2035 fehlen in Deutschland rund 11.000 Hausärzte
„Im Extremfall müssen Patienten in unterversorgten Kreisen damit rechnen, in ihrem Umfeld keinen einzigen niedergelassenen Hausarzt zu haben“, sagt Hans-Dieter Nolting, Versorgungsforscher und Geschäftsführer des IGES Instituts. Während der Hausarztmangel bislang vor allem in ländlichen Regionen als Problem bekannt ist, würden in absehbarer Zeit zunehmend auch städtische Gebiete betroffen sein. In einigen mittelgroßen Städten werde es 2035 rund 20 Prozent weniger Hausärzte geben, wie die Prognose zeigt.
Gründe für den Hausarztmangel
Gründe für die drohende Versorgungslücke seien die Altersstruktur der derzeit praktizierenden Hausärzte und die berufliche Orientierung der nachwachsenden Ärztegeneration. Bis 2035 würden altersbedingt fast 30.000 Hausärzte ausscheiden. Die freiwerdenden Hausarztsitze würden Nachwuchsärzte und zugewanderte Ärzte nicht in gleicher Zahl besetzen. Das liege zum einen daran, dass sich wenige Nachwuchsmediziner dafür entscheiden, sich als Hausarzt niederzulassen. Zum anderen bevorzugten junge Ärzte statt Einzelpraxen zunehmend Angestelltenverhältnisse und Teilzeitmodelle und wünschen sich eine stärkere multiprofessionelle Zusammenarbeit.
Gleichzeitig verändere sich der Bedarf an medizinischer Versorgung und Unterstützung in der Bevölkerung. Der demografische Wandel führe dazu, dass sich das Krankheitsspektrum verschiebe und es mehr ältere Menschen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen geben wird. Diese brauchten häufig eine individuelle Unterstützung in allen Lebensbereichen, die über die medizinische Versorgung hinausgeht. Deshalb genüge es nicht, nur die Zahl der Hausärzte zu erhöhen.
Lösungsvorschlag: Der Aufbau regionaler Gesundheitszentren
Um den Herausforderungen zu begegnen, raten die Studienautoren zu einem möglichst raschen Umbau des Versorgungssystems. Die sogenannte Primärversorgung – also die Ebene, auf der die Menschen zuerst mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen – nimmt dabei eine Schlüsselfunktion ein. „Ein wichtiger Baustein ist der Aufbau von lokalen, inhaltlich umfassenden Gesundheitszentren, in denen multiprofessionelle Teams von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden mit anderen Gesundheitsberufen die Patienten bedarfsorientiert behandeln und optimalerweise deren familiäre und lebensweltliche Umstände kennen“, sagt Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Primärversorgungszentren könnten zudem einen Beitrag leisten, die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen, da sie eng in die Kommunen eingebunden sind, eine effiziente Leistungserbringung ermöglichen und einen Fokus auf Prävention legen.
Wie solche Gesundheitszentren aussehen könnten, zeigen die 13 PORT-Zentren (Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung), deren Aufbau die Robert Bosch Stiftung seit 2017 fördert. „In den PORT-Zentren sehen wir, wie eine gut koordinierte Gesundheitsversorgung für die Bürger umgesetzt wird, verbunden mit Angeboten der Prävention und Gesundheitsförderung, die auf regionale Besonderheiten zugeschnitten ist. Sie bieten gleichzeitig attraktive Arbeitsbedingungen für pflegerisches und medizinisches Personal“, sagt Bernadette Klapper, Bereichsleiterin Gesundheit der Robert Bosch Stiftung. Im Landkreis Reutlingen entsteht mit den beiden PORT-Zentren Hohenstein und Hülben sowie weiteren Einrichtungen derzeit eine ganze Modellregion. Mit deutschlandweit 1000 Standorten könnte Hochrechnungen zufolge eine flächendeckende Primärversorgung durch Gesundheitszentren nach dem PORT-Konzept möglich werden.
Übergabe der Zukunftsagenda an Jens Spahn Der Vorschlag, die Primärversorgung zu stärken, ist Teil einer Agenda für das Gesundheitssystem in Deutschland, die die Robert Bosch Stiftung in ihrer Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ gemeinsam mit Bürgern und Gesundheitsexperten über drei Jahre hinweg erarbeitet hat. Die Zukunftsagenda soll am 17. Juni im Rahmen einer Pressekonferenz an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn übergeben werden.