„Unser Gesundheitssystem ist krank“
Dass es in Deutschland Praxiskliniken gibt, grenzt für Dr. med. Rüdiger Söder an ein Wunder. Söder betreibt zusammen mit Kollegen die Praxisklinik MicMaMainz, und engagiert sich seit Jahren in der Deutschen Praxisklinikgesellschaft, die sich für die Stärkung des intersektoralen Operationssektors einsetzet. Söder sagt klipp und klar: „Unser Gesundheitssystem ist krank.“
Seit 20 Jahren werde der medizinische Fortschritt, den Praxiskliniken entscheidend mit vorantreiben, erfolgreich verhindert. Stattdessen halte man an alten Krankenhaus-Versorgungsstrukturen fest, die sich weder rechnen noch eine optimale Versorgung der Patienten sicherstellen.
„Als ich vor 20 Jahren angefangen habe, galt es vielerorts als unmöglich, eine Ausschabung ambulant zu machen“, sagt Söder. „Mittlerweile haben wir jedoch OP-Techniken entwickelt, die uns auf einen Stand bringen, an den selbst ich vor 15 Jahren nicht geglaubt hätte.“ Im MicMaMainz werden heute Woche für Woche ganz selbstverständlich endoskopische Gebärmutterentfernungen, Brustkrebs-OPs oder Mamma-Reduktionsplastiken ausgeführt.
Natürlich gebe es auch Grenzen, wie etwa bei einer Endometriose mit Darmbeteiligung, aber „grundsätzlich können Praxiskliniken so gut wie alle Eingriffe ausführen, die Krankenhäuser auch durchführen – verbunden mit einem kurzstationären Aufenthalt von ein bis zwei Tagen.“ Wie lange ein Patient in der Klinik bleiben müsse, bestimme dabei einzig und allein der Heilungsverlauf. Und nicht etwa daran, ob ein um ein Tag längerer stationärer Aufenthalt eine mitunter doppelt so hohe Vergütung auslöst, wie das im Krankenhaus der Fall sein kann. Wobei wir mittendrin in der komplizierten Gemengelage wären, die verhindert, dass es in Deutschland nicht längst schon viel mehr Praxiskliniken wie die von Dr. Rüdiger Söder gibt.
Obwohl in Paragraf 122 des SGB 5 die OP-Tätigkeit von Praxiskliniken sowie die kurz-stationäre Betreuung erlaubt ist, fehlt es noch immer an einer geregelten Hybridvergütung für Praxiskliniken, auf die sich Operateure und Patienten verlassen können. Obwohl Praxiskliniken mitunter genau dieselbe OP-Leistung erbringen wie Krankenhäuser, erhalten sie dafür nicht automatisch die gleiche Vergütung gemäß der sogenannten Diagnosis Related Groups (DRGs). Stattdessen müssten die Praxiskliniken individuelle Verträge mit den Krankenkassen im Rahmen der sogenannten Integrierten Versorgung (IV) abschließen. Hinzu kommt: Heute werden Patienten operiert, die ohne Probleme nach drei Stunden wieder nach Hause gehen können. Ein solcher Eingriff gilt allgemein als ambulant, und müsste entsprechend der ambulanten EBM-Vergütung abgerechnet werden.
Doch mit der EBM-Vergütung, die mitunter nur ein Viertel der DRGs betrage, sei eine solche OP wirtschaftlich nicht darstellbar. Genau das will die Deutsche Praxisklinikgesellschaft zum Wohle der Patienten ändern. Denn der intersektorale Sektor wächst, trotz der vielen Steine, die den Praxiskliniken nach Einschätzung des Verbandes in den Weg gelegt werden.
Söder zeigt sich überzeugt, dass die Zeit für die Praxiskliniken arbeite. Aktuell entstehe in Mainz beispielsweise eine neue gynäkologische Praxisklinik auf einem Campus mit Dialysezentrum, ambulanten Chemotherapie-Zentrum sowie einem On-Demand-OP für Fachärzte, die einen OP-Slot benötigen.
Das Projekt werde sicherlich viele Kollegen anziehen, die fachlich höchst kompetent sind und die keine Motivation mehr haben, in alten Krankenhausstrukturen zu arbeiten. Söder glaubt, dass Abwandern der Fachkompetenz aus den Krankenhäusern in den intersektoralen Bereich der Praxiskliniken in Zukunft weiter zunehmen werde. „Praxiskliniken sorgen nicht nur für eine hohe Patientenzufriedenheit, eine insgesamt freundlichere Medizin, sondern ermöglichen auch den Ärzten in einer zeitgemäßen Struktur, zu arbeiten.“
Ginge es nach Söder, wäre die Politik gut beraten, Krankenhäuser in Zukunft vor allem im Bereich der Notfallmedizin besser auszustatten und um die Krankenhäuser herum möglichst viele Praxiskliniken für die operative Grundversorgung zu etablieren. Von einem solchen System würden am Ende alle profitieren: die Patienten, die Ärzte, die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem insgesamt. Doch mehr als einmal hat Söder erlebt, wie politische Entscheider lieber am Status quo festhalten, statt auf den medizinischen Fortschritt zu setzen. „Das Krankenhaus ist für viele Verantwortlichen eine Art Heilige Kuh“, sagt Söder. Ein Stück Symbolpolitik. Dabei wisse man längst, dass Krankenhäuser, insbesondere die intensivmedizinische Versorgung, erst ab einer bestimmten Größe Sinn ergeben. Es bringe nichts, wenn kleine Krankenhäuser künstlich am Leben gehalten werden. Über kurz oder lang werden sie doch schließen müssen.