Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung Tübingen gegründet
>> Den Wunsch ein solches Zentrum am UKT zu gründen, gab es bereits seit 2015, wie im Rahmen der Eröffnung des Zentrums dargestellt wurde. Prof. Dr. Michael Bamberg, Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKT, erhofft sich aus diesem „Leuchtturm-Projekt“ neue Erkenntnisse durch Forschung im öffentlichen Gesundheitswesen. Im Mittelpunkt stehe dabei die Bevölkerungsperspektive.
Dabei spiele dann auch die Gesundheitsförderung und Prävention eine wesentliche Rolle.
Der Fokus medizinischer Fakultäten sei bislang fast ausschließlich auf die Grundlagen- und klinische Forschung gerichtet, betonte der Dekan der Medizinischen Fakultät Tübingen, Prof. Dr. Ingo Autenrieth. Er hob hervor, dass die Universitätsmedizin den Bogen weiter spannen und die gesamte Gesundheitsversorgung betrachten müsse. Diese Translation habe bisher nicht stattgefunden. Er betonte dabei, dass neben der biomedizinischen Forschung auch die Versorgungsforschung immer wichtiger werde.
Der Baden-Württembergische Minister für Soziales und Integration Manne Lucha griff in seinem Grußwort die zentrale Frage der Versorgungsforschung auf: „Was bringt’s?“ Auch wenn die Freiheit der Wissenschaft, fast wie ein Grundrecht, Bestand habe – so müsse doch die Frage gestellt werden, wer davon profitiert. Dieses Ansinnen habe die Versorgungsforschung im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens, um bevölkerungsbezogene Fragen zu Krankheit und Gesundheit zu klären.
Die Themen dazu seien mannigfaltig und reichten von Infektions- und Impfschutz, Prävention, Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen, Klimawandel, regionale Versorgungsplanung bis zur Notfallversorgung der Bevölkerung und Einbindung in Gesundheitssysteme sowie Berücksichtigung technischer Entwicklungen, wie zum Beispiel Telemedizin. Damit könne der Themenkomplex auch Bevölkerungsmedizin heißen, als ein Begriff, welcher die gesundheitliche und soziale Situation der Bevölkerung beschreibt. Sozialminister Lucha verwies dabei auf den benachbarten Landkreis Reutlingen, vertreten durch Landrat Thomas Reumann, in dem bereits zahlreiche solcher Projekte vorangetrieben werden.
Der Vertreter des Wissenschaftsministeriums, Dr. Carsten Dose, hob die Wechselwirkungen von Individuum, Staat und Wissenschaft hervor und die Komplexität der Einflussfaktoren auf die individuelle Gesundheit des Bürgers. Die Wissenschaft habe dazu nicht nur die Verantwortung, neues Wissen zu generieren, sondern auch den Wissenstransfer zu reflektieren und neue Formen wie Interprofessionalität oder Prävention stärker in den Vordergrund zu stellen, um der Bevölkerung dienlich zu sein.
Dr. Ute Teichert vom Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) sprach sich für eine bessere Verknüpfung von Wissenschaft und ÖGW aus, um den fachlichen wie öffentlichen Fokus auf den Bereich „Public Health“ zu lenken. Nicht zuletzt durch die Gründung des ZÖGV, sondern bereits durch die Gründung des Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung im Jahr 2015 und der Namenserweiterung des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung (2012) falle Baden-Württemberg positiv auf.
Die Keynote-Lecture, vorgetragen von Dr. Andreas Zapf, Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, befasste sich mit der historischen Entwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und des sich historisch ändernden Forschungsbedarfs. Damals und insbesondere heute stünden Arbeitskraft und Gesundheit im Mittelpunkt der Bemühungen von Public Health. Seine Botschaft war unmissverständlich: „der Mensch muss im Blickpunkt bleiben“. Dabei müsse der öffentliche Gesundheitsdienst als Moderator von evidenz- aber auch wertebasierter Medizin fungieren.
Prof. Stefanie Joos, Ärztliche Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin und Gründungsvorstand des ZÖGV, verwies in ihrem Vortrag auf die relevanten Unterschiede der Versorgungsforschung zur klinischen Forschung: während die klinische Forschung auf eine hohe interne Validität setze und dabei über isolierte Bedingungen für bestmögliche Studienergebnisse sorge, möchte die Versorgungsforschung die Effekte in realem Umfeld mit vielen Einflüssen erforschen und dafür in den Studien eine hohe externe Validität sicherstellen. Prof.
Monika A. Rieger, Ärztliche Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin und ebenfalls Gründungsvorstand des ZÖGV, zeigte am Beispiel des Betrieblichen Gesundheitsmanagements auf, dass es in der Versorgungsforschung notwendig ist, grundsätzliche Fragen zum Angebot gesundheitsbezogener Leistungen zu stellen; denn: wenn unklar ist, was und warum in der Praxis angeboten und in Anspruch genommen wird, stoßen alle Empfehlungen zur Gestaltung gesundheitsbezogener Maßnahmen an Grenzen.
Mit PD. Dr. med. dent. Fabian Hüttig und PD Dr. med. Florian Junne berichteten zwei ehemalige Mitglieder der Nachwuchsakademie Versorgungsforschung Baden-Württemberg eindrücklich davon, welche wesentlichen Impulse auch für die weitere Beschäftigung mit Themen der Versorgungsforschung aus der methodisch und inhaltlich angelegten Unterstützung ihrer Projekte im Rahmen der von 2011 bis 2017 bestehenden Landesförderung für Versorgungsforschung resultierten. Eine ähnliche Wirkung kann nun die Anschubfinanzierung durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg sowie durch das Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät Tübingen für das ZÖGV entfalten.
Vertreter aus Wissenschaft und den Baden-Württembergischen Gesundheitsämtern forderten im Rahmen des Symposiums die Nutzung der Querschnittsexpertise und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der Wissenschaft mit den Gesundheitsämtern und allen Akteuren des Öffentlichen Gesundheitswesens. Als Wunsch an das neue Zentrum wurde geäußert, als Moderator und Impulsgeber zu fungieren und eine akademische Anbindung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Forschung und Lehre zu schaffen. Weitere Anregungen und Wünsche der einzelnen Vertreter und Repräsentanten an das ZÖGV werden in den kommenden Monaten systematisch erfasst, diskutiert und priorisiert, um dann in konkreten gemeinsamen Forschungsprojekten zu münden. <<
von:
Dr. David Häske, MSc MBA1,
Prof. Dr. Monika A. Rieger1,2,
Prof. Dr. Stefanie Joos1,3
1 Zentrum für Öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung Tübingen, Universitätsklinikum Tübingen, 72074 Tübingen
2 Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen, 72074 Tübingen
3 Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Universitätsklinikum Tübingen, 72074 Tübingen
Link: https://www.medizin.uni-tuebingen.de/go/versorgungsforschung/