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Aktionsbündnis Patientensicherheit setzt sich für echte Sicherheitskultur ein

01.07.2022 11:23
Bei fünf bis zehn Prozent aller behandelten Patientinnen und Patienten in Deutschland treten so genannte Unerwünschte Ereignisse innerhalb der Behandlung auf – mehr als ein Drittel ist vermeidbar, so die Zahlen aus dem APS-Weißbuch. Von echten Behandlungsfehlern wird etwa in einem Prozent der Fälle gesprochen. Medizinische Fehler liegen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf Platz acht der Todesursachenstatistik. Dr. Ingo Härtel aus dem Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit (BMG) zitiert in seinem Beitrag zum Buch „Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen“ eine Studie der OECD: 15 Prozent aller Krankenausausgaben sind eine direkte Folge von Unerwünschten Ereignissen. In Euro sprechen wir damit von 48 Milliarden € pro Jahr.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS) fördert aktiv Sicherheitskultur. Es entwickelt Maßnahmen, um Fehler zu vermeiden und befördert mit Projekten die aktive Nutzung von Methoden und Instrumenten, damit im ganzen Gesundheitssystem präventiv agiert und mögliche Fehler vermieden werden können. Mit seinem Netzwerk aus allen Bereichen des Gesundheitswesens stärkt das APS Patientensicherheit.

Auf der jährlichen Fachkonferenz des Aktionsbündnis Patientensicherheit, der APS-Jahrestagung, kamen Fachleute rund um das Thema Patientensicherheit zusammen und tauschten sich über Neues rund um Patientensicherheit, Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden aus. So berichtete ein Team der Technischen Universität München über Fehler in der Neurochirurgie – mit viel Mut und dem Willen darüber aufzuklären, was getan werden muss, um künftig Fehler zu vermeiden. Die TUM München nutzt mit diesem Projekt die Chance, die Versorgung ihrer Patient:innen nachhaltig zu verbessern und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden für eine bessere Patientenversorgung umzusetzen.

Trotz Richtlinie zur Nutzung, werden in Kliniken hierzulande Fehlermeldesysteme wie das CIRS (Critical Incident Reporting System) nicht umfassend genutzt oder Ergebnisse werden nicht ausgewertet. Unerwünschte Ereignisse sind nur unzureichend erfasst. Damit fehlt die Möglichkeit, Systemmängel und Prozessmängel zu objektivieren und die Chance, Verbesserungen abzuleiten wird vertan. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit ruft auf, zu objektivieren und fordert Transparenz.

Wie in Großbritannien Sicherheitskultur gelebt wird, zeigte das dortige Gesundheitsministerium Anfang dieses Jahres vorbildhaft – ein Vorgehen, das der Politik und Führungskräften im Gesundheitswesen eindrucksvoll vor Augen führt, wohin die Reise gehen sollte.

Im britischen Gesundheitssystem werden jährlich knapp 8.000 Fehler in Hausarztpraxen verzeichnet, aus denen Rückschlüsse zum Ausbau der Patientensicherheit gezogen werden. Großbritannien macht Patientensicherheit transparent.

Im Zuge dieser Transparenz wurden auch Zahlen aus Geburtskliniken veröffentlicht, die Anlass für eine umfassende Untersuchung waren. Im Jahr 2017 gab die britische Regierung eine Untersuchung zu den Zahlen in Auftrag. 1.592 Vorfälle wurden untersucht. Demnach starben in mehreren Geburtshilfestationen innerhalb von zwei Jahrzehnten 201 Babys, die bei einer richtigen Versorgung hätten überleben können. Bei anderen Neugeborenen wurden Schädelfrakturen, andere Knochenbrüche sowie Hirnschäden wegen Sauerstoffmangels während der Geburt festgestellt. Der britische Gesundheitsminister, Sajid Javid, entschuldigte sich bei den betroffenen Familien und sagte zu, dass die Dutzenden von Empfehlungen aus dem Bericht umzusetzen seien. Das deutsche Gesundheitswesen geht nicht so offen und transparent mit Fehlern um und benimmt sich damit der Chance, diese Fehler genauer zu betrachten und aus ihnen zu lernen.

„Ja, es kommen Menschen im deutschen Gesundheitswesen zu Schaden. Die zentrale Frage lautet: Was folgt daraus? Wären viele dieser Fälle vermeidbar? Es lohnt sich für mehr Patientensicherheit zu sorgen: Gesellschaftlich, volkswirtschaftlich und persönlich!“, sagt Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit.

Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit 2021-2030 der WHO beschreibt den Weg zur Beseitigung vermeidbarer Schäden in der Gesundheitsversorgung. Er ist ein Bausteinkasten und sehr detailliert. Ein wesentlicher genannter Punkt ist die „Einführung einer Sicherheitskultur“. Genau dazu passt das neue Buch des Aktionsbündnis Patientensicherheit „Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen“, das sich für mehr Transparenz, eine Haltung des Muts und der Ehrlichkeit und Ansätzen, um mit Fehlern umzugehen oder sie ganz zu vermeiden, auseinandersetzt. Das Fazit der Fachleute, die zum Buch beigetragen haben, lautet: Nur wenn Sicherheitskultur ganz oben auf der Agenda steht, gelingt es, die Risiken bestmöglich zu beherrschen und so das Gesundheitssystem für alle Beteiligten nachhaltig zu verbessern. Alle Infos zum Buch „Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen“: https://landingpages.mwv-berlin.de/risiko-und-sicherheitskultur-im-gesundheitswesen/

Im Wesentlichen geht es darum, mutig, offen und ehrlich über Fehler und mögliche Schäden zu sprechen und vermeidbare Unerwünschte Ereignisse von unvermeidbaren Ereignissen zu trennen. International bekannt als Never Events und in Deutschland definiert als „Schwerwiegende Ereignisse, die wir sicher Verhindern wollen“, die so genannte SEVer-Liste des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Ziel der Veröffentlichung war, dass die Einrichtungen des Gesundheitswesens ihre Anstrengungen erhöhen, selbst zu überprüfen, ob sie die gelisteten Vorkommnisse mittels geeigneter Maßnahmen sicher verhindern. Denn die Maßnahmen diese Ereignisse zu verhindern, gibt es in Deutschland. Die APS-SEVer-Liste (ausgesprochen safer wie das englische Wort für sicherer) umfasst insgesamt 22 schwerwiegende Vorkommnisse, die im Krankenhaus, aber auch in anderen Gesundheitseinrichtungen auftreten können. Darunter sind Klassiker der Patientensicherheit wie zum Beispiel die unbeabsichtigt im Körper belassenen Objekte oder Patienten-, Eingriffs- oder Seitenverwechselungen. Andere Ereignisse sind weniger offensichtlich, aber nicht minder gravierend, zum Beispiel unmündige oder verwirrte Patient:innen, die ohne Betreuung entlassen werden oder Gefährdungen aufgrund unzureichender Instandhaltung von beziehungsweise Einweisung des Personals in Medizinprodukte. Die vollständige Liste samt Erläuterungen ist abrufbar unter: https://www.aps-ev.de/hempfehlungen/sever-liste/

Eine fehlerfreie medizinische Versorgung wird und kann es nicht geben, betont das Aktionsbündnis Patientensicherheit. „Wir sind Menschen und wir machen Fehler“, sagt Hecker, wir könnten aber alle mehr für eine sichere Versorgung tun, wenn wir die Dinge transparent machen. Dies erfordert allerdings Mut und Ehrlichkeit.“

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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