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Zwischen Patientenwohl und Gewinnerzielungsabsicht

06.12.2017 10:20
Mit dem Kostendämpfungsgesetz aus dem Jahr 1977 und den Reformgesetzen, die in den Jahren danach folgten, versuchte der Gesetzgeber, eine qualitativ hochwertige, bedarfsgerechte und ökonomisch effiziente Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen zu gewährleisten. Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden verschiedene Instrumente entwickelt und eingesetzt; vor allem ging es darum, dem Wirtschaftlichkeitsgebot mehr Geltung zu verschaffen. Das erwähnte Ziel wurde indessen nur bedingt erreicht. Zwar werden die etwa 19 Millionen Patienten, die jährlich in die stationäre Behandlung aufgenommen werden, überwiegend gut versorgt. Dagegen ist es fraglich, ob das Ziel der Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgungspraxis realisiert wird. Die seit Jahren zu beobachtende Zunahme der Zahl der stationär behandelten Patienten, der Zahl der Eingriffe sowie die des Casemix (CM) in den Krankenhäusern in Deutschland war deshalb der Anlass für das Erarbeiten mehrerer Studien mit dem Ziel, die Leistungsentwicklung und deren Ursachen zu untersuchen und zu evaluieren, ob die Zahl der erbrachten medizinischen Leistungen deren tatsächlichem Bedarf entspricht1. Die Studien wurden in der Zeit zwischen 2011 und 2014 veröffentlicht; Sie erklären die Mengenentwicklungen unter anderem mit der demografischen Entwicklung der Bevölkerung, dem medizinischen und medizin-technischen Fortschritt sowie den daraus resultierenden neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB), der nicht ausreichenden Investitions-Finanzierung durch die Bundesländer, diversen (Fehl-)Anreizen des pauschalierenden G-DRG-Entgeltsystems sowie den wirtschaftlichen Interessen der Krankenhäuser.

doi: 10.24945/MVF.06.17.1866-0533.2052

Abstract

Mit der von den Autoren dieses Beitrags durchgeführten Studie „Die Ökonomisierung patientenbezogener Entscheidungen im Krankenhaus“ wird nach möglichen betriebswirtschaftlichen Einflüssen auf patientenbezogene medizinische Entscheidungen gefragt. Sofern diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden kann, fragt es sich, welches die Ursachen dafür sind welches die Folgen für Patienten, die Medizin, die Versorgungspraxis und das Krankenhaus. Auf der Grundlage der vorliegenden Befunde werden Empfehlungen erarbeitet, deren befolgen Ärzte befähigen sollen, angesichts knapper werdender Ressourcen – demografisch bedingt zeichnet sich ein deutlicher Mangel an Ärzten und Krankenpflegekräften ab – patientenbezogene Entscheidungen zu fällen, die medizinethisch vertretbar sind und der Begrenztheit der Ressourcen Rechnung tragen.

Conflict between patient benefit and profit motive – results of an empirical study
The authors of this article conducted an empirical study named „The economisation of patient related decisions in hospitals“. This qualitative study asks physicians and hospital CEOs for possible influences of profit motives on medical decisions. In case of verification they ask for reasons and consequences for patients, medicine, and hospitals. Based on the results of the study suggestions are made to enable physicians to handle the dilemma between scarce resources and the principles of medical ethics. The emerging lack of qualified physicians and nurses and other demographic aspects will be respected.

Keywords
Patient well-being, medical principles, hospital management, medium-scarcity, economic influences, profit achieving, economizing, economically, performance and resource planning

Prof. Dr. rer. pol. Heinz Naegler / Prof. Dr. rer.pol. Dr. med. Karl-H. Wehkamp

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Zitationshinweis: Naegler, H., Wehkamp, K.-H.: „Zwischen Patientenwohl und Gewinnerzielungsabsicht – Ergebnisse einer empirischen Studie “, in: „Monitor Versorgungsforschung“ 06/17, S. 54-61, doi: 10.24945/MVF.06.17.1866-0533.2052

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Plain-Text:

Zwischen Patientenwohl und Gewinnerzielungsabsicht

Mit dem Kostendämpfungsgesetz aus dem Jahr 1977 und den Reformgesetzen, die in den Jahren danach folgten, versuchte der Gesetzgeber, eine qualitativ hochwertige, bedarfsgerechte und ökonomisch effiziente Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen zu gewährleisten. Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden verschiedene Instrumente entwickelt und eingesetzt; vor allem ging es darum, dem Wirtschaftlichkeitsgebot mehr Geltung zu verschaffen. Das erwähnte Ziel wurde indessen nur bedingt erreicht. Zwar werden die etwa 19 Millionen Patienten, die jährlich in die stationäre Behandlung aufgenommen werden, überwiegend gut versorgt. Dagegen ist es fraglich, ob das Ziel der Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgungspraxis realisiert wird. Die seit Jahren zu beobachtende Zunahme der Zahl der stationär behandelten Patienten, der Zahl der Eingriffe sowie die des Casemix (CM) in den Krankenhäusern in Deutschland war deshalb der Anlass für das Erarbeiten mehrerer Studien mit dem Ziel, die Leistungsentwicklung und deren Ursachen zu untersuchen und zu evaluieren, ob die Zahl der erbrachten medizinischen Leistungen deren tatsächlichem Bedarf entspricht1. Die Studien wurden in der Zeit zwischen 2011 und 2014 veröffentlicht; Sie erklären die Mengenentwicklungen unter anderem mit der demografischen Entwicklung der Bevölkerung, dem medizinischen und medizin-technischen Fortschritt sowie den daraus resultierenden neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB), der nicht ausreichenden Investitions-Finanzierung durch die Bundesländer, diversen (Fehl-)Anreizen des pauschalierenden G-DRG-Entgeltsystems sowie den wirtschaftlichen Interessen der Krankenhäuser.

>> Die Ergebnisse der Studien werden auf der Grundlage allgemein zugänglicher und im Regelfall über alle Krankenhäuser aggregierter Daten und – betrifft einzelne Studien – ergänzender Experteninterviews erarbeitet. Es ist gewissermaßen im Regelfall der Blick von außen, der es den Forschern erlaubt, Aussagen zu den Entwicklungstrends und deren Ursachen zu generieren.
Mit den genannten Ursachen allein – darauf weist der eine oder andere Autor hin – kann weder der beobachtete Anstieg der Fallzahlen, der medizinischen Leistungen und des Casemix begründet werden2, noch können damit verknüpfte Phänomene, die pauschal als Ökonomisierung bezeichnet werden, hinreichend erfasst werden. Insbesondere wird die Frage nicht beantwortet, ob die als kritisch bezeichneten Entwicklungen, u.a. der Anstieg der Fallzahlen, hätten vermieden werden können, wenn medizinische Leistungen ausschließlich auf Grund strikter medizinischer Indikation erbracht worden wären; es besteht somit weiterer Forschungsbedarf3.
Die qualitative Studie „Die Ökonomisierung patientenbezogener Entscheidungen im Krankenhaus“, aus dem wir mit diesem Beitrag TeilergebnisseI veröffentlichen, erweitert bisher vorgelegte Analysen in zweierlei Hinsicht:
a) Sie fragt danach, ob medizinische Leistungen möglicherweise ohne medizinische Indikation erbracht werden, weil ärztliche Entscheidungen durch betriebswirtschaftliche Vorgaben beeinflusst werden. Und sie fragt in der Annahme, dass die zuerst gestellte Frage mit „Ja“ beantwortet wird, nach den Gründen und den Konsequenzen für die Patienten, die Medizin, die Versorgungpraxis, für Ärzte, Pflegende und andere Mitglieder der therapeutischen Teams sowie für das Krankenhaus.
b) Sie stützt sich zudem bewusst nicht auf Routinedaten der Krankenhäuser und der Krankenkassen oder auf die Ergebnisse schriftlich durchgeführter Interviews (wie die weiter oben erwähnten Studien). Die Ergebnisse der Studie basieren auf explorativen und qualitativen Interviews, die von den Studienautoren mit Ärzten und Geschäftsführern persönlich durchgeführt worden sind.

Indem die Akteure der Krankenhausarbeit zu Wort kommen und uns wissen lassen, was sie über ihre ärztliche und unternehmerische Arbeit denken und was sie tun, ist es möglich, als Ursachen der Mengenentwicklung nicht nur äußere Einflüsse – wie die unzureichende Investitions-Finanzierung durch die Bundesländer – zu identifizieren. Eventuelle organisationale und strukturelle Defizite in der Steuerung der Patientenversorgung, die den Einfluss wirtschaftlicher Interessen auf das Handeln der Ärzte verstärken können – wie zum Beispiel die unzureichende Beteiligung der Ärzte an der Leistungs- und Ressourcenplanung –, werden auf diese Weise sichtbar gemacht. Die wichtige persönliche Sicht der Akteure wird vermittelt; mögliche kritische Phänomene werden mit genügend hoher Auflösung eingefangen.
Fragestellungen und methodisches Vorgehen
Die Studie fragt nach möglichen betriebswirtschaftlichen Einflüssen auf patientenbezogene medizinische Entscheidungen. Damit wird ein Phänomen beforscht, dass es nach der derzeitigen Rechtslage gar nicht geben darf. Ärztliche Entscheidungen sollen ausschließlich die Interessen des jeweiligen Patienten berücksichtigen und nicht durch wirtschaftliche Interessen oder Ziele von Krankenhausunternehmen und/oder anderen Stakeholdern beeinflusst werden.
Ausgangspunkt ist jedoch die Hypothese, dass dieses Phänomen sowie diverse, anhand von Pilotinterviews identifizierte Sub-Phänomene – wie die Notwendigkeit des Gewinne Erzielens – faktisch existieren und beim nachweislichen Anstieg der Fallzahlen und der Case-Mix-Indizes eine Rolle spielen. Es wird (s. Abb. 1)
• nach den Ursachen des Phänomens/der Sub-Phänomene gefragt,
• nach dem Rahmen, in dem Ärzte patientenbezogene Entscheidungen fällen,
• nach den Strategien, mit denen Geschäftsführer die als eines der Sub-Phänomen identifizierte „Notwendigkeit des Gewinn Erzielens“ umsetzen wollen und
• nach den dadurch ausgelösten Wirkungen, ob nach Ansicht der Befragten in der Praxis medizinethische Werte verletzt werden, insbesondere der Grundsatz des Nicht-Schaden-Sollens.

Darüber hinaus werden mögliche Lösungen des Problems gesucht, sofern es sich bewahrheitet.
In Anlehnung an Konzepte von Glaser und Strauss („Grounded Theory“)4 und Mayring5 wurden leitfadengestützte Interviews als zentrales methodisches Instrument gewählt. Die Gespräche sollten möglichst ehrlich sein, im vertraulichen Rahmen ohne Zeitdruck stattfinden, explorativen Charakter haben und möglichst vielfältige Perspektiven berücksichtigen. Die Autoren nutzten dabei ihre berufliche Felderfahrung und Kontakte. Der ehemalige Geschäftsführer verschiedener Krankenhäuser befragte seine Geschäftsführer-Kollegen, der ehemalige Krankenhausarzt seine ärztlichen Kollegen. So wurden zwei Kollektive von jeweils ca. dreißig Interviews angestrebt.
Der Forschungsprozess verlief mehrstufig, um eine Beeinflussung der Interviewpartner durch Vorannahmen der Autoren möglichst gering zu halten:
• Im ersten Schritt wurden zehn Geschäftsführern und zwölf Ärzten lediglich fünf grob formulierte Fragen gestellt. Im Zentrum dieser Pilotinterviews standen ganz allgemein die Veränderungen im deutschen Krankenhausbetrieb der vergangenen Jahre. Der Begriff „Ökonomisierung“ wurde dabei nicht erwähnt.

Fragen der ersten Interviewstufe:
• In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Medizin, die Arbeit im Krankenhaus und auch das Gesundheitssystem verändert. Wenn Sie an Ihre Arbeit und Arbeitssituation denken, wie würden Sie die wesentlichen Veränderungen benennen beziehungsweise beschreiben?
• Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen aus Ihrer Sicht und Erfahrung auf die Medizin, die Versorgung der Patienten, die Institution Krankenhaus, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft? Bitte nennen Sie Beispiele, die Sie für besonders charakteristisch halten!
• Wie würden Sie diese Entwicklungen beziehungsweise Veränderungen erklären? Also: Warum kam es dazu? Was sind die Hintergründe, Ursachen, Interessen? Wie bewerten Sie diese Entwicklungen hinsichtlich ihrer moralischen Legitimität?
• Was sollte Ihrer Meinung nach anders laufen?
• Skizzieren Sie aus Ihrer Sicht eine „gute Medizin“, ein „gutes Krankenhaus“ und ein „gutes Krankenhausmanagement“.

Die Auswahl der Interview-Partner erfolgte nach dem Prinzip, möglichst unterschiedliche Perspektiven zu erkunden. Die Krankenhäuser sollten zur Grund- und Regelversorgung, der Schwerpunktversorgung und der Maximalversorgung gehören, in unterschiedlichen Bundesländern betrieben werden sowie unterschiedlichen Trägern (öffentlich-rechtlich, privat, freigemeinnützig) angehören. Bei den Ärzten wurde zudem darauf geachtet, dass unterschiedliche Fachrichtungen und Hierarchiestufen (Chefärzte, Oberärzte, Fachärzte, Assistenzärzte) vertreten waren.
Die Aussagen der befragten Geschäftsführer und Ärzte wurden von den Studien-Autoren während der Gespräche wörtlich aufgezeichnet (handschriftlich beziehungsweise mittels Laptop). Die so entstandenen Protokolle wurden anonymisiert und um Angaben über den Ort, den Interview-Termin sowie über Zeit und Dauer des Interviews und um ein Zusatzprotokoll ergänzt, das die Umstände des Interviews und zusätzliche Bemerkungen notierte. Auf Basis der Aussagen wurden Leitkategorien gebildet, denen die entsprechenden Textabschnitte zugeteilt wurden.
Es folgte die Ausarbeitung eines ersten ausführlichen Berichts. Dieser wurde in drei öffentlichen Veranstaltungen in Berlin und Bremen6 mit Repräsentanten aus Gesundheitswesen, Ethik, Politik, Versorgungsforschung und der interessierten Öffentlichkeit diskutiert. Es nahmen an jeder Veranstaltung jeweils ca. 60 Personen teil. Von diesen Veranstaltungen wurden Ergebnisprotokolle angefertigt.
Der erreichte Wissens- und Diskussionsstand diente schließlich zur Ausarbeitung eines Interviewleitfadens mit überwiegend offenen sowie ergänzenden geschlossenen Fragen.
Die zweite Staffel umfasste qualitative, leitfadengestützte Interviews mit 21 Geschäftsführern und 20 Ärzten, die zwischen 60 und 120 Minuten dauerten. Die Vorgehensweise und die Auswahl der Interview-Partner entsprachen denen der ersten Staffel. Im Zentrum der Thematik stand jetzt explizit das Phänomen „Ökonomisierung im Krankenhaus“.
Nach Abschluss der zweiten Phase wurden eine öffentliche Veranstaltungen7 und eine weitere, nicht-öffentliche8 durchgeführt. Auf diesen wurden die Ergebnisse der Leitfadeninterviews und noch offene Fragen vorgestellt und diskutiert.  
Ferner wurden drei Fokusgruppen mit den Klinischen Ethikkomitees dreier Krankenhäuser einer Großstadt und drei Diskussionsrunden durchgeführt. An den Fokusgruppen nahmen insgesamt sechs leitende Ärzte, acht Pflegekräfte, zwei Klinikseelsorger und sechs Personen aus Management und Verwaltung teil.
Zusätzlich zu den hier aufgenommenen Äußerungen wurden Gesprächsnotizen angefertigt, wenn Ärzte sich nach den Interviews erneut meldeten, um weitere Beobachtungen und Überlegungen anzugeben.
Ergänzend wurde auf Protokolle zurückgegriffen, die im Rahmen klinischer Feldforschung angefertigt wurden.
Angesichts der sich abzeichnenden deutlichen Unterschiede zwischen den Antworten der Ärzte und der Geschäftsführer wurden zehn Teilnehmern der Studie schriftlich Fragen zur Erklärung der unterschiedlichen Aussagen zugesandt; die Rücklaufquote war 100%. Ergänzend wurde mit fünf Ärzten und sieben Geschäftsführern ein mehrstündiges Werkstattgespräch veranstaltet, um die bisherigen Ergebnisse und vor allem die Gründe für die erwähnten Unterschiede der Antworten zu diskutieren.
Nach Auswertung auch dieser Gesprächsrunde und der vorangegangenen Veranstaltungen wurden die Ergebnisse zusammengefasst und in einer öffentlichen Veranstaltung9 vorgestellt, diskutiert und erneut ergänzt. Ein Entwurf mit Empfehlungen zur Vermeidung unerwünschter Ökonomisierungseffekte wurde den Teilnehmern vorab übermittelt und in der Diskussion berücksichtigt.
Das Ökonomisieren patientenbezogener
Entscheidungen in der Krankenhaus-Praxis
Ökonomisierung – was wird darunter verstanden?
Bevor versucht werden kann, Antworten auf die in Kapitel 2 gestellten Fragen zu finden, bedarf es der Klärung, was in der vorliegenden Studie unter „Ökonomisierung“ verstanden wird. In der Literatur wie auch in der politischen und in der Krankenhaus-Praxis wird dieser Begriff unterschiedlich definiert: Einerseits wird das Ökonomisieren unternehmerischer und patientenbezogener Entscheidungen mit wirtschaftlichem Handeln gleichgesetzt. Zum anderen wird das Ökonomisieren als Unterordnung ärztlichen Handelns unter das Streben nach einem möglichst hohen Gewinn verstanden. Vorliegend wird der Begriff „Ökonomisieren“ wie folgt definiert und von „wirtschaftlichem Handeln“ abgegrenzt10:
Ökonomisierung ist das Ausrichten patientenbezogener und unternehmerischer Entscheidungen nicht nur an den Individual-Interessen der Patienten, sondern auch an den Bedürfnissen anderer Stakeholder.
Die Leistungen des Krankenhauses sollen – ob sie aus medizinischer Sicht notwendig sind oder nicht – wirtschaftlich, das heißt mit einem möglichst geringen Ressourceneinsatz erbracht werden.

Betriebswirtschaftliche Einflüsse auf ärztliche Entscheidungen und deren Begründung
Befragt, ob sie in ihrer Arbeit Situationen erleben, in denen Entscheidungen (und letztlich auch das Handeln) nicht allein von medizinischen Gesichtspunkten geleitet werden, sondern auch von betriebswirtschaftlichen Vorgaben des Krankenhauses beziehungsweise des Krankenhaus-Konzerns – wie zum Beispiel das Erwirtschaften eines bestimmten Gewinns oder Deckungsbeitrags oder einer bestimmten Zahl von Casemix-Punkten:
Frage 1.2.1.: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob sie in Ihrer täglichen Arbeit Situationen erleben, in denen Ihre Entscheidungen (und letztlich Ihr Handeln) nicht allein von  medizinischen Gesichtspunkten geleitet werden, sondern auch von betriebswirtschaftlichen Vorgaben des Hauses beziehungsweise des Krankenhausunternehmens. Gibt es das?

Hierzu antworten alle befragten Ärzte mit einer Ausnahme sowie 16 der 21 befragten Geschäftsführer mit „Ja“ (s. Tab. 1).

Die Geschäftsführer sehen das Steuern des Krankenhauses mithilfe betriebswirtschaftlicher Vorgaben als Notwendigkeit, um den Bestand des Krankenhauses und dessen Weiterentwicklung sichern zu können, und die von ihnen zu fällenden unternehmerischen Entscheidungen als die Bedingungen ärztlichen Handelns gestaltend und damit patientenbezogene Entscheidungen des Arztes mittelbar beeinflussend. Ärzte dagegen nehmen betriebswirtschaftliche Einflüsse – im Sinne der Erwartung, dass die betriebswirtschaftlichen Vorgaben umgesetzt werden – auf die von ihnen zu fällenden patientenbezogenen Entscheidungen als dem Wohl des Patienten nicht dienlich wahr.

Die Antworten auf die Frage 1.12  Wie werden sie [= die betriebswirtschaftlichen Vorgaben – HN] begründet? sind besonders stark von der Stellung der befragten Person im Krankenhausunternehmen geprägt. Hier sind die Antworten der Geschäftsführer wesentlich präziser als die der Ärzte. Was für die Geschäftsführer notwendige Maßnahmen zur Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens des Krankenhauses sind, sind für die meisten der befragten Ärzte überwiegend belastende Phänomene, über die man „nichts Genaues weiß“.
Um den Bestand des Krankenhauses sichern, in qualitativer und quantitativer Hinsicht gegebenenfalls ausbauen zu können, sind Investitionen in die bauliche und technische Infrastruktur sowie in die Weiterentwicklung des medizinischen Angebotes, der Arbeitsbedingungen und in die Förderung der Mitarbeiter erforderlich. Als Voraussetzung dafür müssen Gewinne erwirtschaftet werden
67.2311 „Der Träger erwartet ein positives Betriebsergebnis, um damit Investitionen finanzieren zu können“,
56.1 „Gewinne müssen erwirtschaftet werden, um investieren zu können mit dem Ziel, wettbewerbsfähig zu bleiben und um Arbeitsplätze dauerhaft sichern zu können“,
57.29 „Ein ausgeglichenes Ergebnis ist erforderlich, um die Kernaufgaben des Unternehmens wahrnehmen und um Innovationen finanzieren zu können.“

Die Geschäftsführer verweisen auf weitere Begründungen für das Vorgeben betriebswirtschaftlicher Normen – wie zum Beispiel die Unabhängigkeit von Planungsbehörden. Aus Platzgründen muss auf deren Darstellung hier verzichtet werden.
Ursachen des Ökonomisierens – Mittelknappheit
Von zentraler Bedeutung für das Entstehen des Phänomens ist die zunehmende Diskrepanz zwischen dem medizinisch Machbaren und der Verfügbarkeit über die Mittel, die für dessen Realisieren eingesetzt werden können. Der medizinische Fortschritt schafft Behandlungsmöglichkeiten, die zum Nutzen der Patienten nur eingeschränkt wirksam gemacht werden können. Weder stehen – vor allem auch demografisch bedingt – ausreichend personelle Ressourcen zur Verfügung, noch ist die Gesellschaft bereit, die Finanzierung der Leistungen, die die Medizin ermöglicht, in vollem Umfang sicherzustellen. Mittel-Knappheit und damit Zielsetzungs- und Verteilungskonflikte und das Ökonomisieren patientenbezogener Entscheidungen als ein Mittel von mehreren zur Konfliktlösung sind die Folge.
Anlässlich der Pilotinterviews wurden von den Befragten mehrere Gründe genannt, die in Krankenhäusern zur Finanzmittel-Knappheit führen (können). Dabei handelt es sich nicht nur um auf der Makro-Ebene angesiedelte Ursachen – wie zum Beispiel das Fehlen der für die Investitions-Finanzierung erforderlichen Fördermittel – oder um die Rendite-Erwartungen des Krankenhaus-Eigentümers. Auch durch strukturelle und organisationale Defizite, die durch das Krankenhausmanagement zu verantworten sind, wird Finanzmittelknappheit verursacht – wie zum Beispiel durch den nicht bedarfsgerechten Abbau von Überkapazitäten und durch Rationalisierungs-Reserven, die noch nicht vollständig gehoben sind.
Die von den Interview-Partnern gegebenen Hinweise wurden als Fragen mit jeweils mehreren Antwort-Optionen in den Leitfaden für die qualitativen Interviews aufgenommen. Es wurde einerseits danach gefragt, warum Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen (Frage 1.8.1 – Tab. 2) – unter anderem in der Annahme, dass Gewinne benötigt werden, um politisch beziehungsweise unternehmens-politisch verursachte Finanzmittelknappheit überwinden (Frage 1.8.1 – Antwort-Optionen 1 und 3) und andere Bedürfnisse befriedigen (Frage 1.8.1 – Antwort-Optionen 2, 4., 5 und 6) zu können. Zum anderen sollte herausgefunden werden, welches die Gründe für eventuell auftretende Verluste sind (Frage 1.8.3 – Tab. 3).
Viele der befragten Ärzte berufen sich – bezogen auf die beiden gestellten Fragen – auf Nicht-Wissen oder darauf, dass sie den Angaben der Geschäftsführungen kein Vertrauen schenken. Oder ihre Antworten waren so vage, dass sie auch deshalb nicht in die Auswertung einbezogen wurden.
Der Rahmen für unternehmerisches und
ärztliches Entscheiden
In den vorhergehenden Kapiteln werden die Ursachen für das Ökonomisieren ärztlicher und unternehmerischer Entscheidungen beschrieben. Ob und in welchem Ausmaß bei diesen Entscheidungen auch andere Interessen als nur die der Patienten – möglicherweise auch vorrangig – berücksichtigt werden, hängt aber nicht nur von der Notwendigkeit, finanzielle Defizite ausgleichen zu müssen, ab. Auch die Beschaffenheit des Rahmens, der Kommunikations- und Machtstrukturen, in denen ärztliche und unternehmerische Entscheidungen eingebettet sind, beeinflusst – auch dies ein Ergebnis der Pilotinterviews – diese. So hängt das Ergebnis ärztlichen Handelns unter anderem davon ab, ob leitende Ärzte die Leistungs- und Ressourcenplanung des Krankenhauses mitgestalten können oder ob ihnen nur mitgeteilt wird, welchen Deckungsbeitrag sie zu erwirtschaften haben, und es ihnen überlassen bleibt, wie sie diese betriebswirtschaftliche Vorgabe umsetzen – ob durch Effizienzsteigerung oder durch Steigerung der Erlöse, gegebenenfalls auch an dem medizinischen Bedarf vorbei.
In den in die Studie einbezogenen Krankenhäusern ist die Leistungs- und Ressourcenplanung nach Aussage der Geschäftsführer hauptsächlich praktiziert sowohl als
a) Top-Down- als auch als
b) Gegenstromverfahren.

Zu a)
Vertreter des Krankenhaus-Trägers, im Regelfall als Mitglieder des Aufsichtsrates, legen das Jahresergebnis, die Rendite, das Umsatzvolumen, die Personalkostenquote, die Anzahl der Casemix-Punkte und ähnliche Daten als Vorgaben für das nächste Wirtschaftsjahr in einem Wirtschaftsplan fest:
56.9 „Betriebswirtschaftliche Vorgaben, vor allem die zu erwirtschaftende Rendite, werden der Krankenhaus-Geschäftsführung schriftlich, aber auch im Gespräch von der Konzern-Geschäftsführung übermittelt.“

Der Geschäftsführer operationalisiert diese Vorgaben für das Unternehmen insgesamt sowie für die Leistungsbereiche im Einzelnen. Der Planungsprozess wird abgeschlossen, indem den Chefärzten und deren Mitarbeitern mitgeteilt wird, was von ihnen im nächsten Wirtschaftsjahr erwartet wird:
59.11a „Die betriebswirtschaftlichen Vorgaben gehen von der Geschäftsführung des Konzerns aus und werden mittels eines Planungsbriefs verkündet.“

Zu b)
Die Vertreter des Krankenhaus-Trägers geben entweder direkt oder über die Geschäftsführung vor, wie sie die wirtschaftliche Entwicklung des Krankenhauses in den nächsten Jahren erwarten. Nicht selten stützen sie sich in unterschiedlich organisierten, das Erarbeiten des Wirtschaftsplans vorbereitenden Gesprächen dabei auf die Expertise der für die spätere Umsetzung der Pläne verantwortlichen Chefärzte:
3.14 „Gemeinsam mit den Klinikdirektoren werden Leistungs- und Kosten-Ziele für die Abteilungen [= Abteilungs-Budget-Entwürfe – HN] entwickelt.“

Die mehr globalen Vorgaben des Aufsichtsrats werden operationalisiert und als Detailvorgaben mit den für die Umsetzung Verantwortlichen diskutiert, bevor sie als Abteilungsbudgets von dem Geschäftsführer verbindlich gemacht werden:
58.17 „Die Vorgaben werden im Dialog mit den betroffenen erarbeitet und anschließend kommuniziert. Die Leistungsmengen werden breit kommuniziert und vorher mit den Chefärzten abgestimmt.“
Handlungsstrategien
Anhand der Pilotinterviews konnten mehrere Maßnahmen identifiziert werden, deren Realisierung von den Vertretern der Krankenhäuser als notwendig angesehen werden für die Sicherung des Bestands der Krankenhäuser und für das Realisieren der den Krankenhäusern gesetzten Ziele. Diese Hinweise wurden als Fragen in den Leitfaden für die Leitfadeninterviews übernommen und von den Geschäftsführern wie folgt beantwortet (s. Tab. 4):
Wirkungen des Ökonomisierens

Kritiker der Ökonomisierungsthese weisen oft darauf hin, dass die medizinische Versorgung schon immer Geld gekostet hat und mit dem Problem knapper Ressourcen zu tun hatte. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung legen hingegen nahe, dass die aktuellen Veränderungen einen tieferen Einschnitt in die Entwicklung von Medizin, Versorgungspraxis, Krankenhaus und Gesundheitswesen darstellen. Sie verändern unter dem Einfluss gesundheitsökonomischer Steuerungen teils beabsichtigt, teils als ungewollte Nebenwirkung deren Charakter. Dieses wird von den im Rahmen der Pilotinterviews befragten Ärzten und Geschäftsführern ausführlich und mit vielen Beispielen angereichert zu Protokoll gegeben. Deren Berichte sind teilweise von mehr grundsätzlicher Art – wie vor allem die Aussagen der Geschäftsführer; die Ärzte dagegen geben mit den meisten der Interview-Aussagen einen detaillierten Einblick in die Versorgungs-praxis der in die Untersuchung einbezogenen Krankenhäuser. Auch diese Hinweise wurden in die Leitfadeninterviews übernommen. Nachstehend werden zwei Beispiele der Ergebnisse der Leitfadeninterviews präsentiert.

a) Aufnahme in die stationäre Behandlung ohne medizinische Notwendigkeit
Die Frage, ob Patienten auch ohne klare medizinische Notwendigkeit in die stationäre Behandlung aufgenommen werden (s. Tab. 5) wird von den befragten Ärzten auf der einen und den Geschäftsführern auf der anderen Seite deutlich unterschiedlich beantwortet:
Fast alle Ärzte antworten mit „Ja“ (s. Tab. 5). Ein Arzt verneint, weil in dem Krankenhaus, in dem er tätig ist, überwiegend elektive Patienten aufgenommen werden:
34.11 „Nein – wir haben zu 80% elektive Patienten, die uns zugewiesen werden.“

Ein Hauptmotiv für eine medizinisch nicht zwingend erforderliche Aufnahme von Patienten ist aus der Sicht der Ärzte der Leerstand von Betten und das Ziel einer möglichst hohen Belegungsrate. In solchen Fällen wird in manchen Krankenhäusern mit sehr großzügiger Indikation aufgenommen:
39.5.1 „Also klares Ja, auch wenn ich es nicht so mache. Es gibt mit Sicherheit Patienten, die, wenn sie in ein gewisses Schema passen, dann auch aufgenommen werden – klare Ansage durch OA, heute werden alle aufgenommen, weil auf Station x die Betten leer sind“.;
24.4 „ Ja. Wir sollten alles aufnehmen, und so wenig wie möglich aus der Notaufnahme entlassen.“

Die befragten Geschäftsführer beantworten die Frage 5.1 überwiegend kategorisch mit „Nein“. Eine Erklärung für die Diskrepanz zu den Antworten der Ärzte könnte sein, dass die Geschäftsführer zum Ausdruck bringen, dass sie offiziell nicht wollen, dass Patienten ohne medizinische Notwendigkeit in die stationäre Behandlung aufgenommen werden. Zudem seien sie nur unzureichend darüber informiert, wie sich die Ärzte, die über die Aufnahme eines Patienten in die stationäre Behandlung entscheiden, verhalten. So könnte die „Ja“-Antwort eines Geschäftsführers verstanden werden, der zu Protokoll gibt, dass nicht auszuschließen sei, dass Patienten auch ohne medizinische Notwendigkeit stationär behandelt werden sollen:
52.32 „Es ist nicht auszuschließen, dass Patienten ohne eindeutige medizinische Indikation in die stationäre Behandlung aufgenommen werden.“
b) Operative vor konservativer Behandlung
Während der Interviews und auch in anderen Zusammenhängen wird von Ärzten und anderen Personen häufig der recht pauschale, als Frage 5.4 – „Aus wirtschaftlichen  Motiven werden Patienten operativ behandelt, obwohl aus medizinischer Sicht die konservative Behandlung angemessener wäre“ (s. Tab. 6) – formulierte Vorwurf erhoben. Wer die Krankenhauspraxis  kennt weiß, dass Auseinandersetzungen über Art und Maß der Therapie immer umstritten sind und dass es viel konkreter Sachkenntnisse bedarf, um zu beurteilen, welche Art von Medizin für welchen Patienten richtig ist. Vielfach hängt die richtige Wahl von der Erfahrung und Geschicklichkeit eines Arztes ab. Internisten urteilen oft anders als Chirurgen, Neurochirurgen anders als Unfall- oder Visceralchirurgen. Man sollte aus diesen Gründen die folgenden Antworten zurückhaltend interpretieren.
Von den befragten Ärzten gibt es kein klares „Nein“ auf die Frage, ob Patienten aus wirtschaftlichen Gründen operativ behandelt werden, obwohl aus medizinischer Sicht eine konservative Behandlung angemessener wäre (s. Tab. 6). Wohl heißt es zweimal, dass dies für das eigene Krankenhaus nicht zutrifft:
32,5.4 „Bei uns nicht.“ – unter anderem auch deshalb, weil der Behandlungsprozess dort so organisiert ist, dass eher das Wohl des Patienten als betriebswirtschaftliche Vorgaben die Entscheidung über die geeignete Behandlungs-Strategie bestimmt
33.22 „Wegen der interdisziplinären Indikationsstellung ist das [= operative anstelle der geeigneteren konservativen Behandlung – HN]  bei uns unmöglich.“

Die deutliche Mehrheit der Ärzte antwortet jedoch zustimmend, teils mit „kommt vor“
23.5.4 „Ja ... nicht überwiegend, aber kommt vor...“

oder noch deutlicher
22.5.4 „Wir sind indirekt beteiligt – Wirbelsäulenpatienten, Bandscheibenvorfälle und solche Dinge. Da gibt es schon Anweisungen, die in die Richtung gehen, auch niederschwelliger in die neue Wirbelsäulenabteilung zu verlegen ... auch von ärztlichen Vorgesetzten.“

Die befragten Geschäftsführer beantworten die Frage 5.4 überwiegend mit „Nein“ (s. Tab. 6). Angesichts der zum Teil deutlichen Bestätigung der in der Frage 5.4 formulierten Annahme durch einige der interviewten Ärzte muss auch in diesem Zusammenhang vermutet werden, dass die Geschäftsführer mit ihrem „Nein“ zum Ausdruck bringen wollen, dass die medizinische Indikation für die Art der Behandlung leitend sein soll. Diese Vermutung wird auch dadurch gestützt, dass zwei der Geschäftsführer ihre „Nein“-Antwort mit „ich hoffe nicht“ kommentieren:
70.27 „Ich hoffe nicht.“

Eines der Ergebnisse der Studie ist die in weiten Teilen starke Diskrepanz der Beantwortung der in den beiden Interviews gestellten Fragen durch die Geschäftsführer und der Ärzte. Um als Grundlage für das Erarbeiten von Empfehlungen verstehen zu können, wie es sein kann, dass Fragen, die auf ein konkretes Entscheidungsverhalten der Ärzte abzielen (siehe zum Beispiel das Beantworten der Fragen 5.1 in Tab. 5 und 5.4 in Tab. 6), so unterschiedlich beantwortet werden, wurden zusätzlich zu den Interviews nach deren Auswertung Geschäftsführer und Ärzte sowohl schriftlich als auch in einem Werkstattgespräch um Auskunft gebeten. Dabei wurde deutlich, dass Geschäftsführer und Ärzte auf Grund ihrer verschiedenen Aufgaben und Erfahrungswelten teilweise sehr unterschiedliche Wahrnehmungen haben, die sich nicht leicht als “richtig oder falsch” einordnen lassen. Eines lässt sich jedoch mit Sicherheit daraus ableiten: die Kommunikation und der faktische Erfahrungsaustausch sind offenbar nicht geeignet, übereinstimmende Einschätzungen zu sehr wichtigen Phänomenen im Krankenhausablauf herzustellen. Dies spricht deutlich für machtvermittelte Beziehungen.
Von der Notwendigkeit  der Verbesserung der Information und Kommunikation zwischen der  beiden „Lagern” sind sowohl Ärzte als auch Geschäftsführer und „Neutrale Beobachter” überzeugt. Die Frage: Was müsste geschehen, um die Situation zu verbessern? beantwortet ein Geschäftsführer wie folgt: „Frequenter Austausch, vertrauensbildende Maßnahmen, beharrliche Wiederholung entsprechender Erwartungen einer Geschäftsführung, auch und gerade in wirtschaftlich schwierigeren Situationen.” (Zusatzbefragung, 58).

Empfehlungen zur Überwindung der Wirkungen
Um das Ökonomisieren patientenbezogener Entscheidungen und die dadurch ausgelösten Fehl-, Über- und Unterversorgung vieler Patienten, die Überlastung der Mitarbeiter und die Fehlallokation der von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Ressourcen reduzieren zu können, wird ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, von denen hier zwei als Beispiele thematisiert werden:

a) Entwicklung und Einführung eines Kodex
Der Geschäftsführer soll die Entwicklung und das Implementieren eines Kodex im Sinne einer verbindlichen Selbstverpflichtung veranlassen. Dieser bringt unter anderem die Verantwortung zum Ausdruck, die das Krankenhaus beziehungsweise die in seinem Auftrag tätigen Geschäftsführer, Ärzte, Krankenpflegekräfte und Vertreter anderer Berufsgruppen gegenüber den Patienten, der Gesellschaft insgesamt und anderen Anspruchsgruppen wahrnehmen sollen. Er legt das Verhalten des Geschäftsführers, der leitenden und der anderen Mitarbeiter gegenüber den verschiedenen Interessengruppen verbindlich fest.
Orientierung für ärztliches Handeln und für das Wahrnehmen der Verantwortung vor allem gegenüber den Patienten bieten die nachstehend genannten medizinethischen Prinzipien12, die als Gegenstand in den Kodex aufgenommen werden.
1. Prinzip des Wohltuns oder des Nutzens,
2. Prinzip des Nichtschadens,
3. Prinzip des Respekts der Patienten-Autonomie
4. Prinzip der Gerechtigkeit.

Der Kodex ist nicht eine Norm, die zwingend eingehalten werden muss. Es kann oder muss sogar von ihm abgewichen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die sich aus der Bedürfnis-Lage des Patienten oder der des Krankenhauses ergeben können. Das Abweichen von der Norm und deren Gründe werden vom Arzt begründet und in der Patientenakte dokumentiert.
Der Geschäftsführer ist verantwortlich dafür, dass die Träger der Verantwortung mittels des Kodex erfahren, was von ihnen erwartet wird, dass sie die ihnen zugewiesene Verantwortung wahrnehmen wollen und auch können, indem die strukturellen, organisationalen und persönlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

b) Operative Planung
Der Geschäftsführer soll sich verpflichten, die Leistungs- sowie die Ressourcenplanung einschließlich der Planung diverser Kennzahlen (wie zum Beispiel die Anzahl Casemix-Punkte/Arzt) und darauf aufbauend das Erarbeiten des Wirtschaftsplans und der Abteilungsbudgets als Gegenstromverfahren zu implementieren und dauerhaft zu praktizieren. Er soll festlegen, wer in welcher Phase des Planungsprozesses mit welchen Kompetenzen beteiligt wird. Insbesondere die Chefärzte sollen in die Leistungs- und Kostenplanung mit Mitspracherecht einbezogen werden. <<

Ausgabe 06 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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