OA MVF 06/12: "Coaching: starker Ansatz für schwache Herzen"
>> Atemnot, trockener Husten, rasche Gewichtszunahme und Wasser in den Beinen. All dies sind Anzeichen, die für eine Herzschwäche sprechen können. Von Herzinsuffizienz oder Herzschwäche wird gesprochen, wenn das Herz nicht mehr in der Lage ist, Organe wie Gehirn, Nieren oder Muskeln mit genügend Blut und somit Sauerstoff zu versorgen. Letztlich reicht die Leistung des Herzens nicht mehr aus, um den Körper mit ausreichend Sauerstoff zu beliefern. In der Folge kommt es zu Atemnot und Leistungsabfall.
Die Gründe für eine Herzinsuffizienz sind vielschichtig: koronare Herzkrankheiten, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Herzklappenerkrankungen, Herzmuskelentzündungen, angeborene Herzfehler, Alkoholmissbrauch, Herzrhythmusstörungen oder Überfunktion der Schilddrüse. Hauptursache der Herzinsuffizienz ist die Verkalkung der Herzkranzgefäße, die sogenannte koronare Herzkrankheit (KHK). Zweithäufigster Auslöser ist der Bluthochdruck.
Die Leistungsschwäche kann den linken oder den rechten Bereich oder das ganze Herz betreffen (globale Herzinsuffizienz). Bei der linksseitigen Herzschwäche (Linksherzinsuffizienz) staut sich das Blut in der Lunge. Die Folge: Es kommt zu Wasseransammlungen, die den Betroffenen den Atem rauben. Zunächst nur bei körperlichen Anstrengungen, später tritt bereits im Liegen Atemnot auf. Symptomatisch ist zudem der chronisch trockene Husten, im fortgeschrittenen Stadium begleitet von blasigem Schleim. Rechtsherzinsuffizienz macht sich durch geschwollene Beine vor allem in den Gelenkbereichen bemerkbar. Bei schweren Fällen von Rechtsherzinsuffizienz kommt es zu Blutstauungen und Wassereinlagerungen in den Organen, besonders in der Leber. Generell ist Herzinsuffizienz eine fortschreitende Krankheit, die zwar verlangsamt, aber nicht rückgängig gemacht werden kann.
Dritthäufigste Todesursache
50.000 Menschen sterben pro Jahr an Herzinsuffizienz. Rund 1,8 Millionen Deutsche sind nach Angaben der Deutschen Herzstiftung betroffen. Jährlich kommen 300.000 Neuerkrankungen hinzu. Herzschwäche ist damit ähnlich gefährlich wie Krebs und die dritthäufigste Todesursache bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Seit Jahren ist die Krankheit auch einer der häufigsten Gründe für Krankenhausaufenthalte. 2010 waren laut Statistischem Bundesamt 371.329 Patienten in stationärer Behandlung.
Der Manifestationsgipfel der Erkrankung liegt statistisch gesehen zwischen dem siebzigsten und achtzigsten Lebensjahr. Männer sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Frauen.
In Krankenhäusern ist Herzinsuffizienz die am zweithäufigsten gestellte Diagnose. Gerade weil die Symptome einer beginnenden Herzinsuffizienz teilweise noch recht unspezifisch sind, kommt es immer wieder vor, dass eine sich entwickelnde Erkrankung zu spät erkannt wird und die erforderlichen Maßnahmen nicht in angemessener Weise ergriffen bzw. eingeleitet werden. Herzspezialisten kritisieren, dass trotz immer besserer Therapiemöglichkeiten viele Patienten keine optimale Behandlung erhalten. Oftmals liegt es daran, dass den behandelnden Ärzten die Optionen nicht ausreichend bekannt sind. Dabei bedroht die Herzschwäche das Leben eines Patienten, wenn nichts dagegen unternommen wird, warnen Kardiologen. Besteht auch nur der geringste Verdacht einer Herzinsuffizienz, ist eine gezielte Diagnostik erforderlich. Diese sollte auf Basis einer engen Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten erfolgen.
Mit Herzschwäche leben lernen
Die Behandlung der Grunderkrankung ist die beste Strategie, weil einem Fortschreiten der Erkrankung vorgebeugt wird. Die Therapie fußt auf verschiedenen Säulen: der konsequenten Einnahme von Medikamenten, dem Einsatz von Schrittmachern und gezieltem körperlichem Training. Wichtig ist, dass die Betroffenen lernen, sich von falschen Gewohnheiten zu verabschieden wie Nikotin, Alkohol, zu vielen Süßigkeiten, einer kochsalzreichen Ernährung. Während früher auch körperliche Schonung Teil des Therapieansatzes war, empfehlen heute Ärzte sportliche Betätigung. Untersuchungen zeigen, dass sich bei Insuffizienzpatienten durch gezieltes Belastungstraining eine bis zu 25 Prozent höhere Leistungsfähigkeit erreichen lässt. Dadurch verbessert sich die Prognose der Betroffenen deutlich.
Herzentlastende und blutdruckregulierende Medizin - Diuretika, Betablocker, Hemmer des Angiotensin-Hormonsystems oder Digitalispräparate - ist ein weiterer wichtiger Baustein in der Behandlung der Erkrankung. Konsequent eingesetzt, kann sie den Gesundheitszustand wesentlich verbessern. Gleichwohl fürchten viele Patienten diese buchstäblich „bitteren Pillen“. Statistiken zeigen, dass rund ein Drittel der in Deutschland verschriebenen Medikamente nicht geschluckt werden. Gründe für die Verweigerung ist die Angst vor Neben- und Wechselwirkungsrisiken. Zudem gibt es häufig Unsicherheiten über den richtigen Einnahmezeitpunkt.
Es geht also darum, die Betroffenen zu sensibilisieren und die verordneten Medikamente optimal einzusetzen. Eine konsequente praktische Patientenschulung mit telefonischer Beratung und persönlicher Betreuung - das sogenannte Gesundheitscoaching - zeigt gute Erfolge.
Begleitung und Betreuung mindern Risiken
Gesundheitscoaching bedeutet fachmännische Beratung und Training bei gesundheitsrelevanten Problemen und Schwierigkeiten. Am Telefon sprechen speziell geschulte medizinische Fachkräfte mit den Versicherten über ihre Gewohnheiten, ihre Therapien, ihr Befinden. Dadurch soll bei den Patienten das Bewusstsein für den Umgang mit der eigenen Krankheit geschärft werden. Zudem soll die kontinuierliche Begleitung und Betreuung eine Verschlimmerung der Erkrankung verhindern. Betroffene, die mehr über ihre Krankheit wissen, leben und handeln bewusster und gesünder. Zudem fördert das Programm die Therapietreue der Patienten und stabilisiert ihren Gesundheitszustand. Gleichwohl ersetzt die Telefonberatung keineswegs den Arztbesuch. Diagnostik und Therapie bleiben in den Händen der betreuenden Mediziner.
Gesundheitscoaching Deutsche BKK - individuell und effektiv
Bereits seit Februar 2010 können Versicherte der Deutschen BKK mit der Diagnose Herzinsuffizienz bundesweit an einem individuellen telefonischen Coaching teilnehmen. Dazu hat die Deutsche BKK die Betroffenen angeschrieben und über das Programm bei Herzinsuffizienz informiert. Bei Interesse konnte eine Teilnahmeerklärung eingereicht werden. In diesem Fall nahm dann die Deutsche BKK telefonischen Kontakt zu dem Versicherten auf. „Die Teilnahme an dem Programm ist freiwillig und kostenlos. Gleichwohl steht es den Ausgewählten frei, jederzeit aus dem Programm auszusteigen. Insofern hängt der Erfolg in hohem Maß von der Mitarbeit des Versicherten ab“, sagt Heike Schlordt, Gesundheitscoach bei der Deutschen BKK.
Die Gesundheitscoachs (medizinische Fachangestellte) wurden zuvor medizinisch und psychologisch umfangreich geschult. In regelmäßigen Abständen - meist einmal wöchentlich - rufen die medizinisch versierten Fachkräfte ihre Patienten an und fragen innerhalb eines 20-minütigen Gespräches wichtige Gesundheitsparameter ab: Gewicht, Puls, Blutdruck sowie die Zunahme des Knöchel- oder Bauchumfangs. Diese Informationen dienen als Indikatoren für den Gesundheitszustand und werden kontinuierlich in eine Datenbank eingepflegt. Anhand dieser Daten kann der betreuende Coach sich auf die Telefonate vorbereiten, aber auch die Krankheitsentwicklung nachvollziehen. Sind Werte kritisch oder gibt es Auffälligkeiten, rät der Coach dem Versicherten, einen Arzt aufzusuchen. „Gleichzeitig wird ein neuer Termin vereinbart, um das Befinden zu klären und sicherzustellen, dass der Arztbesuch auch erfolgte“, erklärt Anne-Kathrin Hecht, Mitarbeiterin im Gesundheitscoaching-Team der Deutschen BKK.
Aktuell beraten die Gesundheitscoachs der Deutschen BKK rund 330 Versicherte. Jeder Coach hat dabei einen festen Stamm von Versicherten. Der persönliche Austausch und der kontinuierliche Kontakt zwischen Versichertem und Gesundheitscoach sorgen somit schnell für ein enges Vertrauensverhältnis, das letztlich die Einhaltung der vereinbarten Regeln fördert. Für die Motivation zur Teilnahme am Gesundheitscoaching ist es wichtig, dass im Gespräch Fragen der Patienten nicht einfach nur abgearbeitet werden. „Jeder Anruf, jede Situation bleibt individuell. Einfühlungsvermögen ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesprächsführung“, so Anne-Kathrin Hecht weiter.
Ein wichtiger Punkt im Gespräch ist die Arzneimitteltherapie. Dabei wird mit dem Versicherten über die Wirkung der Medikamente gesprochen. Zusätzlich geben die Coachs dabei noch Tipps und Ratschläge zur Einnahme. Dies ist wichtig, um den Betroffenen die Angst vor möglichen Wechselwirkungen zu nehmen. Die zeitlichen Intervalle zwischen den einzelnen Anrufen können im Laufe der Zeit vergrößert werden, wenn der Versicherte weiß, wie er seine Werte selbstständig zu interpretieren hat.
Coaching bedeutet für die Betroffenen, dass sie lernen, mit der Erkrankung zu leben. Es heißt aber auch, die Teilnehmer des Programms dahin zu führen, sich von alten Lebensgewohnheiten zu verabschieden, also das Leben umzustellen. „Ist das Verständnis hierfür aufgebaut und zeigt der Patient, dass er die neuen Regeln auch einhalten wird, läuft das Coaching aus. Coaching ist damit ein effektives Programm, das den Patienten einen wichtigen Teil ihrer Eigenständigkeit zurückgibt“, so das Resümee von Anne-Kathrin Hecht.
Gesundheitscoaching wirkt - Betreuung senkt Krankenhausaufenthalte
Die Deutsche BKK verzeichnet messbare Erfolge ihres Coachingprogramms. Wie wirksam die Beratung ist, belegt eine aktuelle Auswertung. Dabei wurden betreute Versicherte und eine Kontrollgruppe - Versicherte, die an Herzinsuffizienz leiden, aber nicht am Coaching teilnehmen - über zwei Zeiträume betrachtet. Das Coachingprogramm startete am 1. März 2010. Grundsätzlich hatten die Versicherten eine Eingewöhnungsphase von 28 Tagen. In dieser Zeit fanden zwei bis vier Telefonate statt, bevor die Krankenhausaufenthalte betrachtet wurden. Im Anschluss wurde die Zahl der Krankenhausaufenthalte bei dieser Gruppe betrachtet. Die Auswertung nach den ersten neun Monaten ergab, dass von den gecoachten Herzinsuffizienzpatienten nur 2,09 Prozent stationär aufgenommen wurden. In der Kontrollgruppe mussten dagegen 11,34 Prozent zur Behandlung in die Klinik. Auch im zweiten Beobachtungszeitraum, der direkt nach dem ersten folgte und ebenfalls neun Monate umfasste, waren weniger Behandlungsfälle zu verzeichnen - gecoachte Versicherte: 11,68 Prozent, Kontrollgruppe: 17,31 Prozent.
Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus betrug im ersten Zeitraum 7,6 Tage, während die Kontrollgruppe 11,8 Tage in stationärer Behandlung war. Im zweiten Zeitraum lagen die Coachingteilnehmer im Schnitt 11,5 Tage und die nicht betreuten Versicherten 12,8 Tage im Krankenhaus. Auch die Entwicklung der anfallenden Krankenhauskosten über den gesamten Zeitraum macht das Sparpotenzial des Coachingprogramms deutlich: In der Kontrollgruppe kosten Klinikaufenthalte 3.500 Euro pro Fall. Bei der Teilnehmergruppe waren es dagegen lediglich 2.900 Euro.
„Ein gutes Gefühl, gut betreut zu werden“
Auch die Zustimmung der Patienten zu dem Programm ist nach Erfahrung der Deutschen BKK äußerst positiv. „Wir werten die positiven Resonanzen als großen Erfolg. Für die Betroffenen bedeutet das Programm einen Gewinn an Sicherheit und Lebensqualität. Sie lernen mit der Krankheit zu leben, indem sie ein Gespür für ihren Körper bekommen“, erklärt Mirjam Sattelmaier, Projektkoordinatorin des Coachingprogramms bei der Deutschen BKK. <<
Ansprechpartner: mirjam.sattelmaier@deutschebkk.de
PDF siehe Archiv, MVF 06/12
Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Sattelmaier, M.,: „Coaching: starker Ansatz für schwache Herzen“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/12, S.21-23)