Daten und Fakten zum GKV-Arzneimittelmarkt
Bei dem Versuch der Darstellung und Interpretation relevanter Kennzahlen des deutschen GKV-Arzneimittelmarktes wird dessen Komplexität ersichtlich. Denn im Gegensatz zu anderen Märkten wird dieser durch politische Eingriffe und somit durch zahlreiche Regulierungsmaßnahmen beeinflusst. Zudem ist die Arzneimittelversorgung der Versicherten gegensätzlichen Interessen der am Arzneimittelmarkt beteiligten Akteure unterworfen. Diesen stehen verschiedene Instrumente wie der Abschluss von Rabattverträgen oder Verträge zur Integrierten Versorgung zur Verfügung. Der Einsatz dieser Instrumente sowie das Ausmaß der Anwendung beeinflussen letztlich das Marktgeschehen und sind somit stets im Zusammenhang mit den dargestellten Marktdaten zu sehen.
In der vorliegenden Analyse werden ausschließlich in öffentlichen Apotheken abgerechnete GKV-Verordnungen von Fertigarzneimitteln (ohne Zubereitungen) abgebildet. Bei der Interpretation der Umsatzzahlen ist zudem zu beachten, dass diese ohne Abzug von Rabatten und Zuzahlungen dargestellt werden.
GKV-Arzneimittelmarkt wächst weiter
Betrachtet man den gesamten GKV-Fertigarzneimittelmarkt, so waren im Jahr 2013 mehr als 6.500 Wirkstoffe und über 26.500 Produkte verfügbar. Mit ca. 688 Mio. Verordnungen und einem Umsatz (nach AVP - Apothekenverkaufspreis) von über 33,6 Mrd. Euro lagen die Zahlen für 2013 deutlich über dem Vorjahresniveau. Zudem kann von einer weiteren Steigerung ausgegangen werden, da bereits bis einschließlich Juli 2014 über 410 Mio. Packungen mit einem Umsatz (nach AVP) von 20,8 Mrd. Euro zu Lasten der GKV verordnet wurden. Neben der Tatsache, dass steigende Verordnungszahlen für steigenden Umsatz sorgen, spielt auch die verordnete Packungsgröße eine Rolle. Der prozentuale Anteil der größten verordneten Packungsgröße N3 lag 2011 noch bei 46 Prozent und ist im Jahr 2013 auf 49 Prozent gestiegen (Quelle: NVI, INSIGHT Health).
Beim Wechsel von der Gesamtmarkt- auf die Wirkstoffebene fällt die Gruppe der Biopharmazeutika ins Auge. Diese verzeichnen einen Umsatzanteil (nach AVP) von über 17 Prozent in den Jahren 2012 und 2013 bei gleichzeitig geringem Verordnungsanteil (2 Prozent) am Gesamtmarkt. Allein unter den Top 10-Wirkstoffen (nach Umsatz AVP) befinden sich mit Adalimumab, Interferon beta-1a und Etanercept drei Vertreter dieser Gruppe. Steigende Verordnungen, Umsätze und hochpreisige Arzneimittel lassen den Schluss zu, dass die GKV-Ausgaben im Bereich Arzneimittel trotz zahlreicher Instrumente zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs voraussichtlich weiter ansteigen. Allerdings ist hier nochmals anzumerken, dass in dieser Analyse Rabatte unberücksichtigt bleiben.
Ost-West-Vergleich: Patent vs. Generika
Um der Heterogenität des GKV-Arzneimittelmarktes Rechnung zu tragen, werden im Folgenden die beiden Marktsegmente patentgeschützter und generischer Wirkstoffe betrachtet. Dabei wird deutlich, dass neben den Rabattverträgen vor allem das Verordnungsverhalten der Ärzte einen wesentlichen Einfluss auf die regionale Gesundheitsversorgung ausübt. Dieses Verordnungsverhalten wird nicht zuletzt durch die Informationspolitik seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen beeinflusst (vgl. Kleinfeld/Luley, in: MVF 02/2014).
Bei Betrachtung des patentgeschützten Marktes lassen sich deutliche regionale Unterschiede erkennen. Der Marktanteil patentgeschützter Arzneimittel in der KV Westfalen-Lippe liegt im Jahr 2013 bei 4,9 Prozent, in Bremen sogar nur bei 4,5 Prozent. Im Gegensatz dazu beträgt der Anteil in der KV Brandenburg 7,7 Prozent und ist damit ca. 1,6-mal höher. Die Betrachtung des generikafähigen Marktes (Alt-originale und Generika) zeigt wenig regionale Differenzen. Die Marktanteile nach Verordnungen von Generika für das Jahr 2013 liegen zwischen 84,0 Prozent in der KV Baden-Württemberg und 87,8 Prozent in der KV Nordrhein. In diesem Marktsegment zeigen sich im zeitlichen Verlauf steigende Generikaanteile in allen KV-Regionen (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Die vorliegenden Abbildungen machen deutlich, dass ein hoher Verordnungsanteil patentgeschützter Arzneimittel nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch mehr Altoriginale verordnet werden. Vielmehr müssen regionale Unterschiede im patentgeschützten Markt unabhängig von Daten zum generikafähigen Markt betrachtet werden.
Facharztgruppen: Mehr Verordnungen = mehr Umsatz?
Unterschiedliche Marktanteile in den oben dargestellten Marktsegmenten beruhen nicht zuletzt auch auf dem Verordnungsverhalten der Ärzte. Somit ist die Betrachtung der Verordnungszahlen einzelner Facharztgruppen in Kombination mit deren Umsätzen lohnenswert. Die verordnungsstärkste Facharztgruppe stellt mit einem Anteil von über 50 Prozent im Jahr 2013 die der Allgemeinärzte und praktischen Ärzte dar. Mit 24 Prozent Verordnungsanteil folgen die Internisten, die mit 31 Prozent Umsatzanteil (nach AVP) nahezu den der Allgemeinärzte (35 Prozent) erreichen (Quelle: NVI, INSIGHT Health).
Ein Erklärungsansatz für die unterschiedlichen Verordnungs- und Umsatzanteile lässt sich in den ATC-Klassen (Anatomisch-Therapeutisch-Chemisches Klassifikationssystem) der verordneten Produkte finden. So hat im Jahr 2013 die ATC1-Klasse „L“ (nach EphMRA) der antineoplastischen und immunmodulierenden Substanzen mit 17,5 Prozent den größten Anteil am Umsatz (nach AVP) erzielt. Hierfür sind im Wesentlichen die als Blockbuster geltenden Biopharmazeutika, wie die Interferone und Anti-TNF-Präparate verantwortlich (vgl. Kleinfeld/Pieloth/Knull, in: MVF 03/2014). Biologika der ATC1-Klasse „L“ werden insbesondere von Internisten verordnet, und zwar nahezu zehn Mal so häufig wie von Allgemeinärzten. Daher lässt sich trotz erheblich geringerer Verordnungszahlen der relativ hohe Umsatzanteil der Internisten zumindest teilweise erklären (Quelle: NVI, INSIGHT Health).
Im Gegensatz zu den antineoplastischen und immunmodulierenden Substanzen sinken die Umsatzanteile aller anderen Top 5 ATC-Klassen im Vergleich von 2012 zu 2013. Bei den ATC-Klassen „N“ (Nervensystem) und „C“ (Kardiovaskuläres System) ist der Umsatzrückgang im Vergleich zu 2011 besonders deutlich.
Top-Player im Pharmamarkt
Wer steckt hinter den Milliardenumsätzen im GKV-Arzneimittelmarkt? Angesichts der vielen Fusionen und dynamischen Entwicklungen umsatzstarker Produkte fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Wir zeigen hier die zehn umsatzstärksten Pharmakonzerne in alphabetischer Reihenfolge bezogen auf das Jahr 2013. Zusammengenommen besitzen diese einen Anteil von rund 44 Prozent des gesamten GKV-Umsatzes (nach ApU – Abgabepreis pharmazeutischer Unternehmer) in Höhe von 21,2 Mrd. Euro. Verglichen zum Vorjahr ist der Gesamtumsatz (ApU) um knapp 744 Mio. Euro gestiegen, wobei die 10 umsatzstärksten Konzerne zu 60 Prozent an diesem Anstieg beteiligt sind (Quelle: NVI, INSIGHT Health).
Analog zur regionalen Betrachtung lohnt sich auch hier neben der Darstellung des Gesamtmarktes eine Auflistung der Top-Konzerne nach Marktsegmenten. Im Jahr 2013 waren der Novartis-Konzern und das Unternehmen Sanofi-Aventis in beiden Segmenten sowie im Gesamtmarkt vertreten (vgl. Tab. 1). Zum Novartis-Konzern gehören u.a. die beiden Generikahersteller Hexal und 1 A Pharma, die möglicherweise durch den Gewinn zahlreicher Rabattvertragsausschreibungen den Konzern auch im Generikasegment unter die Top-Unternehmen bringen. Gleiches gilt für Sanofi-Aventis mit seiner Generikatochter Zentiva (ehemals Winthrop). Es gilt auch hier zu beachten, dass weder die Zwangsrabatte noch die nicht veröffentlichten Rabatte innerhalb der Verträge mit den Krankenkassen berücksichtigt sind.
Im patentgeschützten Markt befinden sich mit Boehringer Ingelheim, Berlin-Chemie und Gilead drei Unternehmen, die sich 2013 weder im Gesamtmarkt noch im Generikasegment unter den Top-Konzernen behaupten können. Auch unter diesem Aspekt wird es spannend sein zu beobachten, wie sich die Verhältnisse im Jahr 2014 und darüber hinaus entwickeln, insbesondere, da Patentabläufe einiger Biopharmazeutika bevorstehen und einzelne Unternehmen Produkte mit Blockbuster-Potenzial erfolgreich auf dem Markt platziert haben.
Fazit
Die gezeigten Kennzahlen und Analysen sollen einen kleinen Überblick über die Lage und Trends im GKV-Fertigarzneimittelmarkt geben. Sie wurden aus einer Vielzahl an Marktdaten ausgewählt und stehen repräsentativ für eine Fülle an Analysemöglichkeiten und Schlussfolgerungen. Nachdem für diesen Beitrag vornehmlich Daten aus dem Jahr 2013 herangezogen wurden, sollen in einer Folgeanalyse unter Berücksichtigung der Daten für 2014 die Kennzahlen aktualisiert werden, um damit Trendaussagen zu manifestieren oder auch zu revidieren.
Autoren/Kontakt:
Kathrin Pieloth, Matthias König,
Konstantin Knull.