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OA MVF 03/11: Selektivverträge bieten Chancen

04.10.2012 17:30
Selektivverträge in der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung nach § 73c SGB V bieten Krankenkassen Chancen, die Kosten für die Behandlung chronisch Kranker in den Griff zu bekommen und gleichzeitig bei ihren Versicherten mit neuen Angeboten im Versorgungsmanagement zu punkten. Noch werden die bereits 2007 mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführten neuen Vertragsmöglichkeiten nur sehr selten ausgeschöpft. Das könnte sich allerdings bald ändern. Die einst – oftmals aus Sicht von Ärztevertretern – verschmähten Selektivverträge sind auf dem Vormarsch.

>> Mit dem Gesundheitsfonds und dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (mRSA) ist für die Krankenkassen die Herausforderung gestiegen, die medizinische Versorgung stärker als bisher an den Bedürfnissen vor allem chronisch Kranker auszurichten. Zwar gibt es zum Beispiel für die in der Risikostrukturausgleich-Verordnung verankerten sechs Indikationen (Diabetes mellitus Typ I und II, Koronare Herzkrankheit, Chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen, Asthma bronchiale sowie Brustkrebs) entsprechende
− bereits standardisierte – Disease-Management-Programme. Doch diese sind noch zu wenig gezielt ausgerichtet und funktionieren eher nach dem „Gießkannenprinzip“. Gleichwohl bieten sie eine Grundlage, größere Populationen von chronisch kranken Patienten mittels strukturierter Behandlungspfade optimierter zu versorgen. Vor dem Hintergrund des Gesundheitsfonds/mRSA ist es im Interesse der Kassen, mit spezielleren Angeboten stärker diejenigen chronisch kranken Versicherten anzusprechen, bei denen durch ein gezieltes Versorgungsmanagement in der Zukunft deutliche Einsparungen erzielbar sind. Hier bieten sich Selektivverträge an.


Kassen zögern noch bei Selektivverträgen
Bisher agieren die gesetzlichen Krankenversicherungen bei solchen neuen Vertragskonstruktionen jedoch eher zurückhaltend. Da sie zumindest einen Teil der Leistungen dieser speziellen Versorgungsmanagementprogramme nach § 73c SGB V aus eigenen Mitteln zahlen müssen (Vorleistung zum Beispiel für ärztliche Vergütung als Investition), ist vor deren Implementierung eine Bewertung von „Kosten“ und „Nutzen“ unabdingbar. Die Kassen stehen vor der Herausforderung, Prädiktionsmodelle zu entwickeln, die eine seriöse Prognose über die Ausgabenentwicklung für die definierten chronischen Krankheiten in der Zukunft ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, die „richtigen“ Versicherten auszuwählen. Die vorliegenden Zahlen zur Entwicklung der kassenspezifischen Morbidität werden von vielen Kassen bisher allerdings als zu wenig valide eingeschätzt.


Positive Resonanz auf Konzept der KBV-Vertragswerkstatt zu Selektivverträgen
Doch die gesetzlichen Krankenversicherungen wissen: Sollen die Kosten in den kommenden Jahren nicht weiter aus dem Ruder laufen, müssen mit Hilfe innovativer Versorgungsprogramme die Ausgaben gesenkt werden. Sie stehen Selektivverträgen daher zunehmend offener gegenüber. Das zeigt auch die Resonanz auf das Ende vergangenen Jahres von der Vertragswerkstatt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) entwickelte Konzept zur „qualitätsgesicherten ambulanten Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz“. Mehrere gesetzliche Krankenversicherungen arbeiten derzeit gemeinsam zum Beispiel mit Ärztevereinigungen oder mit den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder daran, dieses Konzept zu übernehmen und sogar weiterzuentwickeln.
Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, unter Herzschwäche leidende Versicherte zielgenau zu steuern. Das Versorgungsprogramm soll ausgewählten Gruppen ergänzend zu den bereits eingeführten Disease-Management-Programmen (DMP) angeboten werden. Die Teilnahme ist freiwillig. Das Konzept basiert auf einer strukturierten Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten und fokussiert die Behandlungspfade anhand evidenzbasierter Leitlinien. Weiterentwicklungen des Konzepts beinhalten gleichzeitig Lösungen zur Hochkostenfallsteuerung sowie zum gezielten Einsatz von Telemonitoring.
Ärzte, die an diesem Programm teilnehmen wollen, müssen unter anderem eine bestimmte Mindestanzahl von Herzinsuffizienz-Patienten betreuen und regelmäßige Fortbildungen nachweisen. Sie bekommen Leitlinien zur medikamentösen Therapie und zu den konkreten Behandlungsschritten. Registriert der Arzt beispielsweise bei einem Patienten eine Gewichtszunahme um einen bestimmten Prozentsatz, so ist er verpflichtet, ihn in die Klinik einzuweisen. Hierzu erhält die Praxis gegebenenfalls auch gezielte Informationen durch ein Telemedizin-Zentrum.
Ziel des Programms ist es, den Gesundheitszustand der Versicherten zu verbessern, die Lebensqualität zu erhöhen und die Zahl der Krankenhauseinweisungen zu verringern. Gleichzeitig wird eine intensive und persönliche Ansprache der Patienten angestrebt. Die beteiligten Ärzte sollen sich gezielt mehr Zeit für die am Programm teilnehmenden Versicherten nehmen und auch den Austausch untereinander stärker pflegen. Aktuell erwägen Kassen, das Konzept um das Krankengeld-Fallmanagement zu erweitern. Das Ziel: Chronisch kranken, unter Herzinsuffizienz leidenden Versicherten eine schnelle Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen. Erstmals sollen dabei auch die Leistungserbringer mit in die Verantwortung genommen werden. Die Pläne sehen ein besonders engmaschiges Zusammenspiel von Haus- und Fachärzten vor. Konkret  gehört dazu beispielsweise ein besseres Terminmanagement oder der schnelle Austausch von Behandlungsberichten. Die Ärzte sollen von dem oftmals hohen bürokratischem Aufwand bei der Betreuung arbeitsunfähiger Patienten entlastet werden, dafür im Gegenzug aber den Krankenkassen Vorschläge zu einer gezielten Unterstützung der Versicherten machen, zum Beispiel in Bezug auf die Einleitung einer beruflichen Wiedereingliederung oder der medizinischen Rehabilitation.
Aufgrund der Multimorbidität von Patienten mit Herzerkrankungen und psychischen Leiden wird zudem in einem nächsten Schritt die Ausweitung auf Angebote zur psychotherapeutischen Behandlung angedacht. Auch hier sollen auf Grundlage evidenzbasierter Leitlinien die Behandlungspfade strukturiert, stationäre Einweisungen vermieden und die Arzneimitteltherapie optimiert werden. Ergänzend ist geplant, bestimmten Versichertengruppen unterstützend ein Online-Programm anzubieten. Es soll neben Selbstbefragungen beispielsweise Verhaltens-
tipps oder Empfehlungen zur Medikamenteneinnahme beinhalten. Die Definition dieser Gruppen wird auf Grundlage der Routinedaten der Krankenkasse und der Einschätzung der weiteren Morbiditätsentwicklung mittels eines Prädiktionsmodells gemeinsam von Experten der Krankenkasse sowie den vertraglich eingebundenen Ärzten und Psychotherapeuten vorgenommen.


Verständnis füreinander gewachsen
Zwar gibt es noch keine endgültigen Beschlüsse von Krankenkassen zur Einführung von entsprechenden Selektivverträgen, dennoch ist das Zwischenfazit positiv. So hat die im Zuge der Entwicklung dieser Konzepte erfolgte enge Zusammenarbeit zwischen den Fachexperten der Krankenkasse und den verantwortlichen Ärzten bereits zu einem deutlich verbesserten Verständnis auf beiden Seiten geführt. Die neu geschaffene Akzeptanz für die unterschiedlichen Sichtweisen von Leistungsträgern und Leistungserbringern fördert den Aufbau von Patientenpfaden, die sowohl die ärztliche Betreuung weiter strukturieren und vereinfachen als auch die wirtschaftliche Versorgung aus Perspektive der Krankenkasse nachhaltiger sichern.
In der kontrovers geführten Diskussion Kollektiv- versus Selektivvertrag streben Krankenkassen und Ärzte in diesem Projekt eine Stärkung des Kollektivvertrages durch eine add-on-Lösung an. Es geht nicht darum, den Kollektivvertrag zu ersetzen, sondern lediglich den kollektivvertraglich freien Zugang zur ärztlichen Versorgung zu ergänzen. Das selektive Vorgehen ist hier empfehlenswert, da eine langjährige, treue und von den Behandlungspfaden enge Zusammenarbeit der Beteiligten angestrebt wird.


Fazit
Selektiv- oder Direktverträge gehören zusammen mit Wahltarifen und Rabattverträgen zu den interessantesten Wettbewerbsmöglichkeiten einer Krankenkasse. Dennoch schöpfen die Kassen das Potenzial bisher bei weitem nicht aus. Das gilt insbesondere für die
§ 73c-SGB V Verträge. Sie bieten Chancen, sich durch Optimierung von Qualität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit der Versorgung von den Mitbewerbern zu differenzieren. Maßgeblich für den Erfolg ist dabei die Schaffung von Win-win-Strukturen für alle Beteiligten. Das in diesem Artikel als Beispiel beschriebene Konzept der KBV-Vertragswerkstatt zur „qualitätsgesicherten ambulanten Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz“ ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Die Kostendynamik im Gesundheitswesen wird auch in den kommenden Jahren nicht abnehmen. Vor dem Hintergrund begrenzter Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds/mRSA sind daher nachhaltige Lösungen im Sinne der fachärztlichen Versorgung als Ergänzung zu Kollektivverträgen zu implementieren. Nicht zuletzt können Selektivverträge zum Beispiel durch gezielte telemedizinische Unterstützungen auch einen wichtigen Beitrag leisten zu einer besseren, wohnortnahen Betreuung chronisch kranker Versicherter in unterversorgten Regionen. <<

von:

Dirk Steffan

 

Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Steffan, D.: „Selektivverträge bieten Chancen“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 03/11, S. 23 ff.)

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