Anlasslose Tests verbrauchen die Testressourcen für Infizierte, Kontaktpersonen und vulnerable Gruppen
Der 1. Vorsitzende der Akkreditierten Labore in der Medizin – ALM e.V. ergänzt: „Das gilt im Übrigen nicht für Berlin allein, sondern für alle ähnlich betroffenen Städte und Ballungsräume. Wir verstehen diese Maßnahme nicht und können nicht erkennen, wie damit das COVID-19-Infektionsgeschehen beeinflusst werden soll. Da hat eine Person aus einem innerdeutschen Risikogebiet für die Hotelübernachtung einen Test vorzulegen, darf jedoch privat überall übernachten und ist als Politiker oder Berufsausübender auch noch vom Testen befreit. Wer soll so widersprüchliche Regeln verstehen?“ so Müller.
Der ALM-Vorsitzende verweist auf viele Tausend Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern seit vergangenem Donnerstag. Die Zahl der SARS-CoV2-PCR-Tests stieg in der vergangenen Woche mit 1.069.048 Tests wieder entsprechend stark – um 7 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Die Anzahl positiver Tests betrug dabei 26.835. Das entspricht einer Steigerung von 62 Prozent, ein Abbild des dynamischen und steigenden Infektionsgeschehens. Die regional unterschiedliche und teilweise überproportionale Belastung der Labore führte dann auch zu einem deutlich zunehmenden Rückstau von 16.829 Tests. Die Positivrate liegt mittlerweile bei 2,5 Prozent. Die Testkapazität liegt weiterhin bei rund 1,375 Millionen Tests pro Woche. Von den die PCR-Kapazitäten entlastenden Antigentests ist in der Versorgung noch kein wesentlicher Effekt zu spüren.
Millionen Bürger werden zu Bewohnern von Risikogebieten
Die Entscheidungen der vergangenen Woche haben Spuren hinterlassen: Mittlerweile sind nach Angaben der ARD rund 13 Millionen Menschen plötzlich zu Einwohnern von Risikogebieten geworden. Dazu gehören Berlin, Frankfurt, München, Bremen, Essen, Düsseldorf und Stuttgart. Täglich kommen weitere Städte und Regionen hinzu. Viele Menschen versuchen nun verständlicherweise, durch das so genannte „Freitesten“ ihren Herbsturlaub zu retten. „Dadurch wird bei ohnehin stark ausgelasteten Laborkapazitäten das Testen von Infizierten, Kontaktpersonen und vulnerablen Gruppen noch deutlich erschwert, weil die Testressourcen für diese anlasslosen, inländischen Urlaubsreisetests verwendet werden“, erklärt Evangelos Kotsopoulos, Vorstand im ALM e.V. „Aus der Vergangenheit des anlasslosen Testens im Sommer wissen wir, dass es keinerlei Evidenz für die Wirksamkeit einer solchen Strategie gibt“, stellt Dr. Michael Müller fest. Diese Auffassung vertrat kürzlich auch Dr. Andreas Gassen. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung warnte in der ARD Tagesschau schon vor dem vergangenen Wochenende: „Die Reisebeschränkungen sind zur Pandemiebekämpfung überflüssig und auch nicht umzusetzen.“ Innerdeutsche Reisen seien lediglich eine „Pseudo-Gefahr“, sagte Gassen.
ALM kritisiert die Verschwendung von PCR-Test-Ressourcen
Der ALM e.V. kritisiert, dass ohnehin schon knappe Ressourcen unnötig verschwendet werden: „Die Zeitspanne von 24 Stunden für kritische Tests und von 48 Stunden für die Urlaubsreisetests kann vor diesem Hintergrund zunehmend weniger eingehalten werden“, weiß Dr. Michael Müller. „Das kann sicherlich nicht das Ansinnen der verantwortlichen Politikerinnen und Politiker der Länder sein. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich einfach zu verstehende und einzuhaltende Regeln. Dazu gehört insbesondere die „AHA + L + C-Regel“ (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften und Corona Warn-App). Hinzu kommt: Die schnelle Einführung der Antigentests in der Versorgung bedarf noch etwas Zeit.
Empfehlung für Handhabung der Antigentests werden aktuell erarbeitet
Darauf hatte der ALM e.V. bereits im Vorfeld mehrfach hingewiesen: „Diagnostisch effiziente Antigentests, die im Falle von PoC-Testen für den Vor-Ort-Einsatz auch sicher und einfach zu handhaben sein sollten, können die Fachärztinnen und Fachärzte im Labor unterstützen und auch den Ärztinnen und Ärzte in der Praxis bei besonderen Fragestellung eine Hilfestellung sein“, betonte Dr. Michael Müller bereits vergangene Woche in der ALM-Pressekonferenz. Die Empfehlungen für die Handhabung würden aktuell erarbeitet, um so die PCR-Kapazitäten zu entlasten. Eine unkritische Anwendung der Antigentests in der Arztpraxis könne dazu führen, dass Infektionen mit SARS-CoV-2 nicht erkannt werden, da die Antigentests eine geringere Empfindlichkeit im Vergleich zur PCR haben. Man müsse sich noch gedulden, bis die angekündigten Empfehlungen aus RKI und PEI (Paul-Ehrlich-Institut) vorlägen.
Wir brauchen eine verständliche Kommunikation und klare Priorisierung
Auch darauf weist der ALM e.V. hin: „Bei allem Verständnis für länderspezifische oder gar regionale Besonderheiten sind eine verständliche Kommunikation und eine klare Priorisierung von Testungen in Abhängigkeit von verfügbaren Ressourcen im Blick zu behalten“, so Dr. Michael Müller: „So sieht es die Nationale Teststrategie vor. Ansonsten führen die Regelungen zu Unmut oder gar ins Leere, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung insgesamt zu schwinden droht.“
Evangelos Kotsopoulos ergänzt: „Wir haben es jetzt so gut geschafft, in dieser uns alle betreffenden Pandemie gemeinsam die Infektionszahlen niedrig zu halten und so das Gesundheitssystem erfolgreich vor der Überlastung zu schützen und galten sogar als Vorbild für andere Länder. Die Länderregierungen sollten die Bundesregierung dabei unterstützen, an dieser bisher gut geübten, umsichtigen und nachhaltigen Praxis festzuhalten.“