Zweitmeinung: Von allen gewollt, bislang wenig genutzt
Der Gesetzgeber hat die Zweitmeing bei geplanten Eingriffen für gesetzlich Versicherte zum Rechtsanspruch erhoben. Welche Eingriffe das sind, ist noch unklar. Darüber wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erst in der zweiten Jahreshälfte entscheiden. Grundsätzlich können Patienten dadurch eine Diagnose oder die Notwendigkeit für eine Operation durch einen zweiten Arzt absichern lassen. Auch Krankenkassen haben ein Interesse an Zweitmeinungen. Sie hoffen, dadurch unnötige Eingriffe zu vermeiden.
Aus juristischer Sicht ist die Zweitmeinung ein reiner „Diagnosevertrag“. Ziel sei es dabei laut Juristen, eine „standardgemäß korrekte Diagnose“ abzugeben, was nicht mit der „richtigen“ Diagnose gleichzusetzen ist. Der zuerst diagnostizierende Arzt hat heute je nach Sachlage die Pflicht, auf die Möglichkeit einer zweiten Meinung hinzuweisen. Das gilt in besonderer Weise, wenn es sich um einen objektiv zweifelhaften Befund handelt. Der Jurist Professor Dr. jur. Andreas Spickhoff vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) nannte das die „Pflicht zur therapeutischen Sicherheitsaufklärung“.
Besonders relevant ist das Thema Zweitmeinung in der Orthopädie, da man es dort überwiegend mit geplanten Eingriffen zu tun hat. Paradebeispiel dafür sei der künstliche Gelenkersatz, der zu den erfolgreichsten Operationen der letzten Jahrzehnte gehöre. „Dem Gesetzgeber ging es bei dem Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung weniger um den Patienten, sondern vorrangig darum, die nicht medizinisch begründete Indikationsausweitung zu begrenzen“, betonte Dr. med. Johannes Flechtenmacher, Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) und einer der Referenten der AWMF-Veranstaltung.
Er machte deutlich, wie schwierig es gerade beim Gelenkersatz sei, objektiv zu entscheiden, wer wann zwingend operiert werden muss und plädierte für eine gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient, die das Prinzip der allerdings Zweitmeinung unterlaufe, indem dieses dem Experten die Entscheidungsgewalt zuspiele. Auch sei ein reines Operieren „nach Bildern" nicht zielführend. Oft genug komme es vor, dass Patienten trotz sichtlicher Verschleißerscheinungen keine Schmerzen hätten.
Anders sieht das bei der Bewertung pathologischer Befunde aus. So geschieht es bei einem Modellprojekt der AOK Bayern, das Peter Krase, Ressortleiter für das Leistungsmanagement der Kasse, vorstellte. Gemeinsam mit der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) bietet die Krankenkasse ein digitales Zweitmeinungsverfahren an. AOK-Versicherte aus ganz Bayern mit einem Krebsbefund können ihre Werte und Bilder an die Spezialisten in der Uniklinik schicken, damit diese die Aussage des ersten Arztes überprüfen. Obwohl es auch die AOK-Versicherten mit fast 90 Prozent für wichtig erachten, eine zweite Meinung einzuholen, wird das Angebot nur wenig genutzt. Trotz aufwändiger Informations- und Kommunikationsmaßnahmen haben in den letzten drei Jahren nur 300 Versicherte von dem Angebot Gebrauch gemacht.
Juristen und Ärzte des gleichnamigen AWMF-Arbeitskreises erstaune diese Zurückhaltung der Patienten. Für sie ist das ein Indiz dafür, dass die allermeisten Patienten in Deutschland trotz des verbrieften Rechts auf eine Zweitmeinung in der Mehrzahl auf die Aussage des ihnen meist bekannten ersten Arztes vertrauen.