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„Wo die Basis für evidenzbasierte Gesundheitspolitik zu Hause ist“

04.04.2019 14:00
„The SELFIE Framework for Integrated Care for Multi-Morbidity“, „Task shifting between physicians and nurses in acute care hospitals: cross-sectional study in nine countries“, „Krankenhaus: Impulse aus Dänemark für Deutschland“. So sind drei der 33 Veröffentlichungen überschrieben, die Prof. Dr. med. Reinhard Busse und sein Team alleine im vergangenen Jahr publiziert haben, 2017 waren es 37. Damit gehört das Fachgebiet „Management im Gesundheitswesen“ (MiG) der Technischen Universität Berlin (TU) zu den publikationsstärksten Deutschlands, vor allem in internationalen Fachzeitschriften. Das liegt natürlich auch daran, dass im MiG Internationalität kein Schlagwort, sondern Programm ist: Im MiG werden seit 2002 unter Leitung von Busse, den Richard Lane vom „Lancet“ in einem Autorenprofil als „leader in Germany’s health-system development“ tituliert, in nationalen und internationalen Forschungsprojekten Themen aus Gesundheitspolitik und -systemen, Versorgungsforschung, Gesundheitsökonomie und -management sowie der Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment – HTA) bearbeitet.

>> Ganz aktuell legte Busse im Januar dieses Jahres ein im Auftrag der Techniker Krankenkasse erstelltes Gutachten zur RSA-Ausgestaltung und Umgestaltungsmöglichkeiten vor und scheute wie gewohnt keine harten Worte, als er mehr als deutlich die Krankheitsauswahl als das Kernproblem darstellte und erklärte: „Wir weichen schon heute mit 80 relevanten Erkrankungen mit der Steigerung der kodierten Morbidität von international für Deutschland ermittelten Vergleichsdaten ab. Eine Reform muss endlich dafür sorgen, dass der Morbi-RSA tatsächlich das leistet, was er leisten soll: einen Ausgleich für Versicherte mit teuren Erkrankungen, und nicht primär für Krankheiten, die viele Versicherte betreffen.“
Für solch klare Worte ist er bekannt. So auch beim Thema des Krankenhaussektors in Deutschland, der trotz Bettenabbaus immer noch deutlich über EU-Schnitt liegt. O-Ton Busse: „A bed built is a bed filled.“ (1) Ein Satz, der ihn zu einer These führt, die da lautet: „Vorhandene Überkapazitäten dürfen nicht dazu führen, dass außermedzinische Überlegungen die Indikationsstellung beeinflussen.“ Ähnlich deutliche Worte fand Busse auf dem Hauptstadtkongress 2018, als er in einem Vortrag (inhaltlich auch im „Lancet“ veröffentlicht) zur Zukunft der gemeinsamen Selbstverwaltung erklärte: „Deutschlands pragmatischer politischer Stil und die begrenzte staatliche Kontrolle über das Gesundheitssystem führen dazu, dass der Gesetzgeber die gleichen Akteure mit Lösungen von Problemen beauftragt, welche sie selbst überhaupt erst geschaffen haben.“ (2) Und weiter: „Wenn die Akteure der Selbstverwaltung zu langsam, zu wenig ehrgeizig oder einfach zu gespalten sind, sollte die Regierung in Zukunft Qualitäts- und Effizienzziele gesetzlich festlegen und wachsam bezüglich deren Um- und Durchsetzung sein.“
Das ist klare Kante und harter Tobak, den sich nur jemand leisten kann, der sich nicht nur der unabhängigen Wissenschaft und Forschung verpflichtet fühlt, sondern der tatsächlich unabhängig ist. Während andere Versorgungsforscher einen eindeutigen Vorteil darin sehen, dass ihre Institute an medizinisch versorgende Universitätskliniken eingebunden sind oder auch dem ambulanten Sektor nahestehen, genießt es Busse an einer Technischen Universität zu arbeiten, die als solche nichts, aber auch gar nichts mit dem Gesundheitssystem zu tun hat. „Ich bin ein Kind der evidenzbasierten Gesundheitspolitik“, sagt Busse von sich selbst und verspricht: „Wir machen solide Forschung, der man vertrauen kann, dass das, was wir an Ergebnissen herausbekommen, in keiner Weise ideologisch gefärbt ist.“
Das alles mag dem einen oder anderen nicht passen, und der eine oder andere Systempartner wird Busse auch keine Aufträge und damit auch beim MiG dringend benötigte Drittmittel geben, von denen sein Institut zu rund 70% finanziert wird. Was Busse aber nicht weiter stört, weil er da eine ganz breite Strategie fährt, indem er für ganz unterschiedliche Institutionen arbeitet – nationale, internationale, öffentliche, wie private Zahler, dazu Leistungserbringer, Kassen und die Politik. Busse: „Wir bearbeiten ganz bewusst eine Mischung aus unterschiedlichen Projekten von ganz unterschiedlichen Drittmittelgebern, weil wir uns finanziell, und damit potenziell auch inhaltlich, in keine Abhängigkeit begeben wollen.“
Durch diesen breiten Finanzierungsmix ist Busse auch in der Lage, für die in seinem Institut geleistete Arbeit gutes Geld zu verlangen. Oft bekäme er zu hören, erzählt Busse, „dass wir ein Projekt nur deshalb nicht bekommen hätten, weil wir angeblich zu teuer sind“. Da scheinen manch andere, so vermutet Busse, mit Dumpingpreisen in den Markt zu gehen, was er strikt ablehne: „Wir machen gute Arbeit und die ist ihren Preis wert.“
Da spielt schon ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein mit, aber auch ein Ausdruck von Rückgrat, wenn er sagt: „Wir sind dazu da, auch mal Dinge zu sagen, die der Politik oder den Akteuren im Gesundheitswesen nicht unbedingt nur gefallen.“
Dazu gehört für ihn aber auch, dass sich die Wissenschaft frei macht von einem Unterlegenheitsgefühl gegenüber der Politik. Busse: „Man muss dazu stehen, was man macht und bei Vorträgen oder Gesprächen seine Positionen selbstbewusst vertreten und auf keinen Fall denken, das Gegenüber – zum Beispiel ein Minister – müsse geschont werden, weil er ein hohes Tier ist.“ Das sei schon mal „ganz schlecht“, denn Wissenschaftler könnten gegenüber Politikern – und ebenso der Gesellschaft – nur dann eine wichtige Rolle spielen, wenn sie wahrhaftig sind, das sei die originäre Aufgabe der Wissenschaft.
Nur so kommt man nach Busses Überzeugung nach und nach zu einer evidenzorientierten oder zumindest evidenzinformierten Politik. Indes ohne daraus gleich den Anspruch ableiten zu wollen oder zu können, dass alle Erkenntnisse eins zu eins umgesetzt werden, weil immer Werte, Normen, Agenden und vor allem wirtschaftliche Zwänge zu beachten sind. Busses Credo: „Wenn wir Forscher wollen, dass die von uns geschaffene Evidenz wahrgenommen wird, müssen wir zuallererst eine wirklich solide Arbeit abliefern und sie dann aktiv in die Diskussion einbringen.“
Das gelingt Busse und seinem 30-köpfigen Team seit vielen Jahren. Immer wenn das Thema internationaler Vergleiche ansteht, ob nun zum Krankenversicherungssys-tem als solchem, zum Krankenhaussektor, zu Qualitätsindikatoren oder Versorgungszielen, ist Busse mit dabei. Das liegt aber auch darin begründet, dass das MiG – obwohl an der TU angesiedelt – in einer in Deutschland durchaus einzigartigen, vielleicht auch etwas ungewöhnlichen Querschnittsfunktion eingebunden ist.
Im MiG selbst vereinen sich Gesundheitssystemforschung, Versorgungsforschung, Public Health und Gesundheitsökonomie. Doch da Busse in Persona auch noch Zweitmitglied an der medizinischen Fakultät der Charité ist, können seine Mitarbeiter auch zum Dr. med. promovieren. Das ergibt ein selbst für Berliner TU-Verhältnisse schon sehr exponiertes Fachgebiet, das intern wie extern stark wahrgenommen wird.
Zudem bildet das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen seit Juli 2012 gemeinsam mit Partnern der TU Berlin und der Charité eines der vier vom Bundesminis-terium für Bildung und Forschung (BMBF) für acht Jahre mit rund 4.2 Mio. Euro geförderten Gesundheitsökonomischen Zentren in Deutschland. Leiter des Gesundheitsökonomischen Zentrums BerlinHECOR (Centre for Health Economics Research) ist Busse. Die Aktivitäten des gesundheitsökonomischen Zentrums am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen werden von Gruppenleiterin Dr. Cornelia Henschke koordiniert.
HECOR verfolgt neben dem Aufbau einer nachhaltigen, international wahrgenommenen gesundheitsökonomischen Forschungsstruktur die Entwicklung, Organisation und Implementierung einer umfassenden Leistungsmessung und -rechnung innerhalb des deutschen Gesundheitssys-tems. Die Leistungsmessung bezieht sich, angelehnt an das Health System Framework der Weltgesundheitsorganisation (WHO), auf die Bereiche Bevölkerungsgesundheit, Responsiveness (Eingehen auf gerechtfertigte Erwartungen der Bevölkerung), soziale und finanzielle Risikoabsicherung und Effizienz in der Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus spielen die von der WHO definierten intermediären Outcomes (access, coverage, quality and safety) eine zentrale Rolle.
Inhaltliches Hauptziel der Nachwuchsgruppe MeDIoRI – ebenfalls geleitet von Dr. Cornelia Henschke – ist es, regulative Maßnahmen für den Bereich der Medizinprodukte zu analysieren sowie ihre Auswirkungen für Patienten, Leistungserbringer und Krankenkassen zu identifizieren. Das Teilprojekt captureACCESS analysiert anhand von Befragungs- und Regionaldaten subjektive und regionale Zugangsbarrieren und deren Zusammenhang mit Gesundheit. Das Teilprojekt IPHA strebt neben der Typisierung von Patienten eine umfassende Leistungsmessung aus Bevölkerungsperspektive mittels Befragungs- und Routinedaten an. Das TUB-Teilprojekt FINSUNG – geleitet von Prof. Dr. Marco Runkel (seit April 2018 Juniorprofessor für Empirische Gesundheitsökonomie) und Prof. Dr. Martin Siegel – hat hingegen den Schwerpunkt in der Weiterentwicklung gesundheitsökonomischer/-ökonometrischer Modelle zur Untersuchung der Ziele Risikoabsicherung und Effizienz. In dem Teilprojekt PASS-Germany an der Charité-Universitätsmedizin – geleitet von Prof. Dr. Stephan Willich und PD Dr. Thomas Reinhold – werden potenziell inadäquate Medikationen auf Datengrundlage der Nationalen Kohorte untersucht. <<

Ausgabe 02 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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