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Hallek: „Wir müssen ganzheitlicher denken“

04.10.2019 14:00
„Rund 15.000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren erkranken jedes Jahr an Krebs. Obwohl die Heilungsaussichten mit über 80% gut sind, haben Erkrankung und die oft notwendige eingreifende Therapie erhebliche soziale und finanzielle Folgen.“ Dies erklärte Prof. Dr. med. Mathias Freund, der Vorsitzende des Stiftungskuratoriums der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, bei der Vorstellung des gemeinsam mit der DGHO herausgegebenen 16. Bands der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe, der einen Schwerpunkt auf die finanziellen und sozialen Folgen der Krebserkrankung bei jungen Menschen legt.

 

>> Finanzielle und berufliche Einschränkungens, so Frend weiter, seien zwei der drei bedeutsamsten Einschränkungen der Lebensqualität junger Krebspatienten, wie in einer Untersuchung aus Leipzig (Geue et al. „Gender-specific quality of life after cancer in young adulthood: a comparison with the general population“)1 deutlich wurde. Zudem würden besonders junge Menschen in einer äußerst sensiblen Phase der Ausbildung oder Etablierung im Beruf getroffen, jedoch seien einige der identifizierten Probleme auch altersübergreifend, weshalb Untersuchungen zu weiteren Altersgruppen folgen sollen.
Die Arbeit von Geue ist aber nur eine von 12 relevanten Arbeiten, in denen laut DGHO über finanzielle Folgen einer Krebserkrankung bei jungen Erwachsenen berichtet wird. Davon sind acht zur Situation in den USA veröffentlicht, zwei zu Deutschland sowie jeweils eine zu Australien und dem Vereinigten Königreich. In der 2019 publizierten Übersicht von Witte et al.2 zur Methodik für die Erfassung finanzieller Folgen von Krebs und Krebsbehandlung werden 43 Studien diskutiert. Dabei ergab sich für die geographische Verteilung ein ganz ähnliches Bild: 30 Studien stammten aus den USA und nur vier aus Europa, davon zwei aus Irland und je eine aus Frankreich und dem Vereinigten Königreich..
Eine ganze Reihe der Arbeiten würde sich Fragestellungen widmen, die entweder mit dem finanziellen Auskommen identisch sind oder eng damit zusammenhängen, wie die Frage nach finanzieller Zufriedenheit, dem Empfinden finanzieller Probleme oder dem Wunsch nach Beratung in finanziellen Angelegenheiten. Je nachdem, wie die Fragestellungen in den Arbeiten angelegt sind, lasse sich die übergeordnete Frage des finanziellen Auskommens indes nicht immer von der Frage des Lebenserwerbs oder des Lebensunterhalts abgrenzen.
Genauer wird hier Bellizzi et al.3.  Die Autoren werteten 523 Patienten aus der US-amerikanischen AYA Hope-Studie aus. Die Patienten zwischen 15 und 39 Jahren mit Keimzelltumor (n=204), Non-Hodgkin Lymphom (n=131), Hodgkin Lymphom (n=142), akuter lymphatischer Leukämie (n=21) und Sarkom (n=25) wurden während den Jahren 2007 bis 2008 nach dem Einfluss der Krebserkrankung auf ihre finanzielle Situation befragt. Auffällig sei, dass in den höheren Altersgruppen eine negative Einschätzung ausgeprägter ist. Hier stellt die DGHO die Vermutung an, dass vielleicht die Lebenserfahrung der Jüngeren noch nicht ausreiche, um das Ausmaß der Veränderungen zu erkennen, oder sie lebten möglicherweise noch im Elternhaus und hätten weniger finanzielle Verpflichtungen.
Guy et al.4 nutzten hingegen Zahlen der Jahre 2008 bis 2001 aus dem Medical Expenditure Panel Surveys (MEPS) und bezifferten auf dieser Grundlage die Verluste im Lebenserwerb und anfallende Gesundheitskosten für Überlebende nach einer Krebsdiagnose im Alter zwischen 15 und 39 Jahren. Die in dieser Arbeit errechneten Einkommensverluste ergeben sich aus dem amerikanischen Durchschnittseinkommen für 2011 mit 34.460 US-Dollar und den krankheitsbedingten Ausfallstagen. Die Einkommensverluste und Mehrausgaben für Gesundheit seien für die Überlebenden nach Krebs erheblich.
Geue et al. nutzten laut DGHO den EORTC QLQ-C30-Fragebogen (European Organization for the Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire-Core 30 Fragebogen) für eine vergleichende und geschlechtsspezifische Untersuchung der Lebensqualität bei Frauen und Männern mit Krebs im Alter zwischen 18 und 39 Jahren. Damit seien wichtige Daten zum finanziellen Auskommen der Patienten gesammelt worden.
Die vier Auswahlmöglichkeiten zur Beant-wortung der Frage „Hat Ihr körperlicher Zustand oder Ihre medizinische Behandlung für Sie finanzielle Schwierigkeiten mit sich gebracht?“ seien mit 0 bis 100 Punkten
(0 = keine, 100 = schwere Symptomatik) bewertet worden. Für 117 junge Krebspatienten lag der Mittelwert bei 28,21 Punkten, während er in einem repräsentativen Vergleichskollektiv von 585 Personen ohne Krebserkrankung mit 3,33 Punkten deutlich niedriger ausfiel. Orientiert man sich am Punktwert, dann waren Fatigue (37,61), finanzielle Probleme (28,21) und Schlafstörungen (24,5) die drei am meisten belastenden Probleme für die jungen Patienten. Dies entspricht nach Ansicht der DGHO den Ergebnissen einer Untersuchung von Hall et al. aus Australien an 58 jungen Krebspatienten zwischen 18 und 40 Jahren, die ebenfalls mit dem EORTC-QLQ-30-Bogen durchgeführt wurde.5 Auch hier seien Fatigue (33,3), Schlafstörungen (30,5) und finanzielle Probleme (28,2) die drei am meisten belastenden Probleme gewesen.
Die Frage nach finanziellen Problemen bewerteten in der deutschen Studie von Geue et al. 40 befragte junge Männer mit Krebs im Mittelwert mit 20,83 Punkten, während es für die 77 befragten Frauen ein Mittelwert von 32,03 Punkte war (17). Frauen seien also von Einschränkungen ihres finanziellen Auskommens durch Krebserkrankung und -behandlung stärker betroffen gewesen als Männer. Zum Vergleich: Der Mittelwert zu dieser Frage betrug in der Kontrollgruppe ohne Krebs 3,33 Punkte. Ob dieser Unterschied im strengen Sinne geschlechtsspezifisch ist oder vielmehr durch die unterschiedlichen Krebsdiagnosen und die damit einhergehenden unterschiedlichen Therapien bedingt ist, bleibt für die DGHO unklar: Bei den Frauen hatten 53% der Befragten ein Mammakarzinom und 26% hämatologische Neoplasien. Bei den Männern lag der Anteil der hämatologischen Neoplasien bei 55% und 27% von ihnen hatten ein Hodenkarzinom.
Konsequenzen für die Medizin
„Wir brauchen dringend bessere Untersuchungen zu den Auswirkungen von Krebs und seiner Behandlung auf die soziale Lage unserer Patientinnen und Patienten, denn sie haben eine große Bedeutung für die Entwicklung besserer und nebenwirkungsärmerer Therapiekonzepte. Unsere Therapie muss sich am optimalen Ergebnis für das Überleben bei tragbaren sozialen Folgen für die Betroffenen messen. Kurzum, wir müssen ganzheitlicher denken“, betonte Prof. Dr. med. Michael Hallek,
Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Universitätsklinik Köln und des Centrums für Integrierte Onkologie.
Die Mehrzahl der jungen Krebspatienten wird langfristig durch niedergelassene Hämatologen und Medizinische Onkologen betreut. „Hier geht es nicht nur um Medikamente, Laborwerte und Röntgenbilder. Es ist uns wichtig, mit unseren Patientinnen und Patienten zu sprechen. Im Rahmen der Langzeitbehandlung stehen späte Toxizität und Zweitneoplasien im Vordergrund. Darüber hinaus be-
dingt das junge Le-
bensalter eine differenzierte Lebensplanung“, erläuterte
Prof. Dr. med. Wolf-
gang Knauf, Vorsit-
zender des Berufs-
verbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO) e. V. „Leider werden gerade diese wichtigen Leistungen der sprechenden Medizin in unserem System nicht ausreichend gewürdigt und finanziert.“
Unmittelbare finanzielle Belastungen und drohender sozialer Abstieg
Eine Krebserkrankung führt leider auch un-
mittelbar zu finanziellen Belastungen. Diese entstehen durch Zuzahlungen, die die Patienten leisten müssen, und durch Kosten, die nicht von den Sozialversicherungen übernommen werden, wie in der vorgestellten Publikation ausgeführt wird. Krebsbehandlungen sind langwierig. Das Krankengeld beträgt 70% des regelmäßigen Arbeitsentgelts. „Wenn sich die Behandlung länger als 78 Wochen hinzieht, bleibt nur noch die Erwerbsminderungsrente. Im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 44 Jahren bedeutet das knapp unter 800 Euro im Monat“, sagte Dr. med. Volker König, Mitglied des Arbeitskreises Onkologische Rehabilitation der DGHO. „Ganz schlimm trifft es diejenigen, die in Ausbildung sind und noch keine Leistungsansprüche erworben haben. Sie rutschten nach kurzer Zeit auf Sozialhilfeniveau ab.“
Praktische Forderungen und
Verbesserungsvorschläge
„Analyse und Ratgeber sind ein erster wichtiger Schritt, aber wir müssen auch zu wirklichen Veränderungen kommen und etwas bewegen“, betonte Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Vorstand der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, Mitglied im Vorstand der DGHO und Oberärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Dazu haben DGHO und Stiftung in einem eigenen Kapitel Vorschläge und Forderungen zusammengefasst.
An erster Stelle ist es nach Meinung der Autoren notwendig, in Deutschland die Forschung zu finanziellen und sozialen Folgen von Krebs zu intensivieren. Die Politik müsse die organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, damit auch in der Bundesrepublik Analysen nach dem Vorbild der skandinavischen Länder oder den Niederlanden möglich sind. Die Entwicklung spezieller Rehabilitationskonzepte sollte in vergleichenden Studien erfolgen und brauche eine spezielle Förderung. Darüber hinaus gelte es einige ganz praktische Fragen zu lösen, darunter, wie der unmittelbare finanzielle und soziale Absturz von Erkrankten in der Ausbildung verhindert werden könne. „Über diese Dinge werden die Betroffenen mit der Politik reden wollen. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und die DGHO werden ihnen dabei gerne helfen“, sagte Lüftner in ihrem Schlusswort. <<
von: Martin Klein

Ausgabe 05 / 2019

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Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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