OA MVF 06/11: Ein guter Ausgangspunkt für Ursachenforschung
>> Rechnet man die Zahlen aus der TK – berichtigt aufgrund der Populationsunterschiede zwischen den einzelnen Kassen – hoch, sind derzeit sind rund 6,3 Millionen der über 50 Jahre alten Bundesbürger von Osteoporose betroffen, was rund jedem Fünften dieser Altersgruppe entspricht. Dabei nimmt die Häufigkeit erheblich mit dem Alter zu: Bei den über 74-Jährigen ist es bereits mehr als jeder Dritte. Erheblich ist auch die Zahl der Osteoporose-Neuerkrankungen: Jährlich erkranken in Deutschland unter den über 50-Jährigen rund 885.000 Menschen (rund 2 % der Altersgruppe) an dieser Knochenkrankheit; aber ebenso die der künftigen Inzidenz: Denn die Zahl der Betroffenen wird laut Häussler aufgrund des demographischen Wandels in den kommenden Jahren weiter steigen.
Knochendichte selten gemessen
Besonders schwerwiegend sind die Folgen einer Osteoporose, wenn es zu Brüchen vor allem des Schenkelhalses oder der Wirbelkörper kommt. Während der BEST-Studienzeit erlitten elf von
100 Osteoporose-Patienten innerhalb eines Jahres mindestens eine Fraktur. „Notwendig ist es, Menschen mit Osteoporose und erhöhtem Knochenbruchrisiko frühzeitig zu identifizieren und konsequent zu behandeln“, unterstrich Osteoporose-Experte und Studien-Mitautor Prof. Peyman Hadji von der Universität Marburg. Problematisch ist nach Erkenntnissen von BEST, dass nur 9 % der unbehandelten Versicherten mit Osteoporose innerhalb von 360 Tagen nach der Fraktur eine Knochendichtemessung erhielten, wobei die entsprechende Leitlinie das zu 100 % vorsieht. Wer nun annimmt, dass Knochendichtemessung im ambulanten Bereich wohl weniger als im stationären durchgeführt wird, irrt. Das Problem heißt DRG: Die meisten Knochenbrüche würden in Krankenhäusern nicht mit der Indikation Osteoporose eingeliefert, wodurch eine Knochendichtemessung nicht zur DRG-abrechenbaren Leistung gehört, auch wenn sie fallweise angebracht wäre.
Eine wesentliche Rolle spielt die Versorgung mit Osteoporose-Medikamenten, die das Risiko für Knochenbrüche verringern. „Hier zeigten sich in der BEST-Studie Verbesserungen im Vergleich zu früheren Versorgungsstudien“, erläuterte Häussler. Während 2003 lediglich 22 Prozent der Teilnehmer einer Studie antiosteoporotische Medikamente erhielten, waren es in der BEST-Studie mehr als 30 Prozent. Zugenommen hat vor allem die Behandlung mit Bisphosphonaten, die 2009 rund 15 Prozent der Menschen mit nachgewiesener Osteoporose verschrieben wurden (2003: 10 Prozent).
Unzureichende Behandlung
Selbst unter den Patienten mit ambulant oder stationär behandelter Fraktur erhielten nur 45 Prozent eine Osteoporose-spezifische Therapie. „Sogar Patienten mit mehreren Frakturen werden nur in der Hälfte der Fälle adäquat behandelt“, so Hadji.
Laut Worten von Prof. Dr. Roland Linder vom Wissenschaftlichen Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), das die Daten zur Verfügung gestellt hatte, war es für ihn hochspannend, mehr über die TK-Versicherten mit Osteoporose zu erfahren – wie die Entwicklung von Prävalenz und Inzidenz, Frakturspektrum nach Alter und Geschlecht, Leistungsinanspruchnahmen, die Qualität der Versorgung und inwieweit die Therapien leitliniengerecht erfolgen.
Die Ergebnisse der von IGES durchgeführten BEST-Studie weisen laut Linder auf einen Handlungsbedarf hinsichtlich der TK-Versicherten Osteoporose-Patienten hin. Möglicherweise würden wirklich zu wenig Betroffene mit Antiosteoporotika versorgt und/oder beenden die Langzeitmedikation vorzeitig. Doch möglicherweise würden auch die Potenziale der Knochendichtemessung zu selten genutzt.
Die Spur des IGeLs?
Linder formuliert bewusst vorsichtig, da es bei der Bewertung der BEST-Ergebnisse eine Vielzahl an Limitationen zu berücksichtigen gelte. Auch wenn Abrechnungsdaten wichtige Hinweise geben würden, könnten sie doch die Versorgungswirklichkeit unzureichend abbilden. So könne beispielsweise die rückläufige Basismedikation auch mit nicht erstattungspflichtigen (und damit für die TK nicht dokumentierten) OTC-Präparaten erklären. Auch sei der geringe Anteil an dokumentierten Knochendichtemessungen nicht alleine dadurch zu erklären, dass vielleicht niedergelassene Ärzte die Abrechnung als (wiederum für die TK nicht dokumentierte) IGe-Leistung bevorzugen. Was aber im Umkehrschluss bedeutet, dass Ärzte ihren Patienten an sich Kassen-erstattungsfähige und von Leitlinien vorgesehene Leistungen vorenthalten, um selbst abzurechnen. Linder: „Aber in vielen Fällen ist vielleicht auch eine Knochendichtemessung bereits im Vorfeld des Beobachtungszeitraums erfolgt oder aufgrund einer Blickdiagnose nicht erforderlich.“
Bevor also aufgrund dieser Studie konkrete Maßnahmen des Versorgungsmanagements –etwa Angebote zum Case Management – in der TK ausgearbeitet werden, gelte es nun, die eindrücklichen Ergebnisse in Expertengesprächen zu hinterfragen und in diesem Zusammenhang Ursachenforschung zu betreiben: Sind die Gründe für eine mögliche Unterversorgung systembedingt, finanziell bedingt („Regressangst“) oder auf der Ebene von Arzt (fehlende Awareness) oder Patient (Non-Adherence) zu suchen?
Für drei andere Volkskrankheiten (Diabetes mellitus, Hypertonie und Fettstoffwechselstörungen) hat das WINEG bereits mit entsprechenden Expertenbefragungen und Datenanalysen begonnen. Auch in Bezug auf das Krankheitsbild „Osteoporose“ erhofft sich Linder künftig im Versorgungsmanagement verwertbare Erkenntnisse und Vorschläge.
Natürlich auch, um Kosten einzusparen. Denn jedes Jahr fallen nach Erkennnissen von BEST hochgerechnet (wieder mit der Einschränkung der unterschiedlichen Kassen-Populationen) 4,5 Mrd. Euro für die Behandlung der Osteoporose zu Lasten der GKV/PKV an. Pro Versichertem sind das immerhin 5.540 Euro, wovon für Osteoporose-spezifische Kosten nur 714 Euro pro Versichertem notiert werden - davon wiederum das Gros (321 Euro) für den stationären Bereich.
Wer nun weiß, dass Frakturen als absoluter Kostenfaktor bekannt sind, erkennt das nachvollziehbare Interesse der Kassen. Während ein Osteoporose-Patient ohne Fraktur nach Erkenntnissen von BEST „nur“ 332 Euro pro Jahr kostet, steigen die Ausgaben bei einer Fraktur auf 905 Euro und bei zwei oder mehreren auf 2.219 Euro. Wobei diese die Lebensqualität einschränkenden und laut Hadji auf die Mortalität durchschlagenden Ereignisse mit richtiger Versorgung und medikamentöser Behandlung vermeidbar, zumindest verringerbar wären. <<
von MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier. <<
Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Stegmaier, P: "Ein guter Ausgangspunkt für Ursachenforschung“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/11, S. 32 f.)
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