action medeor zur weltweiten Corona-Impfstoff-Verteilung: „Impfen alleine beseitigt die strukturellen Probleme nicht“
„Wir unterstützen die internationale Impfallianz COVAX ausdrücklich. Aber wir warnen eindringlich davor, sich nur auf das aktuelle Impfgeschehen zu fokussieren und dabei die strukturellen Probleme aus dem Blick zu verlieren“, sagt Sid Peruvemba, Vorstandssprecher von action medeor. „Es reicht nicht, die Menschen gegen COVID-19 zu immunisieren und dann zur Tagesordnung überzugehen.“
Das Medikamentenhilfswerk macht darauf aufmerksam, dass die eigentlichen Probleme viel tiefer liegen: „Die Krise hat grundlegende Probleme aufgezeigt, die weit über die aktuelle Pandemie hinausweisen“, so Peruvemba. „Es sind die ungleiche Verteilung von Wohlstand und insbesondere die ungleiche Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme, die nun offen zutage treten. Wenn wir daran nichts ändern, werden wir dieses Virus und auch alle kommenden nicht besiegen können.“
Worum geht es konkret? „Am Anfang der Pandemie gab es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent nur sechs Labore, die in der Lage waren, das Corona-Virus nachzuweisen“, schildert Peruvemba ein Beispiel. „Bis heute ist die Datenlage dort alles andere als valide. Wichtige Erkenntnisse zur Bekämpfung des Virus können nicht gewonnen werden, weil schlicht die Kapazitäten fehlen. Das ist kein Problem Afrikas. Es ist ein globales und von Dauer, wenn wir untätig bleiben.“
Nach Meinung von action medeor muss eine globale Impfkampagne daher vor allem die strukturellen Defizite in schwachen Gesundheitssystemen beseitigen. „Kurzfristig geht es um die rasche Verbesserung von Labor- und Diagnostik-Kapazitäten, die bedarfsgerechte Ausstattung von Gesundheitsstationen mit Medikamenten und medizintechnischer Ausrüstung, die Verbesserung der Patientenversorgung durch professionelles Monitoring und um die Versorgung auch entlegener Gesundheitseinrichtungen und besonders verletzlicher Bevölkerungsgruppen“, fordert Peruvemba. Gleichzeitig müsse eine globale Impfkampagne sozial und organisatorisch begleitet werden. „Dazu gehört die Aufklärung der lokalen Bevölkerungen, um etwaige Vorbehalte gegen eine Impfung abzubauen“, so der Vorstandssprecher von action medeor. „Logistische und pharmazeutischen Strukturen in schwachen Gesundheitssystemen müssen schnell ausgebaut und auf die bevorstehende Impfkampagne vorbereitet werden. Dazu braucht es ausreichende Personalressourcen und eine nachhaltige Finanzierung.“
Diese Maßnahmen sind laut action medeor auch aus anderen Gründen geboten. „Corona könnte schon mittelfristig einen weltweiten Anstieg von Hunger und Krankheiten nach sich ziehen, darüber sind sich Entwicklungsexpertinnen und -experten einig“, schildert Peruvemba. Denn die Pandemie habe dazu geführt, dass Ernährungs- und Behandlungsprogramme in vielen Entwicklungsländern ausgesetzt wurden, weil die nötigen Schutzausrüstungen fehlten. „Die Folgen dieser coronabedingten Ausfälle werden wir in den nächsten Jahren spüren“, so Peruvemba. Weltweit werde ein Anstieg der Hungernden auf 690 Millionen Menschen prognostiziert. Gleichzeitig rechne man mit zusätzlich 400.000 Opfern durch Malaria und HIV sowie einer halben Million zusätzlicher Tuberkulose-Toter – und zwar alleine auf dem afrikanischen Kontinent.
„Diese Folgewirkungen werden die Pandemie überdauern“, warnt Peruvemba. „Sie werden Menschenleben kosten, auch in den nächsten Jahren, wenn nichts dagegen geschieht.“
action medeor ruft daher in einem aktuellen Positionspapier die politisch Verantwortlichen dazu auf, neben einer gerechten weltweiten Verteilung von Impfstoffen auch auf zwei weitere Aspekte zu achten, die die Pandemie überdauern werden. „Es geht um die Stärkung der Gesundheitsstrukturen und um die Beseitigung der Folgewirkungen von Corona“, macht Peruvemba deutlich. „Wenn wir das nicht hinbekommen, hätten wir auch durch das weltweite Impfen wenig gewonnen.“