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„Eine Selbstverpflichtung zum win-win“

04.06.2018 14:00
Die IGiB GbR (Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg) hat sich die Sicherung der medizinischen Versorgung insbesondere in den ländlichen Regionen zum Ziel gesetzt. Dafür entwickelt sie neue Versorgungsmodelle und -strukturen. Sie wurde 2009 von der damaligen AOK Brandenburg und der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) gegründet. 2010 schloss sich die Barmer an. IGiB-Geschäftsführer Lutz O. Freiberg beantwortet im Interview Fragen zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der IGiB GbR.

http://doi.org/10.24945/MVF.01.19.1866-0533.2118

>> Herr Freiberg, eine gute Zusammenarbeit zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen gibt es vielerorts. Was ist das Besondere an der IGiB?
Was uns von anderen Partnerschaften zwischen KVen und Krankenkassen unterscheidet, ist dauerhaft eng zu kooperieren und nicht nur temporär und bezogen auf Einzelthemen zusammenzuarbeiten. Wir stellen uns den Herausforderungen des Gesundheitssystems in Gänze und nicht aus dem Blickwinkel von Partikularinteressen. Das ist eine Selbstverpflichtung zum Geben und Nehmen und zum win-win. Den Schritt gehen viele andere nicht. Die Rechtsform der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts GbR schafft hierfür die notwendige Verbindlichkeit.

Erfolgreiche Konzepte werden doch gern kopiert. Warum ist die IGiB GbR dennoch deutschlandweit einzigartig?
Tatsächlich hatte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auf der IGiB-Konferenz 2017 gesagt, dass die IGiB ein bundesweites Modell für eine erfolgreiche und nachhaltige Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich sein könne. Wir haben aber nur ein Mandat für Brandenburg. Insofern bedarf es der Übernahme guter Lösungen durch Partner in anderen Bundesländern, um eine überregionale Wirkung zu erreichen. Insofern ist kopieren doch gar nicht schlecht.

Treten die – sicher zum Teil gegensätzlichen – Eigeninteressen der Partner immer in den Hintergrund?
Das Besondere ist, dass wir in der IGiB unternehmensübergreifend arbeiten. Gerade in der Anfangszeit mit völlig neuen Themen und Beteiligten war es zunächst schwer, aus den unternehmensspezifischen Verhaltens- und Denkmustern herauszukommen. Die Mitarbeiter aus den verschiedenen Häusern hatten gegenseitige Vorurteile oder Rituale im Umgang miteinander entwickelt. Man kannte sich gegebenenfalls aus Vertragsverhandlungen. Da saß man sich am Verhandlungstisch gegenüber und hatte nur die Interessen des eigenen Hauses zu vertreten. Das haben wir zwischenzeitlich bei Projekten der IGiB komplett überwunden. In den verschiedenen Arbeitsgruppen der IGiB wird für die IGiB gearbeitet. Mittlerweile sind da gute Teams entstanden. Die Mitarbeiter vergessen, dass sie nicht demselben Unternehmen angehören. In den Arbeitsgemeinschaften werden zum Teil Ideen entwickelt, von denen die Mitarbeiter absolut überzeugt und begeistert sind – auch wenn sie zunächst nicht in die bestehende Linie ihres eigenen Unternehmens passen. Es entsteht eine Identität mit dem Projekt. Dazu haben auch praktische Elemente wie die in der IGiB entwickelte elektronische Kooperations- und Abrechnungsplattform KAP beigetragen, über die unternehmensübergreifend zusammengearbeitet werden kann.

Woran machen Sie den Erfolg der IGiB fest?
Wir werden in 2019 bereits zehn Jahre aktiv sein. Das ist im Gesundheitssystem keine lange Zeit. Dennoch werden wir von Außenstehenden extrem positiv gesehen. Mit unseren Produkten wurden wir mehrfach mit dem dfG-Award ausgezeichnet. Darüber hinaus sind wir seit mehreren Jahren in Folge als Innovationsträger im Masterplan Gesundheit Berlin-Brandenburg geführt und in der Politik stehen wir für gute Ideen und erfolgreiche Innovationen. Unsere Kongresse und Foren sind sehr gut besucht. Allein bei der 2. IGiB-Konferenz 2017 waren 400 Experten und Entscheider aus ganz Deutschland zu Gast. Und der Bundesgesundheitsminister Schirmherr. Von der IGiB haben daher viele profitiert, nicht nur die Partner KVBB, AOK Nordost und BARMER.

An welche Projekterfolge denken Sie konkret?
Die agneszwei ist eines unserer bekanntesten und erfolgreichsten Modelle. Die hochqualifizierte Fallmanagerin kümmert sich ganzheitlich um oftmals multimorbide Patienten. Daneben entlastet sie die Ärzte im Land Brandenburg von klassisch-delegierbaren Aufgaben. Das Curriculum ist mittlerweile von der Bundesärztekammer in der Ausbildung „Case Management in der ambulanten medizinischen Versorgung“ übernommen worden und das neue Tätigkeitsfeld für medizinische Fachangestellte damit bundesweit verfügbar.

Sie sagen „eines unserer Modelle“. In seiner Replik „Grundlagen der eigenen Arbeit anerkennen“ (MVF 04/18) auf Ihren Artikel „Es wird Zeit für die Etablierung des Fallmanagements“ (MVF 03/18) erklärte Prof. Hoffmann, dass agneszwei auf dem in Greifswald ent-wickelten AGnES-Konzept basiert, agneszwei jedoch an regionale und aktuelle Anforderungen an die Versorgung angepasst wurde, doch Design, Curriculum, Implementation und Evaluation des Konzeptes seines Wissens bisher nicht publiziert wurde. Wie steht es denn nun damit?
Wie bereits im MVF-Artikel in der Ausgabe 4/18 ausführlich nachlesbar, ist agneszwei eine Weiterentwicklung des AGnES-Konzeptes. Es bricht die dortigen Restriktionen auf – wie die Begrenzung auf nur unterversorgte Regionen, den Einsatz nur für Hausärzte und die Ausübung von nur delegationsfähigen Leistungen. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management wurde ein Schulungskonzept entwickelt, in welchem das Fallmanagement für besonders betreuungsintensive, multimorbide und immobile Patienten im Mittelpunkt der agneszwei-Tätigkeit steht. Dies beinhaltet die Koordination und das Monitoring der medizinisch notwendigen Betreuung, stets in enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt, sowie die Organisation der krankheitsbezogenen kontinuierlichen Versorgung. Hierfür optimiert sie die Behandlungskette durch den Aufbau und die Pflege eines Behandlungs- und Betreuungsnetzwerks rund um den Patienten, so dass dieser selbstständig in der eigenen Häuslichkeit verbleiben kann. Die BÄK hat in ihrem Curriculum „Case Management in der ambulanten medizinischen Versorgung“, welches im Jahr 2016 erstmalig veröffentlicht wurde, das Schulungskonzept zur agneszwei integriert. Die Landesärztekammer Brandenburg hat auf dieser Grundlage im Dezember 2018 bereits den zweiten Ausbildungskurs durchgeführt. Und seit 2012 werden kontinuierlich jedes Jahr agneszwei-Fachkräfte (ab 2017 sog. FallbegleiterINNEN) weiterqualifiziert. Aktuell gibt es in Brandenburg 151 qualifizierte agneszwei-Fachkräfte und zunehmend mehr FallbegleiterINNEN in anderen Bundesländern.

Gibt es noch weitere Projekte mit Ihrer Beteiligung?
Ein anderes Projekt mit bundesweiter Beachtung ist die „Strukturmigration im Mittelbereich Templin“, kurz StimMT. Dieses Innovationsfonds-
projekt ist so groß und komplex, dass wir dafür eine eigene Tochtergesellschaft der IGiB GbR gegründet und zahlreiche weitere Partner – insbesondere den Krankenhauspartner SANA – eingebunden haben. Die IGiB StimMT gGmbH leitet als Konsortialführer das komplette Projekt.
Unabdingbar für den Erfolg dieses Projekts wird sein, dass die sektorenübergreifende Versorgung funktioniert. Nun hat sich in Templin kürzlich ein Arztnetz gegründet. Wie wird dieses eingebunden?
Das Arzt- und Psychotherapeutennetz „Gesund in Templin e.V.“ ist unmittelbar in die regionale Projektgruppenarbeit vor Ort und die Gremienarbeit der Projektpartner eingebunden. In dem hier in Templin gestarteten Projekt, in dem es darum geht, Versorgungsstrukturen generell zu überdenken und zu verändern, liegt viel Arbeit und Wissen bei denen, die tagtäglich die Menschen vor Ort versorgen. Hier ist das Arzt- und Psychotherapeutennetz Dreh- und Angelpunkt, um das Projekt erfolgreich umzusetzen. Zudem soll das Netz als Partner in die Diskussion zu neuen Träger- und Betreibermodellen eingebunden werden.

Irgendwann wird sicher auch die Diskussion geführt werden müssen, wem das im Zuge des öffentlich geförderten Projekts neu aufgebaute, ambulant-stationäre Zentrum eigentlich gehört. Wie lautet da Ihre Antwort? .
Die Trägerstruktur des zukünftigen ASZ ist ein wichtiger Baustein des Projektes, an dem im Moment noch gearbeitet wird.

Hat die IGiB weitere Anstöße gegeben?
Auch die Bereitschaftsdienstpraxen in Brandenburg waren eine Idee der IGiB. Die erste Bereitschaftsdienstpraxis in Potsdam und die kinderärztliche Bereitschaftspraxis in Cottbus waren Piloten, die Grundlage für ein landesweites Roll-Out. Mittlerweile gehören sie zur Regelversorgung und sind in der Bereitschaftsdienstreform der KVBB aufgegangen. Zentrale Elemente wie die Etablierung der Bereitschafts-
praxen unmittelbar vor der  Rettungsstelle und die gemeinsame Anmeldung waren schon im Grundkonzept enthalten.

Was lief nicht so gut in den vergangenen zehn Jahren?
Nicht so erfolgreich war sicherlich das Projekt Patientenbus, auch wenn es ihn als Shuttlebus zum KV RegioMed Zentrum in Templin weiterhin gibt. Denn die Idee, für Patienten die Erreichbarkeit der Praxen auch ohne eigenes Fahrzeug und in strukturschwachen Regionen zu sichern, ist richtig. Erreichbarkeit medizinischer Versorgung ist ein wichtiges Thema. Doch kann die IGiB dafür nur einen Anstoß geben, da weder die KV noch die Krankenkassen für den öffentlichen Nahverkehr und die Daseinsversorgung zuständig sind. Der „Patientenbus“ muss ein Angebot des öffentlichen Nahverkehrs sein.

Woran arbeiten Sie aktuell?
Unter anderem legen wir das Projekt Polypharmazie neu auf. Hierbei wird das Arzneimittelmanagement digital unterstützt. Wir greifen dabei auf das Innovationsfondsprojekt ADAM aus Nordrhein-Westfalen zurück, gehen aber noch einen Schritt weiter: Die Patienten werden von einer agneszwei begleitet. Denn gerade ältere Menschen können mit einem ausgedruckten Medikationsplan nur wenig anfangen. Hier braucht es die persönliche Unterstützung in der häuslichen Umgebung, damit nicht nur der Plan bestmöglich für den Patienten ist, sondern auch die Einnahme ohne vermeidbare Nebenwirkungen bleibt.

Herr Freiberg, vielen Dank für das Gespräch. <<



Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

 

Zitationshinweis: Freiberg, L., Stegmaier, P.:„Eine Selbstverpflichtung zum win-win“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (01/19), 20-22.; doi: 10.24945/MVF.01.19.1866-0533.2118

Ausgabe 01 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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