Die einheitliche Gebührenordnung unter gesundheitsökonomischen Aspekten
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Autoren genehmigten Abdruck aus dem Buch „Reformbedarf im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich nach der Wahl – 22. Bad Orber Gespräche über kontroverse Themen im Gesundheitswesen“, Verlag Peter Lang 2018
>> Bei einer Darstellung und Würdigung der beiden derzeit bestehenden Gebührenordnungen gilt es auch, ihr jeweiliges Verhältnis zu den zugehörigen Leistungskatalogen mit in die Betrachtung einzubeziehen. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) in der GKV basiert auf einer kollektiven Vereinbarung. Der Bewertungsausschuss, der sich aus drei Vertretern des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zusammensetzt, beschließt den EBM. Auf den zugehörigen Leistungskatalog besitzen alle Versicherte der GKV den gleichen rechtlichen Anspruch. Ausnahmen bilden lediglich die quantitativ relativ unbedeutenden Satzungsleistungen, mit denen sich die Krankenkassen hinsichtlich ihres Angebotes unterscheiden können.
Im Unterschied dazu korrespondiert in der privaten Krankenversicherung (PKV) die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die auf einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit fußt, mit einem sehr flexiblen Leistungskatalog, der den privat Versicherten eine Vielfalt von vertraglichen Abschlüssen zu bestimmten Leistungen bietet. Die privat Versicherten besitzen somit die Möglichkeit, sich ihren speziellen Leistungskatalog entsprechend ihren Präferenzen zusammen zu stellen. Diese individuelle Auswahl kann mehr, aber auch weniger Leistungen als der entsprechende Katalog der GKV umfassen. Zudem weisen die einzelnen Leistungen in diesen beiden Katalogen keine durchgängig einheitliche bzw. gleiche Definition und Abgrenzung auf. Diese Unterschiede in den Leistungskatalogen von GKV und PKV, auf denen die beiden Gebührenordnungen jeweils aufbauen, verdeutlichen bereits die Probleme, beide Systeme zu einer einheitlichen Gebührenordnung zusammenzufassen.
Bei der GKV und der PKV handelt es sich insofern um solidarische Versicherungssysteme, als ex post weitgehend gesunde Versicherte die Schadensfälle von sehr kranken Patienten finanziell mittragen. Beide Systeme streben auch eine bestmögliche Leistungsqualität in Verbindung mit einer hohen Patientenzufriedenheit sowie eine optimale Effizienz der Leistungserstellung an, setzen bei der Verwirklichung dieser Ziele aber unterschiedliche Schwerpunkte. Die PKV bietet neben einer höheren Flexibilität bei der Leistungsauswahl eine besonders niedrige Barriere beim Eintritt neuer innovativer Leistungen, während bei der GKV die Wirtschaftlichkeit der Leistungen in Verbindung mit der Evidenz ihres (Netto-)Nutzens stärker im Vordergrund steht. Entsprechend setzt die GKV auch gezielt Instrumente zur Mengenbegrenzung ein.
Bei einer Wahl zwischen den beiden derzeitigen Gebührenordnungen dürfte der EBM der GKV mit ca. 72,5 Mio. Versicherten gegenüber der PKV mit knapp 8,8 Mio. Versicherten im Sinne der Befürworter einer einheitlichen Gebührenordnung eindeutige Priorität besitzen. Bei der GOÄ als einheitlicher Gebührenordnung für beide Versicherungssysteme bestünde wegen deren Einzelleistungsvergütung die Gefahr einer erheblichen Mengenausweitung mit einem entsprechenden (zusätzlichen) Ausgabenwachstum. Im Sinne ihrer Zielsetzung schließt die einheitliche Gebührenordnung Preiszuschläge für gleiche bzw. identische Leistungen aus, soweit diese den Leistungskatalog der GKV betreffen. Unklar bleibe dabei aber das Preissystem für Leistungen, die z.B. im Rahmen von Zusatzversicherungen über den Leistungskatalog der GKV hinausgehen. Die Preise für diese Leistungen können die Entscheidungen der niedergelassenen Ärzte bei ihrer Terminvergabe aber durchaus – zumindest in Grenzen – beeinflussen.
Einfluss einer einheitlichen
Gebührenordnung auf Budgetierung und Rationierung
Mit der Einführung der Bürgerversicherung, die unabhängig von verfassungsrechtlichen Problemen eine Übergangsphase von mindestens einer Generation benötigen würde, wäre zwingend auch die Einführung einer EGO im ambulanten Bereich verbunden. Die heute geltenden Gebührenordnungen müssten von der Höhe der Vergütung, der Funktionalität und der Abrechnungsarithmetik vereinheitlicht werden.
Beide Abrechnungssysteme weisen eine unterschiedliche monetäre Bewertung und partiell auch eine unterschiedliche Abgrenzung der Leistungen auf. Daher kann eine durchgeführte Behandlung je nach Versicherungsschutz des Patienten mit einer unterschiedlichen Vergütung einhergehen. Grundsätzlich erhalten die Leistungserbringer für die Behandlung von privat versicherten Patienten eine höhere Vergütung, die überwiegend auch nicht budgetiert ist. Für den stationären Sektor stellt sich die Situation anders dar, da bei den Krankenhäusern über die Vergütung mit Hilfe von Fallpauschalen weitgehend ein einheitlicher Preis vorliegt. Eine EGO in einem von der GKV dominierten beitragsfinanzierten Versicherungsmarkt ist letztlich nur vorstellbar, wenn die Systematik der GKV zum Tragen kommt, da nur hier die bislang in der GKV durchgeführte Mengensteuerung Fortbestand hätte. Ein reines Einzelleistungssystem ohne Mengenbegrenzung scheidet für eine Bürgerversicherung eher aus. Der Regulierungsapparat des EBM mit Budgetierung, Mengenbegrenzungen, Quotierungen und Abstaffelungen würde dann auch in der PKV gelten.
Eine solche Neuordnung wirft aber noch mehr Fragen auf. Nicht nur nach der Gestaltung der Gebührenordnung, sondern auch nach ihrem Leistungsumfang oder nach der Gestaltung einer Konvergenzphase und möglicher Kompensationszahlungen insbesondere an die niedergelassenen Ärzte aufgrund des Wegfalls von Einkünften aus der GOÄ. Denn obwohl der Privatversicherungsanteil in Deutschland bei nur 11% liegt, lösen diese Versicherten 24% der Praxisumsätze aus. Aktuelle empirische Arbeiten betonen, dass sich der Mehrumsatz von privat Versicherten im ambulanten Bereich für das Jahr 2015 auf bis zu 6 Mrd. Euro belaufen hatte. Für jeden niedergelassenen Arzt in Deutschland entspräche dies im Schnitt einem Mehrumsatz von etwa 50.000 Euro im Jahr. Auf Basis der Daten des Jahres 2010 kommt eine andere Studie auf ein Kompensationsvolumen von über 4 Mrd. Euro (bei vollständiger Kompensation) mit errechneten Zuschlagsfaktoren auf die bisherige ambulante Vergütungssumme in Höhe von 13% bis 17% für die Jahre 2010 bis 2030. Ohne Kompensation fehlt zudem die Basis der Finanzierung für Personal und Investitionen. Viele Praxen könnten dem wirtschaftlichen Druck nicht standhalten. Entweder würde die Versorgungslandschaft weiter ausgedünnt und/oder die Versorgungqualität müsste sinken.
Hinzu kommt, dass sich in diesem Fall sicherlich ein Markt mit Zusatzversicherungsangeboten für Premiumpatienten herausbilden dürfte, da der PKV der Abschluss von Zusatzversicherungen nicht verwehrt werden kann. Diese Situation hat sich auch in der Schweiz und in den Niederlanden ergeben, nachdem dort ein einheitlicher Versicherungsmarkt vom Gesetzgeber initiiert wurde.
Mengensteuerung
Die Unterschiede von GOÄ und EBM erklären den PKV-Mehrumsatz im ambulant ärztlichen Bereich aber nur zum Teil. Darüber hinaus wirken in der GKV Mechanismen zur Mengensteuerung, die auf eine Ausgabenbegrenzung abzielen, die es in dieser Form in der PKV nicht gibt.
Die Abrechnungen der Vertragsärzte werden von den KVen einer Plausibilitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen, wodurch auch eine Ausgaben- und Mengenbegrenzung erfolgt. Bei der Plausibilitätsprüfung wird die ordnungsgemäße Abrechnung der ärztlichen Leistungen überprüft und bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung die ausreichende, zweckmässige und wirtschaftliche Leistungserbringung der Vertragsärzte. Ärztliche Leistungen dürfen das notwendige Maß nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 SGB V).
Die so genannten Regelleistungsvolumina in der GKV tragen ebenfalls zur Ausgabenbegrenzung bei. Inzwischen ist es den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) freigestellt, Regelleistungsvolumina anzuwenden oder andere Regelungen zu treffen. Das Regelleistungsvolumen ist ein ex ante festgelegter Teil der Praxiseinnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit. Das Regelleistungsvolumen erschwert eine übermäßige Leistungsausweitung, da erbrachte Leistungen nur bis zur vereinbarten Höhe mit einem festen EBM-Punktwert vergütet werden, wogegen ab einer Überschreitung eine Abstaffelung des Punktwertes erfolgt.
Bei Privatversicherten erfolgt die Steuerung der Leistungsausgaben allein über den privatrechtlichen Versicherungsvertrag. Dort sind der Leistungsumfang, Erstattungshöchstgrenzen, und Selbstbeteiligungen vereinbart. In der GOÄ wird das Ausgabenvolumen durch Einschränkungen bzw. Begrenzungen in der Anzahl und parallelen Abrechenbarkeit einzelner Gebührenpositionen beschränkt. Weitere Mengenbegrenzungen existieren hingegen nicht. Durch die Systemunterschiede können Versorgungsdifferenzen entstehen. Dies gilt insbesondere auch für neue Behandlungsmethoden. Nicht in der GOÄ enthaltene ärztliche Leistungen kann der Arzt bei Privatpatienten analog mit einer gleichwertigen ärztlichen Leistung der GOÄ berechnen (§ 6 Abs. 2 GOÄ).
In der GKV dürfen neue Behandlungsmethoden im ambulanten Sektor dagegen erst dann als Krankenkassenleistung verordnet werden, wenn eine Überprüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erfolgt ist und dieser das Ergebnis für den Patienten als nutzbringend, notwendig und wirtschaftlich einstuft. Im ambulanten Sektor stehen daher neue Behandlungsmethoden in der GKV unter einem Erlaubnisvorbehalt. Diese unterschiedlichen Innovationstreiber sind sicherlich Teil des Mehr-umsatzes von Privatversicherten.
Honorarvolumen der EGO
Die EGO würde zu einem Wegbrechen der erwähnten Mehrumsätze in Höhe von 6,1 Mrd. Euro für die ambulante Vergütung und/oder für die Finanzierung der medizinischen Infrastruktur führen. Alternativ käme es zu einer Mehrbelastung der Beitragszahler. Die gesetzlich Krankenversicherten müssten dann die Mehrumsätze der nach GOÄ-Versicherten tragen. Der Beitragssatz in der neuen Bürgerversicherung würde sich um etwa einen Prozentpunkt von 15,7% auf 16,7% erhöhen. Der monatliche Höchstbeitrag in der GKV würde entsprechend von heute 683 Euro auf dann 725 Euro steigen.
Die Mehrbelastung würde nicht nur Besserverdiener betreffen, sondern auch Facharbeiter und Angestellte aus der Mittelschicht. Berechnungen zeigen, dass beispielsweise ein Facharbeiter im Bauhauptgewerbe jährlich 393 Euro, ein Lokomotivführer bis zu 417 Euro, ein Meister im Kfz-Gewerbe 486 Euro oder eine leitende Krankenschwester im öffentlichen Dienst 506 Euro zusätzlich in der Bürgerversicherung zahlen müssten.
Leistungs- und Preisdifferenzierung trotz EGO?
Bei der Frage nach der Leistungs- und Preisdifferenzierung in einer EGO stellt sich zunächst die Frage, wie umfangreich der zugrunde gelegte Leistungskatalog ist. Die bisherige Annahme, dass die Basis für eine EGO in der Tendenz der EBM sein dürfte, reicht hier nicht unbedingt aus, da der EBM gegenwärtig auch Leistungen umfasst, welche nicht Bestandteile der GOÄ sind, beispielsweise stationäre Vorsorge- oder Reha-Kuren.
Umgekehrt verhält es sich beispielsweise mit Blick auf nicht verschreibungspflichtige Leistungen oder homöopathische Mittel. Der Umfang des abgeschlossenen Leistungsvertrags mit der PKV kann daher grundsätzlich weniger umfangreich oder aber umfangreicher im Vergleich zum GKV-Leistungskatalog ausfallen. Leistungsdifferenzierungen, etwa über Satzungs-und Wahlleistungen, wären aber auch weiterhin möglich.
Falls der GKV-Leistungskatalog in Teilen umfangreicher wäre, würde dieser Leistungskatalog nun allen Versicherten angeboten. Das könnte dazu führen, dass das gesamte System teurer wird. Wahrscheinlicher ist aber eher der umgekehrte Fall: der bisherige Leistungsumfang der PKV war größer, so dass ceteris paribus ein Bedarf nach einer Zusatzversicherung entstehen würde, den es dann zu finanzieren gilt.
Während im hausärztlichen Bereich in weiten Strecken ein gemeinsamer Grundleistungsbereich für die überwiegende Zahl von Patienten festgestellt werden kann und vor allem chronisch kranke Menschen besonderen Behandlungsaufwand erfordern, sind die Behandlungsanlässe im fachärztlichen Bereich differenzierter. Die EGO bedroht daher insbesondere die medizinische Infrastruktur in der fachärztlichen Versorgung. Mit einer EGO würden insbesondere der hochspezialisierten Facharztversorgung notwendige finanzielle Ressourcen entzogen.
Wettbewerbspolitische Folgen
für GKV und PKV
Die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt ist eines der wesentlichen Kriterien für die Qualität medizinischer Versorgung. Gesundheitssysteme bemessen sich auch daran, wie schnell sie in der Lage sind, Innovationen in die Regelversorgung zu überführen. International betrachtet steht Deutschland beim Zugang zu Innovationen sehr gut da. Versicherte und Patienten haben einen schnellen und umfassenden Zugang zu Innovationen.
Dass dies so ist, ist auch dem Systemwettbewerb aus GKV und PKV zu verdanken. Übernimmt nämlich bei medizinischen Innovationen ein Versicherungssystem eine Vorreiterrolle, muss sich im Systemwettbewerb das jeweilig andere Versicherungssystem mit eben dieser Innovation auseinandersetzen, seine eigene Position begründen und gegebenenfalls reagieren. Letztlich schützt der Systemwettbewerb nicht nur vor Leistungskürzungen, sondern unterstützt auch die Einführung von Innovationen. In Deutschland nimmt die PKV im Systemwettbewerb mit der GKV häufig die Rolle des Treibers von Innovationen ein. In der PKV ist die schnelle Finanzierung und Erstattung medizinischer Innovationen die Regel, während in der GKV dagegen der verlangsamte Zugang zu Innovationen und das verhältnismäßig niedrige Finanzierungsniveau die Regel sind, die nur durch Selektivverträge durchbrochen werden können. Damit ist die PKV ein zentraler Wettbewerbsfaktor für einen schnellen und umfassenden Zugang zu Innovationen in Deutschland. Langfristig wird die EGO zum alleinigen Standard für die Vergütung im ambulanten Bereich werden. Insbesondere die Modernisierung der medizinischen Infrastruktur wird dabei auf einen harten Prüfstand gestellt.
Unterschiedliche Wartezeiten:
Umfragen zu ihrer Relevanz
Wartezeiten können den Zugang zu einer medizinischen Versorgung erheblich behindern und dadurch den Behandlungsprozess der betreffenden Patienten mit dem Risiko schlechterer gesundheitlicher Ergebnisse verzögern. Grundsätzlich erlauben Wartezeiten per se aber noch keine fundierten Aussagen über ihre medizinische Angemessenheit, denn es bleibt zunächst noch offen, ob es sich hierbei um einen akuten Behandlungsbedarf oder um eine gesundheitlich unbedenkliche und vertretbare Termingestaltung des betreffenden Arztes handelt. Diese Feststellung gilt unabhängig von den jeweiligen terminlichen Wünschen der betreffenden Patienten. Gleichwohl besteht ein gesundheitspolitisches Interesse dahingehend, die Unterschiede in den Wartezeiten im nationalen und internationalen Vergleich zu beleuchten, kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls Reformmaßnahmen abzuleiten Mangels offizieller statistischer Daten basieren die jeweiligen Ergebnisse auf diversen Umfragen.
Nach einer repräsentativen Bevölkerungs- bzw. Versichertenbefragung der KBV erhielten im Jahre 2016 43% der gesetzlich Versicherten am gleichen Tage einen Termin beim Haus- oder Facharzt. Bei den Hausarztterminen liegt dieser Prozentsatz mit 56% bei gesetzlich und privat Versicherten gleich hoch und bei den Fachärzten fällt er mit 22% (GKV) zu 23% (PKV) nahezu identisch aus. Bei einer Wartezeit bis zu einer Woche kommen Versicherte der GKV beim Hausarzt mit 88% nur geringfügig später zum Zuge als Versicherte der PKV mit 91%. Beim Facharzt liegt dieses Verhältnis bei 60% zu 40% zugunsten der privat Versicherten. Dabei haben sich diese Unterschiede in den Wartezeiten zwischen GKV- und PKV- Versicherten seit den ersten Umfragen in 2008 verringert. Länger als 3 Wochen mussten im Jahre 2016 15% der gesetzlich Versicherten auf einen Arzttermin warten, wobei hinsichtlich der Bundesländer die Spanne von 10% in Bremen und im Saarland bis 22% in Brandenburg reicht. Um diese Situation zu verbessern, installierte die Bundesregierung mit dem Versorgungsstärkungsgesetz bei den KVen regionale Terminservicestellen, die Patienten mit einer als dringlich gekennzeichneten Überweisung innerhalb von 4 Wochen einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten vermitteln sollen. Die Inanspruchnahme dieser seit Anfang 2016 existieren Servicestellen fiel mit 110.000 Terminvergaben bei 580 Mio. Behandlungsfällen vergleichsweise niedrig aus.
Im internationalen Vergleich, der auf einer repräsentativen Patientenbefragung des Commonwealth Fund aufbaut, weist Deutschland unter allen in dieser Studie erfassten Ländern durchgängig die geringsten Wartezeiten auf Arzttermine auf. So betrug im Jahre 2016 der Anteil der Befragten, die länger als 2 Monate auf einen Termin beim Facharzt warten mussten, in Deutschland 3% und z. B. in den Niederlanden 7%, in Schweden 19% und in Norwegen 28%. Der Anteil der Patienten, die am selben oder am nächsten Tage einen Termin beim Hausarzt erhielten, lag im Jahre 2015 in Deutschland mit 64% deutlich höher als z.B. in den Niederlanden mit 51%, Norwegen mit 39% oder Schweden mit nur 19%. Angesichts dieser Ergebnisse überrascht es nicht, dass im Jahre 2014 in Deutschland nur 9% der befragten Patienten „keine Wartezeit“ als ein wichtiges Kriterium für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung im eigenen Land ansahen bzw. einstuften. Demgegenüber liegen diese Werte z.B. in den in den Niederlanden mit 23%, Schweden mit 35% und Dänemark mit 41% deutlich höher, An der Sitze rangiert hier Finnland mit 54%. In diesen Ländern besteht offensichtlich ein virulentes und nachvollziehbares Interesse der Patienten an einer deutlichen Verkürzung der Wartezeiten auf Arzttermine. Diese Befragungen zu den Wartezeiten auf Haus- und Facharzttermine in Deutschland und vor allem entsprechende internationale Vergleiche deuten darauf hin, dass die Bürger bzw. Patienten in Deutschland die derzeitigen Wartezeiten weit weniger problematisch sehen bzw. als relevante Belastung empfinden, als es die Diskussionen in bestimmten politischen Gremien vermuten lassen.
Eine einheitliche Gebührenordnung verspricht für die gesetzlich Versicherten hinsichtlich ihrer Wartezeiten nur eine äußerst geringe Verbesserung, was sich tendenziell schon aus dem Marktanteil der PKV von nur ca. 10,9% ableiten lässt. Bei einer gleichen Vergabe von Arztterminen, d.h. ohne die Existenz von privat Versicherten, würde sich die Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt für die Versicherten der GKV bestenfalls um einen Tag verkürzen. Diese Berechnung lässt vielfältige Umgehungsversuche, die z.B. aus persönlichen und sozialen Beziehungen zu den jeweiligen Ärzten sowie Anreizen durch lukrative Einnahmen aus Zusatzversicherungen oder attraktive Geschenke der Patienten bestehen können, noch außer Betracht. Schließlich gibt es auch im Rahmen des derzeitigen Systems, d.h. bei Fortbestehen der beiden Gebührenordnungen, noch Möglichkeiten, die Wartezeiten der gesetzlich Versicherten noch etwas zu verkürzen. So können z.B. selektive Verträge zwischen den Krankenkassen und ausgewählten Ärzten bestimmte Wartezeiten bindend vorsehen. Bei ihrer hausarztzentrierten Versorgung und den darauf aufbauenden Facharztverträgen vereinbarte z.B. die AOK Baden-Württemberg mit den teilnehmenden Ärzten eine Wartezeit von höchstens 14 Tagen. Zudem könnte eine Änderung der quartalsbezogenen Pauschalen von bestimmten fachärztlichen Leistungen die Wartezeiten ebenfalls noch absenken. Die derzeitige Honorierung setzt finanzielle Anreize, die einzelnen Leistungen einer bestimmten Pauschale nicht in einem Termin zu erbringen, sondern auf zwei Quartale zu verteilen. Insgesamt gesehen bieten die derzeitigen Wartezeiten von GKV- und PKV-Versicherten unter Versorgungsaspekten keinen relevanten Anlass für eine einheitliche Gebührenordnung in GKV und PKV.
Weitere Hürden beim Zugang zur Gesundheitsversorgung
Neben langen Wartezeiten können auch ein eingeschränkter Leistungskatalog mit zahlreichen Ausschlüssen, ein verpflichtendes Gatekeeping mit einer Einschränkung der freien (Fach-)Arztwahl und empfindliche obligatorische Zuzahlungen die von den Patienten gewünschte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen behindern. Die GKV sieht gegenüber anderen sozialen Krankenversicherungssystemen im internationalen Vergleich einen sehr umfangreichen Leistungskatalog vor. Im Unterschied zur GKV enthält z.B. das Basispaket der sozialen Krankenversicherung in den Niederlanden weder physiotherapeutische noch zahnmedizinische Leistungen. Die zahnmedizinische Versorgung gehört in fast keinem der steuerfinanzierten Gesundheitssysteme und auch nicht in der Schweiz zum Katalog der obligatorischen Krankenversicherung. Die Arzneimittelversorgung basiert in nahezu allen Ländern auf Positivlisten, die den Leistungsanspruch der Patienten begrenzen. Dagegen erstattet die GKV als einzige soziale bzw. gesetzliche Krankenversicherung in der Europäischen Union (EU) alle rezeptpflichtigen neuen Medikamente unmittelbar nach ihrer Zulassung.
Verpflichtendes Gatekeeping stellt für die Patienten insofern eine Zugangshürde zur gewünschten Gesundheitsversorgung dar, als es die freie Arztwahl einschränkt. Während die Patienten in der GKV die Freiheit besitzen, zwischen Haus- und Fachärzten nach ihren Präferenzen auszuwählen, sieht ein verpflichtendes Gatekeeping eine Registrierung beim Hausarzt vor und für eine Behandlung beim Facharzt benötigt der Patient entweder eine Überweisung oder er muss sich den Zugang zum Facharzt mit einer Zuzahlung erkaufen. Deutschland bietet in der GKV den Patienten neben einigen wenigen Ländern, wie Luxemburg und Österreich, den freien Zugang zum Facharzt. Eine Einschränkung der Wahlfreiheit liegt allerdings nicht vor, wenn sich ein Versicherter freiwillig in ein Gatekeeping-System einschreibt und damit die Notwendigkeit einer erforderlichen Überweisung zum Facharzt vertraglich akzeptiert.
Empfindliche Zuzahlungen können Patienten, vor allem solche mit niedrigem Einkommen, von einer medizinisch möglicherweise gebotenen Versorgung bzw. ambulanten Behandlung abhalten. In der GKV müssen die Versicherten bzw. Patienten auch im internationalen Vergleich nur moderate Zuzahlungen leisten, wobei zudem noch einkommensabhängige Überforderungsklauseln gelten. Der Anteil der Zuzahlungen, der zu fast 50% auf die Kostenbeteiligung beim Zahnersatz entfällt, macht derzeit mit sinkender Tendenz etwa 3,2% an den gesamten Ausgaben der GKV aus. Im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung erhebt die GKV überhaupt keine Zuzahlungen. Bei der zahnmedizinischen Versorgung weist das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich einen relativ geringen Anteil an Patienten auf, die aus finanziellen Gründen auf eine entsprechende Behandlung verzichten.
In nahezu allen Ländern besitzen die Versicherten die Möglichkeit, für bestimmte erwünschte Leistungen, die der Leistungskatalog der sozialen Krankenversicherung nicht bietet, eine private Zusatzversicherung abzuschließen oder die betreffenden Leistungen aus eigener Tasche zu begleichen. Es liegt nahe, dass gerade in Ländern mit einem eingeschränkten Leistungskatalog in der sozialen Krankenversicherung, starker Rationierung und obligatorischem Gatekeeping mit langen Wartezeiten zahlreiche Versicherte auf den privaten Krankenversicherungsmarkt ausweichen.
In Großbritannien z.B. sehe sich die Versicherten, die eine Rationierung von Leistungen oder zu lange Wartezeiten umgehen möchten, gezwungen, die gesamte Gesundheitsversorgung ohne eine Verrechnung mit der Leistungsgewährung des National Health System (NHS) privat abzusichern oder aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Klassenunterschiede in der ambulanten medizinischen Versorgung fallen deshalb in den meisten steuerfinanzierten Gesundheitssystemen erheblich stärker aus als in Deutschland, wo die GKV mit einem sehr umfangreichen Leistungskatalog, einer moderaten Zuzahlung, freier Arztwahl und geringen Wartezeiten allen Versicherten eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung garantiert.
Unabhängig von der Finanzierung der jeweiligen Gesundheitssysteme besteht in fast allen europäischen Ländern im ambulanten Bereich eine ungleiche Verteilung der niedergelassenen Ärzte zwischen Ballungszentren und strukturschwachen ländlichen Regionen. Insofern steht auch die Gesundheitspolitik in Deutschland vor der Aufgabe, den Bürgern eine flächendeckende medizinische Versorgung auf einem gleich hohen Niveau zu gewährleisten. In diesem Kontext bewirkt eine einheitliche Gebührenordnung, dass wegen regional unterschiedlichen Verteilung der privat Versicherten bei einer aufkommensneutralen Einebnung von EBM und GOÄ die niedergelassenen Ärzte in den Ballungszentren geringere und diejenigen in den strukturschwachen Gebieten höhere Honorare erhielten. Diese regionale Umverteilung der Honorare könnte im Sinne der Befürworter einer einheitlichen Gebührenordnung der Landflucht der niedergelassenen Ärzte entgegenwirken. Diese These überschätzt jedoch die Bedeutung der Honorare auf die Standortwahl niedergelassener Ärzte. Zunächst erzielen die Haus- und Fachärzte in strukturschwachen ländlichen Gebieten schon heute tendenziell nicht niedrigere, sondern häufig höhere Honorare als in Ballungsgebieten, wenn auch mit einem spürbar vermehrten Arbeitseinsatz. Zudem spielt für die Niederlassungsentscheidungen der ambulant tätigen Ärzte, wie Umfragen belegen, das Umfeld für die Familie, d.h. die Arbeitsmöglichkeiten für den Partner, die Betreuungs- und Bildungsmöglichkeiten für die Kinder, die Verkehrsstruktur und die Freizeitangebote die entscheidende Rolle und erst danach kommen finanzielle Faktoren. Schließlich besitzen die KVen die Möglichkeit, mit Hilfe von Sicherstellungszuschlägen nach § 105 SGB V niedergelassene Ärzte in diesen Regionen finanziell zu unterstützen.
Fazit: Einheitliche Gebührenordnung mit mehr Nach- als Vorteilen für die Versicherten
Die GKV zeichnet sich im internationalen Vergleich der sozialen Krankenversicherungssysteme durch eine einmalige Kombination aus umfangsreichem Leistungskatalog, unbegrenzter Wahlfreiheit zwischen Haus- und Fachärzten, geringen Wartezeiten der Patienten, moderaten Zuzahlungen und schnellem Zugang zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten aus. Diese Vorzüge bei der Inanspruchnahme der gewünschten Gesundheitsleistungen erwachsen für die gesetzlich Versicherten auch aus der Dualität zwischen GKV und PKV sowie den zugehörigen unterschiedlichen Gebührenordnungen. Da im Unterschied zur GKV die PKV auch im ambulanten Bereich keinen Erlaubnisvorbehalt für neue Gesundheitsleistungen durch den GBA kennt und diese auch höher vergütet, übernimmt sie im Gesamtsystem die Rolle des Vorreiters bei Innovationen. Dadurch gerät die GKV in politischer und wettbewerblicher Hinsicht quasi unter Zugzwang, sodass mittelbar auch die Versicherten der GKV von der innovativen Flexibilität der PKV profitieren. Ein für die Gesamtheit der niedergelassenen Ärzte aufkommensneutraler Übergang zu einer einheitlichen Gebührenordnung würde den Versicherten der GKV zunächst eine Erhöhung ihrer Betragssätze, aber nahezu keine Vorteile bei den Wartezeiten bringen. Zudem droht dieser Eingriff in die bestehende Dualität der beiden Systeme die derzeitigen im internationalen Vergleich nahezu einmaligen Zugangsmöglichkeiten der gesetzlich Versicherten zu den gewünschten Gesundheitsleistungen auf Dauer zu gefährden.
Nach einer Umfrage des Instituts für Demos-kopie Allensbach bewerten 91% der privat Versicherten und 86% der gesetzlich Versicherten die Gesundheitsversorgung in Deutschland als „gut“ oder „sehr gut “. Mit ihrer eigenen medizinischen Versorgung äußerten 96% der privat Versicherten und 85% der gesetzlich Versicherten ihre Zufriedenheit. Diese äußerst positive Resonanz bei den Bürgern schließt nicht aus, dass das deutsche Gesundheitssystem noch zahlreiche Möglichkeiten, insbesondere an den Schnittstellen der Leistungssektoren, für eine Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Versorgung bietet. Zu den hierzu erforderlichen Reformen gehört eine einheitliche Gebührenordnung jedoch eindeutig nicht. Die teilweise ideologische Debatte um dieses Thema lenkt eher von den eigentlichen Problemen des deutschen Gesundheitswesens ab. <<
Autoren:
Prof. Dr. Eberhard Wille (hatte von 1975 bis 2010 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim inne und war bis Ende 2018 Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen) und
Prof. Dr. Volker Ulrich (Lehrstuhlinhaber an der Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre III, insbesondere Finanzwissenschaft)