Projekt „Asylakte“ nach Halbzeit erfolgreich
>> Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen stellt eine besondere Herausforderung dar. Das größte Problem besteht dabei laut den Projektverantwortlichen darin, dass Untersuchungen nicht zentral dokumentiert werden und die weiterbehandelnden Ärzte keine Vorinformationen zu den bereits erhobenen Gesundheitsdaten erhalten. Doch gerade diese Vorinformationen sind für eine erfolgreiche medizinische Folgebehandlung der Geflüchteten unabdingbar.
Seit Oktober 2016 wird in vier Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen in Ingolstadt und Umgebung die elektronische Patientenakte für eine adäquate medizinische Versorgung von Asylbewerbern eingesetzt. Um die Ärzteschaft bei der Flüchtlingsversorgung zu unterstützen, hat die Bayerische TelemedAllianz zusammen mit CompuGroup Medical Deutschland AG (CGM) dafür ein Konzept zum Austausch von medizinischen Informationen entwickelt und eingeführt. Unterstützt wird diese Arbeit auch vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Nun ist, nach gut sechs Monaten, die Halbzeit des Projektes erreicht.
Und was ist das Ergebnis? Prof. Dr. med. Siegfried Jedamzik, Geschäftsführer der Bayerischen Telemedallianz, berichtet: „Das Projekt zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden unter Zuhilfenahme einer integrierten elektronischen Patientenakte in Ingolstadt ist ein voller Erfolg und basiert vor allem auf einer guten Zusammenarbeit mit allen Beteiligen.“ Der digitale Zugriff auf die Patientenakten erleichtere nicht nur den Ärzten erheblich die Arbeit und sichere den Informationsfluss zwischen den betreuenden Ärzten, sondern ermögliche auch die bestmögliche Behandlung der Asylbewerber.
Bislang wurden im Rahmen des Projekts über 1.000 Asylakten im Arztinformationssystem „CGM Albis“ erstellt. Davon wurden mehrere hundert Akten in der webbasierten persönlichen Asylakte auf Basis von „CGM Life“ hochgeladen, um damit weiterbehandelnden Ärzten und den Flüchtlingen selbst den Zugriff auf die medizinischen Informationen zu ermöglichen. Über diesen Zugriff liegen allerdings noch keine Daten vor.
Jedamzik erklärt, dass jeder Asylbewerber, der sich in einer der Asylunterkünfte medizinisch behandeln lässt, grundsätzlich an dem Projekt teilnimmt. Er betont, dass das Projekt alle datenschutzrechtlichen Anforderungen an geltende gesetzliche Bestimmungen erfüllt. „Demnach ist die Unterzeichnung einer Einwilligungs- und Datenschutzerklärung Voraussetzung für die Teilnahme an der Nutzung der Asylakte“, so der Geschäftsführer. Aktuell erfahren die Asylbewerber über die behandelnden Ärzte und bei der Aufnahme in die Asylunterkunft von der Akte.
Die Ärzte haben schnell gelernt
Während der Laufzeit des Projekts konnten die Initiatoren auch wertvolle Erfahrungen sammeln, denn es gab auch einige Hürden zu überwinden. Einige der behandelnden Ärzte in den vier erprobenden Flüchtlingsunterkünften arbeiteten zum ersten Mal mit einer elektronischen Patientenakte oder auch mit einem Arztinformationssystem. Im Vorfeld mussten sie daher umfangreiche Schulungen absolvieren. Wie Jedamzik erläutert, befinden sich viele der Ärzte, die in Flüchtlingsunterkünften praktizieren, „eigentlich schon in ihrem wohlverdienten Ruhestand und sind somit bereits seit Jahren aus dem Praxisgeschehen raus“. Seiner Erfahrung nach würden den teilnehmenden Ärzten die Vorteile der elektronischen Patientenakte, insbesondere die Effizienzsteigerung des Behandlungsprozesses, jedoch sehr schnell deutlich.
Um die Sprachbarriere bei der Vermittlung von Informationen zur elektronischen Patientenakte zu überwinden, wurde ein so genanntes „Partner-System“ etabliert. Jeder Asylsuchende sucht sich dabei selbstverantwortlich eine Person vor Ort, die als Dolmetscher agiert und das Anliegen des Patienten ins Englische oder ins Deutsche übersetzt, erklärt Jedamzik. Die Erfahrungen mit diesem System seien in Ingolstadt ausschließlich positiv. Auf diese Weise werde ein reibungsloser und zügiger Ablauf der Sprechstunden gewährleistet. Nicht nur die Asylsuchenden, sondern auch die Ärzte unterstützten dieses Partner-System.
Derzeit erfolgt das Anlegen der Asylakte von den Ärzten in deutscher Sprache. Zukünftig soll der Anamnesebogen aber auch in Landessprache ausgefüllt und in beliebiger Sprache angezeigt werden können, berichtet der TelemedAllianz-Geschäftsführer. Er stellt außerdem fest, dass der Digitalisierungsgrad unter den Asylbewerbern sehr hoch ist, wodurch der Umgang mit der Asylakte bislang problemlos verlaufen sei. Fast jeder Asylbewerber besitze ein Smartphone. Viel wichtiger ist aus der Sicht von Jedamzik jedoch der Austausch über die bereits durchgeführten Untersuchungen zwischen den verschiedenen Asyleinrichtungen und den weiterbehandelnden Ärzten. „Insbesondere erhofft man sich hierdurch Einsparpotenziale durch Vermeidung von Doppeluntersuchungen.“
Als nächster Schritt in dem Projekt ist laut Jedamzik ein mehrsprachiger, digitalisierter Anamnese- und Therapiebogen mit Vorlesefunktion geplant, der das Verständigungsproblem zwischen Patienten und Behandler reduzieren soll. Dieser befinde sich derzeit kurz vor der Fertigstellung und soll digital zum Beispiel über ein Tablet oder ein Smartphone an die „Asylakte“ angebunden werden. Die Fragen des Anamnesebogens sollen in verschiedenen Sprachen vorgelesen und mit einem Kopfnicken oder -schütteln beantwortet werden können. Schließlich werden dann Anamnese und Therapie übersichtlich in einer Datei zusammengefasst und können dem weiterbehandelten Arzt in einer beliebigen Sprache zur Verfügung gestellt werden. Bei Bedarf kann außerdem ein Dolmetscher via Telefon oder Video hinzugezogen werden.
Zudem sei eine Vernetzung des Gesundheitsamts Ingolstadt mit dem Gesundheitsamt München geplant. Hierbei soll der Befundaustausch zwischen München und Ingolstadt digitalisiert werden, das heißt, anstatt Befunde zu faxen oder per Post zu versenden, könnten diese über eine datengesicherte Leitung mit dem PC verschickt werden. Jedamzik wünscht sich außerdem für die Zukunft eine länderübergreifende Zusammenarbeit, „um somit Ärzten in Deutschland die Möglichkeit zu geben, medizinische Daten wie zum Beispiel das Vorhandensein von meldepflichtigen Krankheiten oder Impfstatus auf elektronischem Wege abzurufen“. <<
von: Olga Gilbers