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Regionalisierung braucht ein Vernetzungs-Konzept

03.04.2017 14:00
Dr. Regina Klakow-Franck, einer der beiden unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), hat wahrlich keinen leichten Job. Als Vorsitzende gleich dreier Unterausschüsse – zum einen „Qualitätssicherung“, zum zweiten „Ambulante spezialfachärztliche Versorgung“ und zum dritten „Disease-Management-Programme“ – kann sie ein Lied davon singen, wie schwierig oft der Interessensausgleich der im G-BA zur Zusammenarbeit verpflichteten Bänke ist; und wieviel Arbeit und Fingerspitzengefühl, aber auch Frust, damit verbunden ist, diesen herzustellen, um in den vergangenen viereinhalb Jahren immerhin über 1.300 Entscheidungen treffen zu können. Dabei hat die Ärztin und Qualitätsmanagerin nie den Mut verloren, auch wenn sie, wie auf dem 7. MVF-Fachkongress, zu Recht moniert: „In Sachen sektorenübergreifender Betrachtungsweise waren wir in der Diskussion schon einmal viel weiter als in der aktuellen Legislaturperiode.“

http://doi.org/10.24945/MVF.03.17.1866-0533.2021

>> Frau Dr. Klakow-Franck, was braucht die Politik, was brauchen die Entscheider im Gesundheitswesen von der Versorgungsforschung?
Da ich Repräsentantin des Gemeinsamen Bundesausschusses bin, kann ich nicht für die Gesundheitspolitik, wohl aber für die gemeinsame Selbstverwaltung sprechen. Der G-BA ist zuständig für die Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs und die Qualitätsentwicklung der Gesundheitsversorgung. Die Vorgaben des Gesetzgebers und die untergesetzlichen Normen des G-BA müssen ineinandergreifen, wir sind sozusagen ein „Team“ – deshalb haben wir, glaube ich, ganz ähnliche Erwartungen an die Versorgungsforschung.

Beginnen wir bei der Regionalisierung als neuer Herausforderung.
Das ist ein wichtiges Thema. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir unter „Regionalisierung“ alle dasselbe meinen. Die einen verstehen darunter einen „Gesundheitswettbewerb der Regionen“, die anderen eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung in Zuständigkeit der gemeinsamen Landesgremien nach § 90a SGB V und vieles mehr. Unabhängig hiervon kann die von verschiedenen Seiten geforderte „Regionalisierung“ meines Erachtens nicht die alleinige Zauberformel für die Zukunft sein.

Warum das?
Weil bei einer ausschließlichen Fixierung auf die Regionalisierung wesentliche Kontext-Faktoren für eine Qualitätsverbesserung der Versorgung außen vor bleiben. Die Leistungserbringer befinden sich nicht nur im Kontext der Region, sondern vor allen Dingen auch im Kontext ihres jeweiligen Sektors. Zwar gibt es Beispiele für erfolgreiche regionale Vernetzung, zum Beispiel in Gestalt der Gründung von Netzwerken zur geriatrischen Versorgung. Diese basieren jedoch auf dem Engagement der Leistungserbringer oder finden im Rahmen von Selektivverträgen statt, ein Sprung in die Regelversorgung ist bislang nicht gelungen. Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) ist ein Paradebeispiel dafür, dass ein patientenzentriertes Versorgungsangebot nicht ans Laufen kommt, weil die Leistungserbringer in völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen insbesondere für Zulassung und Finanzierung verhaftet sind. Lösungsansätze für die aus der sektoralen Trennung resultierenden Probleme zu entwickeln, dies wäre eine meiner Erwartungen an die Versorgungsforschung. In diese Richtung zielt ja auch der Innovationsfonds. Meines Erachtens sollten die Vorschläge der Forschung dabei nicht auf der Ebene von Einzel-Interventionen stehen bleiben, sondern durchaus auch die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen auf den Prüfstand stellen.

Trügt das Gefühl, oder war die Sektorenfrage schon mal weiter in der Diskussion?
In Sachen sektorenübergreifender Betrachtungsweise waren wir in der Diskussion schon einmal viel weiter als in der aktuellen Legislaturperiode. Das Thema Überwindung der Sektorengrenzen wird seit fast zwanzig Jahren permanent vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen adressiert. Das Gutachten des Sachverständigenrates von 2009 hat mustergültig auf den Punkt gebracht, dass das traditionelle System, das anbieter- und sektororientiert ist, durch ein populationsorientiertes und sektoren-übergreifendes Zukunftskonzept abgelöst werden muss.

Was wäre zu tun?
Auf Systemebene ist derzeit eine Verhärtung der Fronten an der Schnittstelle ambulant-stationär zu beobachten. Im Hinblick auf die Entwicklung und Umsetzung des aus Patientensicht notwendigen Zukunftskonzepts erhoffe ich mir mehr Unterstützung von der Versorgungsforschung.

Wo kann die Versorgungsforschung noch helfen?
Abgesehen von der Grundproblematik der sektoralen Trennung braucht die „Regionalisierung“ der Versorgung meines Erachtens ein Konzept für eine überregionale Vernetzung. Nicht jede Region wird eine komplette Versorgung sämtlicher Erkrankungen vorhalten können, zum Beispiel stationäre Kapazitäten für planbare komplexe Interventionen oder hochspezialisierte ambulante Versorgung für seltene Erkrankungen. Dies wäre weder wirtschaftlich, noch ist es im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt erforderlich – die Verfügbarkeit geeigneter Schnittstellen und sichere Datenwege vorausgesetzt. Regionalisierung und überregionale Vernetzung müssen Hand in Hand gehen. Wir bräuchten ein intelligentes Rahmenkonzept für regionale Ausgestaltung der Versorgung und überregionale Aufgabenteilung.

Wer sollte die Verantwortung in der Region übernehmen?
Wenn „Regionalisierung“ der Versorgung das neue Paradigma für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems werden soll, wäre im Rahmen der Entwicklung des Zukunftskonzepts auch zu klären, welche Anforderungen das auf regionaler Ebene verantwortliche Gremium erfüllen muss. Ein für die regionale Versorgungssteuerung verantwortliches Gremium müsste sich wahrscheinlich ziemlich schnell mit der Problematik der ambulanten Notfallversorgung beschäftigen.
Die für diese Aufgabe ins Spiel gebrachten Gemeinsamen Landesgremien nach § 90a SGB V wären meines Erachtens dazu nur eingeschränkt geeignet, und zwar allein schon aufgrund ihrer Größe.

Wie könnten denn solche Entscheidungsstrukturen aussehen?
Das zuständige Gremium muss zeitnahe Entscheidungen treffen können und dazu in der Lage sein, sachgerechte, fachlich fundierte Kompromisse oder Schiedslösungen herbeizuführen. Jenseits der konkreten Gremienstruktur wäre jedoch erst einmal zu definieren, welchen Zweck dieses Gremium genau erfüllen soll. Soll es lediglich planen oder auch intervenieren? Mir würde die Entwicklung eines regionalen Qualitätsmanagement-Ansatzes vorschweben, der auf die Ausschöpfung von konkreten Qualitätsverbesserungs-Potentialen in der Region ausgerichtet ist. Der Grad der Zielerreichung würde über Monitoring-Instrumente erfasst, die allerdings noch zu entwickeln wären.

Wie kann denn Versorgungsforschung da helfen?
Sie kann ein Konzept für das notwendige Versorgungsmanagement in der Region entwerfen und damit Politik und Selbstverwaltung unterstützen. Das fängt auf der Ebene der nötigen Daten an, geht über die Schaffung von mehr Transparenz über regionale Versorgungsunterschiede und reicht bis hin zur Evaluation hochkomplexer Innovationen und der Entwicklung geeigneter Instrumente für ein Monitoring der Versorgung in der Region. Da gibt es unfassbar viel zu tun für die Versorgungsforschung.

Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten?
Dann wünsche ich mir von der Versorgungsforschung für die Zukunft mehr Unterstützung bei der Auswahl und Priorisierung von regionalen und populationsbezogenen Versorgungszielen.

Was ist mit dem Stichwörtern Area-Indicators und Patient-Safety-Indicators?
Hierbei handelt es sich wie bei den von IQTIG und G-BA entwickelten planungsrelevanten Qualitätsindikatoren um Einzelinstrumente, die aber erst dann sinnvoll eingesetzt werden können, wenn man weiß, wohin die Reise gehen soll. Glauben Sie mir, statt immer neuer Einzelinstrumente und Einzelinterventionen benötigen wir viel dringender ein Rahmenkonzept. In der derzeitigen Diskussion sind ja noch nicht einmal die Ideen der „Regionalisierung“, der „Digitalisierung“ oder der „qualitätsorientierten Versorgungssteuerung“ aufeinander abgestimmt.

Frau Dr. Klakow-Franck, danke für das Gespräch. <<

Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

Zitationshinweis : Stegmaier, P.: „Regionalisierung braucht ein Vernetzungs-Konzept“, in "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 03/17, S. 6-7; doi: 10.24945/MVF.03.17.1866-0533.2021

Ausgabe 03 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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