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OA MVF 06/11: Ist da, wo Patientencoaching „draufsteht“ auch immer Patientencoaching „drin“?

05.10.2012 10:31
Die Idee zur Implementierung von Patientencoaching in das Gesundheitswesen entstand ungefähr um das Jahr 2002 im Verein für integrative Patientenversorgung (ViP), der Vorgängerorganisation der DGbV. Im Rahmen der Entwicklung des „Brannenburger Mo­dells“ (der Blaupause eines integrativen kooperativen sektoren- und professionsübergreifenden medizinischen Versorgungsverbundes) wurden von Anfang an Fragen der Orientierung der Patienten innerhalb moderner Versorgungsstrukturen diskutiert. Dabei entstanden erste Ansätze für ein Coaching-Konzept.

>> Ein Zitat aus einem der ersten Papiere des Jahres 2003 spiegelt dies wider. Es heißt darin:
„Was von außen betrachtet wie ein gut organisiertes und funktionierendes Auffang­netz für jede Art von Krankheit aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein großes Netz mit vielen Löchern, durch das bereits heute viele Patienten durchfallen und erst viel später im Laufe ihrer Erkrankung dann aber sehr teuer aufgefangen und behandelt werden müssen.
Zielgruppen des Patienten-Coachings sind alle Menschen, die differenzierter und mannigfaltiger Behandlung bedürfen und die aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht alleine in der Lage sind, adäquat die erforderliche Behandlung und Versorgung im bestehenden Gesundheitswesen für sich zu organi­sieren. Darüber hinaus alle chronisch Kranken, die im Gewirr und der Vielfalt von Disease-Management-Programmen, clinical pathways, guide lines und evidence basierter Medizin zunehmend verwirrt werden und sich aus dem großen Angebot möglicher­weise nicht mehr die für sie adäquaten und relevanten Behandlungs- und Versor­gungsbedingungen aussuchen kön­nen.“

In den Folgejahren wurde die ursprüngliche Idee in der Arbeitsgruppe Patientencoaching der DGbV unter Einbeziehung zahlreicher Experten weiterverfolgt, erweitert und präzisiert. Insbesondere wurde dabei eine klare Abgrenzung zu anderen Methoden der Patientensteuerung vorgenommen und Patientencoaching durch die angestrebten Ziele definiert:
„Patientencoaching soll Patienten nachhaltig in die Lage ver­setzen, ihre individuellen Gesundheitsziele zu erken­nen und zu erreichen, indem sie lernen, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Selbst­management der Erkrankung zu entwickeln sowie Angebote und Strukturen zielgerichtet auszu­wählen und zu nutzen und damit ihre Lebensqualität zu steigern.“  

Definition eines Qualitätsstandards
Patientencoaching ist nach wie vor ein ungeschützter Begriff. Jeder Anbieter definiert Patientencoaching selbst. Unter der Bezeichnung Patientencoaching oder entsprechende Synonyme sind in Deutschland unterschiedlichste Angebote auf dem Markt. Patientencoaching kann entweder selbstständig-freiberuflich oder durch angestellte Coaches angeboten werden, die zum Beispiel bei einer Krankenkasse oder einem Service-Dienstleister beschäftigt sind. Wichtig sind fachliche Kompetenz, Unabhängigkeit und die Verpflichtung gegenüber dem Wohl des Patienten. Leider existieren in Deutschland weder allgemein anerkannte Qualitätsstandards für das Patientencoaching noch für die Ausbildung eines Patientencoachs.
Die DGbV sieht deshalb die Notwendigkeit, die Angebote „messen“ und bewerten zu können. Denn nicht jedes Angebot entspricht den speziellen Anforderungen an Coaching oder der Definition von Patientencoaching, wie sie die Deutsche Gesellschaft für bürgerorientiertes Versorgungsmanagement formuliert hat. Die Vergleichbarkeit der Angebote ist stark eingeschränkt, wenn nicht alle wichtigen Aspekte und Kriterien hinterfragt werden. Und die Ergebnisse sind ohne Berücksichtigung der angewendeten Methode kaum vergleichbar.
Diese Tatsachen zeigen die Notwendigkeit, zum Schutz der Patienten wenigstens einen Mindeststandard für Patientencoaches und Patientencoaching zu definieren. Diesem Zweck dient ein Buchprojekt, das jetzt fertiggestellt wurde. Der erste Band dieser Neuerscheinung („Patientencoaching – Grundlagen Praxis“) ist im Verlag von „Monitor Versorgungsforschung“, der eRelation AG - Content in Health, Bonn, erschienen. Der zweite Band („Fach- und Feldkompetenz, Qualitätssicherung, Ausbildungsleitlinien“) wird 2012 folgen.

Klassifizierung von Patientencoaching-Programmen
Ein weiteres, jetzt weitgehend abgeschlossenes Projekt der Arbeitsgruppe sind Checklisten zur Klassifizierung von Angeboten des Patientencoachings. Sie dienen dem Zweck, Transparenz hinsichtlich unterschiedlicher Angebote des Patientencoachings herzustellen, diese vergleichbar zu machen und Coaching-Ergebnisse an Hand von Erfolgsindikatoren zu erfassen und zu bewerten.
Dabei sollten nicht nur die Ergebnisse einer Intervention wie dem Patientencoaching in Bezug zu denen einer Vergleichsgruppe gesetzt werden, bei der diese Intervention nicht eingesetzt wurde. Vielmehr sollte auch hinterfragt werden, mit welcher Methode und welcher Professionalität die Intervention vorgenommen wurde. Denn die Wahl der Methode ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dieses Prinzip gibt die  folgende Abbildung schematisch wieder.
Ein qualifiziertes Patientencoaching erfordert eine gute Ausbildung, soziale, Fach- und Methodenkompetenz des Coaches, Veränderungsmöglichkeit und -bereitschaft des Klienten, Klarheit der Auftragsklärung, geeignete Settings bzw. Rahmenbedingungen, Transparenz, Freiwilligkeit und Vertraulichkeit.
Die individuell angestrebten Verhaltensänderungen müssen mit dem Teilnehmer in Teilzielen formuliert und regelmäßig überprüft sowie die Kriterien der Zielerreichung definiert werden. Auch müssen die unterschiedlichen medizinischen Bedarfe und Bedürfnisse von Patienten berücksichtigt werden, je nachdem ob sie vorübergehend akut erkrankt, chronisch krank ohne Leidensdruck (z.B. Diabetes ohne Beschwerden), chronisch krank mit Leidensdruck (z.B. rheumatische Erkrankung), lebensbedrohlich krank (Krebs), psychisch krank oder dement sind.
Es ist immer kritisch zu hinterfragen, ob da, wo Patientencoaching „draufsteht“, auch wirklich Coaching im eigentlichen Sinne „drin ist“ und ob die Kriterien für Coaching erfüllt sind. Deshalb dienen die Checklisten der Klärung wichtiger Fragen wie beispielsweise:
• Art und Qualität der Intervention
• Ausbildung, Qualifikation und Methodenkompetenz der Leistungsanbieter
• Wurde der Coaching-Begriff richtig interpretiert?

Das Themenspektrum der Checklisten
Mit den etwas mehr als 40 Checklisten können zahlreiche Parameter standardisiert abgefragt werden.
Dies sind die wichtigsten Themenbereiche in Stichworten:
Struktur- und Prozess-Parameter
• Differenzierte Abfrage der Strukturelemente
• Leitbild, Ziele, Transparenz
• Vernetzung und Kooperation mit lokalen und regionalen Ressourcen
• Verwendung klinischer Informationssysteme (IT)
• Angewandte Methoden

Zielgruppen des Coaching-Angebotes und deren Interventionsbedarf
• Auswahlkriterien für die Zielgruppen
• Merkmale und Kennzahlen der Zielgruppen
• Interventionsbedarf (medizinisch und ökonomisch)
• Ansprache und Einwilligung der Patienten

Evaluation des Programms
• Indikatoren für Versorgungsqualität im Verlauf
• Indikatoren für medizinische Ergebnisqualität im Verlauf
• Patientenkompetenz und therapiegerechtes Verhalten im Verlauf
• Patientenzufriedenheit und Lebensqualität im Verlauf
• Wurden Erwartungen von Patienten, Krankenkasse, Ärzten erfüllt?

Ökonomische Parameter
• Bewertung der Kostenentwicklung durch die Intervention
• Kosten des Coachings (z.B. Gehalt und Nebenkosten)
• Gesamtversorgungskosten je Teilnehmer einschließlich Kosten der Intervention

Patientencoaching sollte nicht nur hinsichtlich der Beeinflussung von Ausgaben, sondern immer auch hinsichtlich der Bedeutung für die Lebensqualität der Patienten, der Patientensicherheit und der mittel- und langfristigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen (Produktivität, Arbeitseinkommen, Verrentung) betrachtet werden.
Es ist geplant, die Checklisten in „Patientencoaching - Band 2“ zu integrieren und im Rahmen des DGbV-Kongresses am 9. Mai 2012 in Berlin vorzustellen und zu erläutern. Sie sollen außerdem laufend durch neue Erfahrungen und Erkenntnisse aktualisiert werden. <<

von: Dr. Klaus Meyer-Lutterloh

Dr. Klaus Meyer-Lutterloh

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Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Meyer-Lutterloh, K.: "Ist da, wo Patientencoaching „draufsteht“ auch immer  Patientencoaching „drin“?“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/11, S. 23 ff.)

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Ausgabe 06 / 2011

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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