Baden-Württemberg - Fortschritte in der Psychotherapie
„Wir übernehmen mit einem maßgeschneiderten Angebot jetzt aktiv Verantwortung für ein immer größer werdendes Versorgungsproblem“, erklärt Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. „Unser gemeinsames Ziel ist eine zukunftssichere Versorgung im Land. Wir wollen mehr Versicherten mit psychischen Erkrankungen die Therapie ermöglichen, die sie brauchen. Und zwar so schnell wie nötig und möglich!“
Rund eine Million Menschen mit psychischen Erkrankungen, bei kontinuierlich steigender Tendenz, gibt es jährlich in Baden-Württemberg. Bereits 36 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitsfälle und elf Prozent aller Krankschreibungen gehen heute auf das Konto von Depressionen und Angststörungen. Die Folgen sind monatelange Wartezeiten bei überlasteten Therapeuten und zu späte Diagnosen, die nicht selten zu chronischen Krankheitsverläufen führen, die bei früherem Therapiebeginn vermeidbar wären. Auch ein deutlicher Anstieg unnötiger und belastender Krankenhauseinweisungen, vor allem bei jungen Patienten, ist Folge dieses Versorgungsstaus. Zudem fehlt den Therapeuten im Land die Flexibilität für eine individuellere und schnellere Versorgung, weil im Vergleich zum internationalen Standard zu wenige Therapieangebote erstattet werden.
Diplom-Psychologe Rolf Wachendorf, Vorsitzender der Freien Liste der Psychotherapeuten in Baden-Württemberg, fasst die Situation zusammen: „Die Regelversorgung steckt in einer Sackgasse. Einerseits gibt es dort nicht genügend Therapeuten, um alle Patienten schnell und effektiv zu behandeln, andererseits werden die vorhandenen Ressourcen nicht ausgeschöpft. Die akute Versorgung Psychotherapie wird strukturell verhindert, die leitlinienorientierte Behandlung erschwert. Unter den Fehlsteuerungen leiden nicht nur die Patienten, sondern auch wir Psychotherapeuten. Mit diesem Vertrag dürfen wir Klienten erstmals all das geben, was sie für eine gute Versorgung brauchen.“
Grundsätzlich gibt es genügend Therapeuten im Lande. Allerdings müssen viele von ihnen mittlerweile nicht selten Jahre auf ihre Zulassung warten.
Dr. Alessandro Cavicchioli, Landesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung in Baden-Württemberg erläutert, was sich im neuen Versorgungsangebot von AOK und Bosch BKK konkret ändern soll: „Um die Wartezeiten zu reduzieren, entfällt zukünftig das aufwändige Gutachterverfahren, außer bei der Psychoanalyse. Außerdem werden Therapieformen, die weniger Zeit beanspruchen und hocheffektiv sind, gezielt gefördert. Eine sehr wichtige Option stellt dabei die Gruppentherapie dar. Sie bietet ein breites Instrumentarium, um z.B. depressive Patienten schnellstmöglich zu aktivieren, ihnen weitere soziale Kompetenzen und Werkzeuge gegen die Krankheit zu vermitteln.“
Dem Therapeuten stehen viel mehr Therapieoptionen zur Verfügung als in der Regelversorgung. Zur Qualitätsverbesserung erfolgen Diagnostik und Therapie außerdem konsequent auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Leitlinien. Die Behandlung wird so genauer als bisher auf den Schweregrad der Erkrankung zugeschnitten.
„Das ist gerade bei der Depression sehr wichtig, denn wenn hier schnellstens gehandelt wird, kann eine Chronifizierung in vielen Fällen verhindert werden“, ergänzt Cavicchioli.
Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg, betont, dass der Vertrag die richtigen Steuerungsanreize setze: „Ein leistungsgerechteres Honorarsystem statt finanzieller Bestrafung für die Aufnahme von Patienten schafft Planungssicherheit, sodass zukünftig wieder vermehrt Therapeuten im Land eingestellt werden können“. Ein weiterer Vorteil für die Patienten sei die engere Kooperation mit den zuweisenden Hausärzten: „Es gibt jetzt eine vertraglich vereinbarte schnellere Terminvergabe. Jeder teilnehmende Patient erhält bei Verdacht auf eine Depression spätestens nach 14 Tagen einen Ersttermin bei einem Psychotherapeuten, bei dringenden Fällen innerhalb von drei Tagen.“
Außerdem steht der Hausarzt - falls vom Patienten erwünscht - während der Therapie in kontinuierlichem und strukturiertem Austausch mit dem Therapeuten.