Grundsätze für die Qualitätsdiskussion der Zukunft
>> „Es müssen zwingend Qualitätsindikatoren zu chronischen Krankheiten und zur Behandlung von multimultimorbiden Patienten entwickelt werden“, forderte DNVF-Vorsitzender Univ.-Prof. Dr. Prof. h.c. Dr. h.c. Edmund A.M. Neugebauer in seiner Eröffnungsrede. Zudem seien Indikatoren notwenig, anhand derer „wir die Integration und Koordination der Versorgung beurteilen“ können, denn diese lägen nach Neugebauer bisher nicht vor. Diese Aufgaben kann und muss die Versorgungsforschung übernehmen, denn es gehe um die Überwindung der Sektorierung im Gesundheitswesen und die nötigen Voraussetzungen für ein Pay-for-Performance-Modell. Doch warnte Neugebauer vor auch vor überzogenen Schnellschüssen, denn hier gebe es viele Aspekte zu beachten, damit es zu keinen Fehlsteuerungen kommt, gleichwohl gelte: „Diese richtige Richtung muss eingeschlagen werden, denn wir brauchen Qualitäts- statt Mengenanreize.“
Gleichwohl könne seiner Meinung nach ein Mehr an Qualität im Gesundheitswesen nicht alleine vom Gesetzgeber kommen, sondern bedürfe „der Förderung und der Motivation des Engagements aller Akteure.“ Dazu brauche es ein neues Qualitätsverständnis, welches das überkommene ablöst, sowie „eine zukunftsgerichtete Qualitätsstrategie“, die von der Analyse der Herausforderungen ausgeht, denen sich unser Gesundheitswesen den nächsten Jahrzehnten gegenübersehe. Neugebauer: „Aufbruch und Neuorientierung sind gefragt, und genau darum mischen wir uns aktiv als Deutsches Netzwerk für Versorgungsforschung in diesen Prozess ein und haben bei diesem Forum so ziemlich alle an Bord genommen, die sich wissenschaftlich oder organisatorisch mit der Qualität auseinandersetzen.“
Da hat er sicher recht, denn die Liste der Vortragenden des 5. DNVF-Forums Versor-gungsforschung, das Mitte Mai im Karl Storz Besucher- und Schulungszentrum in Berlin stattfand, ist nahezu ein Who-is-Who der deutschen Qualitätsforschung im Bereich Gesundheit (siehe Bildleiste unten).
Recht erstaunlich war, das allen Vortragenden eine gewisse Skepis zu den derzeit von der Politk angestossenen Entwicklungen anzumerken war. Am deutlichsten war das vielleicht bei dem renommierten Qualitätsforscher Prof. Dr. Matthias Schrappe, zu spüren, der sich in MVF 02/17 zum zweiten Mal mit dem Methodenpapier des IQTIG beschäftigt hatte und zu dem Schluss gekommen war:
„keine Kursänderung in Sicht“, denn: „Die ex post-Qualitätskontrolle bleibt die vorherrschende Doktrin.“ Auch darum will er die „Politik ermuntern, im Rahmen ihrer Rahmenkompetenz mit den richtigen Begriffen zu sprechen“, womit er den veralteten Begriff der Qualitäts-„Sicherung“ meint, da es „um Qualitätsverbesserung auf Systemebene“ ginge (siehe rechts).
Prof. Dr. Max Geraedts von der Universität Marburg legte daraufhin dar, dass auch die vorhandenen Qualitätsdaten höchst zweifelhaft seien. So sei im Qualitätsreport 2015 des IQTIG 728 rechnerische Auffälligkeiten bei den indirekten Verfahren festzustellen. Und nach dem 74,3 % der auffälligen Krankenhausstandorte zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert wären, hätten 49,4% die Auffälligkeiten mit fehlerhafter Dokumentation erklärt.
In der von Schrappe moderierten Podiumsdiskussion am Ende der Veranstaltung bestand dann auch Einigkeit darüber, dass der „Qualitätsoffensive“ der Bundesregierung in erster Linie eine sinnvolle Zielvorstellung fehle. Dem pflichtete Prof. Dr. Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden bei, indem er ergänzte: „Aktuell fehlen evidenzgeleitete, übergreifend konsentierte Versorgungsziele für das Deutsche Gesundheitswesen.“ Das Problem dabei sei eindeutig, denn „die relevanten Qualitätsdimensionen hängen vom Versorgungsziel ab“.
Während Prof. Dr. Jürgen Stausberg, Universität Essen, Anforderungen an ein Verfahren qualitätsabhängiger Zu-und Abschläge formulierte, berichtete Dr. Brigitte Sens, Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen, einer Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsens, über eine Befragung zur Bewertung der gesetzlichen Qualitätsinitiativen auf Ebene des Managements von Krankenhäusern. Prof. Dr. Saskia Drösler, Hochschule Niederrhein, betonte hingegen die Notwendigkeit eines systematischen Qualitätsverständnisses unter Berücksichtigung regionaler Versorgungsunterschiede.
Die abschließende Podiumsdiskussion wurde von Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung des G-BA, eröffnet. Sie betonte, wie wichtig aus Sicht des G-BA die Etablierung einer Improvement Science, also einer wissenschaftlichen Betrachtung der Verbesserungsstrategien im Gesundheitswesen, sei. Diese Ansicht wurde von allen Diskutanten uneingeschränkt geteilt. <<
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