Sie sind hier: Startseite Abstracts Kurzfassungen 2019 Braucht die Versorgungsforschung in Deutschland ein Sterbeortregister?
x
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Braucht die Versorgungsforschung in Deutschland ein Sterbeortregister?

04.04.2019 10:20
Der Umstand, dass bis heute nicht bekannt ist, wie viele Menschen in Deutschland zuhause versterben, wird als Ausgangspunkt der Argumentation zugunsten der Etablierung eines Sterbeortregisters gewählt. Hierfür wird die grundsätzliche Bedeutung – bei durchaus heterogenen Zielsetzun-gen und funktionalem Zweck – medizinischer Register erkennbar gemacht. Deutlich wird, dass von einem Sterbeortregister kurzfristig insbesondere für die Versorgungsplanung und die Gesundheitspolitik, mittelfristig aber auch für die Qualitäts-entwicklung der Versorgung sowie mittel- bis langfristig Erkenntnisse für die Versorgungsforschung und für epidemiologische Studien, ein deutlicher Nutzen zu erwarten ist. Dies betrifft alle Orte (Milieus, Settings) der Versorgung. Um solch ein Sterbeortregister inhaltlich und auch funktional wirkungsvoll auszugestalten, sollte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe mit transsektoraler Erfahrung über die Pallia-tivversorgung hinausreichend zusammengeführt werden. Indes wäre allein schon die genaue – und jährlich berichtete – Ermittlung des Sterbeortes ein deutlicher und praktisch einfach zu erreichender Fortschritt.

http://doi.org/10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2191

Abstract

Von einer einführenden Beschreibung der Funktionen und Anwendungen von Registern ausgehend wird die Situation zur Berichterstattung zum Sterbeort berichtet. Es wird aufgezeigt, dass die bis heute geübte Praxis der alleinigen Berichterstattung der in den Krankenhäusern Verstorbenen sowohl aus versorgungsforschender als auch ‑gestaltender Perspektive unbefriedigend ist. Es wird deutlich, dass die Etablierung eines Registers bzw. der zentralen Erfassung relevanter Informationen für unterschiedliche Akteure bzw. Funktionen einen Nutzen besitzen würde: das Qualitätsmanagement, die Gesundheitssystemgestaltung, die BürgerInnen bzw. deren Vertretungen und nicht zuletzt die Leistungsakteure selbst. Zudem könnte ein Sterbeortregister zentralen moralischen Prinzipien medizinisch-pflegerischen Handelns verstärkt Geltung verschaffen.

Does Healthcare Research in Germany need a Register of Places of Death?
Starting from an introductory description of the functions and applications of registers in general, the current state of affairs with regard to reporting on the place of death is described. It is demonstrated that the practice of reporting only those who have died in hospitals to date is unsatisfactory from both a health services research and a policy perspective. As it becomes apparent, the establishment of a register or centralized registration of relevant information would have benefits for different actors or functions: quality management, management and shaping of the health care system, citizens or their representatives and, last but not least, the service providers themselves. In addition, a register of places of death could give more weight to central moral principles of professional action in health care.

Keywords
Register of pleace of death, health services research, ethics, health economics

Prof. Dr. phil. Wolfgang George - Dr. med. Thorsten Fritz - Prof. Dr. med. Jens Papke - Prof. Dr. phil. habil. Karsten Weber - Pavel Larionov MSc

Literatur:

1. Pflegereport der DAK 2016: Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 14) Palliativversorgung: Wunsch, Wirklichkeit und Perspektiven. Herausgeber: Herbert Rebscher, DAK-Gesundheit, Hamburg
2. https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/sterbehilfe_begleitung/article/944834/repraesentative-umfrage-wo-sterben-wirklichkeit-wunsch-klaffen-auseinander.html aufgerufen am 1.1.2019
3. Hostettler S, Hersperger M, Herren D: Medizinische Register: Wo liegt der Schlüssel zum Erfolg, Grundlagenpapier der DDQ 2012
4. Greiner, W. „Health Technology Assessment (HTA)“. In Gesundheitsökonomische Evaluationen, herausgegeben von Oliver Schöffski und J.-Matthias Graf Schulenburg, 447–69. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2008. http://www.springerlink.com/index/10.1007/978-3-540-49559-8_19.
5. Caine, N. „Health technology assessment – principles, pointers and problems“. Perfusion 12, Nr. 4 (1997): 269–72.
6. Perleth, M., und R. Busse. „Health Technology Assessment (HTA) – Teil und Methode der Versorgungs-forschung“. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 9, Nr. 03 (Juni 2004): 172–76. https://doi.org/10.1055/s-2004-813160.
7. Perleth, M., und F. W. Schwartz. „Health Technology Assessment (HTA), evidenzbasierte Medizin (EbM)“. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 44, Nr. 9 (1. September 2001): 857–64. https://doi.org/10.1007/s001030100249.
8. Hart, Dieter. „Health Technology Assessment (HTA) und gesundheitsrechtliche Regulierung“. MedR Medizinrecht 19, Nr. 1 (1. Januar 2001): 1–8. https://doi.org/10.1007/s003500000338.
9. https://www.sueddeutsche.de/politik/implant-files-reaktionen-jens-spahn-gesundheitsminister-1.4225529 aufgerufen am 1.1.2019
10. Kurth BM: Schwerpunkthefte Medizinische Register 5/2004 Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47(5):415-415 DOI: 10.1007/s00103-004-0847-y
11. https://www.dgpalliativmedizin.de/projekte/hospiz-und-palliativregister.html aufgerufen am 1.1.2019
12. Lühmann, D. & H. Raspe (2008) ‚Ethik im Health Technology Assessment – Anspruch und Umsetzung‘, Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 102(2): 69–76.
13. Gerhardus, A. & A. K. Stich (2008) ‚Soziokulturelle Aspekte in Health Technology Assessments (HTA)‘, Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 102(2): 77–83

Printmagazin abonnieren

Einzelheft bestellen

Ausgabe im Archiv (nur für angemeldete Benutzer/Abonnenten)


Zitationshinweis: George et al.: „Braucht die Versorgungsforschung in Deutschland ein Sterbeortregister?“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (06/19), S. 57-60, doi: 10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2191

PDF - Open Access

Plain-Text:

Braucht die Versorgungs-forschung in Deutschland ein Sterbeortregister?

Der Umstand, dass bis heute nicht bekannt ist, wie viele Menschen in Deutschland zuhause versterben, wird als Ausgangspunkt der Argumentation zugunsten der Etablierung eines Sterbeortregisters gewählt. Hierfür wird die grundsätzliche Bedeutung – bei durchaus heterogenen Zielsetzun-gen und funktionalem Zweck – medizinischer Register erkennbar gemacht. Deutlich wird, dass von einem Sterbeortregister kurzfristig insbesondere für die Versorgungsplanung und die Gesundheitspolitik, mittelfristig aber auch für die Qualitäts-entwicklung der Versorgung sowie mittel- bis langfristig Erkenntnisse für die Versorgungsforschung und für epidemiologische Studien, ein deutlicher Nutzen zu erwarten ist. Dies betrifft alle Orte (Milieus, Settings) der Versorgung. Um solch ein Sterbeortregister inhaltlich und auch funktional wirkungsvoll auszugestalten, sollte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe mit transsektoraler Erfahrung über die Pallia-tivversorgung hinausreichend zusammengeführt werden. Indes wäre allein schon die genaue – und jährlich berichtete – Ermittlung des Sterbeortes ein deutlicher und praktisch einfach zu erreichender Fortschritt.

>> In regelmäßigen Abständen wird über Befragungen berichtet, in denen die deutsche Wohnbevölkerung als präferierten Ort des Sterbens das eigene Zuhause angibt [1, 2]. Vergleichbare Trends werden auch international berichtet. Auch wenn bei genauerer Betrachtung – bzgl. der Methode bzw. der Umstände des Zustandekommens – solcher Ergebnisse klar wird, dass diese nur eine eingeschränkte Gültigkeit besitzen und daher zu relativieren sind, bleibt die Eindeutigkeit des formulierten Willens ungebrochen: Ginge es nach den Wünschen der Betroffenen, würden diese zum überwiegenden Anteil in ihrem vertrauten häuslichen Umfeld sterben. Dieser Wunsch erscheint nicht nur nachvollziehbar, sondern aufgrund des erreichten durchschnittlichen Lebensalters auch begründbar: dieses lag 2016 bei 80,6 Jahren.
Wenn nun dieser gesellschaftlich – bei aller interpretativen Vorsicht – eindeutig formulierte Willen für die Ausrichtung der Gesundheitsversorgung bzw. der Versorgung sterbender Menschen zur Geltung kommen soll, dann müsste die Leistungsgestaltung des deutschen Gesundheitssystems in diesem Sinn ausgerichtet bzw. perspektivisch priorisiert werden. In der Tat sind entsprechende Strukturen bzw. Angebote in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten durch den Neuaufbau  in Gestalt von Hospizgruppen bzw. Hospizarbeit, der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sowie der ergänzenden Stärkung primärer ambulanter Versorgungssysteme in Form der Allgemeinen ambulanten Palliativversorgung durch Hausärzte und Pflegedienste (AAPV) zumindest anteilig geschaffen worden.
Zugleich muss jedoch überraschen, dass ein entscheidender Messwert, der Aufschluss über den Fortschritt in Hinblick auf die gerade skizzierte gesellschaftliche Zielerreichung und die Effizienz der geschaffenen Versorgungsstrukturen Auskunft geben könnte, fehlt bzw. noch nicht in ausreichender Genauigkeit zur Verfügung steht: Die genaue Anzahl der in Deutschland (oder besser: in jedem einzelnen Bundesland) zuhause betreuten Sterbenden sowie deren Anteil in Relation zu denjenigen Personen, die im Krankenhaus bzw. in stationären Pflegeeinrichtungen versterben, ist nicht bekannt. Wenn diese Werte vorlägen, wäre es möglich zu erkennen, ob die Ergebnisse der Gesundheitssystemsteuerung von der Art sind, dass sie zu dem bereits formulierten Ziel führen.

Register in der Medizin und Gesundheitsversorgung

Ein medizinisches Register ist eine systematische Sammlung von konformen, d.h. einheitlichen Daten und Informationen, die über eine definierte Population Auskunft geben [3]. Es handelt sich demnach im idealen Fall um eine Datenbank (für einen definierten Kreis) abrufbarer, transparent zusammengeführter Informationen. Dabei dienen medizinische Register durchaus unterschiedlichen Zwecken. Ihren Ursprung finden diese vor allem in einem epidemiologisch-klinischem Umfeld (Beispiel: Infektionserkrankungen). In Deutschland und anderen westlichen Ländern bekannt wurden die „Krebsregister“, an deren bis heute andauernden (Fort-)Entwicklung sich gut die ändernden Anforderungen aufzeigen lassen. Auch die systematische Geburten- oder Todesursachenermittlung und deren Dokumentation, wie sie die Gesundheitsberichterstattung des Bundes vorsieht, werden als Register bezeichnet.
In den letzten Jahren gewann die ökonomische Nutzenbewertung etwa in therapeutischen Zulassungsstudien in Gestalt des Health Technology Assessments (HTA) zusehends an Bedeutung [4, 5, 6] – auch in Kombination mit Diskussionen zur Evidenzbasierung medizinischer Interventionen [7] sowie der gesetzlichen Regulierung des Gesundheitswesens [8]. Die im November 2018 in den Massenmedien weithin vorgetragenen und in einer breiten Öffentlichkeit diskutierten Defizite in der Bereitstellung und Qualitätssicherung von Medizinprodukten mündeten in der Ankündigung des Gesundheitsministers zur verbindlichen Einführung eines unabhängigen und eindeutigen Melderegisters, das auch für die PatientInnen einsehbar sein soll [9]. Schon dieses Beispiel zeigt, dass sehr unterschiedliche Stakeholder und deren Interessen existieren, so bspw. epidemiologische, ursachenermittelnde, qualitätssichernde, therapiebezogene, versorgungsforschende und eben auch gesundheitspolitische Stakeholder und deren Interessen. Das Thema hat nicht erst seit heute eine erhebliche Bedeutung, was sich auch daran zeigt, dass das Bundesgesundheitsblatt bereits vor geraumer Zeit (2004) allein dieser Problematik zwei Ausgaben widmete [10].
Ein Blick in die Literatur zu medizinischen Registern zeigt, dass diese dann erfolgreich eingeführt werden können und dauerhaft Bestand haben, wenn sie einen klar ersichtlichen Nutzen – etwa als wissenschaftlicher Ertrag ausgedrückt – für zahlreiche Stakeholder im Gesundheitswesen erbringen, und ebenso, wenn eine nachhaltige Qualitätssichersicherung gelingt, zu der auch die Sicherstellung der Finanzierung gehört. Eine weitere, methodische wie inhaltliche, Anforderung ergibt sich aus den zu erreichenden Fallzahlen. Auch in den Bundesgesundheitsblättern wird deutlich, dass Register sorgfältig geplant, klug in deren Pflege und Entwicklung hin zu aussagefähigen Kohorten organisiert und dabei bedarfs- und nutzenorientiert gestaltet werden müssen. Wird dies erreicht, dann gelingt eine nachhaltige Sicherung und die Register erweisen sich als systematisch nutzbares Instrument nicht nur des medizinischen Erkenntnisgewinns.


Register zu den Sterbeorten

Als Sterbeorte sind in Deutschland neben dem häuslichen Umfeld die ca. 1.400 relevanten Krankenhäuser, die ca. 13.000 stationären Pflegeheime sowie die 240 Hospize zu benennen (letztere gehören formal zu den stationären Pflegeeinrichtungen). Genau bekannt sind durch den Bericht im Statistischen Jahrbuch die Sterbefälle: In 2016 verstarben von ca. 910.000 insgesamt Verstorbenen ca. 419.000 im Krankenhaus (ca. 46%). Bislang fehlt jedoch eine Aussage dahingehend, in welchen Versorgungseinheiten bzw. auf welchen Stationen die PatientInnen versterben. Nur so wäre es möglich die Bedeutung von Intensivstationen oder auch die der Palliativstationen als Sterbeorte genauer zu bemessen. Die Hospize betreuen eigenen Angaben nach zwischen 2-3% aller sterbenden Personen. Eine genaue Zahl existiert jedoch nicht bzw. ein regelmäßiges Monitoring fehlt. Er-kenntnisse über die Anzahl der zuhause bzw. in den ca. 13.000 stationären Pflegeeinrichtungen betreuten Verstorbenen fehlen ebenfalls.
Zu einer Bestandsaufnahme gehört aber auch darauf hinzuweisen, dass die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin seit 2017 ein Nationales Hospiz- und Palliativregister führt, in welchem neben der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität auch der Sterbeort erfasst wird (zuhause, im Heim oder Krankenhaus, auf der Palliativstation, im Hospiz, Sonstiges, Unbekannt) [11]. Eine wichtige Beschränkung erfährt das Register aus dem Umstand, dass es sich auf dezidiert palliativ versorgte Patienten bezieht und damit nicht alle Sterbende erfasst. Sowohl in den Krankenhäusern als auch in der ambulanten Versorgung, insbesondere aber in den Pflegeeinrichtungen, erreicht die palliative Versorgungskette längst nicht alle Sterbenden, sondern nur etwa 10 Prozent, bzw. ist für diese prinzipiell auch nicht vorgesehen oder organisatorisch eingebunden.
Vorteile eines Sterbeortregisters


Versorgungsforschung bzw. Versorgungsgestaltung

Ein zentraler Nutzen des Registers wird sich allein aus dem resultierenden jährlichen Monitoring ergeben. Nach nur wenigen solcher alljährlichen Messprozeduren sollten sich relevante Trends, aber auch die Veränderung der Relationen der betroffenen Versorgungssektoren (Häuslichkeit, Krankenhaus, Pflegeheim) abbilden lassen. Die deutschen Bundesländer haben durchaus unterschiedliche Versorgungsstrukturen sowie mit diesen verbundene Versorgungsprozesse und Finanzierungsmodelle in Hinblick auf die Versorgung Sterbender etabliert. Ein zentrales Register ließe nicht nur die quantitative Beschreibung dieser Strukturen zu, sondern könnte darüber hinaus den Vergleich dieser Strukturen hinsichtlich von Effektivität, Effizienz und Qualität ermöglichen. Damit könnte ein konstruktiver Wettbewerb um die bestmögliche Gestaltung der Versorgung Sterbender unterstützt werden, bei dem Kostenkontrolle sicher einen wichtigen Stellenwert einnähme, die Erhöhung der Lebensqualität Sterbender jedoch im Vordergrund stehen müsste. In ähnlicher Weise könnten neben der Versorgungsforschung auch die Einrichtungsverantwortlichen, also die Trägerschaften und Verbände der Sektoren und Berufsgruppen, maßgeblichen Nutzen aus einem entsprechenden Register ziehen, da auch auf dieser Ebene systematische Vergleiche und damit die Identifikation von Best Practices ermöglicht werden könnten.

Qualitätsentwicklung und -sicherung
Weitere, über die oben genannten Aspekte hinausreichende, Qualitätseffekte durch die Etablierung eines Sterbeortregisters sind leicht erkennbar. So betrifft bspw. der bekundete PatientInnen- bzw. BewohnerInnenwille – etwa durch das neue Advanced Care Planning (ACP) System sichergestellt – immer auch den präferierten Ort des Sterbens und könnte nun operationalisiert werden. Weiterhin könnten Effekte pflegerischer (z.B. Art der Organisation der Pflege), medizinischer (bspw. Symptomkontrolle), sozialer (z.B. Angehörigenintegration) und anderer Interventionsformen vielfältiger validiert werden.

Gesundheitspolitik und Gesundheitssystemgestaltung
Um nicht nur das einleitende Beispiel der Berücksichtigung des eigenen Zuhauses als favorisiertem Sterbeort noch einmal aufzugreifen, sondern auch den obigen Hinweis auf Vergleichsmöglichkeiten, könnte ein umfassendes Sterbeortregister erheblich dazu beitragen (städtische und ländliche) Regionen zu identifizieren, in welchen die Zielsetzung einer häuslichen Versorgungsermöglichung bereits besser gelingt als in anderen vergleichbaren Regionen. Dies böte die Chance, nicht nur die vermeintlichen oder auch tatsächlichen Nachteile insbesondere des ländlichen Raums in Hinblick auf die vorhandene Gesundheitsversorgung zu benennen, sondern auch jene Faktoren herauszuarbeiten, die ländliche Räume für alte Menschen attraktiv in Hinblick auf Lebensqualität gerade auch am Ende des Lebens erscheinen lassen. Wir möchten daher die These äußern, dass für Gemeinden des ländlichen Raums ein umfassendes Sterbeortregister – zumindest mittel- bis langfristig – durchaus von gutem Nutzen sein könnte. Aber auch diese These ließe sich wiederum nur auf empirischer Basis mithilfe dieses Sterbeortregisters überprüfen.


Normative Diskurse

Seit geraumer Zeit wird gefordert, dass Health Technology Assessment kulturelle und moralische Aspekte berücksichtigt [12, 13] – ersteres ergibt sich daraus, dass ca. 20% der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund mitbringen, letzteres aus den widerstreitenden Interessen der im Gesundheitssystem involvierten Stakeholder. Wenn Befragungen regelmäßig zeigen, dass Menschen zuhause sterben wollen, dann ist damit ein Auftrag an jene Organisationen verbunden, die es in der Hand haben, diesem Wunsch Rechnung zu tragen. Doch ohne belastbare empirische Erkenntnisse kann dies nicht geschehen, denn um diesem Wunsch gerecht werden zu können, werden Ressourcen gebraucht. Ein ethisch informiertes Health Technology Assessment, das zudem kulturelle Eigenheiten der Sterbenden berücksichtigt, muss letztlich abwägen, welche Ressourcen welchem Zweck zugeführt werden sollen. Je präziser und empirisch besser informiert Steuerungsmaßnahmen gestaltet werden, desto ressourcenschonender gelingt dies in aller Regel. Ein Sterbeortregister könnte dazu beitragen, den moralischen Ansprüchen der Sterbenden wie aller anderen Stakeholder, nicht zuletzt der Versicherten, gleichzeitig in bestmöglicher Weise Folge zu leisten. So könnte der Autonomie von Menschen an deren Lebensende, soweit das eben nur möglich ist, sowie dem Gebot des Nichtschadens und des Wohltuns Rechnung getragen werden, ohne dass dies zu nicht tragbaren Lasten für andere Stakeholder führt – das Gerechtigkeitsprinzip bliebe ebenso gewahrt.
Um den Nutzen eines Sterbeortregisters für die verschiedenen, hier nur skizzierten, Stakeholder heben zu können, wäre es zielführend eine – im oben erkennbar gemachten Sinn – interdisziplinäre Arbeitsgruppe mit dem Auftrag zu versehen die genaueren Kriterien (Daten) festzulegen, die in einem Sterbeortregister neben dem Sterbeort selbst aufgenommen werden; als erste Orientierung hierfür kann der Leichenschauschein dienen. Neben soziodemografischen und allgemeineren Informationen wären wohl Todesursache und nähere Todesbedingungen zu erfassen. Angesichts der heute mithilfe von Big-Data-Analytics-Verfahren möglichen Zusammenführungen ursprünglich disparater Datenbestände ist allerdings selbst eine anonymisierte öffentliche Zugänglichkeit von Falldaten kaum mit dem Datenschutz vereinbar – daher wird das Sterbeortregister vermutlich nur in Gestalt hochaggregierter Aussagen öffentlich zugänglich sein können.
Um den Sterbeort zu erfassen, wäre der einfachste Weg, dass (1) entweder die stationären Pflegeeinrichtungen die bei ihnen verstorbenen BewohnerInnen an eine zentrale Meldestelle berichten, wo diese Informationen gepflegt werden oder (2) die Standesämter (bei denen neben dem Geburts- auch das Sterberegister angelegt ist) reichen die Informationen der in stationären Pflegeeinrichtung Verstorbenen an eine zentrale Meldestelle. Diese  zweite (behördliche) Variante der Meldung scheint einfacher und zuverlässiger realisierbar zu sein; sie sollte auf Landesebene geführt und dem Bund zur Verfügung gestellt werden.


Schlussbemerkungen

Ein Plädoyer für ein neues Register muss mit guten Argumenten unterfüttert sein, denn zunächst bedeutet das Führen eines solchen Registers einen Mehraufwand – der Vorwurf der (weiteren) Bürokratisierung des Gesundheitswesens liegt da nicht fern. Im Grunde müsste schon die verbesserte Datenlage für epidemiologische Studien argumentativ ausreichen, doch vermutlich sind ökonomische Nutzenkalküle angesichts der immensen Kosten des Gesundheitswesens wesentlich schlagkräftiger. Nicht zuletzt geht es um das Wohl von Menschen in der vermutlich schwierigsten Phase des Lebens. Eine effiziente Ressourcenallokation zur Verbesserung der Lebensbedingungen sterbender Menschen kann nur auf einer validen Datengrundlage aufbauen – daher ist der organisatorische Mehraufwand eines Sterbeortregisters sowohl wissenschaftlich als auch ökonomisch und ebenso moralisch gerechtfertigt. <<

Aktuell

Im Bundesland Hessen gibt es zum Stichwort Sterberegister eine aktuelle Entwicklung. Dort erfasst zukünftig der durch die Ärzte zu verwendende Leichenschauschein genau den „Ort des Todes“ nach folgenden Zuordnungen: „Krankenhaus“ / „Stationäre Pflegeeinrichtung“ / „Einrichtung der Eingliederungshilfe“ / „Stationäres Hospiz“ / „Wohnung“ / offenes Feld: „Sonstiges“. Gegenwärtig wird im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration geprüft, wie diese neuen Informationen – die bei den Standesämtern der Gemeinden und Städte auflaufen – ausgewertet und für die Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung zur Verfügung gestellt werden können. Kommt man hierbei in Hessen zu einer versorgungspolitisch guten Lösung, könnte das Vorgehen als Referenz für die anderen Bundesländer dienen.

Ausgabe 06 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

Gemeinsamer Priorisierungskatalog

« Dezember 2022 »
Dezember
MoDiMiDoFrSaSo
1234
567891011
12131415161718
19202122232425
262728293031