Sie sind hier: Startseite Abstracts Kurzfassungen 2016 Fünf Schritte für eine bessere Versorgung
x
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Fünf Schritte für eine bessere Versorgung

29.11.2016 14:00
Die Aussicht auf die 5-Sterne-Marina der Yachthafenresidenz Hohe Düne in Rostock-Warnemünde ist schon etwas besonders - der schier endlose Blick über die Ostsee, ein paar große und viele kleine Schiffe die Wellen durchpflügend. Doch lockte nicht das exquisite Panorama 40 ausgewiesene Vertreter aus der Versorgungspraxis nach Rostock, sondern das Thema: „Herzensangelegenheiten? – Die nächsten fünf Schritte für eine bessere Versorgung von Herzkranken aus der Sicht von Praktikern“, zu dem die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V , mit Unterstützung von Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH und die AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, eingeladen hatten. Mit dem erklärten Ziel, das auch erreicht wurde: Eine Art Wegbeschreibung zu konzipieren und obendrein zu konsentieren, mit der die Gesundheitsversorgung im Bereich Herz nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in der Bundesrepublik neu ausgerichtet werden kann.

>> Dass das Initiator-Trio, gebildet aus DGIV, Vivantes und AOK-Nordost, ein durchaus für das deutsche Gesundheitswesen neuartiges  Veranstaltungsformat* ausgerechnet in Rostock ausgerichtet hat – einer Stadt ganz oben an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns (MV), das als Bundesland im Nordosten Deutschlands das einwohnerärmste Land pro Quadratmeter der Republik ist – ist alles andere als Zufall oder gar der Aussicht geschuldet. Das ist pure Absicht!
Der Grund für die Ortswahl fern von Berlin war nicht nur, dass MV ebenso das Bundesland mit der niedrigsten Krankenhausdichte in der Bundesrepublik ist und zudem auch zu jenen mit einer sehr geringeren Versorgungsdichte durch niedergelassene Kardiologen gehört, sondern vielmehr, dass hier die Versorgung von morgen schon heute stattfindet – oder zumindest schon seit längerem pragmatisch erdacht, erprobt und auch umgesetzt wird. Oder wie es Prof. Dr. med. Hüseyin Ince, Direktor der Kliniken für Kardiologie und Konservative Intensivmedizin von Vivantes und ebenso Direktor der Abteilung Kardiologie des Universitären Herzzentrums in Rostock, ausdückte: „Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind eine Modellre-gion im Osten und seit jeher schon pragmatischer unterwegs als anderswo.“
Aus den zahlreichen Vorträgen, die das Thema Herzversorgung aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchteten – aus Sicht der Epidemiologie, der Wissenschaft, der Klinik und des Versorgungsmanagements, aber auch und ganz besonders aus der Sicht von Behandlern aus Klinik, niedergelassener Kardiologie und dem Hausarztbereich – wurde schnell klar, dass die Hauptprobleme der, trotz aller Erfolge der Medizin und Medizintechnik, immer noch ungenügenden Versorgung von Herzkranken vor allem einem Umstand anzulasten ist: den starren, oft schier undurchlässigen Schranken zwischen stationärem und ambulantem Sektor.
Das machte vor allem Dr. med. Benny Levenson, niedergelassener Kardiologe und Vorstandsmitglied des BNK (Bundesverband niedergelassener Kardiologen) klar, der die kardiologische Praxis  als Realübergang zwischen den Sektorengrenzen bezeichnete, da eine derartige Praxis eng und Hand in Hand mit der kardiologischen Abteilung des Krankenhauses zuammenarbeit. Der Idealzustand sei, so Levenson, dann erreicht, „wenn im Gesamtbild aus kardiologischer Gemeinschaftspraxis und kardiologischer Krankenhausabteilung eine einzige Versorgungseinheit gebildet wird, in dem keine Mauern mehr zwischen der Patientenversorgung bestehen.“
Doch wo bleibt in diesem Versorgungskonzept der Hausarzt? Levenson macht da alle Hoffnung: „Die Sektorengrenzen reißen wir ein, indem wir eng mit Hausärzten kooperieren oder die Hausärzte sehr eng mit uns.“
Dr. med. Dieter Kreye, Hausarzt und stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen  Vereinigung und ebenso Vorsitzender des Haus-ärzteverbands Mecklenburg-Vorpommern, steht dem offen gegenüber. Er machte aber auch sehr deutlich, dass er sich von seinen fachärztlichen Kollegen nicht nur ein Art Coaching, sondern gar gegenseitige Konsultationen wünscht: „Ich möchte von Fachärzten gecoacht werden.“ Kein Facharzt könne doch allen Ernstes erwarten, dass jeder Hausarzt jede kardiologische Leitlinie und jede neue wissenschaftliche Erkenntnis präsent habe, denn die größte Schwierigkeit eines Hausarztes gegenüber eines Kardiologen sei, dass erste viele, aus rein ökonomischen Gründen viel zu viele Patienten versorgen würden, die eben nicht nur etwas mit Herzen, sondern auch jede Menge anderer Erkrankungen hätten. Sinnreich wären daher keine 30-seitigen Epikrisen, sondern „verständliche Gebrauchsanweisungen“, die der Hausarzt auch dem Patienten erklären kann. Und, so Kreye weiter: „Ich würde gerne wissen, warum zum Beispiel im Krankenhaus von Rami- auf Linsopril umgestellt worden ist.“ Mit dieser Information könne der Hausarzt etwas anfangen, weil so verstanden werde, ob eine Substanz oder gar eine Arzneimittelgruppe ausgetauscht werden kann oder nicht. Und sein letzter Wunsch: „Dass einmal ein Krankenhausarzt bei mir anruft und fragt, ob ich als behandelnder Hausarzt zu einer Patienten-Entscheidung im Krankenhaus beitragen kann.“ Das gern auch vor Ort in der Klinik, um sich dort mit den Spezialisten und den gemeinsamen Patienten zu besprechen – auch und ganz besonders wie es nach der Entlassung mit der Therapie weitergeht. Doch er weiß ebenso ganz genau, dass der Hausarzt das derzeit nur in seiner Freizeit machen kann, denn honoriert werden derartige Konsultationen – und seien sie noch so sinn- und hilfreich – nicht. Noch nicht.
Das führt vom Punkt Information zum Überleitungsmanagement, das man nur deswegen braucht, weil es in Deutschland immer noch weitestgehend abgeschottete Sektoren der Versorgung gibt. Darum lautet das Plädoyer von Ince: „Reißen wir die Mauern ein, gemeinsam mit den Kassen und der Politik und allen Beteiligten.“ Denn alleine durch den Fall der Mauern zwischen ambulant und stationär können 10 bis 15% der Kosten gesenkt und nicht nur die Versorgung der Herzschwäche als endemisches und pandemisches Problem gestärkt werden. Ein bisher offenkundiges Problem sei nämlich, dass Patienten in der Klinik durchweg gut auf hochwertige Originalpräparate eingestellt würden, doch sei inzwischen die Liegezeit viel zu kurz, so dass eine optimale medikamentöse Therapie niemals erreicht werde und der Patient  gerade mal mit 30 % der Zieldosis entlassen würde. „Die Aufgabe in der Hausarzt- oder Facharzt-Ebene muss es sein, eine 100-prozentige Dosierung zu erreichen“, gibt Ince den Weg vor. Nur und alleine mit dieser Dosierung hätten innovative Medikamente in Studien ihre Vorteile in der Therapie bewiesen, doch die Realität sehe leider meist ganz anders aus. Nach der Entlassung werde oft aus Budgetgründen auf andere Medikamente umgestellt, dazu kommt die oft fehlende Compliance der Patienten.
Eine Lösung wäre hier eine telemedizinische Versorgung von Herzpatienten. In einer in „Lancet“ publizierten Studie hätte gezeigt werden können, das durch eine derartige Intervention die Sterblichkeit der Patienten halbiert werden konnte. Diese Art der Intervention habe die Aufgabe, die Therapie-Optimierung zu überprüfen und über Schulung die Compliance zu steigern. Das am besten per Mail, App oder über einen klassischen Telefonanruf – so könne eine entsprechend ausgebildete Pflegerin wesentlich besser und öfter auf einen Patienten einwirken, als ein Arzt das kann, den der Patient – wenn überhaupt – nur ein paar Mal im Jahr sieht.
„Wir müssen die Zuwendung fördern und endlich ein System finden, das sich um wirklich Kranke kümmert und nicht wie bisher die ein bisschen Kranken in den Mittelpunkt stellt“, gibt dazu Kreye zu Protokoll. Er hat jedoch dabei kein so paternalistisches Denken im Kopf wie so manch anderer Arzt. Im Sinne eines Claims einer Krankenkasse („Wir nehmen die Menschen so wie sie sind“) plädiert er dafür, dass auch Ärzte ihre Patienten so annehmen müssten, wie sie eben sind; doch müssten diese dann auch mit Folgen ihrer Entscheidungen umgehen. „Wir Ärzte können Ratschläge und Empfehlungen geben, doch am Ende soll der Patient entscheiden, was er damit macht“, sagt er und tritt vehement für eine sehr früh einsetzende Gesundheitsbildung ein, denn „wir müssen den Menschen die Chance geben zu verstehen, wo sie selbst etwas für sich machen können“. Zwar könne die Ärzteschaft probat behaupten, der Patient sei der Unsicherheitsfaktor, doch „vielleicht sind wir einfach nicht in der Lage, unser Anliegen gut genug zu vermitteln.“
Solch selbstzweifelnde und ehrliche Worte hört man selten von einem Ärztefunktionär auf Bundesebene, doch kommt Kreye eben aus Mecklenburg-Vorpommern, einem Bundesland, in dem man seit langem gelernt hat, praktisch zu denken und vor allem: gemeinsam zu handeln. Das macht MV zu einer nahezu idealen Modellregion für neue Versorgungsmodelle, die alleine deswegen besser funktionieren als anderswo, weil sich die handelnden Akteure auf den verschiedenen Ebenen einfach kennen. Auf dieser Basis kann man – so Dr. med. Frank Henschel, Niedergelassener Kardiologe und Regionalvorstand Mecklenburg-Vorpommern des Bundesverbands niedergelassener Kardiologen (BNK) – über „spezielle Versorgungsmodelle in der Fläche mit möglichst einfachen Netzwerkstrukturen“ nachdenken. Und diese dann auch umsetzen. Zum Beispiel bei der Aufgabe, sogenannte Chest Pain-Units (Brustschmerz-Einheiten), Krankenhäusern vorgeschalteten Diagnostik- und Therapieeinheiten zur Versorgung von Patienten mit akuten Brustschmerzen, aufzubauen.
Bisher gebe es in MV vier zugelassene und zertifizierte Units, wobei in den nächsten Monaten weitere in Stralsund, Neubrandenburg und Schwerin hinzukommen würden. Das funktioniere, doch bei den Brustschmerzambulanzen, von denen es bundesweit inzwischen 39 gebe, sehe der Status im Nordosten der Bundesrepublik relativ ernüchternd aus: „nämlich null“. Als weiteres Projekt stellte Henschel „CardioGo“ vor, ein von dem Hamburger Kardio-
logen Dr. med. Jens Beerman entwickelten App-System (www.cardiogo.de) für Patienten und Kardiologen, das ein mobiles EKG-Gerät und eine elektronische Gesundheitsakte umfasst sowie eine direkte Verbindung zu einem kardiologischen Facharzt ermöglicht – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das kostenpflichtige (1.975 Euro pro Jahr) Behandlungsprinzip der App funktioniert so, dass der Patient, nach dem er selbst ein EKG geschrieben hat, diese in seiner elektronischen Gesundheitsakte abgelegt hat, einen Dialog aufbaut zu einem Kardiologen, der sofort Zugriff auf die hinterlegten Daten hat, damit dieser mit dem Patienten entscheiden kann, ob eine kritische Situation vorliegt oder nicht oder gar ein Notfall ausgelöst werden sollte. Zur Zeit werde evaluiert, inwieweit durch diese App die Patientenversorgung verbessert werden kann. Wenn dem wirklich so ist, überlegt sich Prof. Ince schon, ob ihn seine nächsten Schritte in die Praxis von Dr. Henschel führen werden: „Dann werden wir überlegen, wie wir gemeinsam unsere Projekte in Deckung bringen können.“ Womit einer der nötigen ersten Schritte, um die „Herzensangelegenheiten“ ins Laufen zu bringen, schon getan wäre.
Der nächste wäre es, das Veranstaltungsformat, das solche Einsichten ermöglicht hat, auf andere Entitäten zu übertragen. „Ich betrachte die Veranstaltung als Erfolg“, macht hier Mit-initiator Prof. Dr. Dr. Alfred Holzgreve, Direktor Forschung und Lehre von Vivantes und stv . Vorsitzender des Vorstandes der DGIV, alle Hoffnung, umso mehr, wenn sich auch der Innovationsfonds mit Themen wie den „Herzensangelegenheiten“ befassen würde, was durchaus im Rahmen der Möglichkeiten sein dürfte (siehe MVF 01/2017). <<

Ausgabe 06 / 2016

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

Gemeinsamer Priorisierungskatalog

« Dezember 2022 »
Dezember
MoDiMiDoFrSaSo
1234
567891011
12131415161718
19202122232425
262728293031