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Ideensammlung für eine bessere Versorgung

23.03.2022 08:00
„Jenseits des Lagerdenkens“ titelte die Allianz kommunaler Krankenhäuser (AKG) ihre im September letzten Jahres gemeinsam mit dem AOK Bundesverband vorgelegten „Reformansätze für eine zukunftsfähige und qualitätsorientierte Krankenhauslandschaft“. „Gesundheit neu denken“ forderte das „Zielbild 2030“, das viele Stakeholder aus Sachsen Staatsministerin Petra Köpping (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt) Anfang Februar dieses Jahres vorlegten. Ebenso gab und gibt es derzeit so viele Reformvorschläge wie nie zuvor – wie etwa von der Barmer („Für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung“), Positionspapiere wie etwa vom GKV Spitzenverband zur („Krankenhausversorgung nach der Corona-Pandemie 2020“), Gutachten zur „Zukunft der medizinischen Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern“ (Health Care Business GmbH) und zur „Krankenhauslandschaft NRW“ (Lohfert & Lohfert), Thesenpapiere wie das vom BKK Dachverband, vdek und VUD für „eine zielgerichtete Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung“, Forderungskataloge wie „Strategiewechsel jetzt!“ der beiden Autoren Prof. Dr. Edmund A.M. Neugebauer und Dr. Dr. Klaus Piwernetz oder Einzelstellungnahmen wie etwa „Gute Gesundheitsversorgung und Pflege langfristig sichern“ von G-BA-Chef Prof. Josef Hecken. Sie alle haben eines gemein: Sie erkennen, dass die „Notwendigkeit, Veränderungen anzugehen“ (Hecken) alternativlos ist und es spätestens jetzt an der Zeit ist, unser „Gesundheitssystem neu zu denken“ (Neugebauer/Piwernetz).

http://doi.org/10.24945/MVF.02.22.1866-0533.2384

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>> Das Problem dabei ist: So vielfältig die sich zur Wort meldenden Provenienzen der Akteure, so unterschiedlich ihre Sichtweisen und demnach auch die vorgeschlagenen Ansätze und Lösungsansätze. „Monitor Versorgungsforschung“ versucht, möglichst objektiv einen Überblick zu schaffen.
„Versorgungsstrukturen optimieren und Fehlanreize für medizinisch nicht notwendige Leistungserbringungen beseitigen, um eine gute Gesundheitsversorgung und Pflege auch in Zukunft zu gewährleisten.“ Diese beiden Forderungen – so kurz sie gefasst sind, so weitreichend und komplex sind sie – stellt  Hecken nach einer kurzer Abhandlung anstehender Herausforderungen (Demografie, Multimorbidität, medizinisch-technischer Fortschritt) seinem Papier voraus, das in der Aufforderung gipfelt: „Um unnötige Doppelstrukturen zu vermeiden, ist eine koordinierte Planung und Gestaltung aller Versorgungsangebote zwingend geboten. Deshalb müssen Krankenhausplanung und ambulante Bedarfsplanung auch bei absehbar fortbestehenden unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Krankenhaus- und die ambulante vertragsärztliche Versorgung gemeinsam betrachtet und abgestimmt gestaltet werden.“
Damit hat er schon den Casus knacksus getroffen, bei dem NRW-Minister Karl-Josef  Laumann im Interview mit „Monitor Versor-gungsforschung“ dankend abwinkte, in dem er zur Frage der allenthalben fehlenden sektorenübergreifenden Versorgung und gemeinsamen ambulant-stationären Planung zu Protokoll gab: „Wäre schön. Ich bin im Jahr 1990 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gekommen und schon damals wurde unter Gesundheitsminister Blüm über sektorübergreifende Versorgung gesprochen. Alleine daran sieht man, dass im Gesundheitswesen Beharrungskräfte tätig sind, die sehr geübt darin sind, Sektorengrenzen zu verteidigen. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass wir hier weiterkommen. Warten will ich aber nicht darauf. Deswegen sorge ich jetzt für eine bessere Krankenhausplanung in Nord-rhein-Westfalen.“
Hecken sorgt sich derweil, wie die regionale Versorgungssicherheit flächendeckend zu gewährleisten ist. Dazu muss man seiner Ansicht nach zuerst Versorgungsbedarfe sektorenübergreifend sachgerecht ermitteln und abbilden, dann die Versorgungsqualität und Patientenorientierung weiter steigern und gleichzeitig die Finanzierbarkeit sichern. „Besondere Herausforderungen bestehen dabei im Bereich der stationären Versorgung, der vertragsärztlichen allgemeinen medizinischen Grundversorgung in ländlichen Räumen und bei der weiteren Erschließung und Nutzung von sektorenübergreifenden Ambulantisierungspotenzialen sowie der weiteren Digitalisierung“, sagt Hecken. Er schlägt darum ein „Stufenmodell für die Krankenhausplanung statt planloser Strukturveränderungen“ vor, die seiner Ansicht nach „zukünftig zwingend am jeweiligen regionalen Versorgungsbedarf orientiert und mit der Krankenhausplanung abgestimmt“ erfolgen.
Das Problem kennt Hecken seit Jahr und Tag seiner politischen Karriere, angefangen als Gesundheitsminister des Saarlands, als Präsident des Bundesversicherungsamts (heute BSS) und seit nunmehr zehn Jahren als oberster unparteischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): Die bisherige Art Krankenhausplanung der Bundesländer, die sich in vielen Fällen ungeeignet erwiesen habe, darauf zu reagieren, „notwendige Strukturen planvoll zu verändern und so auch für die Zukunft eine qualitätsgesicherte, ausdifferenzierte und den regionalen Versorgungsnotwendigkeiten Rechnung tragende Struktur“ zu gewährleisten. In der Regel würden nur bestehende Strukturen fortgeschrieben, die häufig nicht zukunftsfest seien und zudem Über-, Unter- oder Fehlversorgung zur Folge hätten. Zwingend notwendig ist seiner Ansicht nach deshalb, dass die Krankenhausplanung durch ein Stufenmodell reformiert wird, wobei einerseits drei klar abgegrenzte Versorgungsstufen mit jeweils unterschiedlichen Personal- und Strukturanforderungen ganz konkret definierten Leistungsaufträgen zugeordnet werden, aber andererseits die Häuser der einzelnen Versorgungsstufen regional abgestimmt eng zusammenarbeiten müssen. Um dahin zu kommen, schlägt Hecken in seinem Thesenpapier (1) wiederum ein Stufenmodell, jedoch unter Wahrung der föderal unterschiedlichen Zuständigkeiten vor, das Basis für eine veränderte künftige Aufgabenteilung sein solle: Bundeseinheitlich vom G-BA zu definieren sind laut Heckens Vorschlag die Anforderungen an die einzelnen Versorgungsstufen sowie eine verbindliche Zuordnung von Leistungskomplexen zu den unterschiedlichen Versorgungsstufen. Auf Grundlage der „regional- und sektorenübergreifend zu ermittelnden Versorgungsbedarfe und der Vorgaben des Bundes“ sollten dann die Länder Versorgungsregionen mit den nötigen Krankenhausstandorten festlegen.
Was nichts anderes als das Ende der Krankenhausplanung in Deutschland ist, wie wir sie seit den frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennen und die bisher nie verändert worden ist. Mit dem hier verwandten Modell, das auf der in den 60er Jahren in den USA entwickelten Hill-Burton-Formel basiert, wird seitdem in allen deutschen Bundesländern die Krankenhaus- oder besser: Krankenhausbedarfsplanung entwickelt. Dabei wird im Prinzip lediglich die bestehende regionale Betten- und Leistungskapazität fortgeschrieben, wobei allerdings einige Determinanten wie Einwohnerzahl, Bevölkerungsentwicklung, Verweildauer, Krankenhaushäufigkeit und Betten-Auslastungsgrad einfließen, um so die stationäre Gesundheitsversorgung zu sichern. Was mal gelingt, mal eben nicht, weil die Bettenauslastung der Krankenhäuser im langjährigen Mittel lediglich zwischen 77 und 78% (1) liegt, woran aber auch Corona fast nichts geändert hat (2). Doch hat die Art der Planung qua Fortschreibung des Bestehenden im Laufe der Dekaden hierzulande zu einem enormen Bettenaufwuchs geführt. So werden in Deutschland pro Jahr rund 20 Millionen Krankenhausfälle vollstationär betreut, die zum Teil zu einem erklecklichen Prozentsatz auch ambulant versorgt hätten werden können, für die die GKV den Krankenhäusern aber knapp 82 Milliarden Euro (2019) pro Jahr überweist (1).


Das ist inzwischen auch bei der Politik angekommen. So steht im aktuellen Koalitionsvertrag (3) von SPD, den GRÜNEN und der FDP, dass „die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen“ zu fördern ist, wofür zügig „für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG“ umgesetzt werden solle. Auch soll durch den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren eine „wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung“ sichergestellt und diese durch spezifische Vergütungsstrukturen gefördert werden. Zudem soll nach Aussage des Koalitionsvertrags die Attraktivität von bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen (Gesundheitsregionen) sowie der gesetzliche Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern ausgeweitet werden, um innovative Versorgungsformen zu stärken. In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen sollen niedrigschwellige Beratungsangebote (z.B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention eingerichtet, und im ländlichen Raum Angebote durch Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen ausgebaut werden. Und vor allem steht da: „Die ambulante Bedarfs- und stationäre Krankenhausplanung entwickeln wir gemeinsam mit den Ländern zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiter.“
Für die bisher angesprochenen Themenkreise (und noch viel mehr) liegen seit vielen Jahren ebenso zahl- wie sinnreiche Vorschläge des Sachverständigenrats Gesundheit und vieler Akteure vor. Diese haben jedoch vor allem seit Mitte letzten Jahres dramatisch zugenommen, weil anscheinend der aktuellen Regierungskoalition ein veritabler Gestaltungswille zugeschrieben wird. Hier ein (sicher unvollständig bleibender) Überblick über Strategien, Gutachten, Studien, Modelle, Thesen, Aufrufe und Forderungspapiere.


Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen

Die Braun-Stiftung und die OptiMedis AG initiierten anlässlich ihrer  Veranstaltung „Das Ergebnis zählt“ im Oktober 2021 im Berliner Langenbeck-Virchow-Haus den sogenannten „Berliner Aufruf“ (4), wobei sie sich wohl am Juni 1945 erschienen „Berliner Gründungsaufruf“ (zur Bildung einer überkonfessionellen großen Partei, nämlich der CDU) orientierten. Mit ihrem Aufruf wenden sich die Initiatoren und ihre aktuell 85 Mitunterzeichner (5) an die Politik. Sie fordern die Gesundheitspolitik auf, die Messung und Bewertung von Leistungen hinsichtlich ihres Nutzens für die Bevölkerung auszurichten. Was zählt sei das Ergebnis der Interventionen, also der Nutzen für den Patienten. Da für die meisten – insbesondere chronischen und komplexen – Erkrankungen mehrere Sektoren der Versorgung und die verschiedenen Gesundheits- und Sozialberufe zusammenwirken müssen, wird sich laut Meinung der Autoren „die Bewertung des Nutzens vor allem auf ganze regionale Bevölkerungsgruppen bzw. im Fall der Krankenkassen auf deren Versicherte“ beziehen müssen. Nur so könne sichergestellt werden, dass die knappen Ressourcen effizient eingesetzt werden und die verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem „Anreize erhalten, noch stärker für den Patientennutzen zusammenzuarbeiten“.
GKV-Positionen zur Krankenhausversorgung aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie 2020
Ebenso aus dem Dezember des Jahres 2020 stammt ein Positionspapier (6) zur Krankenhausver-
sorgung, mit dem der GKV-Spitzenver-band in zwölf Positionen konstruktive Vorschläge für eine umfassende Neuordnung der Krankenhauslandschaft formuliert hat. Um die Versorgungsqualität von Patient:innen weiter zu verbessern, bedarf es nach Aussage des Spitzenverbsands einerseits der Weiterentwicklung des DRG-Vergütungssystems, andererseits einer bundesweit einheitlichen Struktur der Krankenhauslandschaft. So könnten einerseits Schwerpunktzentren/Spezialkliniken aufgebaut werden, die das Leistungsgeschehen konzentrieren und für mehr Patientensicherheit sorgen, und zum anderen müssen bedarfsnotwendige Kliniken, insbesondere im ländlichen Raum, langfristig und gezielt die Versorgung sicherstellen. Hierfür stünden verschiedene Förderinstrumente, u. a. Sicherstellungszuschläge und eine Pauschalförderung für bedarfsnotwendige Krankenhäuser, zur Verfügung.
Die zwölf Punkte des Positionspapiers umfassen zahlreiche Bereiche, deren Reformbedarf in den letzten Jahren zugenommen hat, und die richtungsweisend sind, um die Krankenhauslandschaft zukunftsweisend zu gestalten. Hierzu gehören u. a. eine umfassende Digitalisierung, eine gesicherte stationäre Versorgung im ländlichen Bereich, die Weiterentwicklung eines leistungsorientierten Vergütungssystems, korrekte Abrechnung, eine verbesserte Pflegesituation, Mindestanforderungen der Qualitätssicherung sowie eine umfassend reformierte Notfallversorgung.


Jenseits des Lagerdenkens

„Reformansätze für eine zukunftsfähige und qualitätsorientierte Krankenhauslandschaft“ (7) präsentierten im September 2021 der AOK-Bundesverband und die Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) auf Basis der Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie erste Vorschläge – und zwar gemeinsam, was für zwei Parteien mit eigentlich konträren Sichtweisen durchaus beachtenswert ist. Darum überschreiben sie ihren Vorschlagskatalog auch mit dem Begriff „Jenseits des Lagerdenkens“, da ihr gemeinsames Ziel darin besteht, mit diesem Papier „eine zukunftsfähige Krankenhausstruktur zu skizzieren, welche für zukünftige Krisen besser gerüstet ist“ (4). Ihrer Meinung nach könne eine echte Reform-agenda, wie auch die Pandemiebewältigung, nur durch ein übergreifendes Bewusstsein und das Zusammenwirken aller Akteure realisiert werden. Dabei beschränken sich AOK und AKG auf nur fünf Punkte, die es aber in sich haben. Diese reichen von „unzureichender Finanzierung von Krankenhausinvestitionen durch die Länder“, über eine „gezielte Förderung und Finanzierung von Strukturen für spezialisierte und hochkomplexe Behandlungen“ und der „Bündelung von Leistungen“ bis zur „Umwandlung geeigneter Standorte in bedarfsgerechte Versorgungseinrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeit“. Ergänzt durch die auf die künftige Pandemiebewältigung gerichtete Forderung für eine „dauerhafte Finanzierung einer Bevorratung oder Vorhaltung von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung und Arzneimitteln“.

Qualitätsverbesserung durch Leistungskonzentration in der stationären Versorgung

„Mehr Leistungskonzentration gilt als entscheidender Hebel für mehr Qualität in der stationären Versorgung. Daran mangelt es aber bei komplexen Leistungen“, steht im Gutachten „Qualitätsverbesserung durch Leistungskonzentration in der stationären Versorgung“ (8), welches das IGES Institut im April 2021 für den Verband der Ersatzkassen (vdek) zu den Möglichkeiten weiterer Qualitätsverbesserungen im Krankenhaus-Sektor erstellt hat. Um mögliche Qualitätsverbesserungen durch Leistungskonzentration besser zu nutzen, sollten nach Aussage des Gutachtens weitere bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben entwickelt und im Rahmen der Krankenhausplanung umgesetzt werden. Außerdem sollten Qualitätsaspekte stärker in die kartellrechtliche Bewertung von Klinikfusionen und -kooperationen einfließen. Um ihre Aussagen zu untermauern, wurden exemplarisch für drei planbare und komplexe medizinische Eingriffe analysiert, wie sich die Behandlungsfälle auf die Klinikstandorte verteilen und wie sich dies zwischen den Jahren 2010 und 2018 verändert hat. Für alle drei Leistungen gibt es laut IGES einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen der Zahl der Fälle in einer Klinik einerseits und der Behandlungsqualität andererseits. Mindestmengen seien  für diese Leistungen aber bislang noch nicht eingeführt worden, würden aber teilweise derzeit beraten.

Gesundheitszentren für Deutschland

Das IGES wäre nicht das IGES, wenn es intellektuell und wissenschaftlich nicht in der Lage wäre, mehrere Sichtweisen einzunehmen. Die im Auftrag der Robert Bosch Stiftung vom IGES  Institut erstellte Studie „Gesundheitszentren für Deutschland“ (9) modelliert den zu erwartenden Hausärzt:innenmangel in Deutschland im Jahr 2035 und beschreibt, wie eine Neuausrichtung der Primärversorgung auf kommunal eingebundene Gesundheitszentren eine Perspektive für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung sein kann – auch angesichts demografischer Herausforderung und der Zunahme chronischer Erkrankungen in der Bevölkerung. Diese absichtlich begrenzte Sichtweise auf einen Sektor macht Sinn, da die Hausarztpraxis  das Rückgrat der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland bildet. Darum wird in der vorliegenden Studie erstmals die weitere Entwicklung der Anzahl an Hausärzt:innen auf Kreisebene modelliert. Die Prognose: Im Jahr 2035 werden vier von zehn Landkreisen unterversorgt oder massiv von Unterversorgung bedroht sein – allen bisherigen Maßnahmen zum Trotz. Ein Grund mehr in eine sektorenübergreifende Planung einzusteigen. Wobei allerdings Ziel der Studie ist, Evidenz für den „Vorschlag einer Verankerung der multiprofessionellen Primärversorgung als eigenständiger Versorgungsbereich“ zu schaffen. Dazu sollte nach Ansicht der Autoren in Deutschland die Primärversorgung als „eine eigenständige kooperative und multiprofessionelle Versorgungsform“ im SGB V sowie in den nachgeordneten Vertragswerken formal verankert werden. Die spezifischen Leistungen dieser Versorgungsform sollen durch lokale Versorgungseinrichtungen (Primärversorgungszentren) erbracht werden, an denen jeweils mehrere unterschiedliche Leistungserbringer und Gesundheitsprofessionen beteiligt sein sollten.
Reformvorschläge für eine Weiterentwicklung der stationären Versorgungsstrukturen und der Krankenhausfinanzierung
Das bifg (Barmer Institut für Ge-sundheitssystemforschung) preschte im Oktober 2021 mit einem ePaper (10) nach vorne, das einerseits eine „Reform der Versorgungsplanung und Qualitätsvorgaben“ sowie eine „Planung nach Versorgungsstufen“, aber auch „Perspektiven für eine sekto-renübergreifende Versorgungsplanung“ samt der stärkeren Berücksichtigung des Volume-Outcome-Zusammenhangs thematisierte – den nahm übrigens auch Prof. Dr. Reinhard Busse (TU Berlin) in seinem Keynote-Vortrag (11) auf der B. Braun/OptiMedis-Konferenz in den Fokus (12). Für die Reform der Krankenhausfinanzierung regt die Barmer sowohl die „Weiterentwicklung des DRG-Systems“, als auch die Sicherstellung einer auskömmlichen Investitionsfinanzierung durch die Bundesländer an.

Vergütungssystematik von ambulant zu erbringenden stationären gastroenterologischen Krankenhausleistungen

Am Beispiel gastroenterologischer Krankenhausleistungen zeigte das Institut for Healthcare Business (hcB) im Dezember 2021 auf, unter welchen Voraussetzungen eine effiziente sektorenübergreifende Versorgung in Deutschland gelingen kann. Das im Auftrag der  Arbeitsgemeinschaft leitender gastroenterologischer Krankenhausärzte (ALGK), dem Berufsverband Gastroenterologie Deutschland (BVGD) und dem Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands (bng) wird auch AOP-Gutachten (13) genannt.
Der Grund: Es versteht sich als Vorarbeit zur geplanten Überarbeitung und Erweiterung des Katalogs der stationsersetzenden Maßnahmen (AOP), mit dem der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) das IGES Institut beauftragt haben und damit einer Aufforderung des Gesetzgebers nach § 115b SGB V folgen. Aufbauend auf der Analyse des Status quo zu ambulanten Operationen und stationsersetzenden Eingriffen in Deutschland, sollen vom IGES zum einen Empfehlungen zur Überarbeitung und Erweiterung des AOP-Katalogs erarbeitet, zum anderen Vorschläge zur Differenzierung der Fälle anhand ihres Schweregrads gemacht, um darauf aufbauend eine differenzierte Vergütung erarbeiten zu können.  Die Veröffentlichung des Gutachtens ist für Anfang 2022 geplant.
Wie eine differenzierte Vergütung stations-ersetzender Leistungen aussehen könnte, zeigt das AOP-Gutachten anhand gastroente-rologischer Leistungen, die in Zukunft ambulant erbracht werden könnten. Es hat aber den Anspruch, auch auf andere Fachbereiche der intersektoralen Versorgung angewendet werden zu können, wobei seit vielen Jahren die bestehenden sektorenspezifischen Vergütungssysteme die Ambulantisierung ausbremsen würden.
Dass es ein Vergütungsmodell für sektorengleiche Leistungen braucht, zeigt laut Aussagen der Autoren ein Blick in andere Länder: Die dortigen Modelle reichten von abgegrenzten Teilbereichen des Fallpauschalenkatalogs über die ambulante und stationäre Gleichsetzung bis hin zu einem eigenständigen ambulanten Fallpauschalensystem. Dabei ließen sich zwei Erkenntnisse aus den Erfahrungen anderer Länder ableiten: Erstens beeinflusse die Vergütungshöhe von sektorengleichen Leistungen die Geschwindigkeit und den Umfang der Ambulantisierung. Zweitens sei eine Übergangsphase hilfreich, sodass den Leistungserbringern Zeit für die Anpassung bleibt.
Für Deutschland wird die Vergütung sektorengleicher Leistungen auf Grundlage einer eigenen Vergütungssystematik, angelehnt an das DRG-Fallpauschalensystem, empfohlen. Gesprochen wird hier von „komplex-ambulanten DRG“, die auf Basis von Fallkosten (1-Tagesfälle mit nur einer Prozedur) kalkuliert werden sollten. Die komplex-ambulanten Leistungen könnten indes auch – wie die stationären DRG – zu kostenhomogenen Fallgruppen zusammengefasst werden. Allerdings sollten sie aufgrund von unterschiedlicher Komplexität und Anforderungen an die Behandlung nach Schweregrad differenziert werden („Stufenmodell“). Die Schweregrade definieren sich nach Aussage des AOP-Gutachtens über die Patienteneigenschaften und die Länge der Prozeduren und führen zu einer gestuften Vergütung der komplex-ambulanten DRG: je höher der Schweregrad, desto höher die Vergütung.
Umbau der ambulanten und
stationären Strukturen
Mit dem Onepager „Umbau der ambulanten und stationären Strukturen im Hinblick auf eine sektorenübergreifende und wohnortnahe Versorgung“ (14) ergänzte die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene IKK e.V. im September 2021 ihre Positionen zur Bundestagswahl 2021. Sie regt darin an, dass eine „zukünftige sektorenübergreifende Versorgung auch vom ambulanten Sektor her gedacht werden“ sollte. Ebenso stellte die IKK e.V. fest, dass sich die Kritik an der derzeitigen Krankenhausstrukturplanung insbesondere daraus ergebe, dass die Krankenhauslandschaft aktuell durch Überkapazitäten vor allem in Ballungsgebieten geprägt sei. Deutschland habe im internationalen Vergleich deutlich mehr Krankenhausbetten (je 1.000 Einwohner) und auch deutlich mehr Intensivbetten (pro 100.000 Einwohner) als andere OECD-Staaten. Hinzu kämen „ungenutzte Ambulantisierungspotenziale bei gleichzeitig unzureichender Spezialisierung sowie einer zu geringen Konzentration von – insbesondere (hoch-)spezialisierten – Leistungen an weniger Standorten. Digitalisierungsdefizite stünden einer intelligenteren Vernetzung der Krankenhäuser und Sektoren derzeit noch entgegen.
Ambulant-ärztliche Versorgung
Einen Blick ins Ausland wirft das Münchner Institut für Gesundheits-ökonomik (IfG), um den Status und die Zukunft der „Ambulant-ärztlichen Versorgung“ (15), so der Titel der im September 2021 für das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherung (WIP) vorgelegten Analyse. Die Studie vergleicht die ambulant-ärztliche Versorgung in Deutschland mit der in Frankreich, der Schweiz und in Österreich. Das ärztliche Vergütungswesen – in Deutschland bestehend aus der vertragsärztlichen Vergütung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) – steht, so schreiben die Autoren der Analyse, in regelmäßigen Abständen im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Diskussion. Im Kern gehe es dabei um die Frage, welche Ärzte für welche Patienten wie hoch bezahlt werden.
Mit einer Vereinheitlichung von EBM und GOÄ, so die häufig zu hörende These, ließe sich mehr Gerechtigkeit für das Krankenversicherungssystem erreichen und Zwei-Klassen-Medizin vermeiden. Der Hinweis, dass es in ganz Europa einheitliche Honorarordnungen gebe, ist Ausgangspunkt der vorliegenden Studie. Dabei hat sich die Auswahl der zu betrachtenden Länder am Kriterium orientiert, dass es dort – vergleichbar zu Deutschland – sowohl ambulant niedergelassene Haus- als auch Fachärzte gibt, deren Vergütung auf Verträgen mit den Kostenträgern basiert. Unter unseren westeuropäischen Nachbarstaaten ist das in Frankreich, Österreich und der Schweiz der Fall. Mit Blick auf diese Länder stand die Frage im Fokus, ob es dort einheitliche Gebührenordnungen gibt und wenn ja, ob diese einheitlichen Honorarordnungen ärztliche Vergütungs- und medizinische Versorgungsunterschiede in der Bevölkerung ver-
meiden können. Das Kurzfazit: Auch in den westeuropäischen Vergleichsländern Frank-reich, Österreich und der Schweiz gibt es erhebliche (ambulant-ärztliche) Vergütungsunterschiede. Es stelle sich lediglich die Frage, welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für Vergütungsunterschiede in der ambulanten Versorgung existieren und ob die Vergütungsunterschiede zu relevanten Zugangshürden zum Gesundheitssystem führen.

KBV 2025: Strukturen bedarfsgerecht anpassen – Digitalisierung sinnvoll nutzen

Das gleichnamige Konzept (16), das die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Kassenärztlichen Vereinigungen im September 2021 vorgelegt haben, geht auf das Konzept „KBV 2020 – Versorgung gemeinsam gestalten“ (17) aus dem Jahr 2016 zurück, in dem bereits sehr deutlich auf die aktuellen Herausforderungen der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland hingewiesen wurde. Im aktuellen Konzept werden nun die Vorschläge als Angebote für Lösungen der aktuellen Herausforderungen weiterentwickelt. Dazu gehört für die KBV/KV sowohl ein Ausbau stationärer wie der Ausbau ambulanter Strukturen. Als Grund dafür nennt das aktuelle Konzept den Fakt, dass von den knapp 20 Millionen Fällen, die jährlich in den Krankenhäusern versorgt werden, laut AOK-Krankenhausreport (18) etwa ein Viertel ambulant behandelt werden könnten. Zudem führe der medizinisch-technische Fortschritt dazu, dass immer mehr Krankheiten ambulant therapierbar sein, die bisher stationär behandelt werden mussten. Die damit verbundene Verschiebung des gesamten Behandlungsspektrums vom stationären in den ambulanten Versorgungsbereich (Ambulantisierung der Medizin) erfordere jedoch eine konsequente Entlastung der Kliniken von eigentlich ambulant möglichen Behandlungen. Hierdurch freiwerdende stationäre Kapazitäten sollten durch bedarfsgerechte ambulante Versorgungsangebote ersetzt und die stationäre Versorgung auf hochqualifizierte spezialisierte Kliniken konzentriert werden. Ebenso wird vorgeschlagen, dass stationäre Strukturen in ambulante Angebote umgewandelt werden sollten.
Dazu müssten zunächst diejenigen Krankenhausstandorte identifiziert werden, die sich für eine (Teil-)Umstrukturierung in ambulante Versorgungsstrukturen eignen („erweiterte ambulante Versorgung“ mit Übernachtungsmöglichkeiten für Patienten), und zwar nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit, der Qualität und des medizinischen Behandlungsbedarfs. Bei der Standortauswahl sei aber auch zu beachten, dass diese nicht dauerhaft defizitär sein dürfen, die KV also nicht als „Bad Bank“ für nicht wirtschaftliche Krankenhäuser herhalten muss. Es dürfen keine Fachkliniken und Kliniken sein, die aus Unterversorgungsgründen oder Gründen der Aufrechterhaltung der Notfallversorgung qualitativ hochwertig und wirtschaftlich effizient sind und zudem bedarfsgerecht versorgen (nach dem IGZ-Gutachten der Uni Bayreuth, 17).

IGZ konkret: Erweiterte Ambulante Versorgung (EAV) – Umsetzung und Implikationen

Das im April 2021 publizierte und von der KBV beauftragte Gutachten „IGZ konkret“ (19) versteht sich als die Weiterführung und Erweiterung des Konzepts „Intersektorale Gesundheitszentren – Ein innovatives Modell der Erweiterten Ambulanten Versorgung zur Transformation kleiner ländlicher Krankenhausstandorte“ (20), das in dem bereits 2018 ersten KBV-Gutachten mit Konkretisierung der „erweiterten ambulanten Versorgung – EAV“ beschrieben wurde. „IGZ konkret“, vorgelegt vom Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen und der Oberender AG, vertieft nun das Behandlungsspektrum, Auswirkungen auf die Versorgung einer Überwachungs- und Versorgungsmöglichkeit für ambulante Patienten während einiger Tage und liefert erste Ansätze zur Vergütung.
Ziel der Autoren war und ist es, eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Versorgungsstruktur zu konzipieren und dabei insbesondere Situationen vor Augen zu haben, bei denen ein kleines, in der Regel (aber nicht ausschließlich) ländliches Krankenhaus geschlossen wird. Das in den Gutachten entwickelte und weiter konkretisierte Konzept Intersektoraler Gesundheitszentren (IGZ) zeichnet sich insbesondere durch die Möglichkeit der sogenannten Erweiterten Ambulanten Versorgung (EAV) aus, welche eine Betreuung von Patienten für 3 bis 5 Nächte ermöglichen soll. Dabei solle der ärztliche Fokus vorrangig auf dem allgemeinmedizinisch-hausärztlichen Kompetenzbereich liegen, doch könnten auch weitere fachärztliche Angebote, insbesondere konservative Leistungen integriert werden. Zudem könnte die Versorgung von einem umfassenden und ggf. interprofessionellen Angebot durch die Möglichkeit profitieren, weitere medizinische und gesundheitsnahe Dienstleister unter dem Dach des IGZ zu vereinen: Pflegedienste, Physio-
therapeuten, Apotheken etc. Nach Ansicht der Gutachter sollte jedoch das IGZ mit EAV einen „medizinischen Nukleus“ darstellen, der wirtschaftlich tragfähig sein müsse.
Dazu klärt „IGZ konkret“ Umsetzungsdetails zu geeigneten Indikationen, Leistungen und strukturelle Voraussetzungen. Ferner erfolgte eine quantitative Annäherung an die Implikationen einer derartigen Transformation, wobei der Fokus auf Versorgungspotenzial und -kapazität sowie auf den Kosteneffekten aus Sicht der Krankenkassen liegen sollte, wozu es zuerst das Versorgungspotenzial abzuschätzen galt. Die Analyse von passenden Krankheitsbildern, Leistungen und Strukturen wurde durch das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen in qualitativen Experteninterviews erstellt. Die Abschätzung quantitativer Auswirkungen wurde durch die Oberender AG vorgenommen.
Die Ergebnisse der Experteninterviews verdeutlichten das große Potenzial der Erweiterten Ambulanten Versorgung, zeigten jedoch zugleich die damit einhergehenden Herausforderungen auf. Eine eindeutige Zuordnung spezifischer Diagnosen in die Versorgungsebene EAV erwies sich als realitätsfern; diese müsse kontextabhängig erfolgen. Dabei seien die individuelle Fallschwere, Behandlungsziele sowie Vorerkrankungen ebenso zu berücksichtigen wie die individuelle Versor-gungssituation. Auf Anbieterseite sei die infrastrukturelle sowie fachlich-personelle Ausstattung der jeweiligen EAV sowie die lokale Vernetzung bestimmend für eine sichere Versorgung in der EAV.
Zusammenfassend kann man die Ergebnisse aus den Experteninterviews wie folgt strukturieren: Bei den für die EAV geeigneten Indikationen kann grob zwischen akuten und chronischen Erkrankungen unterschieden werden. Bei Ersteren gehe es häufig darum, mögliche gefährliche Verläufe zu erkennen und zu verhindern. Für Krankheitsbilder, für die mit der im IGZ bzw. in der EAV vorhandenen Infrastruktur eine sichere und schnelle Diagnosestellung sowie eine Therapie und Überwachung gewährleistet werden könne, sei häufig eine Klinikeinweisung vermeidbar. Auch invasive diagnostische und therapeutische Prozeduren, die zusätzlich einer pflegerischen oder ärztlichen Überwachung bedürften, oder sozialmedizinische und ggf. psychiatrische Notfälle könnten kurzfristig in der EAV sicher versorgt werden. Bei bekannten chronisch Erkrankten stelle die EAV z. B. bei Entgleisungen und Therapieanpassungen unter Monitoring eine sinnvolle Alternative zur stationären Aufnahme in einem Krankenhaus dar. Auf der anderen Seite verlangt die EAV jedoch eine mindestens vorzuhaltende personelle Infrastruktur mit qualifizierten Fachpflegekräften für die 24-Stunden-Überwachung und Versorgung.

Die Neustart! Zukunftsagenda für Gesundheit, Partizipation und Gemeinwohl

Bereits 2018 initiierte die Robert Bosch Stiftung die „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“, um im Dialog mit Bürger:innen und in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis eine Verortung vorzunehmen und Impulse für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu setzen.
Das Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Gesundheitssystem ist die im Juni 2021 publizierte „Neustart! Zukunftsagenda – für Gesundheit, Partizipation und Gemeinwohl“ (21). Die Agenda fordert die Transformation zu einem echten Gesundheits-system, mehr Partizipation der Bürger:innen auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung sowie eine Politik der langen Linien, die für die Zukunft des Gesundheitswesens förderliche Rahmenbedingungen für Qualität und Innovation schafft. In 7 Thesen soll nichts weniger als die „dritte Revolution“ eingeläutet werden. So lautet denn auch These 1, dass das deutsche Gesundheitssystem einen Paradigmenwechsel zu einem Gesundheitssystem benötige,  das  „endlich den Blick darauf richtet, Krankheiten erst gar nicht entstehen zu lassen“.
Ebenso sei ein solidarisches, am Gemeinwohl orientiertes Gesundheitssystem (These 2), das den Menschen vor Ort versorgen könne, leicht zugänglich und Prävention und Gesundheitsförderung mit medizinisch-pflegerischer Versorgung in gut in die Region eingebundenen Primärversorgungszentren verknüpft (These 3).
Besonders wichtig ist die siebte These mit der klaren Forderung: „Raus aus der Komfortzone: den Neustart wagen für eine Politik der langen Linien“. Es müsse, so die Autoren, „gehandelt werden – aber nicht wie in der Vergangenheit in kleinteiligen, technokratischen Verbesserungsversuchen hier und dort, sondern mit Mut zu Weichenstellungen für große Ziele“. Gefragt sei eine Politik der langen Linien, die nicht nur akute Krisen bewältige, sondern für die Zukunft des Gesundheitswesens Rahmenbedingungen schaffe, die Qualität weiterentwickeln und Innovation ermöglichen könne.

salu.TOP – Neuausrichtung unseres Gesundheitssystems

Ebenfalls in den Beginn der Corona.Pandemie fiel ein Vorschlag von Prof. Dr. Edmund A. M. Neugebauer (MHB, Neuruppin) und Dr. Dr. Klaus Piwernetz (medimaxx, München). Die beiden schlugen Ende 2019 in einem MVF-Beitrag (22) nichts weniger als die Neuausrichtung des gesamten Gesundheitssystems vor, eines Systems, das sie dann salu.TOP nennen und ein Gesundheitssystem sein soll, „wie wir es verdienen“. Das Konzept salu.TOP gibt einen orientierenden Rahmen für eine umfassende Neuausrichtung des Gesundheitssystems.
Doch bedeutet Neuausrichtung für die beiden Autoren, die aus diesem Ansatz ein ganzes Buch mit dem Titel „Strategiewechsel jetzt!“ (23) gemacht haben, dass Elemente, für die ein breiter Konsens besteht, über ein Regelwerk funktional und logisch verbunden werden. Zudem ist das Konzept für die Neuausrichtung durch fünf Schlüsselelemente gekennzeichnet: Gesundheits- und Versorgungsziele und Werte, Patietenorientierung, Bedarfsorientierung, Verantwortung und Transparenz.
In ihrem Buch wird aber noch einen Schritt weiter gegangen, indem die beiden Autoren das inzwischen jahrzehntelang deklamierte Mantra der sektorübergreifenden Versorgung ganz in Frage stellen. Der Grund: Ihrer Meinung nach liegen zwischen den Ansätzen „sektorübergreifende“ und „integrative“ Versorgung Welten. Sektorübergreifende Versorgung gehe davon aus, dass die Sektoren im Gesundheitssystem grundsätzlich erhalten bleiben, wofür es aber außer der geschichtlichen Entwicklung oder der Berücksichtigung von Partikularinteressen keine logische Begründung gebe. Zeitgemäße Gesundheitsversorgung solle ihrer Ansicht nach immer von den Patienten aus gedacht werden, wodurch das Denken in Sektoren im Gesundheitswesen obsolet geworden sei, weil es den Weg in eine moderne Gesundheitsversorgung behindere. Ihr Vorschlag lautet daher: Für die Neuausrichtung kann es also nur um integrative Versorgung, die von den Patienten, von den Gesundheits- und Versorgungszielen und von den aktuellen Evidenzen aus gedacht wird.

White Paper für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem

Neugebauer und Piwernetz sind auch dabei bei der „Allianz für Gesundheit“, die in ihrem Addendum (24) zu ihrem White Paper (25) für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem „Lösungsansätze aus der Praxis“ und „Impulse für eine Gesundheitsagenda 2022“ liefern wollen. Das White Paper, initiert duch Wolfgang Branoner (Geschäftsführender Gesellschafter SNPC GmbH, Berlin), Christina Claussen (Director Alliance Management & Patient Relations, Pfizer Deutschland, Berlin) und Aylin Tüzel (Vorsitzende der Geschäftsführung Pfizer Deutschland, Berlin) versteht sich als Startschuss einer gemeinsamen Initiative mit dem Ziel, im Schulterschluss von Wissenschaft, Medizin, Patient:innen und Pflege wichtige Themen und Positionen aus der Praxis in den politischen Prozess einzubringen. Gemeinsam setzen sich die Initiator:innen und Unterzeichner:innen des Aufrufs dafür ein, dass:
1) wir die Erkenntnisse aus der Corona-Krise jetzt nutzen, um gesündere Lebenswelten zu schaffen – für alle Menschen, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, egal ob jung oder alt, egal ob krank oder gesund.
2) wir die Rahmenbedingungen für den Zugang zur Versorgung verbessern, um die dysfunktionale Gliederung unseres Gesundheitssystems in Sektoren, die anstelle von Kooperation teilweise in einem Konkurrenzverhältnis stehen, möglichst aufzuheben und schnellere sowie effizientere Diagnosen und Therapien zu ermöglichen.
3) wir einen digitalen Wandel zu fördern, der sich an einer patientenzentrierten Versorgung orientiert.
4) wir offen sind für die Beteiligung unterschiedlicher Stakeholder an gesundheits-politischen Diskussionen und Entscheidungen. Dazu brauchen wir eine neue Kommunikationskultur über Gesundheitsfragen, die nicht nur im wissenschaftlich-politischen Raum stattfindet, sondern gezielt die relevanten Patientenperspektiven einbindet und offen ist für unterschiedliche Positionen, auch die von „Seiteneinsteigern“. Denn nur gemeinsam können wir gute Lösungen finden.
5) wir alle Lösungen und Reformen im Gesundheitssystem von den Patient:innen her denken und die Beteiligungsmöglichkeiten für Patient:innen verbessern.

Empfehlungen für ein modernes Vergütungssystem in der  ambulanten ärztlichen Versorgung

Die KOMW, die Wissenschaftliche Kommission für ein modernes Vergütungssystem hatte einfach Pech. Als sie am 28. Januar 2020 dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ihre seit Sommer 2018 erarbeiteten, sehr ausführlichen „Empfehlungen für ein modernes Vergütungssystem in der ambulanten ärztlichen Versorgung“ (26) vorlegt, brach wenige Tage später Corona aus – weshalb es MVF in diesen Katalog mit aufnimmt. Zwar versprach Spahn, dass  der Bericht geprüft und gemeinsam mit dem Koalitionspartner entschieden werde, ob und wie mit den Vorschlägen umzugehen sei, bis dato ist nichts passiert. Dabei müssen damals wie heute sowohl die ambulante Honorarordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als auch die Gebührenordnung der privaten Krankenversicherung (PKV) reformiert werden, wozu ja auch die renommiert besetzte Kommission erst berufen wurde. Als die wesentliche Empfehlung der Kommission gilt, dass sie eine „partielle Harmonisierung“ der ambulanten ärztlichen Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ) vorschlägt. Dieses Konzept unterscheidet zwischen Bausteinen, die gemeinsam weiterentwickelt werden, und Bereichen, bei denen Unterschiede bewusst erhalten bleiben sollten. Zu den gemeinsamen Bausteinen gehören nach Ansicht der KOMV die Definition der ärztlichen Leistungen (sog. „Leistungslegendierung“) und die relative Kostenbewertung, d.h. die ökonomische Bewertung der Leistungen im Vergleich zueinander. Für beides sollten nach Auffassung der Kommission neue gemeinsame Gremien der vertrags- und privatärztlichen Versorgung zuständig sein. Die Preise sollen nach Aussage der Kommission hingegen weiterhin getrennt für GKV und PKV vereinbart werden. Dabei können neben den Kosten auch andere Gesichtspunkte einfließen, wie z.B. regionale, fachspezifische und mengenbezogene Aspekte. Angesichts der bestehenden sehr unterschiedlich gestalteten Versicherungssysteme empfiehlt die KOMV aber keine gemeinsame Honorarordnung mit einheitlichen Preisen, jedoch  aus Gründen des Patienten- bzw. Verbraucherschutzes, dass Mindestqualitätsstandards für die vertrags- und privat-ärztliche Versorgung künftig gemeinsam und einheitlich definiert werden sollen. Darüber hinaus sollten die Verhandlungspartner auch noch weitergehende Anforderungen festlegen können. Flankiert wird das Modell durch eine Reihe ergänzender Vorschläge.

Stiftung Münch Projektbericht

„Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in ländlich geprägten Regionen: neue Modelle und Maßnahmen“ (27), nennt die Stiftung Münch ihren Projektbericht aus dem Jahre 2018. Die Autoren von der Freien Universität, der Technischen Universität und der Charité Universitätsmedizin, alle Berlin, geben Aufschluss über etablierte und neu erprobte Versorgungsmodelle und Maßnahmen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen. Entwicklungen wie der demografische Wandel, Urbanisierung, Fachkräftemangel und veränderte Erwartungen an die medizinische Versorgung könnten, so die Ansicht der Autoren, eine – teils vorhandene, teils perspektivisch drohende – Unterversorgung bedingen.
Hinsichtlich der Beschreibung und Systematisierung der vorhandenen Vielfalt neuer Versorgungsstrukturen in ländlichen Regionen kommt diese Untersuchung zu folgenden Ergebnissen: Den für die regionale Gesundheitsversorgung relevanten Stakeholdern stehen verschiedene Elemente der Gestaltung konkreter Versorgungsmodelle zur Verfügung. Dabei werden traditionelle Organisationsfor-men des deutschen Gesundheitswesens mit neueren Organisationsformen, die im Kern eine Arbeitsteilung zwischen Ärzten bei gleichzeitiger Reduktion des wirtschaftlichen Risikos für angestellte Ärzte ermöglichen oder eine temporäre Tätigkeit an einem anderen Standort erlauben, kombiniert. Einzelpraxen werden, so die Autoren weiter, so zunehmend von Medizinischen Versorgungszentren, Gemeinschaftspraxen oder kommunalen Eigeneinrichtungen abgelöst sowie um Zweigpraxen erweitert, Krankenhäuser für die ambulante Behandlung geöffnet. Zusätzlich könnten weitere Gestaltungselemente aus den Be-reichen Organisation (z. B. Case Management, organisationsübergreifende Kooperationen), Technik (z.B. Telemedizin), Profession (z. B.Nutzung von Delegation) und Mobilität (z. B.Erhöhung der Patientenmobilität) eingesetzt werden, um einer (drohenden) Unterversorgung entgegenzuwirken. Die Implementation solch neuartiger Organisationsmodelle könne von modellübergreifenden Maßnahmen der Kontextgestaltung unterstützt werden.

Konzeptstudie: Ein kommunaler Krankenhauskonzern

„Eine wissenschaftliche Bewertung aus Sicht von Daseinsvorsorge, medizinischer Qualität und Wirtschaftlichkeit“ nennt die Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen ihre Konzeptstudie (28), die sie im April 2021 im Auftrag der consus clinicmanagement GmbH, einem in Freiburg ansässigen Managementunternehmen für Kliniken aller Trägerschaften und Versorgungsstufen, veröffentlicht hat. Die Aussage der Autoren ist eindeutig, wenn sie in ihrem Fazit schreiben, dass „das Einzelkrankenhaus keine Zukunft“ habe, weder unter dem Gesichtspunkt einer guten, qualitativ hochwertigen Patientenversorgung noch unter wirtschaftlichen Aspekten. Die vorliegende Analyse kommt zudem zu der Empfehlung, dass Kommunen für ihre Krankenhäuser, soweit noch nicht geschehen, „Konzernlösungen finden und ihre Kliniken in gesellschaftsrechtlichen Verbünden organisieren“ sollten. Nach Ansicht der Autoren könnten – das ist für sie eines der Kernergebnisse der Studie – künftig allenfalls Maximalversorger allein existieren, wobei die sie tragenden Kommunen dann aber womöglich bereit sein müssen, Verluste zu tragen, gegebenenfalls dauerhaft. Als Alternative zu einem gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss wird entweder die Privatisierung oder aber die Schließung von Krankenhäusern gesehen.
Die genannten Kernergebnisse ergeben sich, so die Autoren, einerseits vor dem Hintergrund der allgemeinen Trends in der Medizin: Spezialisierung, Ambulantisierung und Digitalisierung; andererseits jedoch vor dem Hintergrund empirischer Befunde auf Basis eines Literaturüberblicks, der eine „teilweise qualitativ inadäquate Behandlung von Patienten in Deutschland aufgrund von Mängeln in der Ausstattung von Krankenhäusern“ darlege. Die Autoren nennen aber auch „erheblich bessere wirtschaftliche Outcomes bei Konzernverbünden“ als Grund, der für eine  Konzernbildung spreche, ebenso wie „Wissens- und Know-how-Transfer, Investitionssteuerung, insbesondere vor dem Hintergrund unzureichender Fördermittel der Bundesländer,  Liquiditätsmanagement und Cash-Pool zur Überbrückung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einzelnen (Mitglieds-)Krankenhäusern, internes Consulting, zentrale IT-Dienstleistung mit Spezialisierung, zentraler Einkauf und zentrales Lager (insbesondere in Pandemie-Zeiten), Employer Branding und zentrales Personalmanagement, Job Rotation und an Lebensphasen angepasste Perspektiven im Konzern, mehr Flexibilität beim Personaleinsatz sowie  Standardisierung von Prozessen, Soft- und Hardware.
Viele dieser Faktoren scheinen, so schreiben die Autoren weiter, zunächst auch ohne gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse möglich zu sein, etwa in Verbünden wie Clinotel. Allerdings zeige sich in der Empirie dann doch, dass Konzerne mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit bessere Ergebnisse als Einzelkrankenhäuser erzielen würden. Die Vorteile von Konzernlösungen schienen hingegen losere Verbünde nicht zu bieten. Sie schreiben weiter: „Auf den ersten Blick mag die einfache Lösung darin liegen, dass verlustschreibende kommunale Kliniken mit Potenzial in private Verbünde überführt werden.“ Allerdings habe ihre Analyse gezeigt, dass Privatisierungen im Gesundheitswesen, insbesondere von Krankenhäusern, ein zweischneidiges Schwert seien. Auf der einen Seite würden es aber die privaten Klinikbetreiber augenscheinlich sehr gut schaffen, mithilfe moderner Managementmethoden Krankenhäuser wirtschaftlich zu betreiben, indem sie beispielsweise effektive und effiziente Prozesse in ihren Konzernen verankerten. Auf der anderen Seite bestehe jedoch die Gefahr, dass eine zu starke Orientierung am Shareholder-Value, dem insbesondere börsennotierte Krankenhäuser unterliegen würden, zu unter Versorgungsgesichtspunkten oftmals kaum wünschenswerten Effekten führe, da Fragen der Ertragsfähigkeit von Stationen möglicherweise im Widerspruch zum Versorgungsbedarf stünden.
Mithilfe der Theorie der (neuen) Institutionenökonomik lasse sich aufzeigen, dass das Gesundheitswesen von allen denkbaren Formen des Marktversagens betroffen sei und deshalb rein private Lösungen durchaus skeptisch zu beurteilen seien. Auch sei der Vorschlag, Krankenhausstandorte in Deutschland in großem Umfang (weiter) abzubauen und sich auf wenige Großkrankenhäuser zu fokussieren, hierzulande mit politischen Risiken verbunden, aber auch mit möglichen Problemen in der Versorgung. Fraglich sei beispielsweise, ob sich das vorhandene Pflegepersonal einfach an große Standorte verlagern lasse.

Gutachten Krankenhauslandschaft Nordrhein-Westfalen

Im August 2019 legte die PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, Berlin, und das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin, sowie Lohfert & Lohfert, Hamburg, ihr Gutachten (29) als Basis der neuen Krankenhausplanung NRW (s. MVF 01/22) vor. In dem knapp 900 Seiten starken Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS). Das vorliegende Gutachten, das immerhin 1,5 Millionen Euro gekostet haben soll, hat die Aufgabe, eine sachliche Grundlage für den neuen Krankenhausplan in NRW darzustellen, in dem die bedarfs- und qualitätsorientierte Versorgungsplanung stärker als in der Vergangenheit in den Vordergrund treten soll.
Dazu analysiert das Gutachten zum einen umfassend die aktuelle stationäre Versorgungssituation, zum anderen wird kritisch überprüft, inwieweit die aktuell in Deutschland weit verbreitete fachgebiets- bzw. bettenorientierte Krankenhausplanung geeignet ist, den Bedarf an stationären medizinischen Leistungen zu erfassen und die damit verbundenen Behandlungskapazitäten zu planen. Aufbauend auf diesen Analysen werden dann alternative Vorgehensweisen für eine qualitätsorientierte Krankenhausplanung entwickelt, die den Autoren als geeignet erscheinen, die vom MAGS benannten Ziele zu erreichen. Diese sind zum einen die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, zum zweiten eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, qualitativ hochwertig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern und drittens die Berücksichtigung sozial tragbarer Pflegesätze.
Eine der Haupterkenntnisse dieser Studie ist es, dass eine Stärken- und Schwächenanalyse  gezeigt habe, dass die bisherige Planung nach Fachgebieten mit der Bezugs- und Planungsgröße Bett einer leistungsorientierten Planung unterlegen ist. Darum wurde durch die Gutachter zur Gewährleistung der nötigen Präzision für die Erfüllung der Ziele der Krankenhausplanung und Leistungssteuerung eine medizinisch-hierarchische Leistungsgruppensystematik entwickelt, die in der Lage sei – trotz „hoher Rüstkosten bei Einführung“ – die notwendige Transparenz über die Versorgungssituation und Prognose des zukünftigen Bedarfs (bedarfsorientierte Krankenhausplanung) schaffen. Darüber hinaus seien Struktur- und Qualitätsvorgaben nur auf Grundlage von klar definierten Leistungsgruppen sinnvoll machbar (qualitätsorientierte Krankenhausplanung).
Der Ansatz an sich ist jedoch nicht neu. Bereits im Jahr 2007 hätte, so die Autoren, aufgrund einer Revision des nationalen Schweizer Krankenversicherungsgesetzes, das einen Paradigmenwechsel weg von der bettenorientierten Planung hin zu einer Planung mit Leistungsorientierung, Bewertbarkeit, interkantonaler Kooperation und bedarfsgerechter Ressourcenverteilung eingeläutet, habe sich die Gesundheitsdirektion Zürich im selben Jahr dazu entschlossen, eine neue Methode zur Krankenhausplanung für den Züricher Krankenhausplan 2012 zu entwickeln. Diese Methode werde kontinuierlich weiterentwickelt, wie auch aktuell: Derzeit arbeite die Gesundheitsdirektion Zürich beispielsweise an der Planungsmethodik für den Krankenhausplan 2022.
Den Autoren ist jedoch bewusst, dass die im Rahmen dieses Gutachtens entwickelte Leistungsgruppensystematik als Diskussionsgrundlage für verschiedene Experten- und Interessengruppen (medizinische Fachgesellschaften, Krankenkassen, Krankenhausgesellschaft etc.) dienen soll, um aktiv an der Weiterentwicklung und Konsentierung einer optimalen Leistungsgruppensystematik mitzuwirken. Nur unter Einbezug und durch Mitarbeit aller Interessengruppen könne eine rasche Umsetzung und Entwicklung hin zu einer leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierten Krankenhausplanung erfolgreich sein.

Krankenhausplan NRW 2021/2022

Im September 2021 übergab das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nord-
rhein-Westfalen (MAGS) seine „Neuaufstellung der Rahmenvorgaben des Krankenhausplans für das Land Nord-rhein-Westfalen“ (30) dem Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mit dem Untertitel „Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen!“ ist klar, was Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen (s. MVF 01/22), damit erreichen möchte: „Eine positive Entwicklung der Krankenhauslandschaft zum Wohle der Patient:innen durch Verbesserung von Steuerung, Transparenz und Qualität“, schreibt Laumann in seinem Vorwort. Da dies durch die Plangröße „Bett“, die noch im letzten Krankenhausplan NRW 2015 zu Grunde gelegt wurde, nicht möglich wäre, weil sie das Versorgungsgeschehen nicht zuverlässig abbilde, werden gemäß des vorangegangenen Gutachtens (28) neue Plangrößen eingeführt: Zum einen wird zur Ermittlung des stationären Bedarfs künftig die jährliche Fallzahl je medizinscher Leistung herangezogen. Zum anderen ist eine weitere wesentliche Neuerung die Einführung einer neuen Planungssystematik, in der fortan, statt wie bislang 22 Fachabteilungen, nun 32 Leistungsbereiche mit 64 untergeordneten Leistungsgruppen ausgewiesen werden, die detailliert medizinische Fachgebiete und spezifische medizinische Leistungen abbilden würden. Jeder dieser Leistungsgruppen werden darüber hinaus konkrete Qualitätsvorgaben zugeordnet, die einheitlich hochwertige Versorgungsstandards für die Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen sichern sollen.


Zukunft der medizinischen Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern

Das gleichnamige Gutachten (31) legte die Health Care Business Gmbh der beauftragenden Enquete-Kommission des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern die Aufgabe erhalten hatte, „erforderliche Rahmenbedingungen und Maßnahmen eines integrierten, sektorenübergreifenden und multiprofessionellen medizinischen Versorgungsplans für Mecklenburg-Vorpommern zu skizzieren“, im April 2021 vor. Darin wird eine „mögliche Versorgungsstruktur der Zukunft“ beschrieben, die von der Annahme ausgeht, dass alle Akteure über die elektronische Gesundheitskarte (ePA) vernetzt werden. Diese biete neben der damit möglichen strukturierten und standardisierten Sammelstelle für sämtliche Patientendaten Potenziale im Bereich der Prozessoptimierung der Leistungserbringung, die Chance, wirtschaftlichere Angebotsstrukturen zu schaffen. Die Patientensteuerung könne zudem aufgrund der fundierten Informationen über den Patienten weitaus effektiver geschehen als im heutigen System. Von der ePA profitieren würde nach Meinung der Gutachter auch die Versorgungsforschung. Mittelfristig ließen sich damit erfolgreiche von erfolglosen Behandlungspfaden trennen, die knappen Ressourcen des Gesundheitssystems könnten dann in die erwiesenermaßen erfolgreichen Pfade gelenkt werden, sodass sich insgesamt das Kosten-Nutzen-Verhältnis der eingesetzten Ressourcen verbessern würde.
„Zukunft der medizinischen Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern“ wird auch der Abschlussbericht (32) betitelt, den die Enquete-Kommission im Mai 2021 übergab. Dies tat sie zwar mehrheitlich, jedoch (angesichts der hier aktiven Parteienstruktur nicht groß verwunderlich) mit zwei Gegenstimmen und vier Enthaltungen nicht einheitlich. Ähnliches geschah auch bei den separat abgestimmten Handlungsempfehlungen, zu denen es fünf Gegenstimmen und eine Enthaltung gab.
Als Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission wird zum einen eine bessere Kommunikationsstrategie genannt, zum anderen mehr Patientenorientierung. Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Land zudem, dafür Sorge zu tragen, dass „die Versorgung der Zukunft unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts für alle Menschen und in jedem Lebensalter als Versorgungskette“ erbracht wird. Ebenso wird angeregt, dass das Land dafür Sorge tragen soll, dass Gremien im Land, die sich mit der medizinischen Versorgung befassen, zukünftig zwingend die Interessenvertretungen der Patient:innen einbeziehen müssen.
Die Enquete-Kommission empfiehlt ebenso, im Gesundheitssystem, sofern noch nicht vorhanden, Patientenfürsprecher, Patientenbeauftragte und Patientenbeschwerdestellen einzurichten. Dies müsse im Einvernehmen mit den legitimierten Interessenvertretungen der Patienten und unabhängig von den Interessen der Kostenträger und Leistungserbringer geschehen. Auch legt die Kommission dem Land „national und international vielfach erprobten und durchweg positiv bewerteten Einsatz von Lotsen im System der gesundheitlichen Versorgung“ nahe. Das Land würde so die notwendige Unterstützung für die Patienten schaffen, um den Weg durch ein immer komplizierter werdendes System der gesundheitlichen Versorgung zu finden.
An den vielen, interessanten Gedankenansätzen, die MVF hier mit viel Detailarbeit zusammengetragen und in Kurzform redaktionell vorgestellt hat, haben hunderte Know-how-Träger:innen und Wissenschaftler:innen mitgearbeitet. Angefangen bei A wie Dr. Martin Albrecht, der am IGES-Gutachten „Qualitätsverbesserung durch Leistungskonzentration in der stationären Versorgung“ oder Prof. Dr. Augurzky, der am Gutachten „Zukunft der medizinischen Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern“ mitwirkte.


Diese Sammlung soll dazu beitragen, dass die Mühe, die in all diese Papiere geflossen ist, vom Zustand der Ruhe und oft leider auch des Vergessens in jenen der Umsetzung gelangen möge. Da sicher einige wichtige Papiere noch nicht erwähnt worden sind, bitte Hinweise dazu an stegmaier@m-vf.de <<
von:
MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Zitationshinweis:
Albrecht, M., Stegmaier, P.: „Bei Dekonzentration kommen Mindestmengen unter Druck“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (02/22), S. 6-10. http://doi.org/10.24945/MVF.02.22.1866-0533.2382.

Albrechts ORCID: 0000-0002-9919-7346

 

Die meisten genannten Konzepte finden Sie gesammmelt hier

Literatur

1) https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Kurzfassungen_2022/mvf-0222/mvf-0222-PDF/Hecken-Statement_2021_Zukunft-G_versorgung
2) http://doi.org/ 10.24945/MVF.02.21.1866-0533.2288
3) https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
4) https://optimedis.de/files/Aktuelles/2021/Berliner_Aufruf_und_Veranstaltungsbericht_EJ.pdf
5) https://optimedis.de/berlineraufruf
6) https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_1134272.jsp
7) https://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/positionen/positionspapiere/reformansaetze_krankenhauslandschaft_akg_aok-bv.pdf
8) https://www.iges.com/kunden/gesundheit/forschungsergebnisse/2021/qualitaet-im-klinikmarkt/index_ger.html
9) https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2021-05/Studie_Primaerversorgung_Gesundheitszentren-fuer-Deutschland.pdf
10) https://www.bifg.de/media/dl/ePaper/bifg_ePaper_krankenhausstrukturreform.pdf
11) https://www.mig.tu-berlin.de/fileadmin/a38331600/2021.lectures/2021-10-28-rb_Berlin-Optimedis_BBraun.pdf
12) https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Kurzfassungen-2021/MVF_0621/MVF0621_volume_value; http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2353
13) https://www.dgvs.de/wp-content/uploads/2022/02/AOP-Gutachten-Verguetungssystematik_final_14.01.22.pdf
14) https://www.ikkev.de/fileadmin/Daten/Positionen-2021/Download_One-Pager/Onepager_Strukturreform.pdf
15) http://www.wip-pkv.de/de/oeffentlichkeit/pressemitteilungen/detail/neue-wip-analyse-zur-ambulant-aerztlichen-versorgung-im-vergleich-mit-dem-westeuropaeische-ausland.html
16) https://www.kbv.de/media/sp/IGZ_Gutachten_2018.pdf
17) https://epub.uni-bayreuth.de/3852/
18) https://www.aok.de/gp/publikationen/krankenhaus-report
19) https://www.kbv.de/html/igz-gutachten.php
20) https://www.kbv.de/media/sp/Konzept_KBV_2025.pdf
21) https://www.bosch-stiftung.de/de/publikation/die-neustart-zukunftsagenda-fuer-gesundheit-partizipation-und-gemeinwohl
22) http://doi.org/10.24945/MVF.05.19.1866-0533.2172
23) http://doi.org/10.24945/MVF.05.21.1866-0533.2352
24) https://www.snpc.de/wp-content/uploads/2021/10/Whitepaper_Addendum_de.pdf
25) https://www.snpc.de/wp-content/uploads/2021/02/White-Paper-f%C3%BCr-ein-zukunftsf%C3%A4higes-Gesundheitssystem.pdf
26) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/KOMV/Bericht_der_Honorarkommission__KOMV__-_Dezember_2019.pdf
27) https://www.stiftung-muench.org/wp-content/uploads/2019/05/Projektbericht_Sicherstellung-Gesundheitsversorgung-Land_Nov.pdf
28) https://vwl.hwg-lu.de/fileadmin/user_upload/forschung-transfer/oeffentliche-unternehmen/2021_SBIBM_Konzeptstudie_EinkommunalerKrankenhauskonzern_210428.pdf
29) https://broschuerenservice.mags.nrw/mags/shop/Gutachten_Krankenhauslandschaft_Nordrhein-Westfalen/1
30) https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-5764.pdf
31) https://www.vdek.com/LVen/MVP/fokus/zukunft-medizinische-versorgung/_jcr_content/par/download_1376202566/file.res/210409-Gutachten_Zukunft%20der%20medizinischen%20Versorgung%20in%20Mecklenburg-Vorpommern%20-%20KDrs._7-42.pdf
32) https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/abschlussbericht_der_enquete_kommission_zukunft_der_medizinischen_versorgung_in_mecklenburg_vorpommern.pdf

Ausgabe 02 / 2022

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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