CDU und FDP getragen wird. Die Grünen haben sich nach meiner Wahrnehmung bisher ziemlich konstruktiv zu diesem Vorhaben geäußert. Nur die Landes-SPD stellt sich bisher so auf, dass sie es nicht will, wobei das keine fachlichen, sondern nur wahltaktische Gründe hat. Es wäre natürlich schon schön, wenn wir es noch ein paar Jahre in der Hand hätten, auch weil wir schon viel weiter wären, wenn uns Corona nicht dazwischengekommen wäre. Das gilt auch für die nähere Zukunft.
Hat Corona trotz allem Tragischen auch sein Gutes?
Corona hat die Gesellschaft bezüglich des Volumens und des Werts des Krankenhausbereichs sensibilisiert. Ich glaube nicht, dass heutzutage noch irgendwer durch die Gegend läuft und sagt, wir müssten unser Ge-
sundheitssystem auf Kante nähen. Jeder, der heute die Krankenhausstruktur in Nordrhein-Westfalen betrachtet, muss doch ehrlich sagen: Der Laumann hat wohl recht.
Auch in NRW gibt es durchaus ländliche Gebiete, die unterversorgt sind.
Aber selbst in ländlichen Gebieten ist bisher schon viel passiert, was woanders noch ansteht. Immer stellt sich dabei eine Frage: Was machen wir mit kleinen Krankenhäusern? Ich sage: Wir brauchen auf jeden Fall einen Ausbau der Geriatrie, wofür sich auch kleinere Häuser gut eignen, weil sich besonders ältere Menschen in etwas überschaubareren Strukturen wohler fühlen. Kleine Häuser zu schließen, ist nicht mein Ansatz. So etwas sagen manche Berater zwar recht schnell, doch sollte man schon dreimal überlegen, was man da tut: Jedes Haus hat seine Geschichte und seine Bedeutung für ein Dorf, eine Stadt oder Region.
Und einen hohen Identifikationsfaktor.
Ein Krankenhaus ist eben weit mehr als nur eine Immobilie. Ich bin zu lange in der Politik, um das nicht zu wissen. Ich habe in meinem Wahlkreis bei einer Krankenhausschließung Demonstrationen für den Erhalt dieses einen Hauses erlebt, bei dem Menschen auf die Straße gegangen sind, von denen man genau wusste, dass sie selbst nie in dieses Krankenhaus gegangen wären. Doch darum geht es den Menschen gar nicht, es geht um Identifikation und auch um Verlust.
Das kann man jenseits der ebenso wichtigen Qualitätsdebatte sicher nachvollziehen. Nun gibt es in Ihrem Krankenhausplan den Satz, dass Sie in jedem Planungsgebiet mindestens einen Versorger haben wollen. Dabei gibt es jetzt schon Planungsgebiete in einigen Leistungsbereichen, in denen es keinen gibt.
Das mag bei ganz spezialisierten Leistungen stimmen. Doch haben wir schon sehr genau darauf geachtet, dass jede wichtige Leistungsgruppe die zu ihr passende regionale Bezugsgröße hat.
Die Grundversorgung wird auf Landkreis-Ebene geplant, beispielsweise die Geburtshilfe und interventionelle Kardiologie auf Basis von Versorgungsgebieten, zum Beispiel die Viszeral- und Thoraxchirurgie auf Regierungsgebiets-Ebene und die Transplantation auf Landesteilebene, das wären Rheinland und Lippe.
Genau darum wird es auf jeder Planungsebene mindestens ein Versorgungsangebot geben. So wie wir das auch mit Hilfe der Gutachter eingeschätzt haben, werden wir aber auch keine neuen Krankenhäuser bauen müssen. Und natürlich wird es viele Regionen geben, in denen es mehr als ein Versorgungsangebot für eine Leistungsgruppe gibt. Was auch richtig und mit Augenmaß gemacht ist, denn ansonsten würde man den Bürgern ja die Wahlmöglichkeiten nehmen.
Im Gutachten finden sich ein interessantes Chart mit den Qualitätsdimensionen, die zur Krankenhausplanung geeignet sind und welche nicht. Hinter der Struktur- und Prozessqualität sowie der Mindestmenge findet sich ein Haken, nur hinter Service- und Ergebnisqualität nicht. Okay, dass ein Planungsfaktor nicht sein kann, wie gut das Mittagessen ist, ist eingängig, aber der Outcome?
Wir würden gerne mit der Ergebnisqualität planen. Doch ist es bisher schlicht und ergreifend noch niemanden gelungen, Ergebnisqualitätsparameter so zu definieren, dass man sie sinnvoll und justiziabel für die Planung einsetzen könnte. In der Pflegeversicherung sind wir da schon weiter und bauen die neue Qualitätsbeurteilung auf Ergebnisindikatoren auf. Hierfür habe ich mich bereits als früherer Pflegebeauftragter der Bundesregierung (Anm. der Red.: s. Interview MVF 01/15) stark gemacht. Leider ist die Umsetzung des neuen Qualitätsbeurteilungsverfahrens pandemiebedingt ins Stocken geraten. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.
Auch das IQTiG hat den Auftrag, für die Länder Qualitätsparameter zu definieren.
Nur ist dabei bisher so gut wie nichts Verwertbares herausgekommen. Das zeigt doch, wie schwierig das Thema ist. Im Übrigen ist Krankenhausplanung vom Ansatz her eine Strukturplanung, weshalb es richtig ist, sich im Wesentlichen auf die Strukturqualität zu konzentrieren.
Nun geht ein halbes Jahr ins Land, die Manager vieler Häuser haben miteinander gesprochen, viele Planungskonferenzen mit den im Land tätigen Kassen sind durchgelaufen und dann einigen sich einige doch nicht. Was machen Sie dann?
Wir werden den Planungsprozess von Beginn an viel enger begleiten, als es in der Vergangenheit üblich war.
In der Vergangenheit war das sicher eine Zeit, in der sich vorwiegend Juristen der Häuser gegenseitig Schriftstücke zugesendet haben.
Und am Ende ist man nicht weitergekommen. Darum werden wir diesen Prozess von Anfang an viel engmaschiger begleiten.
Haben Sie die Übersicht der 21er Daten? Dürfen Sie diese wegen des Wettbewerbsrechts überhaupt nutzen?
Diese Daten haben wir und dürfen sie natürlich auch nutzen. Wem wir welche Daten zeigen dürfen, ist eine andere Frage. Doch wird mehr Transparenz möglich sein als bisher. Das haben wir schon bei der Erarbeitung der Rahmenvorgaben gesehen. Auch können sich Menschen, die auf Augenhöhe zusammensitzen und das Ganze auf einer aussagefähigen Datenebene fachlich besprechen, irgendwann ganz bestimmten Erkenntnissen nicht mehr verschließen. Zumindest wird für alle erkennbar, wo die sachlich richtigen Lösungen liegen.
Und wenn nicht?
Dann wird die Planungsbehörde Entscheidungen treffen. Dass sie letztlich entscheiden muss und wird, ist völlig klar. Dass die Gespräche nicht immer einfach sein werden, ist ebenso völlig klar. Aber wir machen uns gern und entschieden auf diesen Weg.
Wie wollen Sie den Prozess befördern?
Wir werden die Moderation übernehmen, das aber nur dort, wo es nötig wird. Es gibt auch Regionen, in der es schon jetzt entsprechende Kooperationen oder Gesprächsformate mit gemeinsamen Zielen und klarer Aufgabenteilung gibt. Doch kennen wir auch einige Regionen, von denen wir sehr genau wissen, dass es wohl eher schwierig wird.
Sie sind politisch ein alter Hase. Meinen Sie, dass Sie den neuen Krankenhausplan wirklich durchbekommen werden?
Ja, das ist mein klares Ziel.
Könnte Ihr Plan eine Blaupause für alle anderen deutschen Bundesländer sein?
Was wir tun, tun wir für Nordrhein-Westfalen. Jedes Bundesland muss seinen Weg gehen. Ich stelle aber fest, dass es auch außerhalb von Nordrhein-Westfalen großes Interesse an dem gibt, was hier jetzt geschieht. Wenn wir den Plan bei uns in Nordrhein-Westfalen umsetzen, wird das sicher für die Krankenhausplanung in ganz Deutschland ein wichtiger Impuls sein.
Sie sagten auf dem letzten Gesundheitskongress des Westens, dass es durchaus die Gefahr gäbe, dass irgendwann der G-BA die regionale Planung an sich ziehen könnte.
Der Bund wird sich das nicht mehr ewig anschauen, so wie es derzeit läuft. Wenn man auf dem Berliner Pflaster unterwegs ist, erkennt man doch ganz deutlich, dass in der Bundespolitik, dem G-BA und dem Spitzenverband der Krankenkassen das Vertrauen in die Landes-Krankenhauspolitik nicht besonders ausgeprägt ist.
Was vielleicht kein Wunder ist, weil es bislang auch nicht so richtig funktioniert hat.
Für NRW muss ich konstatieren, dass dieses Land seit vielen Jahren keine richtige Krankenhausplanung gehabt hat. Zwar hat jede Regierung immer wieder Krankenhauspläne aufgestellt, die aber in der Umsetzung letztlich sehr blass geblieben sind.
Wie sieht Ihre Zeitachse aus?
Derzeit liegt der Plan beim Gesundheitsausschuss des Landtages. Dieser Ausschuss muss nicht zustimmen, wird aber angehört. Er hat inzwischen eine Sachverständigenanhörung durchgeführt und wird diese Anhörung in einer seiner nächsten Sitzungen auswerten. Die Ergebnisse sind für uns im Ministerium natürlich relevant und werden sorgfältig bewertet. Nach Ende des parlamentarischen Verfahrens kann ich den Plan in Kraft setzen, worauf die konkreten regionalen Planungen ab März oder April starten können. Sicher werden wir auch weiterhin die Coronalage berücksichtigen müssen. Auch hier gilt der Satz: „Segel flickt man nicht im Sturm“. Die Planungsverfahren beginnen mit einer Phase, in der zunächst die Krankenhäuser und die Krankenkassen in der Region verhandeln. Nach sechs Monaten geht die Verhandlungsführung auf die Planungsbehörde über. Alles in allem rechne ich mit einem Jahr, um erste konkrete Ergebnisse zu sehen. Das wäre im Vergleich zu allem, was es bisher in Nordrhein-Westfalen gegeben hat, schon sehr schnell, weil bisher Planungsverfahren zum Teil drei bis fünf Jahre gedauert haben. Es wird sicher nicht überall gleich sein. Es wird Regionen geben, in denen es schneller geht und solche, die etwas mehr Zeit brauchen werden. Doch das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen wollen.
In fünf Jahren blicken Sie zurück auf heute: Was wird man sagen? Das war ein großer Wurf?
Ich glaube fest daran, dass das eine Krankenhausplanung ist, die diesen Namen verdient. In spätestens fünf Jahren wird deutlich sein, dass wir damit bessere Strukturen erreichen, die zu einer Qualitätssteigerung in der Versorgung führen.
Der zweite große Wurf wäre dann eine sektorenübergreifende Versorgung und eine gemeinsame ambulant-stationäre Planung?
Wäre schön. Ich bin im Jahr 1990 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gekommen und schon damals wurde unter Gesundheitsminister Blüm über sektorübergreifende Versorgung ge-
sprochen. Alleine daran sieht man, dass im Gesundheitswesen Beharrungskräfte tätig sind, die sehr geübt darin sind, Sektorengrenzen zu verteidigen. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass wir hier weiterkommen. Warten will ich aber nicht darauf. Deswegen sorge ich jetzt für eine bessere Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen. <<
Herr Minister Laumann, danke für das Interview. <<
Das Gespräch führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.
Zitationshinweis:
Laumann, K.-J., Stegmaier, P.: „Ein wichtiger Impuls für die deutsche Krankenhausplanung“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (01/22), S. 30-35. http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2372
Literatur
1: Gutachten: https://broschuerenservice.mags.nrw/mags/shop/Gutachten_Krankenhauslandschaft_Nordrhein-Westfalen/1
2: Krankenhausplan NRW: https://www.landtag.nrw.de/home/der-landtag/tagesordnungen/WP17/2100/E17-2119.html
Vita
Karl-Josef Laumann
ist seit 2017 Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.
Von 1990 bis 2005 war er Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Seit 2003 ist er Vorsitzender der CDU Münsterland, seit 2004 Mitglied des Präsidiums der CDU Deutschlands und seit 2005 Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Von 2005 bis 2014 gehörte er dem Landtag Nordrhein-Westfalen an. Von 2005 bis 2010 war er hier erstmals Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, von 2010 bis 2013 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Vor der erneuten Übernahme des Ministeramts in Düsseldorf war Laumann als Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit sowie Patientenbeauftragter und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung unter anderem maßgeblich an der bislang umfassendsten Reform der Pflegeversicherung in Deutschland beteiligt.