„Es geht um Ideen und nutzenstiftende Grundprinzipien“
http://doi.org/10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2155
>> Mit dem Anfang Juli vom Bundeskabinett beschlossenen Digitale Versorgung Gesetz ermöglicht der Gesetzgeber den Zugang von digitalen Lösungen in die Regelversorgung. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Lägel: Selbstverständlich begrüßen wir diesen Schritt, obgleich er schon lange überfällig ist. Andere Branchen oder andere Länder machen uns schon seit Jahren vor, wie Digitalisierung generell bzw. im Gesundheitswesen geht, vor allen Dingen, mit welcher Geschwindigkeit man sie vorantreiben kann und muss. Gleichwohl sind wir sehr froh darüber und haben das erste Mal seit vielen Jahren wieder das Gefühl, dass sich das Gesundheitswesen in Deutschland auch für fundamentale Änderungen öffnet. Für viele Anbieter digitaler Lösungen wird damit ein langer Albtraum ein Ende finden, der sie zwischen Investorensuche und der Jagd nach irgendeinem Selektivvertrag zerrieben hat und oft nur endlos Ressourcen kostete. Nunmehr können digitale Produkte endlich in relevant großen Marktsegmenten, für die auch medizinische Institutionen und Praxen bereit sind, ihre Prozesse neu auszurichten, ihre Fähigkeit zur Wertschöpfung unter Beweis stellen.
Das Gesetz ist das eine, die Zulassung das andere.
Lägel: Natürlich entscheidet erst das konkrete Zulassungsverfahren am BfArM darüber, wie viele digitale Anwendungen wirklich ihren Weg in die Versorgung finden. Hier wird es darauf ankommen, die nötigen Evidenzbarrieren mit Augenmaß zu wählen, um sie konform zu den agilen Entwicklungszyklen digitaler Produkte zu machen, aber dabei trotzdem die Patientensicherheit zu gewährleisten. Es wird eine große Herausforderung sein, diese Hürden nicht zu hoch zu gestalten, dabei sinnvolle Wege der zügigen Evidenzgenerierung zu schaffen und trotzdem die Spreu vom Weizen zu trennen. Schlussendlich können digitale Lösungen kein Selbstzweck sein, sondern müssen ihren Wert messbar und verlässlich im Versorgungsalltag unter Beweis stellen.
Welchen Umfang von Zulassungsbegehren erwarten Sie?
Lägel: Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Weg in die Regelversorgung einer sehr hohen Nachfrage erfreuen wird. Bereits heute kontaktieren uns Anbieter digitaler Lösungen, um sich frühzeitig auf den Weg in die Versorgung und das dafür nötige Zulassungsprozedere vorzubereiten. Dabei reicht das Spektrum vom kleinsten Start-Up bis zu lange etablierten Großkonzernen. Viele Unternehmen möchten einen Beitrag für eine bessere Versorgung leisten, sehen aber selbstverständlich auch sehr genau, welche große Geschäftschancen sich über das DVG für digitale Produkte bieten – sofern sie künftig einen messbaren Mehrwert für die Versorgung schaffen. Wir sind davon überzeugt, dass die Anzahl der Zulassungsbegehren im Bereich digitaler Produkte die Anzahl der bisher genehmigten Innovationsfondsprojekte aus dem Bereich Neue Versorgungsformen deutlich übertreffen wird.
Wo sehen Sie die Hauptherausforderung beim Weg digitaler Lösungen in die Versorgung?
Lägel: Die Hauptherausforderung liegt – wie schon im Innovationsfonds – klar in der Entwicklung eines wirklich relevanten und funktionierenden Versorgungskonzeptes, welches den Patienten im Fokus hat. Auch die digitale Lösung muss eingebettet und so in den diagnostischen, therapeutischen und/oder Nachsorge-Prozess positioniert werden, dass sie überhaupt ihre Wertschöpfung entfalten kann. Dabei sehen wir oft noch großen Unterstützungsbedarf, um die oft sehr spannenden solitären Produkte in konkrete Versorgungskonzepte einzubinden. Dabei muss der Blick neben dem Produkt gleichermaßen auf die Bedürfnisse von Patienten, Krankenkassen und Leistungserbringern gerichtet werden. Des weiteren beobachten wir die Notwendigkeit, die Patientenorientierung stärker zu fokussieren. Hier sollten wir vor allem auch aus anderen Branchen lernen, in denen aufgrund der starken Kundenorientierung die Digitalisierung schon sehr viel weiter vorangeschritten ist. Versicherte erwarten auch vom Gesundheitswesen, dass das, was in anderen Branchen längst üblich ist, auch dort Einzug erhält. Die Online-Buchung von Terminen ist hier nur ein schlichtes Beispiel.
Wird sich digital überall durchsetzen?
Lägel: Digitalisierung ist auch deshalb so spannend, weil sich viele Quereinsteiger und Systemfremde der Lösung von Problemen des Gesundheitswesens annehmen und dabei zu vielversprechenden Ansätzen kommen. Gleichzeitig bemerkt man bei vielen Fällen früher oder später doch, dass Systemkenntnis fehlt. Deshalb lassen sich vermeintlich gute Lösungen nicht immer harmonisch in Versorgungsprozesse einbetten.
Das alte Angstthema der Ärzteschaft: Substitution.
Lägel: Digital wird sich überall dort durchsetzen, wo es patientenorientierter, nachhaltiger und von einem qualitativ höheren Outcome ist. Aber auch ein höherer Grad an Effizienz ist natürlich ein solider Wert. Digital muss analog entweder substituieren oder als Lösung einen eigenen und so substanziellen Wert haben, dass ein zusätzliches Angebot Sinn macht. Andernfalls brauchen wir diese Produkte nicht, selbst wenn sie digital sind, da digital kein Wert an sich ist.
Wenn man auf den im DVG geplanten Zulassungsprozess für digitale Produkte schaut, erinnern bestimmte Elemente davon an das AMNOG-Verfahren für Arzneimittel. Halten Sie diese Anlehnung für zielführend?
Lägel: Selbstverständlich kann man an dieser Stelle keinen wirklichen Vergleich von Risiko und Evidenzgraden der beiden Produktgruppen vornehmen. Gleichwohl sind bestimmte Elemente wie die freie Preissetzung und der festgelegte Erprobungszeitraum hilfreiche Instrumente, um Innovationen schnell zur Verfügung zu stellen. Basierend auf den vorhandenen Erfahrungen wird man so sicher in überschaubarer Zeit zu einem etablierten und qualitätsgesicherten Prozedere kommen, welches eine gute Balance zwischen Patientensicherheit, Patientenbedürfnissen und Wunsch nach digitaler Innovation herstellt.
Gehen wir von der Digitalisierung nun zum Market Access. Herr Bleß, Sie sind beim inav für HTA und Market Access zuständig. Jenseits vom Standardgeschäft: Wie hat sich Market Access in den letzten Jahren verändert und welche Trends nehmen Sie wahr?
Bleß: Die Einführung der frühen Nutzenbewertung und darauf basierender Verhandlung eines Erstattungsbetrages war natürlich eine Zäsur. Heute haben sich die Unternehmen allerdings routinemäßig auf das Prozedere eingestellt und bereiten sich früher und breiter darauf vor. Global agierende Unternehmen stehen allerdings immer wieder vor der Herausforderung, mit i.d.R. einer Zulassungsstudie den unterschiedlichen Anforderungen der internationalen HTA-Agenturen zu genügen. Hier braucht es noch deutlichere Fortschritte bei den europäischen Harmonisierungsbemühungen – durchaus auch verbunden mit einer höheren Beweglichkeit bei deutschen Positionen.
Wobei der rasante medizinische Fortschritt das Ganze nicht gerade einfacher macht.
Bleß: Einen weiteren Trend sehe ich darum in vermehrten Ansätzen, Arzneimittel nicht als Stand-Alone-Lösung zu begreifen, sondern sie mit anderen Versorgungslösungen zu kombinieren oder gar in komplette Versorgungskonzepte mit einzubetten. Hier bringen Unternehmen zunehmend ihr Know-how ein und positionieren sich als ernstzunehmende Versorgungsakteure. In der Vergangenheit sind derartige Bemühungen oft auf Misstrauen und Vorurteile gestoßen. Die kaum existierende Beteiligung pharmazeutischer Unternehmen an integrierter Versorgung oder Projekten des Innovationsfonds sprechen da Bände. Ich bin dennoch der Überzeugung, dass wir es uns schlicht nicht leisten können, das Mitwirkungsangebot der Industrie auf Dauer auszuschlagen und glaube, dass die dort vorhandene Expertise einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen kann.
Wo sehen Sie vor dem Hintergrund neuer Gesetzgebung die Herausforderungen für die Arzneimittelbranche?
Bleß: Wir haben im Bereich Nutzenbewertung und Reimbursement zwei große Baustellen vor uns. Zum einen müssen wir Wege finden, hochpreisige Gen- und Zelltherapien sinnvoll zu bewerten und zu bepreisen. Das sind hochspannende Innovationen, die erstmals die kausale Therapie von bislang unheilbaren Erbkrankheiten oder auch von einigen Krebserkrankungen denkbar machen. Auf der anderen Seite passt der derzeitige regulatorische Rahmen nicht auf derartige Produkte. Wenn hohe Therapiekosten – wir reden hier von Preisen von ein bis mehreren Millionen Euro – mit einer einzigen Arzneimittelgabe anfallen und dabei langfristige Therapieeffekte bewirken, ist das eine ganz neue Situation. Begriffe wie Tagestherapiekosten, Quartalsbudgets und haushaltsjahrbezogene Finanzsystematik einer Krankenkasse passen nicht zu dieser neuen Welt.
Muss denn der Gesetzgeber aktiv werden?
Bleß: Einiges können kluge und willige Vertragspartner durchaus im Rahmen der Spielräume des §130 b SGB V regeln. Die derzeit diskutierten Erstattungsmodelle – wie z.B. eine Ratenzahlung, evtl. ergänzt um Pay-per-Performance oder Preis-Mengen-Komponenten – sind teilweise geeignet, einen Interessenausgleich zwischen pharmazeutischem Unternehmer und Krankenkasse herbeizuführen. Obwohl auch hier schon praktische Umsetzungsprobleme absehbar sind, z. B. aufgrund der unterschiedlichen Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln im ambulanten bzw. stationären Setting. Die wesentlich bislang ungelöste Problematik besteht für mich allerdings in den Auswirkungen auf den Morbi-RSA. Hier ist zwar eine Wiedereinführung der Risikopools im aktuellen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, aber die dort verankerte Eigenbeteiligung dürfte insbesondere bei kleineren Krankenkassen nach wie vor problematisch werden, wenn innovative Gen- und Zelltherapien in größerem Umfang Einzug in die Versorgung halten.
Was wäre eine zweite Großbaustelle?
Bleß: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder die Frage gehabt, wie wir mit Arzneimitteln umgehen sollen, die von der Zulassungsbehörde bewusst mit noch unreifer Evidenz zugelassen werden. Hintergrund dieser Entscheidung ist oftmals eine Güterabwägung zwischen dem Wunsch nach reifer Evidenz und dem Wunsch, eine neue Therapieoption frühzeitig zur Verfügung zu stellen. Hier sieht die aktuelle Gesetzgebung die sogenannte evidenzgenerierende Versorgung vor. Das heißt, der G-BA wird in ausgewählten Fällen künftig die Erhebung von Versorgungsdaten an die Verordnungsfähigkeit koppeln und eine erneute Nutzenbewertung auf Basis dieser Daten vornehmen. Eine Nutzenbewertung muss dann auf Basis von wie auch immer gearteten Registerdaten erfolgen, die die klassischen konfirmatorischen Fragen der Nutzenbewertung methodisch gar nicht beantworten können. Hinzukommt, dass das an sich sinnvolle Anliegen, Versorgungsdaten mit in die Nutzenbewertung einzubeziehen, nicht gerade auf eine Registerstruktur trifft, die eine sofortige Umsetzbarkeit ermöglicht. Hier sind noch gute Ideen notwendig.
Für gute Ideen ist auch und ganz besonders der Innovationsfonds zuständig. Nun hat das inav sehr viele Innovationsfondsprojekte begleitet oder auch initiiert. Wenn man sich diesen Entwicklungspfad vor Augen hält, was waren die Erfolgsfaktoren und Lernerfahrungen, auf die man aufsetzen könnte, um eine Verbesserung der IF-Systematik hinzubekommen?
Amelung: Entscheidend ist ein gutes, vertrauensvoll zusammenarbeitendes Konsortium und vor allem ein vom Patienten her gedachtes Versorgungskonzept. Ausgangspunkt muss immer der Patient mit seiner aktuellen Versorgungssituation und deren bestehenden Defiziten sein. Die Fragen lauten immer: Wie ist es jetzt? Wie sollte es sein? Und was müssen wir tun, damit die Versorgung verbessert werden kann? Häufig sind dies ganz naheliegende Themen, wie beispielsweise einen Lotsen einzusetzen, der all die bereits bestehenden Leistungen sinnvoll kombiniert und zugänglich macht. In der Regel geht es um mehr Zeit der Leistungserbringer, bessere Kommunikation zwischen unterschiedlichen Akteuren und vor allem um die Stärkung des Patienten im Umgang mit seiner Erkrankung.
Lägel: Egal, ob man einen Förderantrag selbst stellt oder als Berater und/oder als Evaluator begleitet, stellt man fest, dass eine ganz wesentliche Komponente viel stärker in den Fokus der Akteure gerückt werden muss: das ist der Kernnutzen eines Projekts.
Bleß: Es mag verwundern, aber oft ist es durchaus so, dass sich Antragsteller zu Beginn viel zu wenig klar darüber sind, was eigentlich das genaue Versorgungsmodell ist, das später perspektivisch in die Regelversorgung überführt werden soll, und vor allem, inwieweit es sich von der heutzutage stattfindenden Regelversorgung unterscheidet.
Was heißt das für Sie?
Bleß: Einen hohen Zeitinvest. Im Prinzip muss man bei allen Projekten mehr Zeit, als man eigentlich annimmt, in der Vor- und dann in die Antragsphase investieren, um gemeinsam mit den Projektpartnern herauszuarbeiten, was das Versorgungsmodell ist, wie sich dieses Versorgungsmodell abgrenzt zu dem, was im entsprechenden Versorgungsmodell schon in der Regelversorgung stattfindet und vor allem, wie die neue Komponente definiert ist und wie der neue Prozess genau aussieht. Die benötigte Zeit ist allerdings normal, wenn man Innovations- und Veränderungsprozesse an sich kennt. Man muss den Akteuren die Zeit zugestehen, die oft sehr verschiedenen Einzelinteressen miteinander zu synchronisieren. Dies erfordert dann aber meist eine entsprechende Moderationsarbeit, weil es alles andere als trivial ist, die überlappenden Interessensphären zu finden, zu beschreiben und vor allem final konsentiert die Schnittpunkte zu definieren, in denen sich alle wiederfinden können.
Wobei es sicher Vielen relativ schwerfällt, ihr typisches Silodenken im Gesundheitswesen zu verlassen.
Lägel: Das ist doch genau der immense Vorteil des Innovationsfonds, weil hier nur Konsortien gemeinsam erfolgreich sein können. Wer ein Versorgungsmodell initiieren will, das einen besseren Prozess als den etablierten darstellt, ist eine Verständigung auf Konsortial-ebene eine der essenziellen Voraussetzungen. Dazu darf man eben ein Stück weit einen Prozess nicht mehr nur aus dem eigenen Blickwinkel betrachten und denken, sondern muss ganz anders an ihn herangehen.
Wie sieht diese sicher von vielen unterschätzte Moderationsarbeit aus?
Amelung: Hier gilt es eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren – dass lässt sich nicht kurzfristig umsetzen, sondern ist ein langwieriger Prozess. Aber die Innovationsfondsprojekte leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass ganz unterschiedliche Akteure nun ein gemeinsames Projekt haben und dieses „in guten wie in schlechten Zeiten“ vorantreiben. Hier entsteht viel mehr an gemeinsamer Kultur, als aus den Evaluationsberichten dann ablesbar ist. Viele Konsortien sind – wenn sie durch diesen Prozess gegangen sind – wirklich eingeschworene Gemeinschaften ganz unterschiedlicher Akteure.
Die ersten Projekte aus dem Innovationsfonds gehen in absehbarer Zeit zu Ende. Wie sieht es denn mit der Frage des Transfers in die Regelversorgung aus?
Amelung: Es ist natürlich eine Illusion, dass alle Projekte 1:1 in die Regelversorgung überführt werden. Das kann auch nicht das Ziel sein. Vielmehr geht es um generische Ideen, wie beispielsweise Lotsenkonzepte. Es geht weniger darum, Projekt A oder B umzusetzen, sondern die Frage zu beantworten, wie Koordinationsleistungen, unabhängig von der Indikation – mit dem Volumen X, der Qualifikation Y, den Zeiteinheiten Z – funktionieren. Somit gilt es auch nicht nachher zu zählen, dass X von Y Projekten umgesetzt werden konnten, sondern vielmehr darum, welche grundlegenden Konzepte Einzug in die Regelversorgung erhalten haben.
Bleß: Ich glaube auch, dass man aus vielen Projekten, auch wenn sie im Ganzen nicht übertragbar sein werden, ein nutzenstiftendes Grundprinzip destillieren kann. Sei es die schon erwähnte Funktion eines „Kümmerers“ oder etwa die telemedizinische Erfassung von Daten, ein Electronic-Drug-Monitoring oder eine Videosprechstunde. All das sind Strukturen oder Elemente, die in vielen Projekten in irgendeiner Form enthalten sind und in verschiedenen Ausformungen und Kontexten unterschiedlich gut funktionieren. Nun wird es Aufgabe des G-BA sein zu analysieren, wie man diesen Wissensschatz extrahieren und – im besten Falle – in ein neues Konstrukt integrieren kann.
Könnte es nicht auch sehr spezifische Projekte geben, bei denen sehr spitzer Erkenntnisgewinn wichtiger ist als eine generelle Übertragbarkeit?
Amelung: Ja, absolut. Deshalb sollte die Überführung in die Regelversorgung auch nicht das einzige Ziel darstellen. Es muss Projekte geben, bei denen der Erkenntnisgewinn im Vordergrund steht. Die strikte Trennung zwischen Versorgungsforschung und Versorgungsformen lässt sich nicht immer aufrechterhalten. Der Innovationsfonds ist so etwas wie das F&E-Budget des deutschen Gesundheitssystems – da muss nicht alles unmittelbar umgesetzt werden.
Wie sieht es denn generell in Sachen Evaluation aus, die bei den Neuen Versorgungsformen auch Bestandteil der Projektanträge sein muss? Der Projektträger DLR gilt nicht unbedingt als prozesserfahren innerhalb solcher Evaluationen.
Amelung: Beim Thema DLR wird häufig einiges vermischt. Der DLR macht einen sehr guten Job als Projektträger. Die eigentliche Frage ist, ob ein Projektträger geeignet ist für derartig spezifische Projekte. Projektträger sind immer dann geeignet, wenn es klar strukturierte Projekte mit fixen Meilenstein- und Ressourcenplanungen gibt. Nur sind viele Innovationsfondsprojekte von völlig anderer Natur. Ziele ändern sich kontinuierlich, Prozesse werden laufend angepasst, es kommen neue Themen hinzu – um nur ein paar Aspekte zu nennen.
Wie bewerten Sie die Qualität der Evaluationen in den laufenden Verfahren?
Amelung: Die Evaluationskonzepte, die ich kenne, sind alle von hohem Niveau. Da wurde sehr viel Energie reingesteckt, auch weil man wusste, dass der Expertenbeirat dort sehr genau darauf schaut. Aber: je schwieriger die Rekrutierung von Patienten wird, desto größer wird zuweilen auch der Druck auf die Evaluation, „nicht zu streng zu sein“... Und: werden Projekte schwierig, leidet die Evaluation überproportional. Aber insgesamt erwarten wir viele hochwertige Evaluationsergebnisse.
Wenn wir an die Perspektive des Innovationsfonds denken: Haben Sie den Eindruck, dass die Qualität der beantragten Projekte abnimmt?
Amelung: Nein, überhaupt nicht. Zumindest bei den Neuen Versorgungsformen ist die Qualität überhaupt nicht zurückgegangen. Nach den „Standardthemen“ kommen nun sehr viele spannende, weniger prominente Themen in die Diskussion.
Aktuell ist die Laufzeit von Projekten auf vier Jahre begrenzt. Sollte das so beibehalten werden?
Amelung: Vier Jahre klingt schon wahnsinnig lange – aber das täuscht. Mit sechs Monaten Vorbereitung, 12 Monaten Rekrutierung, 12 Monaten Nachverfolgung bleiben schon nur noch sechs Monate für die Evaluation. Zu knapp, wenn man bedenkt, dass die Zurverfügungstellung von Routinedaten alleine schon neun Monate braucht. Zumindest auf Antrag sollte die Dauer auf fünf Jahre verlängert werden.
Die Herren, vielen Dank für das Gespräch. <<
Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.
Zitationshinweis:
Amelung, V., Bleß, H., Lägel, R., Stegmaier, P.: „Es geht um Ideen und nutzenstiftende Grundprinzipien“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/19), S. 16-19; doi: 10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2155