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OA MVF 03/11: Telemedizinansätze bei Adipositas

04.10.2012 17:40
In Deutschland sind mittlerweile ca. 37 Millionen Erwachsene übergewichtig (BMI > 25) oder adipös (BMI > 30). Laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit sind 19 % der in Deutschland lebenden Männer und 22 % der Frauen adipös. Experten sprechen bereits von epidemischen Ausmaßen. Auch die Panel-Basisstatistik des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung bestätigt die Verbreitung der Adipositas: Die entsprechende ICD-10-Diagnose E66 war demnach im 1. Quartal 2007 die siebthäufigste Diagnose bei den Allgemeinarztpatienten. 8,5 % aller Patienten wurden als adipös diagnostiziert. Die Ergebnisse der im Januar 2008 veröffentlichten „Nationalen Verzehrstudie des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ belegen ebenfalls die Zunahme von Übergewicht und Adipositas in Deutschland sowie die Zunahme der damit verbundenen Begleit- und Folgeerkrankungen. Insgesamt sind 58,2 % der Studienteilnehmer übergewichtig oder adipös, 66,0 % der Männer und 50,6 % der Frauen.

>> Die volkswirtschaftlichen Kosten der Adipositas werden auf jährlich 530 Millionen Euro geschätzt, jedoch ohne Berücksichtigung der Komorbiditäten. Die Schätzungen zu den jährlichen direkten und indirekten Krankheitskosten durch Adipositas mit Begleit- und Folgeerkrankungen (Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Erkrankungen an Muskeln und Gelenken) in Deutschland reichen von ca. 8 bis 20 Mrd. Euro. Darin enthalten sind rund 50 % indirekte Kosten, z. B. bedingt durch längerfristige Arbeitsunfähigkeit.
Neben einer genetischen Prädisposition spielen bei der Entwicklung einer Adipositas grundlegende Lebensstilfaktoren eine wichtige Rolle: hier sind vor allem Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung als Ursachen zu nennen. Die Selbstreflexion der Betroffenen hinsichtlich ihres Ernährungs- und Bewegungsverhaltens ist meist gering, einfache Selbstmanagementtechniken kommen selten zum Einsatz.
Vor diesem Hintergrund bietet die almeda GmbH, München, das telemedizinische Gesundheitsprogramm Leichter Leben für Adipöse an. Das Programmkonzept wurde gemeinsam mit der DKV Deutsche Krankenversicherung AG entwickelt und wird seit 2008 im Auftrag der DKV umgesetzt. Die medizinische Qualitätssicherung erfolgt durch Prof. Dr. med. Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar, Mitglied des Expertenbeirats der almeda.
Zielgruppe für das Programm sind Versicherte mit einem BMI zwischen 30 – 39,9 kg/m² im Alter von 18 – 65 Jahren.
Das Coachingprogramm soll Versicherte mit Adipositas dabei unterstützen, durch gezielte, motivierende Maßnahmen eine Gewichtsreduktion oder -stabilisierung zu erreichen. Damit wird auch das Risiko für die Entstehung von Folgeerkrankungen gesenkt.
Basierend auf der Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft, sind die wesentlichen Ansatzpunkte und Ziele des Programms:
• Steigerung der körperlichen Aktivität
• Veränderung des Ernährungsverhaltens
• Stärkung der Selbstverantwortung und des Selbstmanagements des Teilnehmers
• Verbesserung des Umgangs mit Stress
• Verbesserung von adipositasassoziierten Risikofaktoren
• Verhinderung von Folgeschäden
• Vermittlung lokaler Leistungserbringer und spezieller Angebote für Adipöse
• Steigerung der Lebensqualität des Teilnehmers
Zentrale Kernelemente des Programms sind zwei Anwendungsfelder der Telemedizin, Telecoaching und Telemonitoring.


Telecoaching
Unter Telecoaching wird die zumeist telefonisch durchgeführte, strukturierte Betreuung von Programmteilnehmern durch medizinisches Fachpersonal („Coach“) verstanden. In Ergänzung zur ärztlichen Versorgung werden die Eigenverantwortung und das Selbstmanagement durch regelmäßige Betreuungsanrufe gefördert. So können notwendige Lebensstiländerungen (z. B. bezogen auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten) und die Compliance nachhaltig unterstützt und verbessert werden.

Das Telecoaching im Gesundheitsprogramm Leichter Leben startet mit einer dreimonatigen Orientierungsphase, in der die Teilnehmer in das Programm eingeführt werden. Zudem werden wichtige anamnestische Daten erhoben. Die behandelnden Ärzte werden gebeten, einen Befundbogen auszufüllen, um möglichst valide Daten für die Betreuung zu erhalten. Zum Ende der Orientierungsphase wird eine Risikostratifizierung vorgenommen, auf deren Basis die Einteilung in eines von mehreren Betreuungsprofilen erfolgt, die sich in Art und Intensität der Einzelmaßnahmen unterscheiden. Ziel ist es dabei, die Teilnehmer entsprechend ihres persönlichen Risikos und ihrer Lebenssituation zu betreuen. Neben regelmäßigen Schulungen und der Erhebung wichtiger Verlaufsparameter ist ein wichtiges Element des Telecoachings die Vereinbarung konkreter Verhaltensziele. Hierzu werden zunächst gesundheitsschädliche Verhaltensweisen mit dem Teilnehmer erarbeitet. Im zweiten Schritt wird die Veränderungsmotivation des Teilnehmers mithilfe des Transtheoretischen Modells von Prochaska bestimmt. Auf dieser Basis werden dann unter Berücksichtigung des SMART-Modells individuelle Ziele vereinbart, deren Umsetzung im Rahmen der Telefonate regelmäßig besprochen und nachgehalten wird.
In Ergänzung zur telefonischen Betreuung werden speziell entwickelte, schriftliche Schulungsunterlagen eingesetzt.
Die Teilnehmer am Gesundheitsprogramm Leichter Leben haben des Weiteren die Möglichkeit, an einer softwaregestützten Ernährungsberatung durch einen Ernährungsexperten teilzunehmen. Dazu füllen die Teilnehmer sieben Tage lang ein Ernährungsprotokoll aus. Die erhobenen Daten werden mit einer speziellen Ernährungssoftware ausgewertet. Die Teilnehmer erhalten im Anschluss einen individuellen Bericht, in dem die Ernährungsdefizite sowie Möglichkeiten zur Optimierung der eigenen Ernährung beschrieben sind. Die Ernährungsberatung erfolgt auf Basis der  Vorgaben der aktuellen Adipositas-Leitlinie zur Ernährungstherapie sowie den Empfehlungen der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung).


Telemonitoring
Beim sogenannten Telemonitoring werden relevante Vitalparameter (wie z. B. Blutdruck, Gewicht) engmaschig überwacht. Die Daten werden über telemetrische Endgeräte in der Regel im häuslichen Umfeld erfasst, an eine Datenbank übertragen und dort automatisch auf kritische Werte und Trends überprüft. Beim Über- oder Unterschreiten definierter Grenzwerte können so rasch und gezielt notwendige Interventionen eingeleitet werden.
Zur Förderung der Bewegung im Gesundheitsprogramm Leichter Leben wird eine Telemonitoringlösung des Unternehmens Aipermon GmbH & Co KG aus München eingesetzt.
Das Telemonitoring beinhaltet neben einem Gewichtsmonitoring auch den Einsatz eines neuartigen Aktivitätssensors (AiperMotion 320. Dieser Aktivitätssensor misst mittels eines dreidimensionalen Hightech-Beschleunigungssensors jegliche Art von Bewegung. Dabei unterscheidet der AiperMotion verschiedene Aktivitätsklassen, die die Intensität und Dauer der jeweiligen Bewegung abbilden.
• Aktiv: alle Bewegungen ohne Schritte wie Haus- und Gartenarbeit
• Langsam Gehen: Spaziergangstempo (3-5 km/h)
• Schnell Gehen: zügiges Gehen (ab 5 km/h)
• Joggen (ab 7 km/h)
Die Aktivität wird in verbrauchten Kalorien und zurückgelegter Entfernung angezeigt. Die Daten werden mittels Telefonleitung zur almeda GmbH gesendet und dort ausgewertet. Der Aktivitässensor wurde bereits erfolgreich in wissenschaftlichen Studien zur Gewichtsreduktion eingesetzt.
Die praktische Anwendung des Aktivitätssensors im Gesundheitsprogramm Leichter Leben gestaltet sich wie folgt: Die Teilnehmer vereinbaren mit ihren Coaches telefonisch ein Tagesziel für die tägliche Bewegung, z. B. zwei Stunden Aktivität am Tag, davon 90 Min. langsames Gehen und 30 Min. schnelles Gehen. Über die Anzeige des Aktivitätssensors erhalten die Teilnehmer jeden Tag ein unmittelbares Feedback über den Umfang ihrer Aktivität. Gleichzeitig wird die Information an die almeda übermittelt. Im folgenden Beratungsgespräch kann dann die körperliche Aktivität der Teilnehmer thematisiert werden. Der Vorteil: Auf dieser Basis können die Coaches noch individueller und nachhaltiger motivieren und beraten.
So kann der Einsatz des Aktivitätssensors dazu führen, das Bewusstsein zur körperlichen Aktivität der Teilnehmer zu sensibilisieren. Zudem motiviert die unmittelbare Kontrollmöglichkeit der täglichen Aktivitätsziele die Teilnehmer, beim Nichterreichen ihrer Ziele abends noch einmal sportlich aktiv zu werden, um das Tagesziel doch noch zu erreichen.
Das Feedback der Programmteilnehmer zum Aktivitätssensor ist durchweg positiv, die motivierende Wirkung auf das Bewegungsverhalten konnte bestätigt werden. Probleme mit der technischen Handhabung wurden nicht berichtet.


Fazit
Das beschriebene Gesundheitsprogramm stellt ein umfassendes Betreuungsangebot zur Senkung von Adipositasrisiken dar, das innovative Komponenten sinnvoll integriert.
Konkrete Fallbeispiele weisen auf positive Effekte hin: So ist es einem Programmteilnehmer gelungen, sein Körpergewicht innerhalb eines Jahres um 30 kg zu reduzieren. Ein weiterer Teilnehmer mit einem Ausgangsgewicht von 125 kg, kaum Alltagsbewegung und keiner sportlichen Aktivität, schaffte nach zwei Monaten mit dem Aktivitätssensor teilweise bis zu 10.000 Schritte pro Tag, er verbrennt dadurch zusätzlich einige Hundert kcal. Eine detaillierte medizinische Evaluation folgt. <<
von: *

Pawel Brocki, Irmgard Rose, Michael Bruhnke, Dirk Pfotenhauer

 

Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Brocki, P. et al.: „Telemedizinansätze bei Adipositas“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 03/11, S. 32 ff.)

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Ausgabe 03 / 2011

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