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OA MVF 06/12: Arzneimittel im Kampf gegen den Krampf

23.09.2012 15:00
Antiepileptika sind die wesentliche Behandlungsoption bei nahezu jeder Epilepsie. Ihre Wirkweise ist dabei prophylaktisch. Mit der Einnahme von Antiepileptika soll das Auftreten epileptischer Anfälle vermieden werden. Die Ursachen der Erkrankungen bleiben davon unberührt. Diese können durch die Arzneimittel nicht angegangen werden. Dennoch kann eine Epilepsie im Verlauf einer längeren anfallfreien Zeit ausheilen und die Medikation daraufhin abgesetzt werden. Zwei Drittel aller Epilepsiepatienten unterliegen jedoch einer lebenslangen pharmakologischen Therapie. Neben der prophylaktischen Anwendung im Falle der Epilepsie werden Antiepileptika noch bei anderen Erkrankungen eingesetzt, z. B. beim neuropathischen Schmerz.

>> Epilepsie gehört in Deutschland zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Sie betrifft ca. 0,6 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung, dies sind 500.000 bis 650.000 Menschen in Deutschland (vgl. Päfflin 2011). Weltweit leiden nach Angaben der WHO rund 50 Millionen Menschen an Epilepsie.
Das aus dem Griechischen abstammende Wort Epilepsie bedeutet so viel wie: „ergriffen werden“ oder „von etwas befallen werden“. Epilepsien sind eine Gruppe unterschiedlicher Erkrankungen. Ihnen ist gemeinsam, dass von Zeit zu Zeit epileptische Anfälle auftreten - und dies meist ohne erkennbaren Anlass.
Ein epileptischer Anfall ist auf eine zeitweilige Störung des elektrisch-chemischen Gleichgewichts im Gehirn zurückzuführen. Während eines epileptischen Anfalls ist das elektrische und chemische Gleichgewicht von Milliarden von Neuronen im Gehirn gestört. Dies geschieht durch plötzliche Entladung in einzelnen Gehirnregionen. Bei epileptischen Anfällen unterscheidet man zwischen fokalen und generalisierten Anfällen: Fokale Anfälle gehen von einem Krankheitsherd aus. Bei ihnen ist nur eine Hirnregion in einer Gehirnhälfte betroffen. Bei generalisierten Anfällen wird hingegen das gesamte Gehirn angesprochen. Ferner lassen sich diverse Anfallsarten differenzieren (vgl. Brandt 2009).
Epileptische Anfälle und Epilepsien treten nicht in jedem Alter mit gleicher Häufigkeit auf. Obwohl diese Tatsache des altersabhängigen Auftretens seit langem bekannt ist, weiß man über die Ursachen der Altersgebundenheit wenig. Hierzu existieren verschiedene Hypothesen. Auch ist eine Eigenart der Erkrankung, dass sich die Anfallsarten im Laufe des Lebens verändern können. (vgl. Borusiak 2008).


Antiepileptika - unterschiedliche Wirkweisen
Antiepileptika oder auch Antikonvulsiva (ATC-EphMRA: N03) sind die Therapieoption der ersten Wahl bei Epilepsie. Es handelt sich dabei um eine chemisch heterogene Gruppe. Im Hinblick auf die Wirkweise kann unterschieden werden, ob das Blockieren der epileptischen Impulse oder die Verhinderung der Ausbreitung von epileptischen Impulsen anvisiert wird. Zur pharmakologischen Therapie stehen mehr als 20 verschiedene Medikamente zur Verfügung, welche in drei Gruppen aufgeteilt werden. In der ersten Gruppe befinden sich die häufig eingesetzten Antikonvulsiva wie Pregabalin, Gabapentin oder Carbamazepin. In Gruppe 2 befinden sich Wirkstoffe, die eher zur Akuttherapie geeignet sind, z. B. Benzodiazepine wie Lorazepam. In der dritten Gruppe befinden sich die selten und eher in spezifischen Indikationen oder als Add-on-Therapie eingesetzten Antikonvulsiva wie Sultiam, Primidon oder Rufinamid (vgl. AWMF-Leitlinie „Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter“, 2008).
Die Auswahl der Therapie erfolgt unter der Berücksichtigung der Art der Epilepsie und des vorliegenden Syndroms, des Nebenwirkungsprofils und Gefährdungspotenzials, der Kosten sowie der diagnostischen Beurteilung des Arztes. Einerseits muss also entschieden werden, welche Art von epileptischen Anfällen vorliegt, und andererseits spielen Verträglichkeit, Sicherheit, Preis und spezifische Patientenbedürfnisse eine wichtige Rolle (vgl. Rating 2008).


350 Mio. DDD Antiepileptika
Nach dem aktuellen gleitenden Jahreswert MAT 09/2012 wurden gut 350 Mio. Tagestherapiedosen (DDD) Antiepileptika innerhalb der GKV verordnet. 2011 waren es noch 3 Prozent weniger. Insgesamt ist ein kontinuierlicher Anstieg der Verbräuche - gemessen in verordneten DDD - zu verzeichnen (vgl. Abb. 1).
Grundlage für diese Analyse bildet die Versorgungsdatenbank regioMA von INSIGHT Health. Diese beinhaltet u. a. eine umfassende DDD-Klassifikation und verknüpft diese mit einer Quasi-Vollerhebung der ambulanten GKV-Verordnungsinformationen. INSIGHT Health bestimmt monatlich pro PZN die Faktoren zur Ermittlung der Tagestherapiedosen aufgrund der DDD-Definition (WHO/WIdO) in Abstimmung mit dem IGES-Institut.
Abbildung 2 gibt eine Übersicht zu den gemessen in definierten Tagestherapiedosen wesentlichen Antiepileptika. Zu erkennen ist, dass auf die drei verordnungsstärksten Wirkstoffe Pregabalin (18%), Carbamazepin (15%)und Levetiracetam (13%) zusammen knapp die Hälfte aller verordneten Tagestherapiedosen entfällt.
Auf der Seite der Verordnungen und Umsätze (bewertet zu Listenpreisen) ist aktuell eine gegenläufige Entwicklung zu erkennen: Während 2011 rund 9,5 Millionen Packungen mit einem Ausgabevolumen von 869 Millionen Euro (bewertet zu Apothekenverkaufspreisen) abgegeben wurden, findet man aktuell eine Ausdehnung der Menge bei gleichzeitig sinkenden Umsätzen (MAT 09/2012: 9,7 Mio. Packungen zu 848 Mio. Euro).
Dies ist in erster Linie auf den auslaufenden Patentschutz von Levetiracetam zurückzuführen. Dieser unter dem Handelsnamen Keppra bekannte Wirkstoff steht aktuell für mehr als ein Siebtel aller verordneten Tagestherapiedosen an Antikonvulsiva.
Wichtig ist festzuhalten, dass nicht jeder der mit Antiepileptika behandelten Patienten an einer Epilepsie leidet. Der Grund dafür ist, dass Antiepileptika nicht nur bei Epilepsie zum Einsatz kommen, sondern
z. B. auch beim vergleichsweise häufig verbreiteten neuropathischen Schmerz (vgl. DARWIN, INSIGHT Health). Die Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin werden beispielsweise neben der Behandlung von Epilepsie auch zur symptomatischen Behandlung von neuropathischen Schmerzen oder Neuralgien eingesetzt (vgl. Arzneimittel-Atlas 2012, S. 293).


Teilindikation Neuropathischer Schmerz
Chronische neuropathische Schmerzen sind eine häufige Erkrankung. Die Prävalenz dieser Erkrankung beträgt bis zu 5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Neuropathische Schmerzen sind zum Beispiel die schmerzhafte diabeti-sche Polyneuropathie und die postzosterische Neuralgie.
Diese Schmerzen entstehen nach einer Schädigung somatosensorischer Nervenstruktu-ren im zentralen oder peripheren Nervensystem. Sie äußern sich u.a. durch eine so genannte Allodynie, eine mechanische Überempfindlichkeit. Die Diagnose neuropathischer Schmerzen stützt sich auf den objektiven Nachweis einer Läsion im Nervensystem und die typischen somatosensorischen Symptome.
Die allgemeinen Therapieprinzipien beruhen auf der individuellen Einstellung der Medikamente auf den einzelnen Patienten. Hierbei ist eine langfristige Therapiekontrolle unverzichtbar, da die Wirkungen der einzelnen Substanzen sowie die Toleranzentwicklung erfasst werden müssen. Als Therapieoptionen stehen neben den häufig eingesetzten Antikonvulsiva Pregabalin, Gabapentin oder Carbamazepin auch Antidepressiva, klassische Schmerztherapeutika wie Tramadol, topische Therapien wie Lidocain und Cannabinoide zur Verfügung (vgl. Dtsch. Ärzteblatt 2006; 103(41): A 2720-30).


Behandlungsprävalenz:  2 Mio. GKV-Versicherte
In Deutschland wurden laut einer aktuellen Studie von INSIGHT Health 2011 knapp. 2 Mio. GKV-Patienten mit Antiepileptika (ATC EphMRA: N03) behandelt. Dies entspricht 2,9 Prozent der GKV-Versicherten.  
Insbesondere ältere Menschen erhalten im Alter um die 70 Jahre vermehrt Antiepileptika verordnet. Die Behandlungsprävalenz steigt dabei merklich ab einem Alter von 40 Jahren an. Das Durchschnittsalter beläuft sich auf 61 Jahre. Der Frauenanteil beträgt 57 Prozent. 3,1 Prozent der gesetzlich krankenversicherten Frauen erhielten 2011 Antikonvulsiva und 2,6 Prozent der gesetzlich krankenversicherten Männer.
Diese Informationen entstammen dem Analysetool Navi4Data von INSIGHT Health. Patientenzahlen eines anonymisierten repräsentativen GKV-Versichertenpanels von bis zu 65 Prozent der GKV-Verordnungen (Quelle: Patienten Tracking, INSIGHT Health) wurden hierbei mit Hilfe einer Quasivollerhebung der abgerechneten GKV-Rezepte (Quelle: NVI, INSIGHT Health) für das Jahr 2011 hochgerechnet.


Aktuelle Diskussion zu Austauschverboten
In der aktuellen Debatte sind Antiepileptika im Kontext von Rabattverträgen nach § 130a(8) SGB V und auch der beschlossenen Möglichkeit der Austauschverbote in der Diskussion. Hierbei ist unstrittig, dass Generika wesentlich zur Realisierung von Einsparpotenzialen innerhalb der GKV beitragen. Jedoch sollten vor einem (generischen) Wechsel der Medikation aufgrund von Aspekten der Bioverfügbarkeit und des damit verbundenen Rückfallrisikos vor allem bei anfallsfreien Patienten sorgfältige Risikoabwägungen und eine angemessene Aufklärung der Patienten erfolgen. Die Neu- und Dauereinstellung auf ein bestimmtes Generikum ist demgegenüber medizinisch unproblematisch.
In diesem Zusammenhang wird es auch interessant sein zu beobachten, ob der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Wirkstoff Pregabalin - einen der umsatzstärksten Wirkstoffe aus dem Bestandsmarkt, der noch Unterlagenschutz genießt – zur frühen Nutzenbewertung aufruft. Es ist auch denkbar, dass zunächst weniger umsatzstarke Wirkstoffe aus anderen Indikationen aufgerufen werden, bei denen ein Therapiewechsel tendenziell mit weniger Komplikationen verbunden ist. <<

von:
Christian Bensing /
Dr. André Kleinfeld

 

Gesamter Artikel: siehe Archiv, MVF6/12

 

 

Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Bensing, C., Kleinfeld, A.: „Arzneimittel im Kampf gegen den Krampf". In "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/12, S.12-13)

Ausgabe 06 / 2012

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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