Adalimumab-Biosimilars mit rasantem Wachstum
http://doi.org/10.24945/MVF.02.19.1866-0533.2082
>> Die Arzneimitteltherapie von Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis (RA), der Psoriasis Arthritis (PA) und den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) hat sich mit den TNF-alpha Inhibitoren hinsichtlich des Spektrums deutlich vergrößert. Die fünf Biologika dieses Segmentes zählen zu den sogenannten Disease-modifying anti-rheumatic drugs, hemmen gezielt das proinflammatorische Zytokin Tumornekrosefaktor alpha und können so Entzündungsreaktionen beeinflussen. Es stehen zwei unterschiedliche Wirkprinzipien zur Blockierung der TNF-vermittelten Entzündungsreaktion zur Verfügung. Das Fusionsprotein Etanercept gleicht dem TNF-alpha-Rezeptor auf der Zelle, liegt aber in löslicher Form vor. In hoher Konzentration wie bei einer Medikation wird dieser primär bedient und die ursprüngliche zellvermittelte Entzündungsreaktion dadurch abgeschwächt. Die Gruppe der monoklonalen Antikörper Adalimumab, Golimumab und Infliximab binden hochaffin und selektiv an TNF-alpha und verändern seine Form, so dass die Reaktion am Rezeptor nicht mehr stattfinden kann. Der fünfte Vertreter der TNF-alpha-Inhibitoren Certolizumab pegol ist ein pegyliertes Fab-Fragment eines monoklonalen Antikörpers, wird ebenfalls biotechnologisch synthetisiert und steht wie Golimumab noch unter Patentschutz. In der Arzneimitteltherapie eingesetzt wirken sie allesamt entzündungshemmend und immunsuppressiv. Die Gabe erfolgt in der Regel durch subkutane Injektion, mit Ausnahme von Infliximab, das häufig intravenös verabreicht wird.
TNF-alpha-Inhibitoren: Marktausweitung oder -verschiebung?
Die TNF-alpha-Inhibitoren eröffneten mit dem ersten, noch vor der Jahrtausendwende zugelassenen Wirkstoff Infliximab den Zugang zur biologischen Arzneimitteltherapie entzündlicher Autoimmunerkrankungen und sind seit vielen Jahren durch ihre breite Anwendung bei einem gut beherrschbaren Nebenwirkungsprofil etabliert. Obschon die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. TNF-alpha-Inhibitoren in rheumatologischen Indikationen nur bei unzureichendem Effekt anderer Basistherapeutika als indiziert sehen, können individuelle Besonderheiten einen früheren Einsatz dieser Biologika erforderlich machen. Ähnliches gilt für die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie die ebenfalls nach einem Stufenschema zu behandelnde Psoriasis Arthritis. Der DDD-Verbrauch (defined daily dose) im ambulanten Fertigarzneimittelmarkt der GKV ist, wie in Abbildung 1 dargestellt, in den letzten 2 Jahren von 10,1 Mio. auf 11,4 Mio. leicht gestiegen.
Am deutlichsten ist dieser Zuwachs in den beiden letzten Quartalen des Jahres 2018 zu beobachten, so dass an dieser Stelle lediglich von einer sehr leichten Marktausweitung gesprochen werden kann. Die DDD-Anteile des Adalimumab-Originals inklusive der Bio-similars steigen von 38,7% im 3. Quartal 2018 auf 41,1% im 1. Quartal 2019. Bei allen anderen Wirkstoffen sind nur geringfügige Veränderungen in den Marktanteilen festzustellen.
Humira-Patentablauf: eine
einzigartige Marktsituation
Die TNF-alpha-Inhibitoren unterscheiden sich etwas in den Anwendungsgebieten, für die sie zugelassen wurden. Das seit 2003 auf dem Markt befindliche Adalimumab-Original Humira wird neben den großen eingangs erwähnten Indikationen zudem in der Plaque-Psoriasis, der axialen Spondyloarthritis, der juvenilen ideopathischen Polyarthritis, der Acne Inversa und der Uveitis bei Erwachsenen eingesetzt. Als das Arzneimittel mit dem höchsten Umsatz in der GKV von 836 bzw. 890 Mio. Euro (nach ApU) im Jahr 2017 bzw. 2018 galt dem Patentablauf im Oktober 2018 ein besonderes Interesse. Bis Ende 2017 hatten drei Biosimilar-Hersteller bereits die Zulassung der European Medicines Agency (EMA), zwei weitere konnten bis Mitte 2018 die Zulassung erlangen und standen damit pünktlich zum Patentablauf in den Startlöchern (vgl. Deutsche Apotheker Zeitung, 2018). Derzeit sind die vier Biosimilars Amgevita, Hulio, Hyrimoz und Imraldi mit einer Zulassung in allen Indikationen des Originalpräparates Humira auf dem deutschen Markt verfügbar. Seit Anfang Mai gilt dies zudem für Idacio, das ebenfalls für alle Anwendungsgebiete des Referenzproduktes die Zulassung erhalten hat. Das Fresenius-Produkt ist außerdem an ein Patientenunterstützungsprogramm gekoppelt, das sowohl Informationsmaterial zur Erkrankung und Behandlung sowie eine direkte Unterstützung des Patienten zu Hause ermöglicht.
Für zahlreiche Biologika außerhalb der TNF-alpha-Inhibitoren gibt es bislang überhaupt keine Biosimilars, bei anderen waren Biosimilars bezogen auf den Patentablauf des Originals erst deutlich später marktreif. Auch bei den nicht mehr patentgeschützten TNF-alpha-Inhibitoren Etancercept und Infliximab fand der Biosimilareintritt mit unterschiedlich vielen Nachahmern zu gänzlich verschiedenen Zeitpunkten statt. Für Infliximab wurde nach dessen Patentablauf Anfang 2015 das bis dato letzte Biosimilar Zessly erst im November 2018 auf dem deutschen Markt platziert. Adalimumab unterscheidet sich von diesen Beispielen durch die vier bereits im Oktober 2018 zugelassenen Biosimilars. Dass der Wettbewerb aufgrund des frei werdenden Umsatzpotenzials hier besonders intensiv ist, ist nicht verwunderlich. Dass es zu einer solch extrem schnellen und stark steigenden Marktdurchdringung kommt, ist aber durchaus bemerkenswert.
35% Biosimilar-Anteil bei
Adalimumab
Wurden im Oktober 2018 noch über 1,55 Mio. DDD an Humira verordnet, sinkt dieser Wert bis auf 1,01 Mio. im März 2019 ab. Gleichzeitig steigt der DDD-Verbrauch aller vier Biosimilars im gleichen Zeitraum unterschiedlich stark und in Summe auf etwas über 545 Tausend DDD an (vgl. Abbildung 2). Ebenso wie bereits für den gesamten TNF-alpha-Markt dargestellt, kommt es auch bei Adalimumab nicht zu einer signifikanten Marktausweitung, sondern vielmehr zu einer Verschiebung in Richtung der Biosimilars.
Wie Abbildung 2 zeigt, liegt die Biosimilarquote für Adalimumab bereits im ersten Monat nach Patentablauf bei 13,6% und steigt bis März 2019 auf knapp 35% an. Für die Krankenkassen ist dieser rasch wachsende Versorgungsanteil mit hohen Einsparungen verbunden. Ein Vergleich der Preise von TNF-alpha-Originalen mit denen der Biosimilars zeigt ebenfalls enorme Unterschiede. So liegt der mittlere Preisabschlag für das Etanercept-Original Enbrel im Vergleich mit den beiden Biosimilars Benepali und Erelzi (bezogen auf die häufigste Packung mit 12 Fertigspritzen und einer Wirkstärke von 50 mg im Pharmagroßhandel) bei 20,5% und für das Infliximab-Original Remicade mit mittlerweile vier Biosimilars bei ca. 10% (Durchschnittswert). Dagegen liegt Adalimumab mit ebenfalls vier Biosimilars (bezogen auf die häufigste
Packung mit 6 Fertigspritzen und einer Wirkstärke von 40 mg im Pharmagroßhandel) bei durchschnittlich 36,7% Abschlag (Quelle: NPI, INSIGHT Health). Bei allen Angaben zu den Preisdifferenzen sind hersteller- und kassenindividuelle Rabattverträge, die die Preisdifferenz noch einmal signifikant erhöhen dürften, nicht berücksichtigt.
Ausblick
Dass Biosimilars mittlerweile deutlich schneller in die Versorgung kommen, lässt sich bei den TNF-alpha-Inhibitoren besonders anschaulich zeigen. Und dennoch ist eine derart schnelle und stark ansteigende Marktdurchdringung wie aktuell bei Adalimumab von neuer Dimension. An dieser Stelle scheint die Aufklärung der Ärzte durch Informationsmaterial und eindeutige Stellungnahmen das Wissen und Vertrauen in die Biosimilartherapie gestärkt zu haben. Eine tragende Rolle spielen zudem die regio-nalen Arzneimittelvereinbarungen, in denen zahlreiche Zielquoten das Verordnungsverhalten der Ärzte in Richtung Biosimilars steuern. Verordnungssicherheit gepaart mit verordnungssteuernden Maßnahmen scheinen die Ärzte in ihrer Therapieentscheidung für Biosimilars also positiv zu beeinflussen. Rückendeckung erhielten sie unter anderem auch durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die sich mit ihren Empfehlungen zur Behandlung mit Bio-similars im August 2017 ganz klar für eine Austauschbarkeit der Biosimilars beim Arzt positionierte.
In der aktuellen Debatte im Rahmen des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) ist die Befürwortung einer automatischen Substitution in der Apotheke dagegen eindeutig verhaltener. Nach dem aktuellen Stand des Entwurfs sollen nach einer Frist von 3 Jahren gleiche Verhältnisse wie im Generikamarkt herrschen. Ob dies bei solch hohen Umsetzungsraten kombiniert mit dem starken Preisabschlag für Adalimumab tatsächlich impliziert ist, bleibt fraglich. Auch weisen beispielsweise die TNF-alpha-Inhibitoren Etanercept und Infliximab auf nationaler Ebene aktuell Biosimilarquoten zwischen 60 und 68% auf, obschon diese regional höchst unterschiedlich ausfallen.
Gerade vor diesem aktuellen gesundheitspolitischen Hintergrund wird es spannend sein zu beobachten, wie Biosimilars in weiteren Indikationen den Sprung in die Versorgung schaffen. Hier ist auf jeden Fall die Onkologie als ein ebenfalls hochpreisiges Segment zu nennen, in welchem durch Zulassung weiterer Biosimilars mit erheblichen Einsparungen gerechnet werden kann. Möglicherweise können so wichtige Second- oder Third-Line-Therapien schon First-Line zum Einsatz kommen (vgl. Pro Biosimilars, 2017). Die Berücksichtigung der Ausgaben, vor allem bei neuartigen Therapien, ist unbestritten wichtig, und Biosimilars können hier zur Versorgung von Patienten, die von komplexen und meist schweren chronischen Erkrankungen betroffen sind, einen wesentlichen Beitrag leisten. <<
Autorin:
Kathrin Pieloth,
INSIGHT Health (vf@insight-health.de); Literatur bei den Verfassern
Zitationshinweis:
Pieloth, K.: Adalimumab-Biosimilars mit rasantem Wachstum“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (03/19), S. 10-11; doi: 10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2137