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Wissenstransfer aus der Forschung in die Routineversorgung von Lungenkrebs

04.04.2019 10:20
Lungenkrebs ist eine der häufigsten Tumorerkrankungen und die häufigste Krebstodesursache in Deutschland.1,2 Nur etwa 1/3 der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC), das in 80% aller Lungenkrebsfälle vorliegt, ist bei der Erstdiagnosestellung operabel.3 Für Patienten mit einem fortgeschrittenen oder nicht kurativ behandelbaren NSCLC wurden über Jahrzehnte in der systemischen Therapie, meist mit einer Chemotherapie, nur marginale Verbesserungen hinsichtlich des Ansprechens und Überlebens erreicht. Mit der Entdeckung, dass das Wachstum eines Teils der Tumoren durch eine aktivierende Mutation der Tyrosinkinase angetrieben wird, und sich diese zielgerichtet hemmen lassen, gab es im Feld der Präzisionsmedizin, auch personalisierte Medizin genannt, seit etwa zehn Jahren erhebliche Fortschritte bei der Behandlung von Lungenkrebs.4 Somit können heute ca. 30% aller NSCLC Patienten im fortgeschrittenen Stadium personalisiert bzw. zielgerichtet behandelt werden.4 Patienten mit NSCLC und Mutation im EGF-Rezeptoren haben in randomisierten Studien bei der Behandlung mit einem TKI höhere Ansprechraten, ein längeres progressionsfreies Überleben und geringere Nebenwirkungen im Vergleich zu einer zytotoxischen Chemotherapie.8 Zudem haben mehrere Behandlungskohorten weltweit eine Verbesserung des Gesamtüberlebens mit der personalisierten Medizin für Lungenkrebs gezeigt.9 Die im Kölner Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs erfassten Patienten zeigten im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe mit den betreffenden Treibermutationen eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens von im Median 21,9 Monaten bei EGFR-positiven und 12 Monaten bei ALK-positiven NSCLC Patienten.10

http://doi.org/10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2166

Abstract

In der Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) wurden mit der Präzisionsmedizin in den vergangenen zehn Jahren erhebliche Fortschritte hinsichtlich des Ansprechens auf die Therapie, der Lebensqualität und der Verlängerungen des Überlebens erreicht. In der durchgeführten Analyse von Routinedaten der AOK zeigt sich, dass dieses komplexe Behandlungskonzept jedoch nur einen Teil der Patienten erreicht, was auch für die Gruppe der Patienten gilt, die in Lungenkrebszentren behandelt werden. Daneben erfassen die im vertragsärztlichen Sektor durchgeführten molekularpathologischen Tests nur in 42% der Fälle wenigstens die Treibermutationen in EGFR-, ALK- und ROS1-Genen, auf BRAF-V600-Mutationen wurde in nur 2% der Fälle untersucht. Die aktuelle Situation lässt auf eine Fehlversorgung, verbunden mit einem Verlust an potenziellen Lebensjahren beim Lungenkrebs schließen. Eine Vernetzung aus hochspezialisierten Zentren (Netzwerkzentren) mit den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern (Netzwerkpartnern) soll einen schnellen Wissenstransfer der Präzisionsmedizin aus der Forschung in die Versorgung von Patienten mit NSCLC ermöglichen. In diesem nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs erfolgt die molekularpathologische Diagnostik auf höchstem Qualitätsniveau in den spezialisierten Netzwerkzentren, die Netzwerkpartner werden anschließend von den interdisziplinären Experten der Netzwerkzentren zu möglichen Therapieoptionen (auch in gemeinsamen Tumorboards) beraten. Die Behandlung von Patienten soll im nNGM-Lungenkrebs weiterhin möglichst dezentral durch die Netzwerkpartner erfolgen. Patienten mit Treibermutationen, für die es keine zugelassene Therapie gibt, werden wann immer möglich, in klinische Studien eingeschlossen. Es wurden für diese Versorgung Verträge mit AOKs geschlossen, Verträge mit den Ersatzkassen sind kurz vor dem Abschluss und weitere Krankenkassen und Netzwerkzentren können den Verträgen beitreten. Durch die Netzwerkbildung sollen Patienten überall in Deutschland unabhängig von ihrem Wohn- und/oder Behandlungsort immer die bestmögliche Behandlung erhalten.

Knowledge transfer from research to the routine care of lung cancer
Over the last ten years, significant improvements have been achieved in the treatment of non-small cell lung cancer (NSCLC) by the use of precision medicine regarding the response to therapy, quality of life and prolonged overall survival. Nevertheless, using nationwide claims data of the AOK (Local Health Funds), the analysis shows that this complex concept of treatment only reaches a proportion of suitable patients. This includes patients treated in lung cancer centers. In addition, if genetic analysis is done in the outpatient sector, only 42% of patients were tested for at least the driver mutations in EGFR, ALK and ROS1. For BRAF-V600 mutations, only 2% of the patients were analyzed. A clinical network of highly specialized cancer centers (network centers) with attending doctors and hospitals (network partners) should provide a fast knowledge transfer of precision medicine from medical research to the treatment of NSCLC patients. This “national Network Genomic Medicine” (nNGM) lung cancer offers highest-level genetic diagnostics in specialized network centers. Subsequently, clinical experts of the network centers provide interdisciplinary counselling for their network partners concerning therapy. Furthermore, patients with detected driver mutations without any approved therapy options will be recruited into clinical trials. The reimbursement of centralized molecular diagnostics and treatment recommendations are covered by several AOKs already. Contract negotiation with substitute health funds are at an advanced stage. Thus, through the cooperation between the network centers and network partners, NSCLC patients should always receive the best possible treatment regardless of their place of residence in Germany.

Keywords
Precision medicine, lung cancer, claims data, molecular diagnostics, clinical networks

Dr. med. Gerhard Schillinger / Dipl.-Ges.-Ök. Anna Kron

Literatur:

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2. Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) / Robert Koch-Institut (RKI) - Krebs in Deutschland für 2013/2014: Lungenkrebs (Bronchialkarzinom); pp 56-59.   https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2017/kid_2017_c33_c34_lunge.pdf?__blob=publicationFile, (Zugriff am 03.07.2019).
3. Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA) - Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V - Alectinib. 2017; https://www.g-ba.de/downloads/40-268-4801/2017-10-19_AM-RL-XII_Alectinib_D-281_ZD.pdf, (Zuletzt abgerufen am 03.07.2019).
4. Michels S, Wolf J. Therapie im Stadium IV des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms mit Treibermutation. Der Onkologe. 2018;24(12):983-991.
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6. Mok TS, Wu YL, Thongprasert S, et al. Gefitinib or carboplatin-paclitaxel in pulmonary adenocarcinoma. The New England journal of medicine. 2009;361(10):947-957.
7. Fukuoka M, Wu YL, Thongprasert S, et al. Biomarker analyses and final overall survival results from a phase III, randomized, open-label, first-line study of gefitinib versus carboplatin/paclitaxel in clinically selected patients with advanced non-small-cell lung cancer in Asia (IPASS). Journal of clinical oncology : official journal of the American Society of Clinical Oncology. 2011;29(21):2866-2874.
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9. Schuette W, Schirmacher P, Eberhardt WEE, et al. Treatment decisions, clinical outcomes, and pharmacoeconomics in the treatment of patients with EGFR mutated stage III/IV NSCLC in Germany: an observational study. BMC cancer. 2018;18(1):135.
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12. Kron F, Hallek M. Wissen generierende Versorgung in der Onkologie. Forum. 2018;33(5):345-350.
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14. Barlesi F, Mazieres J, Merlio JP, et al. Routine molecular profiling of patients with advanced non-small-cell lung cancer: results of a 1-year nationwide programme of the French Cooperative Thoracic Intergroup (IFCT). Lancet (London, England). 2016;387(10026):1415-1426.
15. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - § 87 Bundesmantelvertrag, einheitlicher Bewertungsmaßstab, bundeseinheitliche Orientierungswerte: Abs. 5b Satz 5 https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__87.html, (Zugriff am 03.07.2019).
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17. Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) - Kapitel 19.4 In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen. http://www.kbv.de/tools/ebm/html/19.4_162394280527557411774432.html, (Zuletzt abgerufen am 03.07.2019).
18. Griesinger F, Eberhardt WEE, Nusch A, et al. Molecular testing, frequency of molecular alterations and targeted 1st-line treatment of patients with non-small cell lung carcinoma in Germany: First results from the prospective German Registry CRISP (AIO-TRK-0315). Journal of Clinical Oncology. 2018;36(15_suppl):e21236-e21236.
19. Kron A, Quaas A, Zander A. Versorgungsrealität der molekularen Diagnostik maligner Erkrankungen. Der Onkologe. 2017;11(23):900-910.
20. Konig K, Peifer M, Fassunke J, et al. Implementation of Amplicon Parallel Sequencing Leads to Improvement of Diagnosis and Therapy of Lung Cancer Patients. Journal of thoracic oncology : official publication of the International Association for the Study of Lung Cancer. 2015;10(7):1049-1057.
21. Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) - Verträge zur Integrierten Versorgung (§ 140 a-d SGB V). https://www.aok-gesundheitspartner.de/bund/iv/index.html, (Zuletzt abgerufen am 03.07.2019).
22. Büttner R, Wolf J, Kron A, Medizin NNG. Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM). Der Pathologe. 2019;40(3):276-280.
37. Ferdinand D, Otto M, Weiss Ch. Get the most from your data: a propensity score model comparison on real-life data. Internat. J Gen Medicine 2016:9 123–131

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Zitationshinweis: Schillinger, G., Kron, A.: „Wissenstransfer aus der Forschung in die Routineversorgung von Lungenkrebs“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (04/19), S. 75-80, doi: 10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2166

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Plain-Text:

Wissenstransfer aus der Forschung in die Routineversorgung von Lungenkrebs

Lungenkrebs ist eine der häufigsten Tumorerkrankungen und die häufigste Krebstodesursache in Deutschland.1,2 Nur etwa 1/3 der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC), das in 80% aller Lungenkrebsfälle vorliegt, ist bei der Erstdiagnosestellung operabel.3 Für Patienten mit einem fortgeschrittenen oder nicht kurativ behandelbaren NSCLC wurden über Jahrzehnte in der systemischen Therapie, meist mit einer Chemotherapie, nur marginale Verbesserungen hinsichtlich des Ansprechens und Überlebens erreicht. Mit der Entdeckung, dass das Wachstum eines Teils der Tumoren durch eine aktivierende Mutation der Tyrosinkinase angetrieben wird, und sich diese zielgerichtet hemmen lassen, gab es im Feld der Präzisionsmedizin, auch personalisierte Medizin genannt, seit etwa zehn Jahren erhebliche Fortschritte bei der Behandlung von Lungenkrebs.4 Somit können heute ca. 30% aller NSCLC Patienten im fortgeschrittenen Stadium personalisiert bzw. zielgerichtet behandelt werden.4 Patienten mit NSCLC und Mutation im EGF-Rezeptoren haben in randomisierten Studien bei der Behandlung mit einem TKI höhere Ansprechraten, ein längeres progressionsfreies Überleben und geringere Nebenwirkungen im Vergleich zu einer zytotoxischen Chemotherapie.8 Zudem haben mehrere Behandlungskohorten weltweit eine Verbesserung des Gesamtüberlebens mit der personalisierten Medizin für Lungenkrebs gezeigt.9 Die im Kölner Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs erfassten Patienten zeigten im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe mit den betreffenden Treibermutationen eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens von im Median 21,9 Monaten bei EGFR-positiven und 12 Monaten bei ALK-positiven NSCLC Patienten.10.

>> Die evidenzbasierte S3-Leitlinie zu Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms (Langversion 1.0–Februar 2018) sieht eine Untersuchung aller fortgeschrittenen NSCLC-Patienten auf EGFR, ALK, ROS1, BRAF-V600 und PD-L1 als Behandlungsstandard vor. Patienten mit aktivierenden Mutationen sollen TKIs angeboten werden.11
Dabei werden die Behandlungsregime zunehmend komplexer und individueller, da auf eine Vielzahl von Mutationen untersucht werden muss. Bei auftretenden Resistenzen können weitere Medikamente oder Kombinationstherapien zur Anwendung kommen, weshalb eine Wiederholung der umfassenden molekularpathologischen Diagnostik vor jeder validen Therapieentscheidung im Rezidiv bzw. Krankheitsprogress notwendig ist. Dabei ist vor allem die Qualität der molekulargenetischen Diagnostik von zentraler Bedeutung, da die richtige Identifikation von Treibermutationen über das Überleben der Patienten entscheidet. Für die Beurteilung der Analyseergebnisse und die Therapieentscheidung müssen interdisziplinäre Experten eingebunden werden, die u.a. den aktuellen Stand der Forschung und die sich schnell entwickelnde und stets verändernde Studienlage überblicken. Eine wissensgenerierende Versorgung, d.h. ein schneller Wissens-transfer zwischen der Forschung und der Routineversorgung, spielt für die richtige Behandlung von Lungenkrebspatienten intersektoral eine entscheidende Rolle.12
Um die komplexe und sich schnell entwickelnde Präzisionsmedizin in die Versorgung zu integrieren, wurde in Frankreich mit dem InCA-Netzwerk die Routinediagnostik von NSCLC-Patienten in 28 festgelegten Zentren sehr erfolgreich implementiert.13,14
Die gesetzlichen Regelungen sollen in Deutschland eine schnelle Implementierung von Innovationen sicherstellen. Medikamente werden in Deutschland im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern ab dem Tag der Zulassung aufgrund gesetzlicher Regelungen durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Im Krankenhaus kommen die molekularpathologischen Tests durch die Mechanismen des Diagnosis Related Groups (DRG)-Systems automatisch in die Vergütung, sofern sie von den Kalkulationshäusern angewendet werden. Im vertragsärztlichen Sektor können die Tests durch methodenbezogene Gebührenordnungsziffern sofort nach Arzneimittelzulassung abgerechnet werden. Gibt es für einen Test, der für die Anwendung eines neu zugelassenen Medikaments obligat ist, keine Gebührenordnungsziffer, so ist der Bewertungsausschuss verpflichtet, diese innerhalb eines halben Jahres einzuführen.15 Durch eine Auswertung von Krankenkassenroutinedaten sollte untersucht werden, ob diese Maßnahmen in der Vergütung ausreichen, um die Präzisionstherapie schnell in die Versorgung der betroffenen Patienten zu bringen.
Methoden
Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung sind bei der AOK versichert. Es wurden durch das Wissenschaftliche Institut der AOK anonymisierte Abrechnungsdaten der AOK aus der stationären Versorgung, der vertragsärztlichen Versorgung, der ambulanten spezialisierten Versorgung (§ 116b SGB V) und der Arzneimittelversorgung für das Jahr 2017 ausgewertet.
Zielgruppe waren Patienten mit inzidentem Lungenkarzinom (ICD C34), die aufgrund ihres Gesundheitsstatus noch für eine systemische Therapie in Frage kommen. Daher wurde die Auswertung auf die Patienten beschränkt, die eine erstmalige Diagnose ICD C34 auswiesen und eine systemische Therapie erhielten, die durch die OPS 8-54* oder die ATC L01* definiert wurde. Da die ICD nicht zwischen NSCLC und kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) differenziert, musste der Anteil der SCLC-Patienten aufgrund epidemiologischer Daten abgeschätzt und herausgerechnet werden.
Für die Patienten mit Präzisionstherapie wurden diejenigen Patienten herangezogen, die innerhalb der ersten beiden Quartale nach Diagnosestellung in 2017 zugelassene Tyrosinkinasehemmer bzw. PD1-Inhibitoren erhielten. Für EGFR-Mutationen wurden hierfür die Medikamente Gefitinib, Erlotinib, Afatinib und Osimertinib berücksichtigt, für ALK-Fusionen Crizotinib und Ceritinib und ROS1-Translokationen Crizotinib. Ferner wurde der Anteil der Patienten ermittelt, die die PD1-Inhibitoren Pembrolizumab und Nivolumab erhielten. Für den Erwartungswert, der mit Tyrosinkinasehemmern behandelten Patienten wurden die Ergebnisse der veröffentlichten Kohorten aus dem französischen InCA-Netzwerk und dem Kölner NGM Lungenkrebs verwendet. Der Erwartungswert für Pembrolizumab betrug beim Zulassungsstatus in 2017 20-25%. Nivolumab ist aufgrund der negativen Ergebnisse der CheckMate 026-Studie (clinicaltrials.gov: NCT02041533), die im August 2016 veröffentlicht wurden, weiterhin nicht für die Erstlinientherapie des NSCLC zugelassen.16
Seit dem 3. Quartal 2016 muss bei der vertragsärztlichen Abrechnung von Einzeluntersuchungen auf Treibermutationen zur Indikation einer Arzneimitteltherapie (Companion Diagnostics) eine Angabe über die Erkrankung, das Gen, die Gennummer nach OMIN-Nummer sowie das beabsichtigte Medikament erfolgen.17 Hierdurch ist es möglich, für die Patienten, bei denen die Companion Diagnostics im vertragsärztlichen Sektor erfolgt, auszuwerten, ob alle in Frage kommenden Gene untersucht wurden.
Ergebnis
Für das Jahr 2017 wurden 22.000 Fälle mit inzidentem NSCLC identifiziert. 9.000 von diesen Patienten erhielten eine systemische Therapie. 344 Patienten (3,8%) erhielten innerhalb der ersten beiden Quartale nach initialer Diagnosestellung einen bei aktivierender EGFR-Mutation indizierten TKI, erwartet werden deutlich höhere Anteile: In der französischen InCA-Kohorte wurden bei 11% und in der Kölner NGM-Kohorte bei 14% der NSCLC Patienten EGFR-Mutationen nachgewiesen.4,14 Einen TKI, der bei Treibermutationen in ALK und/oder ROS1 indiziert ist, erhielten 107 Patienten (1,2%), erwartet werden auch hier höhere Raten. In der französischen InCA-Kohorte bestanden ALK-Mutationen bei 5% der untersuchten Patienten.14 In der Kölner NGM-Kohorte waren 2% der Patienten ALK-positiv und 1% der Patienten ROS1-positiv.4
Pembrolizumab erhielten 895 Patienten (9,9%), erwartet werden aufgrund des Zulassungsstatus in 2017 20% bis 25%. Nivolumab, das für die Erstlinienbehandlung von NSCLC nicht zugelassen ist, und für das in der Phase-3-Studie kein Nutzen in dieser Indikation nachgewiesen werden konnte, erhielten 784 Patienten (8,7%). Damit erreichte die Präzisionsmedizin nur etwa 27% bis 42% der infrage kommenden Patienten, die eine systemische Behandlung erhielten. Der Anteil von Patienten, die mit dem beim fehlenden Nutzennachweis in der Phase-3-Studie nicht für die Erstlinientherapien zugelassenen Nivolumab Off-Label behandelt wurden, ist vor allem im Vergleich zu den geringeren Behandlungsraten von zugelassenen Medikamenten erschreckend hoch und verursachte bei einer Hochrechnung der Jahrestherapiekosten jährliche Ausgaben von über ca. 60 Millionen Euro.
80% der Patienten wurden u.a. im Krankenhaus behandelt, 20% rein ambulant. Für die in Krankenhäusern behandelten Patienten zeigte sich ein geringgradig höherer Anteil der Patienten mit Präzisionsmedizin. In Deutschland gab es in 2017 50 zertifizierte Lungenkrebszentren, in denen 37% der Patienten mit inzidentem Lungenkrebs behandelt wurden. Zwischen den Lungenkrebszentren und anderen Kliniken zeigte sich kein Unterschied im Anteil der Patienten mit Präzisionsmedizin (Abb. 1).
Nachdem zu Beginn der Einführung der verpflichtenden Angaben von Gennummer, Gen und Medikament in 2016 die Umsetzung dieser Verpflichtung zunächst sehr unzureichend war, wurden die vertragsärztlichen Abrechnungen der Companion Diagnostics für das
2. Quartal 2018 ausgewertet. Hierbei zeigte sich, dass bei 36% der untersuchten Patienten nur das EGF-Rezeptorgen untersucht wurde, bei 16% nur ALK und/oder ROS1, bei 42% der Patienten EGFR-Rezeptor, ALK und/oder ROS1. BRAF-V600-Mutationen wurden ein Jahr nach Zulassung von Trametinib/Dabrafenib für diese Indikation  insgesamt in 2% der Fälle untersucht, eine EGFR-Rezeptor-Expression in 1% (Abb. 3).
Diskussion
Die Rate von Patienten mit inzidentem und systemisch behandeltem Lungenkarzinom, die mit personalisierten Medikamenten in Deutschland behandelt werden, ist unbefriedigend. Auch die ersten Ergebnisse der CRISP (Clinical Research platform Into molecular testing, treatment and outcome of non-Small cell lung carcinoma Patients)-Registerstudie (clinicaltrials.gov: NCT02622581) der Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO) zeigen geringe Diagnostik- und Behandlungsraten in den zugelassenen Indikationen des NSCLC.18 Unter Berücksichtigung der Therapierelevanz für das Überleben dieser Patienten sind diese Zahlen dramatisch und weisen auf eine Fehlversorgung hin. Fast zehn Jahre nach Zulassung des ersten TKI Gefitinib für NSCLC mit Treibermutation im EGF-Rezeptoren erhalten nur etwa 1/3 bis weniger als die Hälfte der systemisch behandelten Patienten diese Medikamente, obgleich diese Medikamente seit 2009 zur Verfügung stehen und vergütet werden. Die überwiegend unvollständige, vertragsärztlich durchgeführte Companion Diagnostics weist darauf hin, dass das Wissen über diese Behandlungsmöglichkeit unzureichend in der Patientenversorgung ankommt.
Schnellerer Wissenstransfer durch enge Vernetzung der Patientenversorgung und Forschung
Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs
Das Kölner NGM Lungenkrebs wurde 2010 mit Unterstützung des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen gegründet. Ziel war eine Vernetzung der Forscher und der interdisziplinären Experten der Uniklinik Köln mit den intersektoral behandelnden Ärzten und regionalen Krankenhäusern (Netzwerkpartner). Die Tumorproben wurden durch die behandelnden Ärzte und Krankenhäuser in das Institut für Pathologie der Uniklinik Köln geschickt, wo sie zentral mittels einer modernen Multiplex-Diagnostik basierend auf dem sog. Next Generation Sequencing (NGS)-Verfahren nach den höchsten Qualitätsstandard molekulargenetisch analysiert wurden.19
Die Multiplexanalyse (Parallelsequenzierung) ermöglicht dabei, in einem einzigen Durchgang alle relevanten Gene anhand einer Tumorprobe zu untersuchen, wodurch weniger DNA als bei mehreren, aufeinander folgenden Einzelunter-suchungen benötigt wird und den Patienten weitere mit Risiken verbundene Biopsien erspart werden können.20 Aufgrund der Ergebnisse werden die einsendenden Ärzte und Krankenhäuser durch die Lungenkrebsspezialisten der Uniklinik Köln hinsichtlich der resultierenden Therapieoptionen beraten, damit die anschließende Patientenbehandlung weiterhin möglichst wohnortnah für den Patienten (beim Netzwerkpartner) stattfinden kann. Das NGM versucht dabei, möglichst für jede detektierte Alteration eine Behandlungsoption zu erarbeiten.
Dabei kann es sich je nach Indikation um zugelassene Medikamente, klinische Studien oder Compassionate Use-Programme und ggf. Off-Label-Therapien handeln. Die Behandlungsdaten werden im Verlauf fortlaufend erhoben. Über die Jahre hat das Kölner NGM Lungenkrebs ein Netzwerk mit bundesweit 199 Netzwerkpartnern aufgebaut und analysiert pro Jahr etwa 5.000 Tumore von Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC. 2014 wurde zwischen der Uniklinik Köln und der AOK Rheinland-Hamburg der erste Vertrag zur damals sog. Integrierten Versorgung (IV) gem. § 140a-f SGB V21 für die pauschalierte Finanzierung der umfassenden molekularpathologischen Diagnostik und Beratung/Zweitmeinung geschlossen. Anschließend kamen mit der Barmer, TK, KKH, AOK Niedersachsen und einigen BKKs und IKKs weitere Krankenkassen hinzu, so dass das Modell auf nach-haltigen Füßen steht.19
Durch die Förderung der Deutschen Krebshilfe (DKH) erfolgte im April 2018 ein bundesweiter Rollout des Kölner NGM-Modells. Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs startete mit den 15, zum Zeitpunkt der Antragsstellung existierenden, onkologischen Spitzenzentren der DKH. Diese hochspezialisierten Unikliniken bilden als Netzwerkzentren wiederum weitere regionale Sub-Netzwerke mit den Kliniken und Vertragsärzten (Netzwerkpartner ähnlich dem Kölner NGM), um das gesamte nNGM-Lungenkrebs bundesweit in die Fläche zu bringen. Dabei geht es nicht um eine Zentralisierung der Behandlung, lediglich die Diagnostik, Beratung und Ergebnisevaluation sollen zentral in den Netzwerkzentren erfolgen. In den Netzwerkzentren wird die molekularpathologische Diagnostik mit sehr hohen Qualitätsstandards aufgebaut, zu der sich die Zentren in einer gemeinsamen Task Force und vertraglich gegenüber den Kos-tenträgern verpflichtet haben.
Im Netzwerk erfolgt ein kontinuierliches harmonisiertes Qualitätsmanagement. Um die molekulargenetischen Untersuchungen im nNGM durchzuführen, müssen die Netzwerkzentren an einem unabhängigen Ringversuch (Proficiency-Testung) erfolgreich teilnehmen. Anschließend erfolgt alle zwei Jahre eine Performance-Testung für die Lungenkrebs-relevanten Marker im Rahmen eines Ringversuchs. Dabei muss jeweils mindestens eine 90%ige Übereinstimmung erzielt werden. In der gemeinsamen Task Force wird daneben der Umfang der Diagnostik regemäßig an die aktuelle Studienlage angepasst. Hinsichtlich der therapeutischen Relevanz der molekulargenetischen Ergebnisse und für die Beratung der einsendenden Netzwerkpartner gibt es in einer gemeinsamen Task Force einen regelmäßigen Austausch und eine Harmonisierung der Empfehlungen für die Therapieoptionen auf dem Boden der jeweils aktuellen Leitlinien und Studienlage. Vertreter der Netzwerkpartner und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) nehmen ebenfalls an dieser Task Force teil.
Die Daten der molekulargenetischen Diagnostik und die klinischen Daten werden in einer gemeinsamen Datenbank in der Uniklinik Köln (nNGM-Geschäftsstelle) erfasst, so dass mit der Behandlung kontinuierlich Evidenz generiert werden kann. Die Netzwerkzentren und Netzwerkpartner haben sich zu einer Dokumentation und Übermittlung der Behandlungsdaten im gemeinsamen Austausch verpflichtet. Dabei soll möglichst keine Doppeldokumentation entstehen, weshalb auch enge Abstimmung des Datensatzes mit anderen Initiativen und Registern erfolgt. Die resultierenden Ergebnisse über die neu erkannten klinisch-relevanten Treibermutationen werden publiziert und stehen so der Forschung und Patientenbehandlung zur Verfügung. Durch die Vernetzung soll auch das Studienangebot an Patienten mit Treibermutationen, für die noch keine Medikamente zugelassen wurden, ausgeweitet werden. Ziel ist hierbei, dass zu jeder therapeutisch angehbaren Aberration ein Studienangebot an einem der Netzwerkzentren bzw. Prüfzentren vorhanden ist, in das entsprechende Patienten eingeschlossen werden können.22
Für die Nachhaltigkeit der Versorgung in dieser besonderen Struktur, die der Komplexität der Präzisionsmedizin beim Lungenkrebs Rechnung trägt, ist auch die Einbindung der Kostenträger wesentlich. Hierzu wurde zum 19. Februar 2019 ein neuer Vertrag zur Besonderen Versorgung gem. § 140a SGB V mit AOKs und den Netzwerkzentren geschlossen (aktuelle Übersicht der Kooperationskrankenkassen: www.nngm.de). Weitere Krankenkassen, u.a. Ersatzkassen, sind in weit fortgeschrittener Verhandlung oder kurz vorm Vertragsbeitritt. Im Vertrag ist der Beitritt weiterer Krankenkassen vorgesehen, ebenso der Beitritt weiterer Netzwerkzentren, sofern sie die vereinbarten Qualitätsanforderungen gleichermaßen erfüllen. Einige Betriebskrankenkassen haben bereits das Interesse an einem Vertragsbeitritt im nNGM bekundet. In Baden-Württemberg wird die Finanzierung der Leistung in den Netzwerkzentren durch eine vom Sozialministerium initiierte Zentrenbildung für Personalisierte Medizin ermöglicht werden.
Fazit
Bei der hohen Komplexität moderner Präzisionsmedizin beim Lungenkrebs zeigt sich eine zu langsame Übernahme der Studienergebnisse in die Patientenversorgung, was für die betroffenen Patienten ein schlechteres Ansprechen der Tumore auf die Therapie, schwerere Nebenwirkungen und ein vermindertes Gesamtüberleben bedeutet. Daher werden für die neuen spezialisierten Therapien spezielle Versorgungsstrukturen benötigt, für die es bislang keine kollektivvertragliche gesetzliche Grundlage gibt.
Mit dem durch die DKH ermöglichten Aufbau des nNGM-Lungenkrebs und die Zusammenarbeit mit AOKs und weiteren Krankenkassen im Rahmen von Verträgen zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V werden die notwendigen Strukturen für eine bestmögliche Behandlung aller Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC in Deutschland geschaffen. Hierdurch wird erreicht, dass diese Patienten eine zuverlässige und sensitive molekularpathologische Diagnostik erhalten. Klinisch-relevante Mutationen werden erfasst und publiziert.
Durch die Beratung der behandelnden Netzwerkpartner erhalten die Patienten die bestmögliche Therapie auf dem Boden der aktuellen Studienlage. Bei behandelbaren Treibermutationen, für die noch keine Medikamente zugelassen sind, werden die Patienten in Studien an die teilnehmenden Netzwerkzentren bzw. Prüfzentren vermittelt. Bei Compassionate Use werden die Behandlungsdaten erfasst, um einen Erkenntnisgewinn für die Implementierung neuer klinischer Studien zu ermöglichen. Im nNGM Lungenkrebs wird erreicht, dass die Patienten heimatnah behandelt werden können, dort wo sie zu Hause sind, nahe bei ihren Angehörigen und Freunden. Und dennoch wird sichergestellt, dass sie die bestmögliche molekularpathologische Diagnostik und eine Behandlung entsprechend der aktuellen Studienlage erhalten und dies überall in Deutschland, ob in der Groß- oder Kleinstadt oder auf dem Land. Das nNGM Lungenkrebs kann als zukunftsträchtiges Modell für den Innovationstransfer aus der Forschung in die Versorgung über die Behandlungssektoren hinweg in Deutschland betrachtet werden. <<

Ausgabe 04 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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