OA MVF 03/11: „Es ist schwierig, immer gleich das große Rad drehen zu wollen“
Summary
- Das Versorgungsgesetz birgt im spezialärztlichen Bereich die Gefahr einer ungesteuerten Mengenentwicklung.
- Stattdessen sollten die Kassen über selektive Verträge die spezialärztliche Versorgung in Qualität, Preis und Menge organisieren.
- Fehlerhafte Kodierungen sollte künftig nicht mehr abgerechnet werden können, wenn sich die Diagnosekodierung anders nicht verbessern lassen sollte.
- Forschungsförderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
>> Das BMG versucht mit den jetzt vorgelegten Eckdaten zum Versorgungsgesetz einige Prozesse, vor allem an den Schnittstellen der Sektoren zu optimieren. Prozessoptimierung ist sicher wichtig, doch stellt sich die Frage: Reicht Prozessoptimierung als zukunftssicherndes Strukturmerkmal? Oder sollte nicht besser (auch wenig politisch schwierig) der ganze Prozess selbst neu gedacht werden, um zu einer durchgehenden Struktur von Prävention, über Akut- bis Chroniker-Versorgung und Pflege zu kommen?
Ich glaube, dass die derzeitigen Versorgungsstrukturen verändert werden müssen und auch verändert werden können. Dass ein entwickeltes Gesundheitssystem grundsätzlich neu strukturiert werden kann, bezweifle ich jedoch. Es sind einfach zu viele Menschen betroffen - sowohl auf der Leistungserbringer-, als auch auf der Versichertenseite. Es handelt sich immerhin um 80 Millionen Menschen, die an die bisherigen Strukturen gewöhnt sind, die sich vielleicht an manchen Stellen ärgern, aber vieles auch gut finden. Das ändert man nicht so einfach. Ich glaube auch nicht, dass es überhaupt hilfreich ist, das System generell umkrempeln zu wollen.
„Wir brauchen einfach mehr Wissen über das, was tatsächlich in der Versorgung geschieht und welche Veränderungen gesetzliche Regelungen bewirken.“
Also doch weiter die Politik der kleinen Schritte.
Die Erfahrung zeigt, dass es besser ist, Innovationen zunächst einmal in kleineren Pilotprojekten zu erproben, um dann nur die wirklich erfolgreichen Versorgungsansätze in die Fläche skalieren zu können. Ohne solche Projekte bekommt man unvorhersehbare Nebeneffekte. Ebenso wäre es wichtig, dass die Politik lernt, mit etwas längerem Atem zu agieren. Wir müssen leider immer wieder Situationen erleben, in denen die Politik ein bestimmtes Instrument eingeführt, aber dann, noch bevor man wirklich Effekte hätte beobachten und bewerten können, wieder vom Markt genommen hat.
Es gibt eben keine Politikfolgenabschätzung. Das heißt aber leider auch, dass jedwede Gesetzesänderung einem großen Feldversuch gleich kommt.
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Frau Dr. Pfeiffer, herzlichen Dank für das Gespräch. <<
Das Gespräch führten MVF-Herausgeber Prof. Dr. Reinhold Roski und MFV-Chefredakteur Peter Stegmaier.
Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Roski, R., Stegmaier, P.: „Es ist schwierig, immer gleich das große Rad drehen zu wollen“i“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 03/11, S. 6 ff.)
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