Ein eigenes Lotsengesetz soll den Weg frei machen
http://doi.org/10.24945/MVF.05.19.1866-0533.2170
>> Die Schlaganfall-Lotsen in Ostwest-falen-Lippe (OWL) können jedoch – anders als die Cardiolotsen in Berlin – auf Bestehendes aufsetzen und müssen damit eben nicht bei Null starten. Die Stiftung Deutsche Schlag-
anfall-Hilfe hatte schon 2011 begonnen, ein weitreichendes Konzept für ein qualitätsgesichertes Case Management (qCM) für die Schlaganfall-Versorgung zu erarbeiten. Damit konnten die ersten Schlaganfall-Lotsen bereits ein Jahr darauf, 2012, ihre Arbeit aufnehmen. Dem folgte 2013 ein vom NRW-Gesundheitsministerium gefördertes Pilotprojekt mit 5 Lotsen und 300 eingeschlossenen Patienten in Ostwest-
falen-Lippe. All diese Erfahrungen konnten in das vom Innovationsfonds mit der 2. Förderwelle (Anfang 2017) bewilligte „STROKE OWL“-Projekt eingebracht werden. Brinkmeier bezeichnet heute den Innovationsfonds als „Segen für die frustrationsgeplagte IV-Szene“. Denn erst durch die mit der Millionen-Förderung erreichte Größe und mediale wie politische Aufmerksamkeit würde endlich die reelle Chance bestehen, „wirkliche Fortschritte in der Gesundheitsversorgung in Deutschland anzustoßen und auch zu verankern“. Obwohl der offizielle Projektstart aufgrund vieler nötiger Detailabsprachen erst ein halbes Jahr danach, im Oktober 2017, erfolgen konnte, betreuen nach neun Monaten Vorlaufphase (geplant waren eigentlich nur fünf) seit Sommer 2018 mittlerweile 17 Schlaganfall-Lotsen inzwischen mehr als 1.000 Betroffene in Ostwestfalen-Lippe. Damit sind rund 50% der angestrebten Zielpopulation erreicht. Denn insgesamt können maximal nur 2.000 Schlaganfall-Patienten von insgesamt rund 6.000 bis 7.000 Schlaganfällen, die sich jährlich in OWL ereignen, ins Projekt eingeschlossen werden.
Dass aktuell mehr als 1.000 Schlaganfall-Patienten betreut werden, ist alleine schon ein Erfolg an sich. Für Innovationsprojekte gilt generell das Prinzip der freiwilligen Mitarbeit, was nichts anderes heißt, als dass „das Konzept nicht nur inhaltlich überzeugen“ muss, wie Brinkmeier zu Protokoll gibt. Genauso wichtig ist es, die jeweiligen Interessen der Beteiligten („Hidden Agendas“) im Projektkontext hinreichend abzubilden. Oder zumindest dafür zu sorgen, dass die Berücksichtigung von Detailzielen weder die Durchführung der übergeordneten Projektziele behindern, noch die jeweiligen Anforderungen der Mitglieder im Projekt gefährden. Dies ist, wie Brinkmeier formuliert, eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe des Moderators, sprich des Konsortialführers.
Hier hat die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, 1992 von Liz Mohn als selbständige Stiftung des privaten Rechts gegründet, ein absolutes Prä gegenüber allen anderen Konsortialführern, die es bei den aktuell 119 IF-Projekten der Neuen Versorgungsformen gibt: Sie ist kein originärer Teil des Gesundheitssystems und damit auch kein Teilnehmer des ständigen Wettbewerbs um einen möglichst großen Teil des Versorgungsbudgets. „Wir sind einzig und allein dem Patientenwohl verpflichtet“, verdeutlicht Brinkmeier den Ansatz der Stiftung, die 2018 ein Stiftungskapital von knapp 70 Millionen Euro aufwies. Das heißt auch: Wenn die Stiftung etwas bewegen möchte, macht sie das auch, egal, wie lange es dauern mag.
Erklärtes Ziel des STROKE OWL-Projekts ist es, durch das zu erprobende Lotsenprinzip eine deutlich geringere Rate von Rezidiven bzw. Folgekrankheiten sowie eine erhöhte Teilhabe der Betroffenen zu erreichen.
Wenn die wissenschaftliche Evaluation, durchgeführt von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld (Prof. Greiner), im Jahr 2021 ergeben sollte, dass diese Ziele erreicht worden sind, könnte das Lotsenprinzip Teil der Regelversorgung werden. Und noch mehr: Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe ist aus eigenem Antrieb jenseits der Projektfinanzierung durch den Fonds dabei, das Curriculum für den zentralen Case-Management-Ansatz vom indikationsspezifischen zu entkoppeln. Das Ziel: Ein Case-Management-Modell (CM) zu entwickeln, das im Projektkontext bereits evident gezeigt hat, dass es funktioniert.
Die Zeichen dafür stehen schon jetzt günstig. Bereits im März 2019 hat die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Prof. Dr. Claudia Schmidtke, die Implementierung von Patientenlotsen zum politischen Ziel erklärt. Dennoch will die Schlaganfall-Hilfe nicht abwarten, bis eines Tages nach dem Status „Last patient out“ der vollständige Evaluationsbericht auf dem Tisch liegt und irgendwann mit entsprechendem Zeitver-
zug veröffentlicht wird. Dies könnte nacheiner möglichen Projektverlängerung auch erst im Herbst 2022 der Fall sein.
Dazu kommt noch, dass in den „Allgemeinen Nebenbestimmungen“ des beim G-BA angesiedelten Innovationsausschusses (ANBest-IF) lediglich gefordert wird, dass der „Förderempfänger verpflichtet ist, das Ergebnis – min-destens im sachlichen Gehalt des Schlussberichts – innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Projekts auf geeignete Weise der Fachöffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zugänglich zu machen“. Wie und wo und in welcher Form bleibt völlig offen.
Darum ist die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe schon jetzt dabei, politisch aktiv zu werden. So werden zum einen mit verschiedenen Entscheidern – Stakeholder, Betroffene, der Innovationsausschuss im G-BA, aber auch die Exekutive und die Mitglieder der Bundes- und Landesparlamente – die Grund- und vor allem Vorzüge eines lotsenbasierten Versorgungsmanagements diskutiert. Zum anderen wird schon jetzt ein Lotsengesetz vorbereitet, das – so Brinkmeier, von 2000 bis 2012 Mitglied des Landtages für die CDU in Nordrhein-Westfalen – den Weg für einen „der weitreichendsten gesundheits- und sozialpolitischen Vorhaben der nächsten Jahre“ freimachen soll. Dies ist eben die flächendeckende Einführung des dann evidenten Prinzips Gesundheitslotsen. <<
von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier
Zitationshinweis:
Stegmaier, P.: „Ein eigenes Lotsengesetz soll den Weg
frei machen“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (05/19), S. 18-20.; doi: 10.24945/MVF.05.19.1866-0533.2170