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Der erste Welttag der Patientensicherheit

04.04.2019 14:00
Kommentar von Dr. Ilona Köster-Steinebach, Geschäftsführerin des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.

http://doi.org/10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2158

>> Vor wenigen Wochen, am 25. Mai 2019, hat die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organization) mit breiter Zustimmung beschlossen, Patientensicherheit als eine der wichtigsten Komponenten der Gesundheitsversorgung zu priorisieren (WHO 25.05.2019: 5). Teil des Beschlusses war auch, den 17. September als einen von nunmehr elf weltweiten Aktionstagen der WHO zum Tag der Patientensicherheit zu ernennen.
Nun kann man der Meinung sein, dass es genug jährliche Gedenktage gibt. Wikipedia listet allein für den Januar so „bedeutsame“ Aktions- und Gedenktage wie den Tag der Blockflöte oder den Weltknuddeltag (Wikipedia). Der Tag der Patientensicherheit gehört aber mitnichten in die Kategorie der Gedenktage, die getrost vergessen oder ignoriert werden können. Die WHO begründet ihre Entscheidung damit, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit unzureichende Patientensicherheit zu den zehn häufigsten globalen Ursachen für Behinderungen und Todesfälle zählt.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) war als eine von wenigen Nichtregierungsorganisationen am Planungstreffen der WHO zur Vorbereitung des ersten Welttags der Patientensicherheit eingeladen, um seine Erfahrungen mit dem Internationalen Tag der Patientensicherheit einzubringen, der für Deutschland bereits seit 2015 vom APS ausgerufen und koordiniert wird. Bei diesem Treffen wurde eines deutlich: Für die WHO ist Patientensicherheit ein unverzichtbarer Bestandteil im Bemühen, allen Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung (universal health coverage) zu gewähren. Das ist nachvollziehbar: Je weniger Ressourcen Länder in ihr Gesundheitswesen investieren können, umso schmerzlicher ist es, wenn diese Ressourcen für die Behandlung von Patientenschäden durch unzureichende Patientensicherheit eingesetzt werden müssen. Nach einer OECD-Studie fließen weltweit mindestens 15 % aller Ressourcen und Aktivitäten im Krankenhaus in die Korrektur von patientensicherheitsrelevanten Vorfällen (Slawomirsky/Auraaen/Klazinga 2017: 9).
Trotz aller Verteilungsdebatten muss man zugeben, dass im deutschen Gesundheitswesen – mindestens in Relation zu vielen anderen Volkswirtschaften – genügend Mittel vorhanden sind. Wir verfügen über hinreichende finanziellen Ressourcen und die beste Ausbildung für die Angehörigen der Gesundheitsfachberufe. Die Voraussetzungen für sichere und umfassende Patientenversorgung sind also eigentlich gegeben. Ist damit der Welttag der Patientensicherheit bzw. die Priorisierung dieses Themas vor allem für Entwicklungsländer von Bedeutung? Ist der Tag der Patientensicherheit für Deutschland vernachlässigbar?
Letztes Jahr wurde das APS-Weißbuch Patientensicherheit veröffentlicht. Darin geht Schrappe (2018: 331) nach ausführlicher Sichtung der Studienlage davon aus, dass pro Jahr in Deutschland mindestens 20.000 Todesfälle allein im Krankenhaus auf vermeidbare unerwünschte Ereignisse aufgrund von unzureichender Patientensicherheit zurückgehen. Allerdings ist dies nur die Spitze des Eisbergs, denn er selbst macht deutlich, dass weder Ereignisse aus der ambulanten und pflegerischen Versorgung, noch solche aus „diagnostischen Fehlern, errors of omission und aus Überversorgung“ enthalten sind. Was fällt hierunter? Die Bundesregierung schätzt beispielsweise, dass jährlich 250.000 Krankenhauseinweisungen auf vermeidbare Medikationsfehler zurückgehen (Deutscher Bundestag 2018:2). Im Zusammenhang mit Krankenhaushygiene geht man davon aus, dass – je nach Schätzung und Annahmen zur Vermeidbarkeit – weitere ca. 10.000 Todesfälle pro Jahr abgewendet werden könnten. Gelänge es, die Patientensicherheitsprobleme rund um die Versorgung von Sepsis zu reduzieren, könnten weitere 15.000 bis 20.000 Todesfälle verhindert werden (Patientenvertretung 2017: 3). Und würde man fünf komplexe Operationen bzw. Versorgungsanlässe ausschließlich in Krankenhäusern mit hohen Mindestfallzahlen und einer risikoadjustierten Sterblichkeit unter dem heutigen Mittelwert durchführen, wären weitere 1.900 Todesfälle vermeidbar, wie Mansky und
Nimptsch (2018:7) errechnen.
Alle diese Beispiele zeigen, dass unzureichende Patientensicherheit auch in Deutschland ein gravierendes Problem ist. Und es wird deutlich, dass es sich keinesfalls nur um ein Ressourcenproblem handelt: Patienten kommen zu Schaden, das Vertrauen in das Gesundheitssystem schwindet, und auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen werden nicht selten zu sogenannten „second victims“. Verbesserungen der Patientensicherheit haben somit das Potenzial, eine Win-Win-Win-Situation zu schaffen: für Patienten, Beschäftigte und Kostenträger gleichermassen. Die nach wie vor hohen Zahlen an vermeidbaren unerwünschten Ereignissen zeigen aber auch, dass trotz der allseitigen Vorteile noch ein weiter Weg zu gehen ist. Deshalb ist der erste Welttag der Patientensicherheit auch in Deutschland von Bedeutung und ein guter Anlass für alle Akteure im Gesundheitswesen, sich wieder neu ihrer Verantwortung bewusst und aktiv zu werden zur Verbesserung der Patientensicherheit. Ziel muss sein, Stück für Stück die personellen und finanziellen Ressourcen, die heute in die Behandlung nach patientensicherheitsrelevanten Ereignissen fließen, in bessere, sichere und für die Beschäftigten im Gesundheitswesen befriedigendere Versorgung zu lenken.
Bitte machen Sie alle mit: beim ersten Welttag der Patientensicherheit und auch allen kommenden! <<

Zitationshinweis:

Köster-Steinebach, I.: „Der erste Welttag der Patientensicherheit“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/19), S. 24; doi: 10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2158

Ausgabe 04 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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